In der letzten Woche haben wir uns mit dem Bürgerhaushalt beschäftigt. In einer echten Gütersloher "Elefantenrunde" der Ratsfraktionen (alle sieben Fraktionen waren da: SPD, CDU, Grüne, FDP, BfGT, UWG, Die Linke) stand die Frage auf dem politischen Speisezettel, was eigentlich unter dem Strich des Bürgerhaushaltes steht. Die jeweiligen Antworten darauf finden sich im vorausgehenden Blogeintrag - und natürlich auch auf der Seite der Bürgerinitiative "Demokratie wagen".
Aber: Spannend wurde es nochmal am Ende der Veranstaltung. Da habe ich nämlich die Frage gestellt, was eigentlich an Bürgerbeteiligung vorgesehen ist, wenn der Bürgerhaushalt keine (!) zweite Chance bekommt, sondern aufgrund der "Mängel" wie etwa die Anonymität der Nutzer von den Kommunalpolitikern eingedampft wird.
Das Ergebnis erstaunt nicht: Wenig Neues, wenig Kreatives auf dem Gebiet. Politik und Bürgerschaft stehen sich in dieser Fragestellung wie auf zwei Fronten gegenüber. Die Einen fordern mehr Beteiligung (dazu gibt es immer wieder Studien, die dies belegen und zur Zeit hat der Protest auf der Straße auch Hochkonjunktur), die Anderen verweisen auf die Modelle, die schon ausreichend da seien. Reflexartig wird seitens der organisierten Politik darauf verwiesen, dass die Bürger sich auch dahin begeben müssen, wo Politik "gemacht wird", nämlich in den Fraktionen, in den Bürgersprechstunden, an den politischen Stammtischen, in den Ausschüssen, im Rat. Doch hierher verirrt sich "der Bürger" offensichtlich schon lange nicht mehr. Übrigens auch nicht auf unsere Veranstaltung, denn diese war sehr spärlich besucht.
Einige Ansätze wurden aufgezeigt. Die SPD erklärte, dass sie mit den Aktiven einer Stadt ins Gespräch komme, sich da einbringe, wo Netzwerke entstehen, wo Anliegen formuliert werden und die Partei diese Impulse dann in die Ortspolitik übertrage. Eine weitere Möglichkeit sei die Nutzung der Ratsbürgerentscheide, wie sie die neue Gemeindeordnung NRW vorsieht. Die BfGT verwies auf die erfolgreichen Bürgerbegehren, die sie angestoßen und umgesetzt hat. (Siehe Theater Gütersloh). Auch die CDU sah die Notwendigkeit, stärker mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen, die Bürgerschaft durch Gespräche abzuholen, die Anliegen in den Wahlbezirken zu erfagen und ernstzunehmen.
Schade, dass der Vertreter der Grünen bei gerade dieser Frage nicht mehr anwesend war. Doch die Antwort findet sich zumindest auf der Homepage der Ortsgrünen, wenn man sich einmal auf die Verlinkungen durchklickt. Hier wird Claudia Roth zitiert, immerhin Bundesvorsitzende der Grünen (wobei ich umschalte, wenn sie irgendwo auftaucht - man kann sich das politische Personal nicht an jeder Stelle aussuchen.) Sie wirbt in ihrer Rede auf dem Demokratiekongress der Grünen am 11.3.2011 damit, "das radikaldemokratische Engagement gehöre zu den Grundpfeilern grüner Politik."
Die FDP und UWG sah sich eher auf der Seite der repräsentativen Demokratie, hier müssten die entscheiden, die rechtmäßig vom Volk gewählt worden sind. Ansonsten gelte auch hier der übliche Weg der Bürgerschaft in die politischen Formate, dort sei ausreichend Raum die Anliegen vorzubringen.
Mein Problem dabei: Die (Denk-)Ansätze sind von gestern. Will man die Menschen beteiligen, das heißt sie zu Mitgestaltern des politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses machen, braucht es neue Formen der Beteiligung. Das Internet ist eine davon. Man kann es finden wie man will, die Gefahren sind bekannt - aber: In keiner anderen Art und Weise sind so viele Menschen aktiviert und motiviert worden, sich zu beteiligen, wie auf den neuen Plattformen des Sozialen Netzwerke. Auch in der Enquete-Kommission zu mehr Bürgerbeteiligung in Online-Verfahren wird dieser Umstand berücksichtigt. Der Startschuss für das Beteiligungsexperiment ist am 16. März 2011 gefallen: Die vier Projektgruppen der Enquete-Kommission haben ihre Arbeitspapiere auf der neuen Beteiligungsplattform eingestellt.
Daher gilt es, die neuen Formen auch in Gütersloh beizubehalten - sogar einzuüben. Das beginnt nach Abschluss der Ratsentscheidung über den Bürgerhaushalt morgen im Rat mit der Auflistung der Abstimmungsverhältnisse in den politischen Gremien über die 3o Top-Vorschläge - bis sogar hin zu den nachfavorisierten 78 Vorschlägen aus den Fraktionen. Die Rubrik "Rechenschaft" muss transparent dokumentieren, wie sich die Fraktionen verhalten - und schließlich abgestimmt haben. Ergebnisse auf einen Blick sozusagen.
Zudem könnte die Plattform zum Bürgerhaushalt bis zur Einbringung des nächsten Haushaltes für die Abfrage von politischen Meinungsbildern in der Stadt genutzt werden. Eine erste solche
Nutzung wäre die Abfrage nach dem nächsten geplanten Großprojekt in der Stadt (liegt wohl in der politischen Realität, jetzt, wo das Haushaltsloch scheinbar (!!) doch nicht so groß ist.)
Die Frage könnte etwa lauten: Braucht Gütersloh ein neues Hallenbad? Zum Einstieg könnte diese Frage mit Ja oder Nein zu beantworten sein. Sie böte allemal einen ersten Überblick über die Willensbildung.
Zum Zweiten bietet der kommende Bildungsgipfel in der Stadt Gütersloh einen willkommenen Anlass, die Bürgerhaushaltsplattform zur Diskussion zu nutzen. Hier könnte dann schon eine sehr viel differenziertere Diskussion platzier werden, die der Komplexität der Thematik gerecht werden kann. Den Fragenkanon sollte eine Gruppe aus dem Bildungsausschuss erstellen: Welche Bildung will die Stadt?
Vielleicht wäre aber auch die Weiterentwicklung des Haushaltes an sich eine eigene Diskussion wert: Etwa, dass die Stadtteile ein eigenes Budget bekommen, welches sie selbst verwalten können und damit eigene Projekte initiiren können. Zu dem Gedanken der "Solidarkommune", in der das praktiziert werden könnte, gibt es schon Lesestoff:
http://dielinke.symbolisch.net/index.php?option=com_content&view=article&id=412:carsten-herzberg-von-der-buerger-zur-solidarkommune&catid=73:literaturtipps&Itemid=98
Eine weitere Komponente wäre etwa das Konzept des Community Organizing von Prof. Leo Penta. Es geht hier um neue Formen der Selbstorganisation der Bürgerschaft, in denen sich Menschen zusammenfinden, sich qualifizieren, ihre Anliegen selbst definieren und dann gemeinsam Wege zur Umsetzung finden.
Am Ende aller Bemühungen, neue Formen der Beteiligung zu etablieren, könnte auch eine eigene Demokratiebilanz für die Stadt stehen, in der Beteiligung und Demokratie nicht nur zufällig erfolgen und vom Engagement Einzelner abhängen, sondern dem ausgesprochenen Willen der Politik entspringen: Das Konzept Demokratiebilanz gibt es bereits.
Die Ideen zur Beteiligung sind zahlreich. Es gilt sie allerdings zu diskutieren - und den Willen zur Umsetzung zu formulieren.
Da schließt sich der Kreis, denn ich hatte auch gefragt, wie lange die Anwesenden eigentlich schon Kommunalpolitik in den Gremien machen. Die Antwort: Da sitzen Einige schon in der dritten Ratsperiode in Amt und Würden. Vielleicht ist das dann auch schon keine wirkliche Demokratie mehr, denn Demokratie bedeutet auch Wandel. Und schließlich darf man gerne auch einmal den Altersdurchschnitt in unserem Kommunalparlament errechnen. Na? Ich weiß es....