Das Freihandelsabkommen TTIP wird kritisch diskutiert. Nun auch vor Ort im Kreis Gütersloh. Zur Runde eingeladen hatte die "proWirtschaftGT". Wir als Demokratie wagen hatten dazu einen kritischen Antrag an den Kreistag gestellt, der wiederholt mit Winkelzügen der Geschäftsordnung durch den Landrat hin- und hermanövriert wurden. Ein Streitpunkt: TTIP habe keinen kommunalen Bezug. Dazu findet sich eine Chronologie auf unserer Seite.
Panel mit Positionen Foto: ak 2015 |
Auf dem Podium im Kreistag saßen nun am Donnerstag (v.l.n.r.): Robert Fuß (IG Metall), Bettina Cebulla (Verbraucherzentrale NRW), Christoph von der Heiden (IHK OWL), Dr. Markus Pieper (MdEP, CDU), Lutz Göllner (EU-Kommission), Dr. Marco Kuhn (Landkreistag NRW), Moderartion: Monika Olszewski (Radio GT). Der Gütersloher MdEP, Elmar Brok (CDU) hatte abgesagt, er ist in Amerika. Begrüßung: Sven-Georg Adenauer (Landrat Kreis Gütersoh).
Natürlich kann ich hier nicht alle Redebeiträge wiedergeben, aber einige Highlights schon:
Landrat Sven-Georg Adenauer begrüßte die rund 120 Zuhörer (bunte Mischung) und zeigte sich erstaunt darüber, wie emotional die Debatte geführt würde. Er selbst hatte unseren ersten Antrag zu TTIP mit dem Hinweis von der Tagesordnung genommen, der Innenminister von NRW habe deklariert, die Kommunen und Kreise dürften sich mit TTIP nicht befassen, weil ein kommunaler Bezug fehle. Das war so nicht wahr, wie wir auf unserer Seite "Demokratie wagen" belegt haben.
Begonnen wurde mit einem Impuls von Lutz Göllner (EU-Kommission), der sehr technisch-nüchtern in die "Gepflogenheiten" von europäischen Vertragsverhandlungen einführte und die Vorzüge und Chancen von TTIP in diesen Fokus stellte. Er wurde seiner Aufgabe als Vertreter der EU gerecht: der Ansatz, er reihe Fakten auf, die in ihrer Wertigkeit unangefochten sind, war erkennbar. Das eine oder andere Mal erhielt er kritische Zurufe aus der sehr heterogenen aber auch kritischen Zuhörerschar. Göllner erklärte, die Debatte um TTIP sei einzigartig, emotional - und gut, dass sie geführt würde. Allerdings sehr zum Erstaunen der Beteiligten, denn es habe immer schon Handelsabkommen gegeben, bisher habe sich niemand dafür interessiert. In den letzten Monaten habe sich in Fragen der Transparenz viel getan. Die Papiere wären im Internet einsehbar. Hier skizzenhaft die Ziele, die er formulierte: TTIP soll die Wirtschaftskraft der EU insgesamt fördern, den Zugang zu Märkten sichern, auf die die EU sonst nicht gelangen würden. Es gehe um Sicherung von Arbeitsplätzen und Steigerung von Wertschöpfung, um Wachstum, um Sicherung für die Exportnation Deutschland. "Niemand will Standards abbauen, es geht um Prozesse, die im Zentrum stehen". Es gehe um Doppelungen bürokratischer Prozesse, Testungen, Verfahren etwa im Bereich der Pharmaindustrie, Automobilindustrie, Chemie; die Neuordnung von Regeln für Waren, Dienstleistungen und geistiges Eigentum, die bisherigen Regeln seien veraltet.
Er streifte das Thema der kommunalen Daseinsvorsorge, die sei in dem Abkommen geschützt, so dass der verfassungsmäßige Schutz greife. Den Vorwurf der mangelnden Transparenz könne er nicht mehr hören. Wer mache denn TTIP? Die EU-Kommission mache das nicht allein oder gar ohne demokratische Kontrolle, die EU habe ein Mandat, das sei alles öffentlich. Immerhin müsse man sich beraten, abstimmen, es werde lediglich ein Vorschlag vorgelegt, der müsse durch das EU-Parlament in vielen Schleife abgestimmt werden.
Dann begann die Diskussion auf dem Podium, Chancen und Risiken wurden abgewogen. Für die IHK steht die Exportabhängigkeit des Kreises im Mittelpunkt und die Aussichten auf gute Geschäfte. Göllner wiederum erklärte, die Impulse durch TTIP könne man erst in der Praxis bewerten, unterschiedliche Studien belegten unterschiedliche Wachstumsraten. Interessant war der Aspekt des Demographischen Wandels, denn durch die Schrumpfung der Bevölkerung sei es in Zukunft schwerer, den Standard zu halten. Göllner erklärt, Deutschland stände hinter TTIP, eine Debatte über TTIP sei aber auch eine über die europäischen Institutionen: Wie sehr kann man denen vertrauen? Er rekurriert auf die kritische Position in Deutschland bezüglich der USA und der NSA, er thematisierte die Frage nach dem Vertrauen und fügte hinzu, dass im Rahmen der Verhandlungen eben nicht alles öffentlich sein dürfe.
Wichtige Punkte brachte der Vertreter der IG Metall und die Vertreterin der Verbraucherzentrale, die beide auf den Abbau von Standards im Bereich Arbeit, Umwelt und Verbraucherschutz hinwiesen. Auch wurde angemahnt, dass es zu keiner umfassenden und öffentlichen Anhörung gekommen ist, in der kritische Punkte angesprochen werden konnten. Deutlich kritisiert wurden die Schiedsgerichte, die in ihrer Zusammensetzung und Handlung eben alles andere sind als transparent. Fuß fragte nach dem Stellenwert der Volksvertretungen, denn TTIP könnte in seiner Wirkung demokratisch legitimierte Regierungen in Frage stellen, dies etwa in Bezug auf den vereinbarten Mindestlohn. Er fordert, nochmal darzulegen, was denn Schiedsgerichte seien. "Das hat mit Gewaltenteilung nichts mehr zu tun."
Kuhn vom Landkreistag forderte in dem Zug einen Handelsgerichtshof. Er thematisierte das Verhältnis von TTIP zur kommunalen Daseinsvorsorge. Zur Planungshoheit gehöre die kommunale Daseinsvorsorge, die die Bürger mit notwendigen Dienstleistungen versorgten, hier herrsche die Sorge, es komme zu einer schleichenden Aushöhlung der Daseinsvorsorge. Schleichend eben durch Marktzugangsvorschriften, Wettbewerbskriterien, Schutzmechanismen, gegen die die Kommunen nicht angehen könnten. Ideal sei es daher, die Daseinsvorsorge ganz auszuklammern. Seine 2. Lösung wäre die nach einer Negativliste, auf der stände, was genau ausgeklammert wäre. Diese Negativliste allerdings sei statisch, so dass etwa Neuerungen wie der Zugang zum Breitband ausgeklammert seien, weil so nicht drin ständen. Nach Veröffentlichung der Kommissionspapiere aber sei der Landkreistag NRW deutlich entspannter, da die Kommission sich offenbar bewusst sei, dass man über die kommunale Daseinsvorsorge nicht hinausgehen könnte. Allerdings kennte man die amerikanische Fassung der Papiere eben noch nicht.
Göllner erklärte, public utilities fallen nicht unter das Abkommen. Er erklärte Listen als rein technische Anwendungen. Daseinsvorsorge sei nicht definiert, Breitband etwa, könne man immer noch später einfließen lassen. Zudem thematisiert wurden kurz die Wasserrechte, die ausgenommen seien. Fuß sprach die Deregulierungswelle an mit PPP-Modellen und Privatisierungen, die am Ende deutlich teuerer würden und das Gemeinwohl eher belasten.
Ein Punkt sei noch besonders hervorgehoben: der Abgeordnete des Europäischen Parlamentes Dr. Markus Pieper (CDU und Ersatz für den verhinderten Elmar Brok) empörte sich über die "miese Methode" im Internet 150.000 Bürgerinnen und Bürger zu ermuntern mit vorgefertigten Mails und nur mit einem Klick das EU-Parlament zu bestürmen und gegen TTIP zu stimmen. Das seien zudem NGOs, die auch noch Steuergelder dafür einsetzten - eine Ursache sei gewiss eine "Amerikafeindlichkeit". Anti-TTIP-Lobbyisten würden bewusst belastete Wörter einfließen lassen, wie etwa "Fracking", um Ängste in der Gesellschaft zu schüren. Er räumt ein, dass das Stimmungsbild in Deutschland hier kaum mehr zu korrigieren sei. "Politik ist viel zu spät aufgewacht", man habe sich darauf verlassen, dass der "Prozess um TTIP so läuft wie immer und die Öffentlichkeit kein Interesse daran hat." Er mutmaßte, die Bevölkerung sei deshalb so kritisch, weil es "die USA seien", mit denen verhandelt würde - soziale Netzwerke und Profis würden gegen Amerika aufwiegeln. "Und die werden auch noch mit Steuergeldern bezahlt."
Natürlich kann ich hier nicht alle Redebeiträge wiedergeben, aber einige Highlights schon:
Landrat Sven-Georg Adenauer begrüßte die rund 120 Zuhörer (bunte Mischung) und zeigte sich erstaunt darüber, wie emotional die Debatte geführt würde. Er selbst hatte unseren ersten Antrag zu TTIP mit dem Hinweis von der Tagesordnung genommen, der Innenminister von NRW habe deklariert, die Kommunen und Kreise dürften sich mit TTIP nicht befassen, weil ein kommunaler Bezug fehle. Das war so nicht wahr, wie wir auf unserer Seite "Demokratie wagen" belegt haben.
Begonnen wurde mit einem Impuls von Lutz Göllner (EU-Kommission), der sehr technisch-nüchtern in die "Gepflogenheiten" von europäischen Vertragsverhandlungen einführte und die Vorzüge und Chancen von TTIP in diesen Fokus stellte. Er wurde seiner Aufgabe als Vertreter der EU gerecht: der Ansatz, er reihe Fakten auf, die in ihrer Wertigkeit unangefochten sind, war erkennbar. Das eine oder andere Mal erhielt er kritische Zurufe aus der sehr heterogenen aber auch kritischen Zuhörerschar. Göllner erklärte, die Debatte um TTIP sei einzigartig, emotional - und gut, dass sie geführt würde. Allerdings sehr zum Erstaunen der Beteiligten, denn es habe immer schon Handelsabkommen gegeben, bisher habe sich niemand dafür interessiert. In den letzten Monaten habe sich in Fragen der Transparenz viel getan. Die Papiere wären im Internet einsehbar. Hier skizzenhaft die Ziele, die er formulierte: TTIP soll die Wirtschaftskraft der EU insgesamt fördern, den Zugang zu Märkten sichern, auf die die EU sonst nicht gelangen würden. Es gehe um Sicherung von Arbeitsplätzen und Steigerung von Wertschöpfung, um Wachstum, um Sicherung für die Exportnation Deutschland. "Niemand will Standards abbauen, es geht um Prozesse, die im Zentrum stehen". Es gehe um Doppelungen bürokratischer Prozesse, Testungen, Verfahren etwa im Bereich der Pharmaindustrie, Automobilindustrie, Chemie; die Neuordnung von Regeln für Waren, Dienstleistungen und geistiges Eigentum, die bisherigen Regeln seien veraltet.
Er streifte das Thema der kommunalen Daseinsvorsorge, die sei in dem Abkommen geschützt, so dass der verfassungsmäßige Schutz greife. Den Vorwurf der mangelnden Transparenz könne er nicht mehr hören. Wer mache denn TTIP? Die EU-Kommission mache das nicht allein oder gar ohne demokratische Kontrolle, die EU habe ein Mandat, das sei alles öffentlich. Immerhin müsse man sich beraten, abstimmen, es werde lediglich ein Vorschlag vorgelegt, der müsse durch das EU-Parlament in vielen Schleife abgestimmt werden.
Dann begann die Diskussion auf dem Podium, Chancen und Risiken wurden abgewogen. Für die IHK steht die Exportabhängigkeit des Kreises im Mittelpunkt und die Aussichten auf gute Geschäfte. Göllner wiederum erklärte, die Impulse durch TTIP könne man erst in der Praxis bewerten, unterschiedliche Studien belegten unterschiedliche Wachstumsraten. Interessant war der Aspekt des Demographischen Wandels, denn durch die Schrumpfung der Bevölkerung sei es in Zukunft schwerer, den Standard zu halten. Göllner erklärt, Deutschland stände hinter TTIP, eine Debatte über TTIP sei aber auch eine über die europäischen Institutionen: Wie sehr kann man denen vertrauen? Er rekurriert auf die kritische Position in Deutschland bezüglich der USA und der NSA, er thematisierte die Frage nach dem Vertrauen und fügte hinzu, dass im Rahmen der Verhandlungen eben nicht alles öffentlich sein dürfe.
Wichtige Punkte brachte der Vertreter der IG Metall und die Vertreterin der Verbraucherzentrale, die beide auf den Abbau von Standards im Bereich Arbeit, Umwelt und Verbraucherschutz hinwiesen. Auch wurde angemahnt, dass es zu keiner umfassenden und öffentlichen Anhörung gekommen ist, in der kritische Punkte angesprochen werden konnten. Deutlich kritisiert wurden die Schiedsgerichte, die in ihrer Zusammensetzung und Handlung eben alles andere sind als transparent. Fuß fragte nach dem Stellenwert der Volksvertretungen, denn TTIP könnte in seiner Wirkung demokratisch legitimierte Regierungen in Frage stellen, dies etwa in Bezug auf den vereinbarten Mindestlohn. Er fordert, nochmal darzulegen, was denn Schiedsgerichte seien. "Das hat mit Gewaltenteilung nichts mehr zu tun."
Kuhn vom Landkreistag forderte in dem Zug einen Handelsgerichtshof. Er thematisierte das Verhältnis von TTIP zur kommunalen Daseinsvorsorge. Zur Planungshoheit gehöre die kommunale Daseinsvorsorge, die die Bürger mit notwendigen Dienstleistungen versorgten, hier herrsche die Sorge, es komme zu einer schleichenden Aushöhlung der Daseinsvorsorge. Schleichend eben durch Marktzugangsvorschriften, Wettbewerbskriterien, Schutzmechanismen, gegen die die Kommunen nicht angehen könnten. Ideal sei es daher, die Daseinsvorsorge ganz auszuklammern. Seine 2. Lösung wäre die nach einer Negativliste, auf der stände, was genau ausgeklammert wäre. Diese Negativliste allerdings sei statisch, so dass etwa Neuerungen wie der Zugang zum Breitband ausgeklammert seien, weil so nicht drin ständen. Nach Veröffentlichung der Kommissionspapiere aber sei der Landkreistag NRW deutlich entspannter, da die Kommission sich offenbar bewusst sei, dass man über die kommunale Daseinsvorsorge nicht hinausgehen könnte. Allerdings kennte man die amerikanische Fassung der Papiere eben noch nicht.
Göllner erklärte, public utilities fallen nicht unter das Abkommen. Er erklärte Listen als rein technische Anwendungen. Daseinsvorsorge sei nicht definiert, Breitband etwa, könne man immer noch später einfließen lassen. Zudem thematisiert wurden kurz die Wasserrechte, die ausgenommen seien. Fuß sprach die Deregulierungswelle an mit PPP-Modellen und Privatisierungen, die am Ende deutlich teuerer würden und das Gemeinwohl eher belasten.
Ein Punkt sei noch besonders hervorgehoben: der Abgeordnete des Europäischen Parlamentes Dr. Markus Pieper (CDU und Ersatz für den verhinderten Elmar Brok) empörte sich über die "miese Methode" im Internet 150.000 Bürgerinnen und Bürger zu ermuntern mit vorgefertigten Mails und nur mit einem Klick das EU-Parlament zu bestürmen und gegen TTIP zu stimmen. Das seien zudem NGOs, die auch noch Steuergelder dafür einsetzten - eine Ursache sei gewiss eine "Amerikafeindlichkeit". Anti-TTIP-Lobbyisten würden bewusst belastete Wörter einfließen lassen, wie etwa "Fracking", um Ängste in der Gesellschaft zu schüren. Er räumt ein, dass das Stimmungsbild in Deutschland hier kaum mehr zu korrigieren sei. "Politik ist viel zu spät aufgewacht", man habe sich darauf verlassen, dass der "Prozess um TTIP so läuft wie immer und die Öffentlichkeit kein Interesse daran hat." Er mutmaßte, die Bevölkerung sei deshalb so kritisch, weil es "die USA seien", mit denen verhandelt würde - soziale Netzwerke und Profis würden gegen Amerika aufwiegeln. "Und die werden auch noch mit Steuergeldern bezahlt."
Diese Passage brachte ihm viele Buhrufe, das Plenum beschwerte sich unüberhörbar. Ein älterer Herr trat später ans Mikro und erklärte, diese Unterstellung sei eine Unverschämtheit - ein EU-Politiker könne nicht einfach behaupten, die Bürger würden sich nicht selbst informieren und leichtfertig Unterschriften geben. Diese Meinungsbildung im Netz sei im Gegenteil wirkungsvoller Beweis dafür, dass Politik TTIP nicht ernst genommen habe und sich darauf verlassen hätte, diese Verhandlungen würden so laufen, wie immer: unbehelligt.
Er erntete großen Applaus mit seinem Protest, sprach er doch vielen aus dem Herzen. Zudem betonte der Gast, er sei als Lernender zur Veranstaltung gekommen, solche Anmaßung eines MdEP allerdings verschreckten ihn - wie viele Interessierte gleichermaßen.
Es sind noch zu wenig Diskussionsrunden zu TTIP. Hier besteht noch deutlicher Gesprächsbedarf. Und ein Segen, dass es dazu auch das Netz gibt.
Er erntete großen Applaus mit seinem Protest, sprach er doch vielen aus dem Herzen. Zudem betonte der Gast, er sei als Lernender zur Veranstaltung gekommen, solche Anmaßung eines MdEP allerdings verschreckten ihn - wie viele Interessierte gleichermaßen.
Es sind noch zu wenig Diskussionsrunden zu TTIP. Hier besteht noch deutlicher Gesprächsbedarf. Und ein Segen, dass es dazu auch das Netz gibt.