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Donnerstag, 30. Juni 2011

Jugendparlament feiert Geburtstag.....

Das Jugendparlament feiert seinen 10. Jahrestag. 
Glückwunsch ? !

Dazu steht heute leider nix auf der Homepage der Stadt Gütersloh. Und wenn man im Ratsinformationssystem unter "Jugendparlament" nachsieht, findet man - nichts. Keine Einladung, keine Niederschrift. Keine Tagesordnung. Beim gleichartigen Seniorenbeirat sieht das schon anders aus. Auch beim Gestaltungsbeirat, ebenso beim Rat für Integration. 

Was soll mir das jetzt sagen? 
Die Neue Westfälische Zeitung titelt heute: "Politik in jungen Köpfen. Erfolgreiche Bilanz: Zehn Jahre Gütersloher Jugendparlament". Weiter heißt es: "Was die jungen Parlamentarier mit ihren Impulsen und Projekten für die Jugendlichen in Gütersloh auf die Beine gestellt haben, kann sich sehen lassen: Unter den rund 30 Projekten und Aktionen muss man vor allem den Skaterplatz, die Street Soccer Liga, das mittlerweile schon dritte Jugendkulturfestival, die Veranstaltungsreihe "Jugend on tour" sowie das kostenlose Nachhilfeangebot nennen.
In den vergangenen Jahren haben sich 192 Jugendliche im Gütersloher Jugendparlament engagiert, sie haben 79 Sitzungen durchgeführt und fünf Sprecherinnen und sieben Sprecher haben erfahren, was sie bewegen können."

Das Jubiläum wäre sicher eine tiefere Berichterstattung wert gewesen. Etwas altbacken mutet es da an, dass sehr viel Raum für Huldigungen an die städtischen Beamten vorhanden ist, die das JuPa unterstützen. Vielleicht bildet sich diese Unterstützung in Zukunft ja auch in einer noch stärkeren Wahrnehmung - oder gar Verbindlichkeit - der Anliegen der Jugendlichen in Rat und Verwaltung ab: Wie wäre es mit der Idee, alle Entscheidungen im Rat, die Auswirkungen auf die Zukunft unserer nächsten Generation zeigen, faktisch vom JuPa (zumindest) kommentieren zu lassen? So eine Art Generationencheck. Das wäre sicher sehr hilfreich, wenn man städtisches Geld ausgibt oder in Großprojekten investiert oder etwa über zukünftige Bildungsangebote spricht.....

Passend dazu bringt der Spiegel dazu einen guten Bericht über den Jugendfrust beim Politikersprech: "Was labert der denn?" lautet die Überschrift und greift die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung auf: Diese hat untersucht, wie Jugendliche das politische System in Deuschland aufnehmen. Titel "Sprichst Du Politik?".
Die FES schreibt dazu:
"Die Ergebnisse zeigen, dass es bei den Jugendlichen eine Grundbereitschaft zum Mitdenken und Mitmachen gibt. Doch die Sprache der politischen Akteure hat großen Einfluss auf das Interesse der Jugendlichen und die Bereitschaft sich zu informieren. Denn die Art, wie Politik dargestellt und verhandelt wird, bewirkt in vielen Fällen Überforderung und Abwendung von der Politik. Gleichzeitig gibt es ein Bewusstsein dafür, dass es auf den eigenen Beitrag ankommt, um die Demokratie gesund zu erhalten. Das ist das Dilemma, in dem sich die Jugendlichen befinden: Das Gefühl, in der Demokratie gebraucht zu werden, aber nicht die Möglichkeiten zu haben, dieser Aufgabe gerecht zu werden." 

Da bleibt ja noch eine Menge Arbeit für die Nächsten....

Mittwoch, 29. Juni 2011

Digitale Kompetenz und Mitsprache

Was hat die OECD mit der heimischen Stadtbibliothek zu tun? Auf den ersten Blick nichts. Auf den zweiten schon. Etwa dann, wenn wir über Computerkompetenz sprechen. Und das haben wir in den letzten Wochen ja häufig getan. Insbesondere, wenn es in Punkto Bürgerhaushalte um "Teilhabe am politischen Mitspracheprozess" und damit grundsätzlich um Demokratiefragen ging. Mir schwingt noch der durch alle Fraktionen hinweg formulierte Gesamtanspruch im Ohr, generell mehr Menschen und vor allem "die Jugend" mehr einzubeziehen. Digital.
Wissen heben - oder nicht?

 Wo sollte man denn diesen Umgang lernen? Und jetzt folgt der Brückenschlag OECD und Bibliothek. Die Ausstattung mit Computern in deutschen Klassenzimmern sieht mau aus. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Auswertung der OECD im Rahmen der Pisa-Studie. 5.000 fünfzehnjährige deutsche SchülerInnen wurden bei "Students Online" zur Computernutzung in Schulen befragt. Das Ergebnis: Es steht nicht gut um die Ausstattung an deutschen Schulen. Deutschland befindet sich nur noch im hinteren Mittelfeld. Hinter Deutschland folgt direkt Mexiko. Und auch bei den Fähigkeiten am Computer gehören die Deutschen keineswegs zur Weltspitze. An einer Schule kommt auf rund 10 Schüler nur ein Computer. Der Einsatz "neuer Technik" im Unterricht finde selten statt. Ins Internet gehen die Schüler deshalb lieber zu Hause. Es heißt, fast zu 100 Prozent hätten die SchülerInnen diese Möglichkeit zu Hause zur Verfügung. Gut, wenn dem so ist.

Nutzung bedeutet allerdings noch nicht Kompetenz. Medien- und Informationskompetenz zu stärken, ist da sicher ein aktuelles Ziel. Diese Vermittlung ist eine Kernkompetenz der heimischen Bibliotheken. In der Hauspostille des "Bibliothek und Information Deutschland" steht: "Der kompetente Umgang mit Informationen ist eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung der informationellen Selbstbestimmung der Menschen in unserem Land und ermöglicht ihnen die Teilhabe an der digitalen Gesellschaft der Zukunft." (Seite 4)  Gerade die Bibliotheken stehen hier in der Verantwortung, diese Schlüsselkompetenzen zu vermitteln. Schulen arbeiten eng mit Bibliotheken zusammen, die meisten Bibliotheken sind kommunal.

In der Verbindung der Punkte Kompetenzen, Mitsprache, digitale Technik, Bürgerhaushalt, Stadtbibliothek schließt sich der Kreis: Immer mehr Mitsprache erfolgt über digitale Beteiligung. Siehe dazu auch den Zwischenbericht der Enquete-Kommission "Internet und Digitale Gesellschaft". Wenn wir über "mehr Demokratie" oder Vitalisierung der Demokratie nachdenken, wie zur Zeit über die Fortführung des Bürgerhaushaltes oder die Einführung auf Kreisebene, dann berührt das unmittelbar die Frage, wer diese Kompetenzen eigentlich hat - und wer sie vermittelt. Wenn aber die Stadtbibliothek als eine der ersten Adressen für Streichungen und Einsparungen im städtischen Haushaltsentwurf auf dem Plan steht, sägt man genau den Ast ab, auf dem die neuen Blätter der Teilhabe wachsen sollen. Krumm, oder?





Montag, 27. Juni 2011

Besuch im Baumarkt

Eine Gesellschaft verfügt über unsichtbare aber aktive kollektive Fieberkurven. Eine davon steigt an, wenn das Wetter frühlingshaft wird und die Sonne mehr als drei Stunden am Stück den blauen Himmel verschönt. Dann pilgern die Menschen mit Besitz oder festen Mietverhältnissen von Garten, Wohnungen und Häusern in Strömen in den nächstgelegenen Baumarkt. Dieser liegt zumeist an der örtlichen breitspurig asphaltierten Ausfallstraße, im sonst kulturleeren Gewerbegebiet. Auch uns hatte das Fieber über Umwege erreicht: Es handelte sich um eine Auftragsarbeit für die mittlerweile unmotorisierte Oma. Ihr Wunsch war eine Gartenbank mit Auflage für das heimische Grün einer verbliebenen Rasenfläche. Ein lange gehegter Wunsch, befeuert durch die Werbebeilage der Lokalzeitung, die seltsamerweise konsumorientierte Begehrlichkeiten stets passend zum Wetterhoch durch bunte Prospekte mit Bildern von Wohlfühlatmosphäre belebt.

Der Parkplatz ist voll, gleicht einer Werteallokation des heimischen Bruttoinlandsproduktes: Stoßstange an Stoßstange. Unsere alte Schrottkarre mit dem Antiatomaufkleber am Heck wirkt merkwürdig anachronistisch zwischen den uniformierten Silberfelgen und schwarzen Hochglanzkarossen drumherum. Wir pilgern mit dem Strom in die heiligen Hallen des Do-it-yourself.

Den Straßenplan des Baumarktinnern haben wir längst verinnerlicht, bewegen uns in den Gängen wie in einer historischen alten Stadt, die wir in kurzen Abständen immer mal wieder gerne besuchen und reichlich Souvenirs einkaufen. Ganz links hinten findet sich der Gartenbereich. Rollregale voller Geranien begrüßen uns, obwohl die Eisheiligen erst noch kommen. Hier gibt es nichts, dass es nicht gibt. Der religiöse Begriff Paradies bekommt vor dieser Offenbarung eine ganz neue Bedeutung, nur dass der Markt am Sonntag geschlossen hat. Über den Stapeln an gebeutelter Gartenerde mit den hundertfachen Sorten von Kaktus- über Saatanzucht- bis hin zur Graberde schwebt auf einem Balkon so groß wie der der Royals am Buckingham Palace die Ausstellung der Gartenmöbel: Alle tropischen Wälder der Erde sind hier durch einen diplomatischen Gesandten repräsentiert. Bänke, Tische, Sonnenschirme, Liegen, Chaiselongues, Hocker. Durch das Plexiglasdach hell erleuchtet und sonnendurchflutet, fast wie im echten Leben. Passend dazu die aktuellen Gartenaccessoires, dieses Jahr Türkis als Renner. Letztes Jahr war es noch grün in allen Facetten.

An der Gartenbank „Kent“ bleiben wir hängen. Die Architektur gefällt mit der geschnörkelten Rückbank und dem stabilen Antlitz. Auf dem daneben gestapelten Paket heißt es, die „Tragkaft“ betrage 225 Kg. Rechtschreibung darf man im Baumarkt nicht erwarten, wer weiß, in welchem Land diese Kartons gefertigt werden und wie fremd unser Wort „Tragkraft“ da anmuten muss. Ich lasse den Rotstift in der Tasche, was mir Klugscheißer schwer fällt.

Mein Mann setzt sich auf den vor der Bank aufgestellten Tisch. Nimmt nur auf der Kante Platz, um von hier oben eine bessere und prüfende Aussicht auf „Kent“ zu erhalten. Sein Vergnügen währt nicht lange. Sekunden und es knackt und er liegt mit gekreuzten Beinen auf dem Boden - wie der Tisch unter ihm ebenfalls. Das Ding war mit lautem Getöse der Erdanziehung erlegen und lag nun horizontal und hinterließ eine vage Ahnung von Statik. Eine kleine Staubwolke umgab beide: der Mensch noch mit dem Zollstock in der Hand, eine Schraube des Tisches rollte unter die ausgesuchte Gartenbank. Dann Stille.

Einen Wimpernschlag später ertönte eine Sirene. Ohrenbetäubender Lärm. Ein Scheinwerfer richtete sein Licht auf uns. An den Ausgängen des Baumarktes rasselten Eisenrollos mit schäpperndem Lärm herunter. Instinktiv hob ich die Hände, ergab mich, schaute nach links und rechts, am Boden festgenagelt. Als plötzlich von allen Seiten eine Armee an Baumarktmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in ihren blau und gelben Corporate-Identity- Shirts auf die Empore gestürmt kam. Im Anschlag und auf uns gerichtet ihre grellbunten Softair-Gewehre, munitionsgeladen für einen Erstschlag, der uns schnell außer Gefecht setzen konnte. In zweiter Reihe die Mannschaft mit einem bunten Waffenarsenal aus dem Regal der Heimwerker: vierzackige Forken, umgerüstete Brauseköpfe mit Nagelmunition, handgedrechselte Holzbaseballschläger, Teppichschneider als Aufsätze an Gartenteichkeschern. Wir waren hoffnungslos unterlegen.

Der Anführer schob das Visier seines Helmes nach oben, befahl uns an die Reeling des Balkons zu stellen, breitbeinig, die Hände schön nach oben, so sein Kommando. Er untersuchte das erlegte Wild, den Tisch und deutete seinen Kollegen mit einer Handbewegung, da sei nichts mehr zu machen. Unter uns hatten sich die Restbesucher des Paradieses versammelt, starrten uns an, ängstlich, hasserfüllt, alles dabei. Wir waren die Bösen, die es gewagt hatten, die heiligen Hallen zu schänden. Lyncht sie, sah ich in vielen Augenpaaren. Dann mussten wir die Treppe hinunter gehen, vor uns Eskorte, hinter uns Eskorte, die Spitzen der Knarren und Peacemaker nur Zentimeter von unserem Rücken entfernt. Wir stolperten den grauen Estrichgang entlang. Wo sie uns wohl hinbrachten? Hatte dieser Satellit des modernen Stadtstaates etwa auch ein Gefängnis? Im Heimwerkerformat selbst entworfen? Ich wagte nicht, zu meinem Mann hinüber zu sehen, der Schweiß stand mir auf der Stirn. „Vorwärts!“, hörte ich und stolperte weiter.
Gerne hätte ich geträumt, mir folgendes Ende gewünscht: Als ich endlich hochschreckte und mein Mann mit dem Autoschlüssel in der Hand vor meinem Gartenstuhl stand und mich weckte. „Komm, wir müssen noch die Gartenbank für Deine Mutter kaufen“, sagte er. „Fahr besser allein – und nimm Deinen Ausweis mit“, wäre meine Antwort gewesen.

Aber der Alptraum war echt. Keine Spur von Aufwachen. Mit einem letzten Stoß in den Rücken wurden wir in einen schallgedämmten Raum geführt, die Geräusche verhallten merklich. Direkt auf grelles Scheinwerferlicht zu, das uns blendete. Da kannte sich einer aus mit Leuchtmitteln. „Setzen!“, folgte ein kurzer Befehl. Wir tasteten nach der angewiesenen Sitzmöglichkeit, wahrscheinlich ein Restposten aus dem Holzsortiment. Ohne Polster. In Demutshaltung lauschten wir der Stimme aus dem off, sehen konnten wir immer noch nichts. In professioneller Befehlstonlage nahm ein Mann unsere Personalien auf. Widerspruch war zwecklos, ich fürchtete sonst standrechtlich auf einem Baumarktprovisorium am Galgen hingerichtet zu werden. „Nach dem aktuellen Baumarktgesetz, verabschiedet durch den Deutschen Bundestag am 1.1.2010 sind Sie verpflichtet, den hier entstandenen Schaden mit sofortiger Wirkung zu begleichen, einschließlich einer Verwaltungsgebühr von 3 Prozent der Schadenssumme.“ Unverzüglich zückte ich meine Kreditkarte und beglich die 249 Euro inklusive Steuern und Schmerzpauschale. Alles wortlos, blind blinzelnd. Lediglich das Surren einer Lüftungsanlage war zu hören. Dann wurden wir aufgefordert, das Kundenverhörbüro in Richtung Ausgang zu verlassen. Wir folgten. Erreichten das plexiglashelle Verkaufsgelände, sahen unbescholtene Kunden unwissend ihre Einkaufswagen schiebend, die uns anstarrten. Gott, wie sahen wir wohl aus, kalkweiß im Gesicht. Wir passierten den Kassenbereich, schnellten auf den ersehnten Ausgang zu, da rief uns eine weibliche Altstimme nach: „Halt! Bitte kommen Sie zurück.“ Mit erhobenen Händen drehte ich mich um und ging ein paar Schritte zurück zur Kassenschranke. Eine dienstälteste Kollegin der Baumarktkette hielt mir mit einem kundenorientierten Lächeln einen Zettel hin: „Sie haben Ihre Bewertung für unseren Kundenservice nicht ausgefüllt. Wenn Sie uns den Fragebogen der Kundenzufriedenheit ausfüllen, nehmen Sie automatisch an einem Preisausschreiben teil.“

Samstag, 25. Juni 2011

Politiker booten Bürgerbeteiligung aus

In der letzten Woche trafen sich Vertreter der Ratsfraktionen mit der Verwaltung zum Austausch über den Fortgang des Bürgerhaushaltes 2012. Das Treffen fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. „Die Politik bootet Bürgerbeteiligung aus“, sagt Jürgen Droop, Sprecher der Bürgerinitiative „Demokratie wagen!“ Die offenen Fragen betrafen die Aufhebung der Anonymität und die Nutzung der Plattform bei möglichen Bürgerbefragungen zu Themen mit großem öffentlichem Interesse. Das wäre beim neuen Hallenbad oder einer Gemeinschaftsschule der Fall.

„Wir waren wohl mit unseren Forderungen nach direkter Beteiligung in der Vergangenheit zu anstrengend für die Politik“, so Droop. Auf Nachfrage der Initiative nach dem Verlauf kam die Antwort seitens der Fraktionen, die Entscheidung sei vertraulich und noch geheim. Auf Nachfrage bei der Stadtverwaltung schrieb Kämmerin Christine Lang: “Die Politik wird am 04.07. im Hauptausschuss eine Entscheidung treffen, wie der Bürgerhaushalt 2012 konkret vorbereitet werden soll. Wir können uns auf Grundlage dieser Entscheidung dann gern mal wieder treffen, um uns auszutauschen.“


Der Wunsch nach Einbezug und Informiertheit seitens der Öffentlichkeit bewirkt offensichtlich einen Rückzug von Stadt und Politik in eine Wagenburgmentalität, in der alte Pfründe verteidigt werden. Damit verschwindet ein transparentes Verfahren wie die Online-Plattform wieder dahin, wo die Quelle des Unmuts der Bürgerschaft entspringt: Politik hinter geschlossenen Türen. Das „frühe Einbinden von Bürgern“ entpuppt sich als Lippenbekenntnis. Eine Teilhabe am konkreten Ausgestalten ist nur bis zu einem gewissen Punkt möglich. „Danach greift die Verlustangst“, so Detlef Fiedrich, ebenfalls Sprecher der Initiative. „Reden und Handeln klaffen weit auseinander“, resümiert Droop. Fordert die Politik im Bürgerhaushalt vehement Transparenz und Klarnamen, so handelt sie nun schon zum zweiten Mal selbst anonym: Über den Top 1 des Bürgerhaushaltes (Berufsfeuerwehr oder nicht) hat die Politik auf eigenen Wunsch geheim abgestimmt. Die CDU erklärte, die Fraktion sei in der Frage gespalten. Um die Mitglieder zu schützen, solle die Entscheidung geheim bleiben. Und nun ist die Diskussion über den Bürgerhaushalt geheim, um am Ende mit einer einstimmigen Entscheidung aufzuwarten, die Fakten schafft und politisch nicht mehr nachvollziehbar ist.
Auch in einem zweiten Punkt der Beteiligung wird das deutlich: Im Hauptausschuss hieß es, Meinungsabfragen der Bürger wären nur möglich, wenn die notwendigen Informationen für die Bevölkerung vorlägen. „Wann aber werden diese Informationen übermittelt?“, fragt Fiedrich. Mangelnde Transparenz und fehlende Informationen scheinen auch andere Institutionen zu irritieren, wie die Torpedierung des aktuellen Großbauprojekts (Porta) verdeutlicht. 

Bürgerbeteiligung bedeutet einen Kulturwandel in der Politik. „Wer schon ewig im Rat sitzt, kann vielleicht nicht mehr anders“, vermutet Droop. Die Bürgerschaft hat sich stark verändert. Sie ist kein kalkulierbares Klientel mehr, sondern eine freibewegliche, oft fließende Masse, die sich sehr schnell und vernetzt informiert. Damit wird sie zu einem Angstfaktor für die Politik. Am Ende reagiert diese mit dem Klammern an der Macht. Die Initiative hofft auf ein Umdenken. „Beteiligungsformate sollten keine Alibi-Veranstaltungen sein, das gilt auch für den ersten Bildungsgipfel. Die Bürger wollen ernst genommen werden. Ausbooten hilft nur auf kurze Sicht“, sagt Fiedrich.


Donnerstag, 23. Juni 2011

Anonymität ist Freiheit

Immer wieder stellt sich die Frage nach der Anonymität im Netz. Lokal, regional, global.

Lokal wird das Thema zur Zeit für den Bürgerhaushalt hinter verschlossenen Türen diskutiert. Keiner der Gewählten hat den Mut, diesen Punkt in der Öffentlichkeit auszudiskutieren. Sobald es um den eigenen Machterhalt geht, ist Anonymität tabu in den Reihen der Politik: Der Bürger aber soll klar erkennbar werden, nackig sein als Person. Er soll einzuordnen sein in die Schubladen des öffentlichen Lebens: Linker, Konservativer, Rebell, Top oder Flopp. Nicht seine Idee, sondern seine vermeintliche Kasten-Zugehörigkeit zählt. Sein Status ist Angriffsziel, nicht die Sache, die er vertritt. Und die politische Klasse darf werten und diffamieren.

Niemals sollst du mich befragen.
Dazu flatterte dieser Tage eine interessante Meldung von abgeordnetenwatch.de in den Rechner. Das Onlineportal meldete am 16. Juni, es sei mittlerweile auch ein Pilotprojekt auf Stadtebene gestartet. Zitat: "Routine könnte man meinen. Doch ganz so einfach war es dann doch nicht. Zwar gibt es viel Zustimmung für abgeordnetenwatch.de in den Kommunen, (...). Doch andere "betroffene" Stadträte wehren sich mit Kräften gegen Transparenz durch Bürgerfragen. (...) Andere Kommunalpolitiker verbaten sich, dass Bürger ihnen öffentlich Fragen stellen. Sie hätten dazu nicht ihr Einverständnis gegeben. Wieder andere redten sich mit Datenschutz heraus: Wenn ihr Name ohne Zustimmung im Internet veröffentlicht würde, seien sie in ihren Rechten verletzt. Auf Gemeindeebene scheint einiges im Argen zu liegen. Offensichtlich haben sich manche Kommunalpolitiker im Stadtrat bereits bequem eingerichtet. Söhne erben das Mandat ihres Vaters, und der örtliche Bauunternehmer entscheidet als Ratsmitglied ganz selbstverständlich darüber mit, wer den Bauauftrag für die neue Turnhalle oder den Rathausneubau erhält. (...)" Den ganzen Artikel gibt es im Netz, Link siehe oben.

Zum gleichen Thema "Anonymität und Politik" aber mit getoppter Brisanz schreibt Christian Sickendieck "GuttenPlag Wiki gewinnt Grimme Preis" in seinem Blogbeitrag:
(...)
Immer wieder wird auch in Deutschland darüber diskutiert, ob in einem «freien» Land, wie dem unserem Anonymität überhaupt wichtig sei und man nicht vielmehr dazu verpflichtet ist, mit «offenem Visier» zu kämpfen — gerade im Internet. Das GuttenPlag Wiki und das VroniPlag Wiki sind die wahrscheinlich besten Argumente pro Anonymität, die man jemals im Internet finden konnte. Freiheit bedeutet Mut. Anonymität bedeutet Freiheit. Die Freiheit, dass Argumente zählen und nicht über den jeweiligen Überbringer diskutiert wird. Das GuttenPlag Wiki und das VroniPlag Wiki sind anonyme Informanten unseres digitalen Zeitalters, die unsere Politik durchaus ins Wanken bringen. Wäre zu Guttenberg gestürzt, wenn die Mitglieder bekannt gewesen wären? Nein, das ist auszuschließen. Die Bild und andere selbsternannte bürgerliche Medien hätten sich auf die Informanten gestürzt, deren Leben bis ins kleinste Detail auseinandergenommen, nicht aber die Sache verfolgt. Ohne die Anonymität der beiden Wikis wäre zu Guttenberg heute noch Verteidigungsminister und Silvana Koch-Mehrin in Amt und Würden. Ich bin in diesem Punkt völlig anderer Meinung, wie der ansonsten so geschätzte Michael Spreng. Im Fall der beiden Wikis ist die Anonymität existentiell, für die sachliche Arbeit, für unsere Demokratie. (...) Mehr gibt es unter seinem Link, siehe oben.

Dienstag, 21. Juni 2011

Bildungsgipfel in Gütersloh

Ich hatte mich schon gefragt, wann die Einladung folgt. Heute findet sie sich wie folgt auf der Internetseite der
Stadt Gütersloh:

Eine professionelle Schulplanung soll die Weichen für die Entwicklung der Gütersloher Schullandschaft in den nächsten Jahren stellen. 
Die verschiedenen Aspekte dieser Schulentwicklungsplanung, wie zum Beispiel die Auswirkungen des demografischen Wandels oder die Neuerungen im Rahmen der Schulpolitik des Landes NRW, sollen in einem "Gütersloher Bildungsgipfel" diskutiert werden. Damit Schülerinnen und Schüler gern zur Schule gehen,  plant der Gütersloher Bildungsgipfel ein differenziertes und ausgewogenes Schulangebot. Dazu sind alle Interessierten sowie Vertreter aus dem Bildungs- und Schulbereich am
Samstag, 9. Juli, in der Zeit von 9 bis 15 Uhr
ganz herzlich in das Forum der Anne-Frank-Gesamtschule eingeladen.

Schul- und Kitaleitungen, Lehrkräfte, Elternvertreter sowie Fachleute aus Politik und Verwaltung haben beim Bildungsgipfel die Gelegenheit, ihre Anregungen zur Schulentwicklungsplanung für die Jahre 2013 bis 2015 einzubringen. Für den Einstieg in die Diskussion wurde ein so genannter „Gallery-Walk“ vorbereitet, der von Dr. Ernst Rösner vom Institut für Schulentwicklungsplanung an der Technischen Universität Dortmund begleitet wird.
Leistungsfähiges Schulangebot, Integration und Weiterentwicklung
Themen des „Gallery-Walk“ sind unter anderem die Gestaltung der Übergänge von der Kita bis zum Ausbildungsplatz, die Strukturen in der Regel- und in der Förderschule sowie die Perspektive für neue Schulformen, wie zum Beispiel die Gemeinschaftsschule. Weitere Informationen zum Bildungsgipfel gibt es bei
Karin Schubert
Stadt Gütersloh
Fachbereich Jugend und Bildung
Telefon 05241 822273
E-Mail: Karin.Schubert@gt-net.de.

Hier noch 

Samstag, 18. Juni 2011

Recife: Schülerin als Botschafterin der Inhalte

OWL ist eine Entwicklungsregion, was Bürgerbeteiligung angeht, so Marcus Werner, Moderator von Lokalzeit OWL (WDR) bei seiner Anmoderation zur Reinhard-Mohn-Preisverleihung in Gütersloh. Recife in Brasilien hat den Preis für seine "Vitalisierung der Demokratie - Teilhabe stärken" mit dem Format "Bürgerhaushalt" gewonnen.

Vom Süden lernen
OWl ist also Entwicklungsland, Lateinamerika dagegen hat für die Bürgerbeteiligung am Haushalt weltweit eine zentrale Bedeutung. Die Idee wurde in den 1980er Jahren auf dem Kontinent geboren und die Hälfte aller Bürgerhaushalte ist heute hier zu finden. Legt man den Fokus auf die sich am dynamischsten entwickelndden Beispiele, ist der Anteil sogar noch größer. (siehe Bericht Internationale Weiterentwicklung, Bürgerhaushalte weltweit, 2011)

Wir können also viel vom Süden lernen. Eine der Botschaften ist die einer dringend notwendigen Verbesserung der Bürgerpartizipation hin zu einer "horizontalen" Verständigung. In Lateinamerika waren die politischen und vor allem sozialen Aspekte von Bedeutung, die zur Verbreitung der Bürgerhaushalte beigetragen haben. Brasilien etwa gehört zu den Ländern mit den größten Einkommensunterschieden weltweit. Soziale Spannungen und Demokratiebewegungen prägten die Politik. Hinzu kamen Korruption und Klientelpolitik in großem Stil. Bürgerhaushalte waren zentraler Bestandteil für grundlegende Systemänderungen.

Verteilungsgerechtigkeit als Motor
Nun geht es in Deutschland nicht um Systemänderungen - aber immer mehr um eine notwendige Verteilungsgerechtigkeit. Noch schauen "wir" mit Kopfschütteln nach Griechenland und rümpfen die Nase über die EU-Partner Protugal, Irland, Spanien ob ihrer desolaten Finanzsituation. Aber längst klopft auch bei uns die soziale Spaltung an die Türen. Da ist zwar der Wirtschaftsboom, der kommt aber längst nicht bei allen an. Noch mag auch in den Kommunen der wirtschaftliche Frieden herrschen, aber die Schere zwischen arm und reich geht weiter auseinander. Unmerklich erst, aber mit fatalen Folgen.

Der Bürgerhaushalt Gütersloh ist genau aus diesen Beweggründen entstanden. Nicht weil "die" Parteien das als weitsichtiges, demokratiestärkendes Instrument gewollt hätten. Nein: Die Spardiktion von Rödl&Partner als externes Beratungsunternehmen für die Politik hatte drastische Einschnitte im Haushalt der Stadt verordnet, die viele Gütersloher empfindlich treffen sollten. Gleichzeitig wurde eine Haushaltssicherung diskutiert. Das hatte zu öffentlichen Protesten geführt. Und erst auf Druck der Straße schließlich zur Einführung des Bürgerhaushaltes als ein Instrument für Transparenz und Beteiligung aller Schichten. Nun ist der Pleitegeier erst einmal abgewendet. Das bedeutet aber nicht, ein Weiter so wie bisher. Verteilungsgerechtigkeit muss auch weiterhin ein zentraler Punkt bleiben. 

Gesicht einer Schülerin steht für Generationengerechtigkeit
Doch nach der ersten Runde Bürgerhaushalt Gütersloh ist nicht mehr viel übrig von den guten Vorsätzen. Da wird zwar in den Fraktionen über die Fortführung diskutiert, aber unterm Strich bleibt eine große Ernüchterung: Angekommen ist das Format in der Bevölkerung nicht. Die Preisverleihung zum Bürgerhaushalt in Recife hat deutlich gemacht: Die Anderen können es einfach besser als wir - weil das Konzept auf vielen Schultern wirklich getragen wird - und weil es überlebensnotwendig ist für viele Tausende.

Wir im schönen Gütersloh dagegen halten uns am "Bambi"-Faktor fest: Eine junge Schülerin, die den Schülerbürgerhaushalt auf der Bühne zum Reinhard-Mohn-Preis erläutert und zurecht hohes Lob erntet. Aber wenn dieses junge Gesicht allein hängengeblieben ist, weil es gute Bilder produziert, dann wäre das schade. Es wäre wünschenswert, wenn dieses junge Gesicht Ansporn bliebe, noch mehr Anstrengungen in das Gelingen von Bürgerhaushalten und frühzeitige Beteiligung zu investieren. Und wenn das Gesicht als Gütesiegel bliebe, für eine nachhaltigere Generationengerechtigkeit. Für mehr Verteilungsgerechtigkeit für die, die weniger Chancen haben. Auch bei uns. Schließlich musste auch Keila für ihr Anliegen kämpfen, bevor sie auf der Bühne stehen konnte. Wie wäre es, wenn die nächste preisgekrönte Schülerin, die für Bürgerbeteiligung eintritt, aus Gütersloh kommen würde? 



    

Donnerstag, 16. Juni 2011

"Mitreden und Mitgestalten" im Dornröschenschlaf

Ist der Bürgerhaushalt in einen Dornröschenschlaf zurückgefallen? Offensichtlich ja. Der Bürger hat seinen Dienst getan, da kann er dann auch wieder gehen.

Ausgewählte Volksvertreter aus allen politischen Fraktionen tagten gestern in nicht-öffentlicher Sitzung. Eine Information darüber, wie es mit dem Bürgerhaushalt weitergehen soll  - und ob überhaupt -  fehlt. Von einer transparenten Diskussion und der Einbeziehung der Bürgerschaft ist dieses Format weit entfernt. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass in der kommenden Sitzung des Hauptausschusses darüber berichtet (!) wird, welche Fortsetzung die politischen Vertreter für sich entschieden haben. Mit der Maßgabe, dass zur Zeit die Plattform plus (CDU, Grüne, UWG) in der Stadt entscheidet, wobei sich CDU und UWG schon offen gegen eine Fortführung mit Anonymität ausgesprochen haben.

Schön, wie hier der Anspruch auf Bürgerbeteiligung und die Realität weit auseinanderklaffen: Mitreden und Mitgestalten! war anfangs das Motto.

Diese Begriffe sind gleichsam in den hunderjährigen Schlaf gefallen.
Einige Beispiele:
Auf der Startseite der Stadt gibt es keinerlei Hinweise auf die Fortführung des Haushaltes.
Auf den Seiten der übrigen Fraktionen findet sich ebenfalls keine Notiz dazu.

Nun könnte man meinen, dass gerade die Grünen hier für mehr Transparenz eintreten würden.
Marco Mantovanelli (Fraktionsvorsitzender Grüne) hatte in seinem Plädoyer für einen Bürgerhaushalt auf Landesebene NRW noch auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in Emsdetten folgendes formuliert: "Wir GRÜNE sollten klar signalisieren, dass uns das Feedback der Menschen vor Ort für unsere Vorhaben wichtig ist, dass wir keine Entscheidungen über die Köpfe der Menschen hinweg treffen wollen, sondern dass wir mit Ihnen gemeinsam Vorhaben umsetzen und Probleme lösen wollen, auch auf Landesebene. (...) Es ist das richtige Signal, wenn wir sagen, wir wollen die Menschen einbeziehen auch bei schwierigen Entscheidungen. Wir Grüne sind dann besonders stark, wenn wir ganz nah an den Menschen vor Ort sind."

Leider findet sich auch bei den Basisdemokraten kein Hinweis auf ein weiteres Format des Bürgerhaushaltes Gütersloh.

Schade eigentlich. Besonders dann, wenn am Ende die Frage steht, wer sich eigentlich in Zukunft noch beteiligen möchte, wenn gute Formate gegen Null gefahren werden. Die Aussage der CDU ist da ja schon gefallen: Fraktionsvorsitzender Kollmeyer erklärte im Hauptausschuss, seiner Fraktion reiche demnächst auch eine Beteiligungsquote von einem Prozent. Na, das Ziel ist offensichtlich in greifbare Nähe gerückt.

Und das an dem Tag, an dem heute der Reinhard-Mohn-Preis (ein Ehrenbürger der Stadt Gütersloh) für den sehr erfolgreichen Bürgerhaushalt im brasilianischen Recife vergeben wird. Übrigens in einem Theater, welches gegen massiven Bürgerprotest errichtet wurde. 

Dienstag, 14. Juni 2011

Was sagt der Datenschutzbeauftragte zu Klarnamen beim Bürgerhaushalt?

Heute tagen die Fraktionen zur Frage, wie es mit dem Bürgerhaushalt in Gütersloh weitergehen soll. Eine der zentralen Fragen, die hierbei ungeklärt im Raume steht, ist die der Anonymität der Nutzer des Onlineverfahrens. Dazu sind bereits einige zentrale Argumente ausgetauscht worden. 

Zur aktuellen Tagung hat die Initiative "Demokratie wagen" einen "Offenen Brief" an die Bürgermisterin Maria Unger formuliert: 

Die Initiative „Demokratie wagen!“ unterstreicht nochmals ihre Auffassung: Die Anonymität ist ein Garant für eine hohe Beteiligung und damit eine notwendige Voraussetzung für eine Fortführung des Bürgerhaushaltes 2012.

Der bisherige Bürgerhaushalt ist generell ein freiwilliges Instrument, bei dem die Bürger nicht gezwungen sind, mitzumachen. Die Handhabung obliegt der kommunalen Selbstverwaltung, die Datenschutzbedingungen sind auf der Plattform veröffentlicht worden. Hier heißt es, dass alle erhobenen Daten (also IP-Adressen, personenbezogene Daten, Verknüpfungen zwischen Inhalten und Personen) beim Anbieter der Plattform liegen und nicht (!) an den Auftraggeber, also die Stadt – oder die Politik – weitergegeben werden.

Jeder, der sich bisher hier einloggt und teilgenommen hat, kannte also die Spielregeln und akzeptierte diese mit seinem Einloggen: jeder Nutzer hat sich mit seinem aktiven Mitmachen darauf eingelassen, dass hier Teilnehmer unterwegs sind, die anonym mitwirken. Es stand jedem Nutzer gleichermaßen frei, seinen vollen Namen einzutragen - oder auch nicht. Von beiden Möglichkeiten haben die Nutzer im letzten Durchgang Gebrauch gemacht und damit ihr Einverständnis für dieses Verfahren gegeben.

Nun steht allerdings ein Paradigmenwechsel an:
Teile der Politik haben sich gegen die Anonymität ausgesprochen. Die CDU und die FDP wollen eine Teilnahme lediglich bei Klarnamennennung ermöglichen. Die BfGT und die Grünen etwa stellen sich eine Zweiteilung vor: in einem ersten Schritt verifizierbare Daten, in einem zweiten Schritt „Nicknames“, die auf der Plattform sichtbar sind.
Sollte sich die Politik gegen die Anonymität aussprechen und in einem ersten Schritt ein Format der verifizierbaren Registrierung einführen, werden dadurch Daten mit einer anderen Qualität erhoben: Die Stadtverwaltung kann jetzt durch das Einwohnermeldeamt überprüfen, wer mitmacht, um ggf. Mehrfachanmeldungen zu verhindern und die Einwohnerschaft des Nutzers zu klären (Gütersloher oder nicht). So der Gedanke.
Spätestens jetzt sollte der zuständige Datenschutzbeauftragte für die Stadt Gütersloh befragt werden. Seine Sicht der Dinge aber ist bisher nicht abgefragt worden. Das gilt es nachzuholen.

Die Datenerhebung wird dann zweifelhaft, wenn diese Datensätze ggf. an die Politiker selbst weitergegeben werden – oder die Politik diese Daten für sich einfordert. Problematisch ist das, wenn etwa die Namen und Inhalte miteinander verbunden werden, wenn etwa die IP-Adressen erkennbar sind. Diese Schritte sind noch nicht hinreichend diskutiert worden. Geschweige denn öffentlich.

Die Auswertung des bisherigen Verfahrens hat gezeigt, dass es Teilen der Politik ein ganz besonders Anliegen war, zu wissen, wer hinter den Nicknames als Person agiert. Das liegt sicher in der Natur der Politik, die sich stets am Bürger orientiert hat und anhand der Personen zuordnen wollte, wer „wess` Geistes Kind“ ist. In der Regel fand eine parteipolitische Kategorisierung statt.

Da sind die Bürger offensichtlich schon einen Schritt weiter, denn ihnen geht es offensichtlich um die Sache, nicht um die Person, die in den Bürgerhaushalt Eingang gefunden hat.

Wer also als Politik und öffentliche Verwaltung Daten erheben will, muss die Karten deutlich auf den Tisch legen und transparent machen, wer welche Daten erhält und wie damit verfahren wird. Erst dann kann es eine Entscheidung geben.

Die Initiative „Demokratie wagen!“ vermisst und wünscht sich eine offene und bürgerbeteiligungsorientierte Diskussion dazu. Denn der Bürgerhaushalt ist ein Instrument für drei Parteien: Politik, Verwaltung – Bürgerschaft. Erst wenn das Verfahren der Registrierung völlig transparent ist, können die Bürger entscheiden, ob sie sich mit vollem Namen registrieren lassen oder - wie die einschlägigen Erfahrungswerte belegen - sich dann nicht mehr in dem Umfang beteiligen wollen. Dies würde in der Folge zu einem langfristigen Scheitern des Online-Verfahrens des Bürgerhaushaltes führen.

Wir freuen uns auf den Austausch.
Hier noch der Hinweis:
Der städtische Datenschutzbeauftragte ist zuständig für alle Fragen, die den Schutz personenbezogener Daten einschließlich der Datensicherheit im Zusammenhang mit Verwaltungstätigkeit der Stadt betreffen. Er hat gemäß § 32a Datenschutzgesetz NRW insbesondere folgende Aufgaben:
  • Beratung des Verwaltungsvorstandes in Grundsatzfragen zum Datenschutz.
  • Beratung und Unterstützung der städtischen Organisationseinheiten einschließlich der Personalvertretung sowie der Unternehmen, die unter städtischer Beteiligung in privatrechtlicher Rechtsform geführt werden, soweit sie mit dem gesamtstädtischen Datenschutz kooperieren, in allen Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit,
  • Unmittelbare Ansprechperson aller Bürgerinnen und Bürger der Stadt in Fragen zu Datenschutz und Datensicherheit im Zusammenhang mit der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten innerhalb der Verwaltung,
  • Federführung in der Korrespondenz mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen
  • Führung des Verzeichnisses automatisiert geführter Verfahren für die Gesamtverwaltung gemäß § 32a Abs. 3 Datenschutzgesetz NRW; Gewährung von Einsicht durch berechtigte Personen,
  • Beteiligung bei Planung, Entwicklung (sog. Vorabkontrolle gemäß § 10 Abs. 3 DSG NRW), Einführung und Betrieb von IT-Verfahren zur Verarbeitung personenbezogener Daten (z.B. Beratung und Mitarbeit bei der Erstellung einer Risikoanalyse, Abschätzung der Folgen und Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit des Verfahrens); Beteiligung bei der Erarbeitung von Konzepten zur Datensicherheit, sofern ein Verfahren personenbezogene Daten verarbeitet, Durchführung von sog. Datenschutzaudits gemäß § 10a Datenschutzgesetz NRW (Prüfung und Bewertung von Datenschutzkonzepten durch unabhängige Gutachten, Veröffentlichung),
  • Mitwirkung in Projekten mit datenschutzrelevanten Komponenten, insbesondere bei der Erarbeitung von Satzungen, Dienstvereinbarungen, Geschäftsordnungen, Richtlinien und Rundschreiben,
  • Beratung bei der Konzeption von Formularen, mit denen personenbezogene Daten verarbeitet werden,
  • Überwachung der städtischen Organisationseinheiten einschließlich der Personalvertretung auf die Einhaltung der Vorgaben zu Datenschutz und Datensicherheit,
  • Teilnahme an internen Arbeitskreisen; Vertretung der Stadt in externen Arbeitskreisen und Gremien,
  • Entwicklung von Schulungskonzepten und Durchführung von Schulungen zu datenschutzrechtlichen Themen, ggf. in Zusammenarbeit mit anderen Stellen,
  • Mitwirkung bei der Öffentlichkeitsarbeit des Oberbürgermeisters in Fragen des Datenschutzes,
  • Beratung in Angelegenheiten des Informationsfreiheitsgesetzes NRW.




Montag, 13. Juni 2011

Island: Neue Verfassung mit Bürgerhandschrift

Demokratie 2.0: Gerne möchte ich heute auf einen ganz besonderen Blogbeitrag von Dr. Ole Wintermann hinweisen:

Government 2.0 made in Iceland - Lasst uns eine neue Verfassung schreiben

Während den bürgerlichen Regierungsparteien in Deutschland angesichts der Wahlerfolge der Grünen und der aufkommenden breiten Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung nichts Besseres einfällt, als diese Wünsche der Bürger zu verunglimpfen, sind die Isländer uns anscheinend Jahre voraus.

In Zeiten, in denen in Deutschland regelmäßig vor den Gefahren der sozialen Medien gewarnt wird, in denen die Frage der Begleitung der Internet-Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zum Politikum wird, beschließen die Isländer, die Reform ihrer Verfassung im Internet vollkommen transparent darzustellen und die Bürger konkret an der Formulierung des Textes mitwirken zu lassen.


Mehr dazu (Text und Videos) findet sich auf seinem Blog, Link siehe oben.

Sonntag, 12. Juni 2011

Streit um Bädertarife: Ping Pong der Verantwortlichkeiten

Der Bäderprotest in Gütersloh: Ping Pong der Verantwortlichkeiten zwischen dem Rat der Stadt und den Stadtwerken. Politiker tauchen ab. 

Who is who?
Die Stadtwerke Gütersloh GmbH (SWG) ist das öffentliche Versorgungsunternehmen der Stadt Gütersloh. Sie versorgen die Stadt mit Gas, Strom und Wasser. Außerdem sind sie für die Schwimmbäder und den ÖPNV in Gütersloh verantwortlich. Auf der anderen Seite ist der Rat der Stadt. Er entsendet zahlreiche Personen in den Aufsichtsrat: An erster Stelle steht die Bürgermeisterin Kraft ihres Amtes, sie ist Vorsitzende des Aufsichtsrates der SWG GmbH. Dann kommt bereits die Kämmerin der Stadt, Christine Lang, in der Funktion der Gesellschaftsvertretung für die Stadt, dann sitzt im Aufsichtsrat der Beigeordnete Josef Löhr. Und an nächster Stelle im Aufsichtsrat kommen die Ratsleute der verschiedenen Fraktionen: Dr. Thomas Förster und Wolfgang Harbaum (CDU), Dr. Siegfried Bethelehm und Dr. Thomas Krümpelmann (SPD), und schließlich der Vertreter der Grünen, Hans-Peter Rosenthal. Alle Mandate aus der Politik ergeben sich nach Parteiproporz. Die kleinen Fraktionen sind nicht vertreten. 

Ping -

- Pong









Bäderprotest 
Seit der Eröffnung der Freibadsaison erhitzen sich die Gemüter über die von den SWG enorm erhöhten Preise für die Gütersloher Bäder und die eingeschränkte Nutzung der Welle. Das Freibad der Welle soll nicht mehr separat nutzbar sein, sondern ist an das Freizeitbad gekoppelt. Die Prosteste endeten in einer Unterschriftenliste einer Bürgerinitiative, die Maria Unger übergeben wurde. Der Aufsichtsrat hatte die Preiserhöhung und die Abschaffung der Familiensaisonkarte einstimmig und ohne Gegenstimmen in seiner Sitzung am 15. März 2011 beschlosse. Das erfährt der Bürger aber nur, wenn die Stadtwerke das so wollen, also mittels Presse. Das Aufsichtsrats-Gremium tagt nicht öffentlich.

Im Aufsichtsrat nun wirken und entscheiden die obigen Personen. Es sind die gleichen Menschen, die kurze Zeit später auch im Rat mitentscheiden: Nach der letzten Ratssitzung am 20. Mai 2011 hatte sich der Rat nach diesen massiven Bürgerprotesten entschieden, die Entkopplung zumindest doch nochmal rückgängig zu machen. Die Preise allerdings sollten unverändert hoch bestehen bleiben. Nun hat wiederum der Aufsichtsrat der Stadtwerke Gütersloh (SWG) in seiner Sitzung am Donnerstag die Geschäftsführung beauftragt, kurzfristig noch einmal die finanziellen Auswirkungen einer separaten Öffnung des Welle-Freibads darzustellen und dem Aufsichtsrat zur Entscheidung vorzulegen. Merke: Der Rat beschließt über den Wirtschaftsplan der Stadtwerke und verordnet das Sparen. Zum Beispiel weil man in Zukunft die TWE bezahlen muss. (Sechs-Millionen-Euro-Investition zur Reaktivierung, beschlossen durch die Stimmen der CDU, Grüne, UWG, die die Mehrheit im Rat inne haben).

Ein heikles Versteckspiel
Demokratiepolitisch ist das ein heikles Spiel. Denn die demokratische Einflussnahme der Bürgerschaft endet genau am Knotenpunkt dieser personellen Verquickung. In Personalunion entscheiden Politiker und Aufsichtsräte in unterschiedlicher Haltung über die gleiche Sache. Und können lediglich in ihrer Funktion als Politiker in politische Verantwortlichkeit genommen werden. Selbst im Rat müssen sie aufpassen, in welcher Funktion sie eigentlich sprechen: Als Volksvertreter und damit für die Bürger - oder als Aufsichtsratsmitglied und damit dem Wohl des Unternehmens verpflichtet.

So ist ein Abtauchen in die Verantwortungslosigkeit einfach. Und dabei befinden sich die Politiker selbst in einer Zwickmühle, denn streng genommen dürfen sie auch in ihren Fraktionen nicht über die Inhalte der Sitzungen des Aufsichtrates berichten. Geschweige denn, das Volk informieren, wie sie als Volksvertreter das Volk vertreten haben. 


Wirkungslose Bürgeranträge
Bürgeranträge wie die der Initiative "Pro Freibäder" etwa enden also fakultativ wirkungslos im Hauptausschuss der Stadt. Dieser hatte den Antrag an den Rat verwiesen. Der Rat wiederum entscheidet nur eingeschränkt, spielt an die Stadtwerke zurück. Die Bürgermeisterin und Vorsitzende des Aufsichtsratsgremiums nimmt die Unterschriftenliste mit zur nächsten Sitzung des Aufsichtsrates. Was allerdings daraus wird: Fragezeichen! Ein Informationsrecht haben die Bürger nicht. Ein Verwirrspiel um Entscheidungen, welches kaum zu durchschauen ist.
Und wo Bürgerbeteiligung krass ein Ende findet. Der Prozess ist wenig transparent - und mangelnde Transparenz ist fossiler Brennstoff für jede Art von Parteienverdrossenheit. Es ist ein Grundproblem, wenn immer mehr Kommunales in die Form der Gesellschaften übergeht und damit quasi der Einflussnahme des Souveräns entzogen ist. 

Ein Rezept zur Vermeidung wird gerade wieder einmal aktuell diskutiert: Rekommunalisierung und kommunale Daseinsvorsorge unter nachhaltigen Gesichtspunkten. Das ist in der Regel keine Frage der Finanzen, sondern eine politische Entscheidung einer Kommune. 

Nächstes Problem am Beckenrand
Wer glaubt, dieses Problem der Verquickung und Intransparenz sei mit den Bäderpreisen erst einmal vom Tisch - der irrt. Die Stadtwerke bleiben ein Thema, denn auf der Tagesordnung steht demnächst die Entscheidung über ein (neues ?) Hallenbad. Wer trifft diese Entscheidung eigentlich, und wer zahlt? Und dann sind die Stadtwerke auch noch für einiges Anderes verantwortlich: Wasser, ÖPNV ... alles Fragen, die den Bürger sehr direkt angehen. 

Donnerstag, 9. Juni 2011

Fragestunde im Rat demnächst auch mit "Ausspracherecht?"

In den Kommunen gilt in der Regel das Recht auf Fragestellung der Einwohner an den Rat. Die Regeln dazu werden über die Gemeindeordnungen hinaus in den Geschäftsordnungen der Räte getroffen. Diese sind verhandelbar und müssen nicht auf ewig so bleiben wie sie sind. Der Bürgerinitiative "Demokratie wagen" in  Gütersloh ist aufgefallen, dass es zwar das Fragerecht gibt - aber eine Aussprache sogar per Regel nicht vorgesehen ist. Das bedeutet: Die Antwort wird mündlich durch die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister verlesen. Danach herrscht Schweigen. Die Politik kommt nicht zu Wort. Das ist eine sehr einseitige Kommunikation - und keinesfalls modern. 

Aus dieser Situation heraus ist folgender Antrag entstanden. Wäre eine Anregung für viele andere Kommunen auch:

Antrag nach § 24 GO NRW „Anregungen und Beschwerden“ an den Hauptausschuss der Stadt Gütersloh am 4. Juli 2011

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,

die Bürgerinitiative „Demokratie wagen“ regt nach § 24 GO NRW an, die Geschäftsordnung des Rates unter § 21 Fragerecht von Einwohnern, Absatz 3, Satz 2 zu ändern, der da noch heißt: „Jeder Fragesteller ist berechtigt, in der Fragestunde zwei Zusatzfragen zu stellen. Eine Aussprache findet nicht statt.“ Der Passus „eine Aussprache findet nicht statt“ wird gestrichen. Statt dessen wird hinzugefügt: „Eine Aussprache, an der sich Verwaltung und Politik beteiligen, findet statt.“

Begründung:
Bürgerbeteiligung ist ein zunehmender Faktor im kommunalen Geschehen. Auch in Gütersloh. Allerdings sind die Möglichkeiten des Dialogs zwischen den Beteiligten Politik, Verwaltung und Bürgerschaft eher begrenzt. Den Einwohnern steht zwar die Möglichkeit der öffentlichen Fragestellung zur Verfügung. Die Antwort allerdings fällt prozessbedingt eher mager aus. In der Geschäftsordnung des Rates ist dieser Prozess so geregelt, dass „im Regelfall“ die Bürgermeisterin die Fragen mündlich beantwortet. In der Praxis wurden diese Fragen in letzter Zeit allerdings immer häufiger durch die zuständigen Dezernenten beantwortet - womit die politische Konnotation entfällt, die durch die Doppelrolle der Bürgermeisterin als Verwaltungsvorstand und als politische Person zumindest noch gegeben war.
Es ist eine Schieflage, wenn sich die politischen Vertreter an zentraler Stelle nicht in einen solchen Austausch mit der Bürgerschaft einbringen. Wo sonst soll der fragende Bürger eine politische Gesamteinschätzung seiner Fragestellung erhalten, wenn nicht im Rat, wo die Gewählten Rede und Antwort stehen können?
Wir regen daher an, die Geschäftsordnung des Rates an der angegebenen Stelle zu modernisieren und den gewachsenen Bedürfnissen nach politischem Austausch der Bürgerschaft nachzukommen. Durch die Beschränkung auf 60 Minuten Zeit für diesen Tagesordnungspunkt wird eine Überschreitung der Sitzungen in Grenzen gehalten. Im übrigen wird auch den Ratsmitgliedern ein Fragerecht eingeräumt, welches eine Aussprache nach sich zieht. Gütersloh wäre an der Stelle vorbildlich, wenn auch die Bürgerschaft ein Ausspracherecht für Fragestellungen erhalten würde.

Mittwoch, 8. Juni 2011

Lerne: Demnächst kein Ausschluss der Bürger mehr?

Bei der letzten Ratssitzung mussten die Bürger leider zum Teil draußen bleiben. Damit ein solches Ausschlussverfahren bei Themen mit hohem Bürgerinteresse nicht noch einmal passieren kann, hat die Bürgerinitiative "Demokratie wagen" folgenden Antrag gestellt, der heute im Rathaus eingegangen sein wird:

Antrag nach § 24 GO NRW „Anregungen und Beschwerden“ an den Hauptausschuss der Stadt Gütersloh am 4. Juli 2011

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,

die Bürgerinitiative „Demokratie wagen“ regt nach § 24 GO NRW an, die Geschäftsordnung des Rates unter § 5 Öffentlichkeit der Ratssitzungen, Absatz 1, Satz 2 zu ändern, der da bisher heißt: „Jedermann hat das Recht, als Zuhörer an öffentlichen Ratssitzungen teilzunehmen, soweit dies die räumlichen Verhältnisse gestatten“. Der Zusatz „soweit dies die räumlichen Verhältnisse gestatten“ ist zu streichen. Satz 2 wird statt dessen durch folgenden Passus erweitert: „Bei Themen mit sich abzeichnendem hohen Bürgerinteresse wird die Ratssitzung (Ausschusssitzung) an einen anderen, größeren öffentlichen Ort verlagert, der allen Interessierten rechtzeitig vorher öffentlich angekündigt wird.“

Begründung:
Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt bekunden immer wieder reges Interesse an der Gütersloher Kommunalpolitik. Dies zeigt sich sehr deutlich an den Themen Bädertarife, Theaterneubau, kommunaler Atomausstieg, Bürgerhaushalt, Porta-Neubau, Hallenbad und vielen mehr. Die Möglichkeiten der Teilhabe der Bevölkerung an öffentlichen Ratssitzungen der gewählten Volksvertreter allerdings sind begrenzt: So fasst die Besuchertribüne im Rathaus zu diesen Hochzeiten der Partizipation nur eine Handvoll Interessierte. Damit wird ein Großteil der Bevölkerung von dem politischen Prozess ausgeklammert. Politik und Verwaltung gleichermaßen haben immer wieder betont, dass sie Bürgerbeteiligung begrüßen und erinnern das Wahlvolk zudem an seine „Bürgerpflichten“, nämlich sich zu informieren und den Diskussionen um ihre Stadt beizuwohnen. Diesen misslichen Umstand der zu kleinen Räumlichkeiten kann man ändern, um zukünftig mehr Transparenz herzustellen. Damit ist allen gedient: Politik, Verwaltung und Bürgerschaft - auf dem Weg zu einer neuen Dialogkultur.

Wer darf rein? 
Wir sind sehr gespannt auf die Diskussion und das Abstimmungsverhältnis.

Dienstag, 7. Juni 2011

Mein Besuch im Sprachkurs, Teil 2

Individuelles Lernen

Im deutschen Schulsystem soll individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler Standard werden. Stärken fördern. Wenn wir dies als Ziel formulieren, dann gilt das für einen Sprachkurs für Menschen mit Migrationshintergrund ganz besonders: der halbe Erdball und seine Menschen sitzen hier am Tisch, Männer und Frauen. Keiner hat das gleiche Lerntempo wie sein Nachbar. Nicht einmal das Ursprungs-Alphabet ist gleich:
Neben mir sitzt eine junge arabisch-sprechende Frau. Ihr Wörterbuch liegt auf dem Tisch. Sie hat die „Wortschatzhitparade“ als Hausaufgabe ausgefüllt, damit lernt sie Vokabeln. Links stehen die deutschen Begriffe, rechts hat sie handschriftlich die arabischen notiert.
Die Wörter sind streng unterteilt, Nomen, Verben, Adjektive. Alle Begriffe stammen aus dem Alltag: Blume, Frieden, Planung, Garderobe – und Tod, stehen da. Bei den Adjektiven finde ich „streng, höflich, sozialkritisch“. Die Verben „anreden, widersprechen, küssen und husten“ warten noch auf ihre Übersetzung. Ich blättere selbst durch den Langenscheidt „Deutsch – Arabisch“ und bin beeindruckt. Ich müsste erst arabisch alphabetisiert werden, um diese Sprache zu lernen. Britta Thomas erklärt, wer hier im Kursus sitzt, lernt nicht nur deutsch: „Die Menschen hier bringen ihre gesamte Geschichte mit.“ Die Lehrenden konjugieren nicht nur Verben mit den Schülern, sondern fangen auch Heimweh auf, sprechen über Probleme mit dem Klima, dem deutschen Essen, über die Gefühlswelt, die hier alle kennen: wie etwa im neuen Land isoliert zu sein, den Verlust des sozialen Status zu erleben und manchmal auch die Wut, nicht dazuzugehören, obwohl die Anstrengung da ist. „Die meisten Menschen, die hier leben wollen, möchten so viel von der Kultur annehmen, wie sie vertragen können. Aber irgendwann kommt der Schock, dass sie im neuen Land „nichts“ sind“, so eine Teilnehmerin. Das geht allen so, egal wie unterschiedlich ihre Beweggründe für die Migration nach Deutschland sind: Familiennachzug, Kriegsflüchtlinge, Deutschstämmige etc. 
Die hohe Kunst des Vokabellernens

Areen, Kamila, Khairi, sie sprechen einen Dialog aus dem Lehrbuch über „Medien“ und stolpern über Vokabeln wie „Statistik“ und „Argumentationslinien“. Sie lassen sich nicht beirren und bemühen sich tapfer. Mittendrin klingelt ein Handy mit einer Melodie aus 1001 Nacht. Alle lachen. „Mit 300 Wörtern in der deutschen Sprache kann man sich im Alltag verständigen, aber dann nimmt man nicht an vielen Dingen teil“, so die Sprachlehrerin. „Zudem ist es in Deutschland auch möglich, mit der „Ein-Wort-Methode“ gut klarzukommen. Es gibt Stadtteile, da muss ich kein Wort deutsch können“, sagt sie.

Rollenproblematik: Erwachsene lernen eine Sprache neu
Wer also einen Sprachkurs besucht hat, muss auch die Gelegenheit haben und suchen, sich in der neuen Sprache auszutauschen. Das gelingt im Alltag, wenn man bemüht ist, mit deutschen Vokabeln auf der Zunge einzukaufen, seine Rolle wahrzunehmen, als Mutter, als Beschäftigte, als Nachbar. Aber die Gelegenheiten mit Deutschen zusammenzutreffen sind nicht so häufig gegeben. Einladungen fehlen in der Regel. „Die beste Möglichkeit mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen, ist der Sport“, sagt Britta Thomas. Noch allerdings trauen sich die „Neuen“ noch nicht zu diesem Schritt. Sie bleiben erst einmal in ihrem Kurs zusammen. „Wir waren letztens auf der Sparrenburg. Und im Zoo“, erzählen Tofik und Ahmed. Ausflüge ins Land wie sie eigentlich Grundschüler machen, um ihren Horizont zu erweitern. Im Rahmen eines Sprachkurses für Anfänger tauchen Erwachsene notgedrungen in eine andere Rolle, mit der sie klar kommen müssen. „Ich möchte gern, dass mein Schulabschluss aus dem Ausland hier anerkannt wird“, sagt ein junger Mann, der als Flüchtling aus dem Irak hierhergekommen ist und erahnt, dass ein Besuch im Zoo eher niedlich aussehen muss.


Frau Merkel kann kein Türkisch sprechen
Anerkennung. Das ist das Ziel aller hier. Das erlebe ich auch im zweiten Kurs, den ich heute besuche. Hier sitzen zehn Teilnehmer, die gerade einmal knapp 60 Stunden Deutschkurs hinter sich haben. Die Kommunikation ist schon deutlich eingeschränkter. Hier zählen die Mimik, die Gestik, Zeichen des Verstehens. Die Lehrerin Anelia Taschner übt heute das Verb „können“. Es handelt sich um ein Modalverb. Ist eigentlich unerheblich, das zu wissen. Spannend wird es erst, als Frau Taschner folgende Erklärung dazu abgibt: „Stellen Sie sich vor, Frau Merkel reist in die Türkei zum Präsidenten“, beginnt sie. „Wer ist Frau Merkel?“, fragt sie in die Runde. Schulterzucken bei den Teilnehmern. Ich merke, dass das „Bild“ von Frau Merkel schon in den Köpfen ist, aber wie lautet der Begriff für ihre Funktion? „Sie ist die höchste Frau in Deutschland“, sagt eine Teilnehmerin mit türkischen Wurzeln. „Ja, genau“, lobt Frau Taschner, „wenn also die Bundeskanzlerin in die Türkei reist, dann hat sie meistens einen Übersetzer dabei. Denn Frau Merkel spricht ja kein Türkisch. Der Übersetzer kann aber erst dann anfangen zu übersetzen, wenn er in einem Satz mit dem Modalverb „können“ auch das Verb am Ende eines Satzes hört. So lange muss er warten. Wenn er also nicht spricht, heißt das nicht, er hat nichts verstanden, sondern er wartet. Das macht die deutsche Sprache so schwer.“ Finde ich einleuchtend. Jetzt üben alle die Stellung der Verben am Satzende „im Rahmen“. Beispiel: Ich kann heute nicht mir dir spielen.

Konflikte der Welt sitzen mit am Tisch
Neben mir sitzt eine junge Frau aus dem Irak. Sie ist erst seit vier Wochen in Deutschland. Sie strahlt mich an, weil ich ihr bei den Übungen mit „können“ helfe. Sie meldet sich rasch und versucht sich an der richtigen Aussprache. In der Pause versuche ich ein Gespräch zu führen, ein Mischmasch aus Englisch, Wörterbuch und Handzeichen. Ich frage sie nach „Geschwister“. Sie zeigt mit den Händen sieben. Ihre Schwester ist auch im Kurs. Sie sagt dann, „Vater nix da“. Und beide werden sehr traurig. Einen Moment lang herrscht Stille. Uns einen in dem Moment wohl die Bilder aus dem Irakkrieg: Sie haben sie erlebt. Ich habe sie im Fernsehen verfolgt…Was mit ihrem Vater passiert ist, bleibt unausgesprochen.


„Für viele Menschen, die hier deutsch lernen war Bildung in ihrem Heimatland nicht das Wichtigste. Dort hieß es Überleben. Morgens aus dem Haus gehen. Und abends möglichst lebend zurück zu sein. Mit diesen Erlebnissen sind wir hier jeden Tag konfrontiert“, sagt Britta Thomas. Für einen Moment ist die Erdkugel ganz klein. Ich kann die Traurigkeit der jungen Frau spüren. Das Mädchen neben mir ist gerade mal 18 Jahre alt. Und möchte trotz aller Erlebnisse einen neuen Anfang wagen. Dafür gebührt ihr Respekt und Anerkennung.


Im Sprachkurs ausprobieren
Frau Taschner fährt mit dem Unterricht fort: „Deutsch ist sehr kompliziert. Man muss ein gutes Gedächtnis haben, damit man nicht vergisst, was in dem „Rahmen“ steht“, beendet sie die Lektion um „Können“. Im Chor konjugiert der Kurs: Ich kann, du kannst….ich mache mit. Am Ende des Unterrichts werden noch typische Berufe erklärt. Die Lehrerin heftet dazu Fotos an die Pinnwand und fragt, wer was macht: Ein Koch kocht, ein Friseur schneidet Haare, eine Abteilungsleiterin… ja, was ist denn eine Leiterin? Und sie erklärt. Auch das gehört zum Erlernen von Sprache: Wo findet sich was und wie kann ich das erklären. All das muss gelernt werden. Auch das, was zum „Chefsein“ in Deutschland dazugehört.


Nach dem Stundenende beantwortet Frau Taschner Fragen nach Fahrtkosten, nach Beteiligungskosten an den Schulbüchern. Sie ist sehr streng und direkt. „Der Weg durch die Instanzen dauert, aber die Erstattung kommt auf jeden Fall“, erklärt sie. „In der Sprachschule müssen Erwachsene wieder wie Kinder lernen. Das verunsichert viele und erfordert eine Menge Anstrengung. Hier geht es nicht nur ums Lernen. Es geht auch um Vertrauen und um Individuen – jeder lernt anders. Jeder mit seinen eigenen Möglichkeiten. Die kann man nicht verordnen.“ In der Sprachschule gebe es einen Schutzraum, hier können die Teilnehmer Sprache und „deutsch sein“ ausprobieren. Fragen stellen, wie die Gepflogenheiten in Deutschland sind, erklärt Frau Taschner. „Draußen ist es sehr viel schwieriger. Da werden die Fehler in der Sprache gerne mal übersehen, aber ein Fehlverhalten, weil man die deutsche „Gepflogenheit“ nicht kennt, kaum.“

Einsichten und Fragen
Der Vormittag ist rasend schnell vergangen. Während die Schülerinnen und Schüler sich nun um ihre Hausaufgaben kümmern müssen und die Lehrenden den nächsten Tag vorbereiten, fahre ich nach Hause. Mit vielen neuen Eindrücken – und Erkenntnissen. Und dem Wissen, dass der Besuch eines Sprachkurses etwas ganz Persönliches ist. Dass Sprache und deren Gebrauch an sich Persönlichkeit ist. Dass die Sprachschüler mit Migrationshintergrund sich echt bemühen. Und dass Erfolge nicht von heute auf morgen plötzlich da sind. Und vor allem: Die Lehrenden in den Kursen machen einen guten Job. Mit viel Engagement und Herzblut. Sie sind wahre Kenner der (kulturellen, sprachlichen) Vielfalt. Diversitymanagement ist ihr eigentliches Geschäft – ein gefragtes Gut dieser Tage. Ob dabei auch die Bezahlung stimmt, ist sicher eine zu stellende Frage. Ich bin gespannt auf die Evaluation der Kurse. Messbarkeit ist dabei eine Sache. Aber der Faktor Mensch ist eine andere. Und vor allem: Integration ist keine Einbahnstraße. Es ist ein gegenseitiger Prozess. Dazu gehören zu gleichen Teilen die „Neusprecher“ und die, die Deutsch schon können.

Sonntag, 5. Juni 2011

Status und Freiheit, letzter Teil

Zur Salzsäule bin ich dann allerdings erstarrt, als ich mit Entsetzen feststellen musste, dass nun zwar die Kinder aus dem Haus waren, jetzt aber immer öfter meine alten Eltern und eine betagte alleinstehende Nachbarin anriefen: Und mich baten, sie doch zu fahren. Sie hatten ihre Führerscheine nebst Auto abgegeben. „Das brauchen wir ja nicht mehr, so oft fahren wir ja gar nicht. Da kann man ein Taxi nehmen.“, hieß es. Eigentlich ein guter Vorschlag. Die Realität aber sah so aus: „Papa hat einen Arzttermin, es geht ihm nicht so gut und es wäre nett...“ „Ich muss unbedingt Blumen für die Terrassenbepflanzung einkaufen, weil meine Nachbarinnen zum Kaffee kommen, da soll es doch schön aussehen...“ „Kannst Du die alten Farbeimer nicht zum Sondermüll fahren?“ „Ach, ich habe noch das alte Holzregal im Keller, das müsste mal zum Bauhof.“ „Gerne würde ich mir mal ein neues Kleid kaufen...“
Mama-Taxi
Nach ungefähr dreizehn Fahrten in dieser Ära mit Kölnisch Wasser und Nina Ricci in der Nase, nach zehn Fahrten zum heimischen Gartenfachmarkt und einem ständig mit Blumenerde und Blütenblättern aller Farben zugedreckten Kofferraum, nach fünf Fahrten zum Facharzt der Urologie mit jeweils dreistündigen Wartezeiten habe ich mittwochs und samstags mein Lesepensum der örtlichen Lokalzeitung verändert. Ich schaute nun in der Rubrik Kleinanzeigen nach Fahrzeugen. Zweisitzer. Kleine Flitzer. So klein, dass der Einstieg auf keinen Fall altengerecht wäre. So klein, dass schon das Sitzen mit normaler Körperfülle eine Herausforderung war. So klein, dass man Angst bekommen musste, wenn ein etwas größeres Fahrzeug neben, vor oder hinter einem fuhr. Zu klein auf jeden Fall für jede Art von neumodischem Kindersitz und den Transport von Sperrigem im Kofferraum. Und so klein, dass man das Radio so laut stellen musste, dass die Fahrgeräusche nicht mehr zu hören waren und vor allem musste es ein so zugiges Verdeck haben, dass man sich möglichst schnell darin erkälten konnte.

Es dauerte nicht lange und ich fand meinen kleinen MG. Meinen Volvo habe ich in Zahlung gegeben. Ihm zum Abschied leise über die Motorhaube gestrichen und Mut zugesprochen, er sei doch nun einmal als Familienauto gebaut, ich aber nicht als Chauffeur. Und so trennten wir uns in Freundschaft.

Das alles dachte ich, als ich durch die Regalreihen meines Supermarktes fuhr, die orchestrierte Oberschichtfamilie mit der schmuckbehängten Supergattin in möglichst großer Distanz. Ich hatte immer noch nicht raus, wie hoch meine Versicherung war. Aber in mir brandete eine riesige Welle großer Freude auf, niemals mehr im Leben ein Auto mit mehr als zwei Sitzen besitzen zu wollen. Kein Neid, meine Liebe, weder auf Deine Doppelnamen-Kinder noch auf Dein steuerbefreites Realeinkommen, Deine Schuhe – und schon gar nicht auf Dein Auto. Während das Zahlungsmittel der goldenen Enddreißigerin von fester Materie ist, ist meines federleicht: Freiheit.

Mittwoch, 1. Juni 2011

Mein Besuch im Sprachkurs, Teil 1

Wie viele Wörter in deutsch muss man eigentlich können, um den Alltag in Deutschland zu meistern? Und was passiert in einem Sprachkurs? Das waren meine Ausgangsfragen. Antworten darauf fand ich hier:

Da stand ich nun vor der Tür der Sprachschule im Internationalen Zentrum der AWO, ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zugelassener Anbieter für Integrationskurse. Es ist kurz vor neun Uhr, mitten in der Bielefelder Innenstadt. In der sonst so überfüllten Einkaufszone kommen mir nur Fensterputzer und Lieferwagen entgegen. Heute besuche ich zwei Sprachkurse für Deutsch, einen für Fortgeschrittene, einen für Anfänger.

Sabine Stallbaum, Leiterin der Sprachqualifizierung der AWO, holt mich ab. Ein paar Stufen und wir stehen in der 1. Etage auf dem Gang vor den Klassenräumen. Die Türen stehen auf, ich spähe hinein. Sieht aus wie Schule: Tafel und Tische. Die Lehrerin steht vorn.

Heute konjugieren wir "können"!
Der Integrationskurs ist eine Maßnahme zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse für Ausländer in Deutschland. Diese sind seit dem 1. Januar 2005 verpflichtend. Teilnehmer können nach § 44 des Aufenthaltsgesetzes zu diesem 645-stündigen Deutschkurs verpflichtet werden. Die Kosten werden vom BAMF übernommen, jeder Teilnehmer trägt allerdings einen Eigenanteil von 1 Euro pro Stunde.
Die ersten Schüler warten ebenfalls vor der Tür, zwei junge Männer, unterhalten sich in einer mir unverständlichen Sprache, lachen. Ihre Bücher und Hefte tragen sie unter dem Arm geklemmt. Einer transportiert sie in einer Plastiktüte. „Meine bunte Welt“ steht drauf, unter dem Logo findet sich ein Schriftzug in Arabisch, mit Kugelschreiber drauf gekritzelt, daneben ein Herz.

Der Sprachkurs ist aufgeteilt in einen Basis- und einen Aufbausprachkurs. Das Ziel: Die Teilnehmer sollen sich im Alltag auf Deutsch verständigen können. Das Sprachniveau heißt „ B1“ und entspricht dem „Europäischen Referenzrahmen“. Das Rahmencurriculum zeigt Lebensbereiche auf, in denen sich Migranten in Deutschland bewegen. Anhand einer umfassenden Liste von Lernzielen beschreibt es, wie sie sprachlich handeln können müssen, um den Herausforderungen des Alltags zu begegnen – heißt es offiziell.

In einem kurzen Vorgespräch erläutern mir die drei Lehrenden, wie sehr sich die Sprachkurse verändert haben, seit sie verpflichtend eingeführt wurden. „Die Teilnehmer müssen erscheinen – und wir achten darauf.“ Zudem gibt es einen hohen bürokratischen Aufwand, der nach den Anforderungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erforderlich ist. Da muss die Berechtigung zum Kurs geprüft werden, oder die Kostenbefreiung, hierfür müssen die entsprechenden Daten erhoben, eingegeben und abgeglichen werden. Wer über kein Einkommen verfügt oder Arbeitslosengeld II bezieht, erhält den Unterricht gratis. Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe können zur Teilnahme auch verpflichtet werden. Andernfalls drohen Kürzungen der erhaltenen Leistungen. Die Menschen werden vom BAMF hierher geschickt, oder von der Ausländerbehörde oder von der Arbeitsagentur. Einige sind auch Selbstzahler.

Ich beginne im Kurs für Fortgeschrittene. Britta Thomas gibt den Unterricht. Der Raum ist groß und hell. Elf Schülerinnen und Schüler sitzen schon im Raum und schauen mich ganz erwartungsvoll an. Sie sind alle noch sehr jung. Später kann ich auf einem Plakat ihre Geburtsdaten lesen, sie hängen an der Pinnwand unter dem Stichwort „Geburtstag in Deutschland“. Jahrgang 1986 bis 1992. Ihre Herkunftsländer finden sich auf dem persönlichen Steckbrief gleich daneben: Irak, Türkei, Sri Lanka, Pakistan. Eines verbindet sie alle: sie sind gerade mal ein knappes Jahr in Deutschland. In ihrem Lehrbuch „Berliner Platz“ sind sie bereits bei Lektion 22.

Heute ist Gruppenarbeit angesagt. Wiederholen der Lektionen in Schreibarbeit und dann später in kleinen Dialogen. „Das laute Sprechen ist sehr wichtig“, sagt Frau Thomas. Das kenne ich selbst noch aus dem eigenen Fremdsprachenunterricht. Und auch das Scheitern und die vielen Fehler. Wie wohl jeder die Mühen kennt, der eine andere Sprache gelernt hat. Die Themen im Buch sind: „Über Gefühle sprechen“, „Bei uns und bei Euch“, „Schule“, „Medien“. Die Arbeitsgruppen sind gemischt. Wenn etwas nicht klar ist, wird in der eigenen Muttersprache quer über den Tisch gefragt, wie es geht. Dann sprechen sie wieder deutsch zusammen. Einige wollen es ganz genau machen, fragen nach den korrekten Endungen der Verben. „Gibt es etwas, das Sie nicht essen?“ ist eine der „Redemittel“, die gelernt werden und die in gelb besonders hervorgehoben in den Lehrbüchern stehen. „Ich höre jeden Morgen die Nachrichten aus dem Radio“, wiederholt Tofik eine Lektion.

Ich laufe um den Tisch und schaue über die Schultern. Entdecke ein Lehrbuch, vollgeschrieben mir unzähligen Vokalen in einer Schrift, die ich nicht lesen kann. Viele der Teilnehmer haben zunächst das deutsche Alphabet und das Schreiben der Buchstaben gelernt. Wenn jemand aus China kommt oder Kyrillisch schreibt, ist das schon die erste Hürde. Ich frage Prabhjot, ob ich sein Buch fotografieren darf. Ich weiß nicht genau, ob er mich verstanden hat, aber als ich meine Kamera in der Hand halte, rückt er unruhig auf seinem Stuhl herum. Frau Thomas kommt mir zu Hilfe und sagt, das sei ihm peinlich, weil er glaubt, ich fände das Geschreibsel unordentlich. Ich bin erstaunt, denn das war es überhaupt nicht, was mich bewegt hat, sondern vielmehr die Erinnerung daran, dass meine Fremdsprachenbücher auch so ausgesehen haben. Ich erkläre Prabhjot den Grund, langsam. Jetzt hat er mich verstanden und lächelt. Interkulturelle Kompetenz ist genau das, was hier greift.

Sprache lernen bedeutet Kulturschock
 Sprache zu erlernen, ist immer auch ein Kulturschock“, so Britta Thomas. Deutsch ist eine Akzentsprache, Tamilisch aber nicht. „Wir müssen uns jeden Tag vor Augen halten, dass die Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Jeder lernt da anders“, resümiert sie. „Der Lernhintergrund eines jeden Schülers ist wichtig“, sagt sie und fährt fort: „Die russischstämmigen Schüler etwa lernen mehr über die Vermittlung der Grammatik, sie sind eher den Frontalunterricht gewohnt, Gruppenarbeit ist für viele erst völlig fremd.“
Fortsetzung am Wochenende.