Der Arbeitskreis Asyl bestehend aus vielen Aktiven in der Flüchtlingshilfe u.a. der evangelischen Kirche in Gütersloh hat mir Fragen bezüglich meiner Haltung zu "Asyl" gestellt. Alle Kandidaten wurden dazu befragt. Hier der Fragenkatalog und meine Antworten, die ich bereits am 6. August 2015 abgeschickt habe:
Szene aus "Odyssee" - Flüchtlinge und ihr Schicksal - Platz Wechsel
1. Alle reden von Willkommenskultur. Was genau heißt das für Sie? Wenn Sie BürgermeisterIn werden: Woran werden Flüchtlinge in Gütersloh merken, dass sie hier willkommen sind?
Nach der lange etablierten Einstellung in Deutschland, Migranten würden nur kurz im Land bleiben und dann wieder in ihre „Heimat“ zurückgehen, hat die deutsche Politik endlich anerkannt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Mit dem Begriff der Willkommenskultur zeigt sich dieser Wandel.
Willkommenskultur ist für mich eine Frage der Haltung der Aufnahmegesellschaft, also die Körpersprache und die Ansprache von „uns“ gegenüber den Menschen, die hierher kommen. Im Zentrum stehen daher die vielfältigen Chancen, die Migranten und Flüchtlinge für unser Land mitbringen. Sichtbares Zeichen einer offenen Willkommenskultur ist beispielsweise die erkennbare Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft auch bei uns vor Ort. Insbesondere jetzt, wo es sich um eine Notsituation von Menschen handelt – und nicht um geplante Migration, ist diese Haltung besonders gefragt. Die Situation der Flüchtlinge in Deutschland ist so ein Fall, in dem wir alle als Aufnahmegesellschaft praktische Solidarität zeigen können. Das gilt es weiterhin zu unterstützen.
Es ist mir wichtig, dass die Haltung der Menschen in Gütersloh eine offene und tolerante gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen ist und bleibt. Das fängt bei der Sprache an. Respekt und Wertschätzung müssen in allen Umgangsformen zum Ausdruck kommen.
Für mich macht es Sinn, einen Lokalberichterstatter einzusetzen, der das Ohr an den Menschen hat, den Brückenschlag herstellt, informiert und eben diese praktische Solidarität aufspüren kann oder Missstände frühzeitig erkennt und benennt. Eine solche Aufgabe wäre m.E. beim Integrationsbeauftragten der Stadt verortet. Ich würde mir ein Monitoring wünschen, dass jeden Monat dem Rat vorgelegt wird und darüber berichtet, wie die Situation vor Ort ist, so dass das Thema konkret im politischen Alltag verankert ist und damit im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung.
Ich würde die Mitarbeiter in der Verwaltung auf dem Weg mitnehmen, diesen Respekt auch in jeglichem Umgang mit den Flüchtlingen einzuhalten, auch wenn der berufliche Umgang manchmal schwierig ist.
Ich würde die Menschen, die hier vor Ort Asyl erhalten haben, zu einem Willkommensakt in das Rathaus einladen und ihnen so zeigen, dass sie nicht nur durch einen Entscheid des Staates Asyl erhalten haben, sondern dass sie offiziell auch von der Verwaltung vor Ort willkommen geheissen werden.
Ich würde mich mit den Aktiven in der Flüchtlingshilfe vernetzen und auf dem Laufenden bleiben, wo die Stadt gerade steht und was die nächsten notwendigen Schritte sind.
Ich würde die Flüchtlingsunterkünfte besuchen und mit allen Beteiligten Gespräche führen, um mir selbst ein Bild zu machen.
2. GütersloherInnen zeigen in ihrer weit überwiegenden Zahl Offenheit und große Unterstützungsbereitschaft für hier angekommene Flüchtlinge. Wie würden Sie als BürgermeisterIn dafür Sorge tragen, dass diese Stimmung erhalten bleibt und Flüchtlinge in unserer Stadt vor fremdenfeindlichen Aktionen sicher sind?
Das Thema muss sichtbar bleiben. Nur wenn sich die örtlichen Spitzen von Verwaltung und Politik um das Wohl der Flüchtlinge kümmern und öffentlich eine Haltung der Willkommensbereitschaft zeigen und leben, wird auch die Bevölkerung positiv reagieren. Es muss deutlich werden, dass Gütersloh kein Platz für Hetze und Angstmache oder gar rassistische Ausschreitungen ist. Wichtig ist die Information und fortwährende Kommunikation mit der Bevölkerung.
Die Verortung eines Monitorings in den Gremien mit den aktuellen Zahlen und Berichten über Hilfsaktionen bringt es zudem mit sich, dass das Thema zentral bleibt. Politik kann sich so nicht wegducken.
Sicherheit vor Fremdenfeindlichkeit gibt es nicht zu 100 Prozent. Da hilft auch keine Polizei. Hier sind die Menschen vor Ort gefragt, die auch da Solidarität üben, wie etwa durch das „Bündnis gegen Rechts“ und andere zivilgesellschaftliche Netzwerke.
3. Wäre Integration von Flüchtlingen in Gütersloh für Sie als BürgermeisterIn ein Anliegen, für das Sie sich auch persönlich einsetzen würden? Welche Ideen haben Sie dazu?
Die Integration von Flüchtlingen ist zentral. Wir sollten daran arbeiten, dass die Menschen auch in Gütersloh bleiben wollen. Dazu brauchen sie auch gute Rahmenbedingungen.
Bisher hat die Stadt kein eigenes Integrationskonzept, welches auch die Neuankömmlinge der Flüchtlinge im Blick hat. Daher braucht es ein solches. Das würde ich gerne mit allen Beteiligten erarbeiten, auch mit der Politik. Erstes Ziel wäre daher, sich einen Überblick zu verschaffen, die vorliegenden Daten auszuwerten und dann gemeinsam zu überlegen, was notwendig ist, leistbar ist und wo konkreter Bedarf da ist. „Helfen wollen“ ist eine Sache, konkrete Rahmen dafür zu schaffen eine andere. Das Konzept muss nachhaltig und überprüfbar sein, sonst verpuffen die Anstrengungen.
Der wichtigste Punkt ist hier das Erlernen der deutschen Sprache. Es muss sichergestellt werden, dass die Kurse wirksam sind und zugänglich. Für Sprachförderung würde ich mich besonders einsetzen.
Auch der Zugang zum Arbeitsmarkt muss verbessert werden, die Flüchtlinge sollen so schnell wie möglich die Chance haben, ihre Qualifikationen einsetzen zu können. Dazu müssen die Akteure vor Ort zusammenarbeiten und frühzeitig eingebunden werden, von JobCenter bis hin zu möglichen Arbeitgebern (auch deren Verbände).
Ich würde mich aber auch dafür einsetzen, dass die Asylverfahren schneller Entscheidungen schaffen. Es gibt Menschen, die nach der Entscheidung nicht hier bleiben können, hier will ich keine Hoffnungen enttäuschen. Auch das muss beachtet werden.
4. Auf Initiative des Asyl AK und mit kräftiger Unterstützung der Ev. Kirchengemeinde ist in Gütersloh wieder eine Flüchtlingsberatungsstelle eingerichtet worden, die im Umfang einer halben Personalstelle in Trägerschaft der Diakonie betrieben wird. Neben Beratung der Flüchtlinge soll die Stelleninhaberin die Arbeit der Ehrenamtlichen koordinieren und unterstützen. Wie bewerten Sie diese beiden Aufgaben?
Wie sollte die Flüchtlingsberatungsstelle Ihrer Meinung nach personell ausgestattet sein? Für wie viele Flüchtlinge soll Ihrer Meinung nach eine Personalstelle zur Verfügung stehen?
Eine halbe Stelle ist ein Witz. Diese Aufgabe ist so umfangreich und zeitintensiv, dass hier dringend eine ganze Stelle geschaffen werden muss. Richtiger wären zwei Stellen, aber das wirft die Frage der Finanzierung auf. Ich muss zugeben, dass ich so realistisch bin, dass das wohl nicht realisierbar ist. Ich will auch keine falschen Versprechungen machen. Notwendig wären zwei Stellen auf jeden Fall. Gleiches gilt für den Verteilerschlüssel, wie viele Helfer für wie viele Flüchtlinge? Da erleben wir ja schon heiße Diskussionen, wenn es um den Betreuungsschlüssel von Kindern geht. Unsere Gesellschaft ist leider noch lange nicht so weit, dass der Betreuungsschlüssel passen würde, weder für Kinder noch für Flüchtlinge. Beiden Gruppen fehlt die Lobby.
Beide Aufgaben sind wichtig. Mehr zählt für mich allerdings die Beratung der Flüchtlinge selbst, denn die Menschen profitieren am meisten von solch einer Hilfestellung und das steht an erster Stelle. Die Koordination der Ehrenamtlichen ist für mich zweitrangig. Hier sind in der Regel viele aktiv, die sich gut selbst organisieren können und auch die Vernetzung gut betreiben können. Die Netzwerkstruktur müsste sich selbst stärker organisieren. Digitale Plattformen sind da hilfreich aber noch nicht ausreichend genutzt.
5. Wie stehen Sie zum Konzept der dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen, möglichst in Wohnungen? Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?
Das Konzept der dezentralen Unterbringung ist gut, wenn hier der Anschluss an die Aufnahmegesellschaft möglich ist und unterstützt wird. Das gelingt am besten durch die Gemeinschaft im Kindergarten, in der Schule oder durch Arbeit. Das sehe ich aber in wenigen Fällen als gegeben an. Eine dezentrale Unterbringung ist zudem etwas für Menschen, die schon länger hier sind, die deutsche Aufnahmegesellschaft besser kennen und einschätzen können und die Sprache etwas besser beherrschen.
Ansonsten sind zentrale Unterbringungen für den ersten Aufenthalt besser. Allerdings: es dürfen keine „Ghettos“ entstehen, es darf sich nicht auf einen Ortsteil beschränken, es muss eine Anbindung an öffentliche Infrastruktur vorhanden sein. Diese Erkenntnis, dass Zusammenlegung am Anfang eher sinnvoll ist, hat man in vielen Einwanderungsländern gesammelt, denn in der zentralen Unterbringung entstehen Gemeinschaften, die sich gegenseitig besser helfen können. Wohl gemerkt: nur für den Anfang. Danach müssen die Aufstiegs- und Integrationsversprechen greifen und die Chancen auf Teilhabe müssen erkennbar werden. Das bedeutet dann auch, dass die Menschen Wohnungen finden, die außerhalb der Unterbringungen liegen.
6. Der Flüchtlingsrat NRW fordert landesweit Mindeststandards für Flüchtlingsunterkünfte.
Ja, gut so. Das sollte der Standard sein in einem Land, das durch überdurchschnittlichen Wohlstand seiner Bevölkerung ausgezeichnet ist.
7. Wie stehen Sie zu den Forderungen? Gibt es welche, die Sie in Gütersloh für inakzeptabel halten?
Die Forderungen sind das, was sie sind: Forderungen. Auf der anderen Seite steht jedoch die reale Leistbarkeit der Kommunen. Die Standards werden nicht überall gleich eingehalten werden können. Dazu haben sich die Kommunen in den letzten Jahren zu sehr auf den „Rückbau“ möglicher Unterkünfte konzentriert.
Für Gütersloh sind die Forderungen nicht inakzeptabel, aber auch hier gilt: in der Kürze der Zeit, wird es nicht gleich gut und schnell funktionieren. Außerdem wird die Stadt „Angst“ haben, damit das Signal zu senden, sie sei bereit und fähig noch mehr Menschen aufzunehmen. Hier wird politisch und verwaltungstechnisch abgewogen werden. Es wäre blauäugig zu glauben, in Gütersloh werde alles realisiert, was gewünscht wird. Dazu braucht man politische Mehrheiten, die dafür stimmen, denn das bedeutet die Bereitstellung von Ressourcen und Kapazitäten. Realistisch ist für mich zunächst eine Standortbestimmung: Wo stehen wir in Gütersloh und was können wir leisten. Wenn das bereits fixiert ist, wäre ich schon froh.
8. Mit Blick auf Flüchtlingskinder und -jugendliche: Was muss Ihrer Meinung nach ein Konzept für Kinder und Jugendliche enthalten, damit sie von Anfang an in Gütersloh gute Startbedingungen haben? Welche Auswirkungen müsste Ihrer Meinung nach das Konzept auf Kindergärten und Schulen haben?
Ein Konzept für Kinder und Jugendliche muss in erster Linie von allen Beteiligten entwickelt und getragen werden, die mit der Materie vertraut sind. Es kann nicht „von oben herab“ oder vom „grünen Tisch“ aus verordnet werden. Also müssen auch Kindergärten und Schulen mit am Tisch sitzen.
Im Zentrum müssen die Kinder stehen: Was brauchen sie am dringendsten und wie kann man das gewährleisten. Sind hier besondere Bedarfe zu berücksichtigen, etwa für traumatisierte Kinder. Wie kann man die Eltern der Kinder mit einbeziehen, so dass gleichzeitig auch Sozialkontakte entstehen können, die auf eine langfristige Integration hinführen?
Was zu vermeiden ist: die Kinder zentral unterzubringen und einer Schule oder einem Kindergarten die gesamte Aufgabe stellen, weil diese angeblich besonders geeignet sei. Das bezweifele ich.
Auch die Sozialraumgemeinschaften müssten mit ins Boot. Quartiersscharf könnten dann so konkrete Angebote geschaffen werden, die auch die Freizeit und den Alltag der Kinder im Blick haben.
9. Sollten an solchen Prozessen von Konzeptentwicklung und -umsetzung Haupt- und Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit beteiligt werden? Wie könnte die Beteiligung aussehen?
Ja, diese Konzepte können nicht allein von der Verwaltung kommen. Die Zivilgesellschaft ist genau so aufgerufen, sich zu beteiligen, zu helfen und Ideen einzubringen.
Auch die Hauptamtlichen in der Hilfe sind mit dieser Aufgabe nicht allein zu lassen, warum sollte man zudem auf die Menschen verzichten, die helfen wollen, auch wenn das nur punktuelle Hilfe ist. Das Konzept allerdings zu fragen: „Wer kann konkret WAS machen?“, finde ich gut. Das Wollen alleine reicht nicht, es braucht auch Können.
Qualifizierung ist also zu organisieren sowie der Austausch und das Vernetzen der Helfer. Dies könnte die Stadt leisten, in dem sie Raum und Orte schafft, an denen das möglich ist. Dazu gehört auch ein großes Maß an Transparenz und Kommunikation.