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Dienstag, 29. März 2011

Pro Anonymität beim Bürgerhaushalt

Plädoyer für Anonymität beim Bürgerhaushalt

Klar, das wünschen sich instinktiv doch alle: Künftig nur noch offene Beteiligung mit voller Namensnennung im Onlineportal zum Bürgerhaushalt. Früher hieß das „Streiten mit offenem Visier“. Schön wär es - aber wir sind noch längst nicht so weit in der politischen Streitkultur. Jürgen Zimmermann und ich haben uns zur notwendigen Beibehaltung der Anonymität im Gütersloher Online-Portal Gedanken gemacht.
 
Die Onlineplattform ist nur schriftlich zu bedienen. D.h. alle (!!), die sich beteiligen, müssen sich im Einbringungsverfahren und in der Kommentierung schriftlich äußern. An Hand der Art der Verschriftlichung wie etwa Rechtschreibung und Ausdruck lassen sich schon eine Menge erster Rückschlüsse ziehen. Da wir ja alle einmal zur Schule gegangen sind, haben wir das bundesdeutsche Notensystem deutlich verinnerlicht, kennt sich jemand dann mit der
Orthographie, also Rechtschreibung, nicht so gut aus, gibt das unterschwellig Abzüge in der Bewertung: Schnell stehen viele Fehler für angeblich schlechtere Vorschläge. Gleiches gilt für die Ausdrucksweise, einer kann es druckreif, ein anderer aber nicht, dennoch kann ein Vorschlag oder eine Anregung sehr innovativ sein und eine Menge bringen. Am Ende schreckt es ab, sich hier einer ungewollten Prüfung zu unterziehen. Wer also würde sich in einer solchen Plattform beteiligen? Jedenfalls viele NICHT, die Angst vor Fehlern haben. Ein Bürgerhaushalt ist aber nicht dazu da, Bildungsschichten auszusortieren, sondern er soll das Knowhow der Menschen einer Stadt abrufen - das liegt nicht immer nur da verborgen, wo jemand gut schreiben kann.

Auch trägt es wenig zur Vertrauensbildung bei, wenn sich die gewählten Volksvertreter schon während des Beteiligungsverfahrens dazu äußern, der „Bürger“ habe eigentlich keine Ahnung! Vieles könne er nicht wissen, vieles sei schon in den Gremien rauf und runter beraten, vieles könne in der Kommune nicht beschlossen werden, aber das wisse  der Bürger ebenfalls nicht. Fachkompetenz gleich zu Beginn in Abrede zu stellen, abzuwiegeln und die Meinung der Bürgerschaft von vornherein in Frage zu stellen, ist keine Einladung für eine Beteiligung mit offener Namensnennung. Namensnennung unter diesen Vorzeichen wird dadurch für den Nutzer zum Risikofaktor - am Ende könnten die politischen Zeigefinger auf „den Blödmann“ gerichtet werden.

Zudem gibt es viele Politikfelder, in denen man nicht gleich öffentlich am Pranger stehen möchte, wenn man sich dazu bekennt. Bestes Beispiel: Hundesteuer. Wohnen etwa vier Parteien in einem Haus, einer davon hat einen Hund. Dann können sich drei für eine höhere Hundesteuer aussprechen, und möchten nicht, dass der Vierte mit Hund davon erfährt – dann wäre vielleicht der Hausfrieden verloren. Wie oft gibt es darüber Streit, wenn der Nachbar seinen Hund in den Vorgarten scheißen lässt – man hält den Mund, will man nicht mehr Ärger als üblich. Im Stillen wünscht man sich, er müsse zumindest mehr dafür bezahlen, dass der Dreck auf öffentlichen Straßen entfernt wird. Mal Hand aufs Herz: Kennen Sie das etwa nicht? Denn nicht alle Hundebesitzer tragen eine Tüte bei sich...

Auch in den Reihen der Politiker selbst ist diese Offenheit nicht immer gegeben. Wie viele der (Kommunal)politiker stimmen bei kritischen Fragen unter dem Deckmantel der Fraktion, oder gleich der Partei ab? Wie viele beugen sich gegen ihre innere Überzeugung am Ende doch dem Fraktionszwang? Politiker haben sich einmal öffentlich zur Wahl gestellt, sich als Person des öffentlichen Lebens deklariert. Sie stehen als „Ganzes“ auf der politischen Bühne, haben ihre „Parteigenossen“, ihre „Kollegen“ - müssen also so gut wie nie ihren Kopf alleine hinhalten. Das politische Stimmverhalten im Rat wird übrigens erst seit ein paar Wochen in den Protokollen festgehalten. Vorher standen dort nur „Zahlen“, die keiner Partei oder Personen zugeordnet werden konnte. Wer also seinerzeit etwa „für“ das Theater gestimmt hat, war nach fünf Jahren nicht mehr nachvollziehbar. Ein Bürger, der unpopuläre Vorschläge macht, könnte da schon schneller ins Fahrwasser des öffentlichen Aufruhrs gelangen. Beispiel: Feuerwehr – Berufsfeuerwehr oder Freiwillige. Den Inhalt mag man finden, wie man will. Eine Diskussion darüber war offenbar schon lange fällig. Wäre die auch in Gang gekommen, ohne Anonymität?

Übrigens ist in Deutschland auch das Wahlrecht u.a. „geheim“: Es findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Jeder, der sein Kreuzchen macht, darf zurecht allein (!) in einer Wahlkabine verschwinden und dann seinen Zettel gefaltet und unter höchster Geheimhaltung in eine Wahlurne stecken. Sogar die Wahlzettel sind einheitlich, so dass ein Zurückverfolgen nicht möglich ist. Ziel ist es u.a. die Einschüchterung von Wählern und den Verkauf von Stimmen zu erschweren. Und das ist auch gut so. Stellen wir uns einmal vor, was im Lande los wäre, wenn man auf dem Wahlzettel seinen Namen angeben müsste. Großartiges Szenario, Ähnliches hatten wir vor einiger Zeit noch. Die Urväter des Grundgesetzes haben diesen Passus der geheimen Wahl daher aus gutem Grund eingefügt. Die Anonymität stärkt das demokratische Gerüst, alles Andere wäre schnell totalitär. http://www.wahlrecht.de/


Und auch bei Betriebsratswahlen ist das Vorschlagswesen geheim möglich. Erst durch den Schutz der Person trauen sich Menschen in Abhängigkeiten, Tacheles zu reden. Leider ist das noch so, möchte man anfügen. Aber wir sind alle Menschen. Und wie singt doch Grönemeyer: ... weil er lacht, weil er irrt.

Und dann kommen wir zu den neuen Kommunikationsmedien an sich: Das Internet. Auch hier gibt es die Möglichkeit, sich mit Pseudonymen anzumelden. Und keiner stört sich dran. Alle lassen sich auf diese Formen in den sozialen Netzwerken (und nicht nur da, auch als Kommentierungen in den Online-Zeitungen ist das möglich) ein. Es ist legitim. Die Netze haben ihre eigenen Regeln – und krasse Verstöße werden schnell von der Gemeinschaft selbst geahndet. Das Netz korrigiert sich selbst. In direkter Diskussion.

Wer nun die Anonymität in der Onlineplattform abschaffen will, der will zukünftig eigentlich KEINE Beteiligung der Bürger mehr. Das müssen sich die CDU, die UWG, die FDP, die BfGT und teils auch die Grünen schon anhören.

Denn wer sagt mir, dass die genutzten vollen Namen die richtigen sind? Meldet sich etwa einer unter „Heinz Müller“ an, dann kann das stimmen. Muss aber nicht. Und was ist, wenn Heinz Müller gar nicht D E R Heinz Müller ist, von dem man annimmt, dass er das ist? Auch hier gibt es keine Garantie. Und was heißt das schon? Ein Name?

Nehmen wir mal das Beispiel Hans-Dieter Hucke. Wer in Gütersloh Zeitung liest, kennt ihn als einen Funktionär im Tauchsport. Man kennt ihn aber auch als CDU-Ratsmann. Man kennt ihn auch als Mitglied im Krankenhausausschuss. Wenn jetzt Herr Hucke einen Vorschlag einbringt, in welcher Funktion bringt er den denn dann ein? Als Lobbyist für den Gütersloher Tauchsport oder als CDU-Mann? Spannend wird das in der Frage darum, ob Gütersloh etwa ein neues Hallenbad braucht.
Gleiches Spiel beim Landrat Adenauer. (Ein Bürgerhaushalt wird auch auf Kreisebene diskutiert). Er ist nicht nur Landrat, sondern natürlich auch CDU-Mitglied. Er hat aber auch noch 33 weitere Nebentätigkeiten als Funktionär. Durften wir gerade in der Zeitung lesen und auf seiner Homepage. Als was (?) spricht er denn nun, wenn er einen Vorschlag machen würde? Als Bürger? Schwer zu sagen. Namen sind nichts als Schall und Rauch.

Gerne wird hier ja auch auf die Leserbriefe verwiesen, die immerhin mit dem Namen unterzeichnet werden. Aber was sagen diese Namen denn an dieser Stelle aus? Nichts. Nur dem, der die Zusammenhänge und unterschiedlichen Posten kennt. Und: Liegt es nicht oft auf der Hand – und in der menschlichen Natur – dass bestimmte Vorschläge gleich (gedanklich) in die Mottenkiste wandern, nur weil sie von einer bestimmten Person kommen? Haben wir doch in der Politik immer wieder erlebt: das ist doch von den Grünen, der Vorschlag ist gut, aber man kann doch da nicht zustimmen. Und: Werden Leserbriefe nicht auch manchmal „kanalisiert“, als Bürgerbriefe deklariert, aber hinter den Kulissen sind sie eindeutig zuzuordnen?  

Namen sind auf der Onlineplattform für den Bürgerhaushalt nicht das Kriterium. Sie sind sogar unbrauchbar. Es kommt auf den Inhalt an. Das ist nirgends so deutlich, wie an dieser Stelle. Der Inhalt der Forderungen muss selbsterklärend sein, dann zieht er und gewinnt Anhänger – oder Ablehnung. Auf den Namen schaut bei Qualität doch keiner.

Die Forderung nach Abschaffung der Anonymität folgt daher lediglich dem Schema der bisherigen politischen Kultur: Kenn ich Dein Gesicht, lehne ich Dich ab. Kenn ich den Namen, steck ich dich in eine Schublade.

Es geht aber mittlerweile um mehr. Es geht um neue Pfade, um die Dekonstruktion von Gräben und Mauern. Es geht um die Sache. Es geht um ein Miteinander in einer Stadt. Um den Wettbewerb der Ideen. Es geht nicht um niedriges Niveau des personellen Abstrafens oder den Boulevard. Es geht um die Zukunftsgestaltung einer Stadt. Und wenn man da schon nach wenigen Metern neuer Wege umkehrt, dann wird Politik nichts verändern. Dann bleiben wir im Zustand wie gesehen. Politik all zu oft im "nichtöffentlichen Teil" der Ausschüsse, da sind Namen dann auch egal.

Freitag, 25. März 2011

Telefonieren - die zu lernende Kunst des Weghörens



Endlich konnte ich einparken - nachdem auch die Dame vor mir ihren silbernen BMW in einer Parkbucht auf dem Konrad-Adenauer-Platz passend zum Stehen gebracht hatte. Was für Frauen ja angeblich so schwer ist, wog bei ihr noch doppelt: Eine Hand am Lenkrad, die andere am Handy. Sie kurvte und kurvte. Nun stiegen wir gleichzeitig aus. Sie immer noch mit der Hand am tragbaren Telefon. Laut und deutlich konnte ich jetzt hören, was ich vorher nur gesehen hatte. 
Mit ihrem Stimmvolumen hätte sie auch locker ein Theater bespaßen können. Mit dem Inhalt ihres Gesprächs gleichermaßen: Sie fabulierte über ihren Traum der letzten Nacht. Wen das wohl am anderen Ende der Leitung interessierte, fragte ich mich. Konzentriert hatte ich versucht, wegzuhören. Erfolglos. Meine ungebetene Begleiterin ließ sich nicht beirren, parlierte munter lauthals weiter vor sich hin. Fliehen war unmöglich, wir hatten wohl den gleichen Weg. Für kurze Zeit das gleiche Ziel. Zum Rathaus.

Auf halber Strecke war sie am Kern ihrer Geschichte angelangt: Sie habe von Sex mit dem Freund ihres Freundes geträumt, trällerte sie. Ich immer in Hörweite, was sie weiter nicht irritierte – mir aber die Augenbrauen in die Höhe schnellen ließ. „Nee, weißte, keine Skrupel, den zu betrügen, voll krass.“ Ich sah die Leiden des Betreffenden vor mir. „War irgendwie ganz geil. Und so frei.“ Ich mittlerweile drei Schritte hinter ihr. Doch sie sprach immer noch lauter als der Lärm der Umwelt. „Du, ich stehe nicht so auf Beziehungen, die so gleichförmig sind, ohne Streit und ohne große Versöhnungsszenen, bin ja jung, und der Typ hat mich immer schon angemacht. Jetzt träume ich auch noch von dem, und dann solche Sachen. Ei das war so krass, sage ich Dir.....“ Ungebremst mit schriller Stimme der Euphorie offenbarte sie ihr Intimstes. Ich bog ab, endlich, der ungewollten Erotikshow entkommen. Die Generation Feuchtgebiete hatte den öffentlichen Raum erobert. Adé Shakespeare mit dem Wirksamen des Nichtausgesprochenen.

Jetzt war ich nachdenklich geworden. Sehr sogar.

Denn keine drei Tage vorher war ich schon einmal ungewollt Zeugin eines Beziehungsdramas geworden. Da hatte ich im Zug gesessen und den Fehler begangen, keinen weißen Ohrstöpsel im eigenen Ohr zu tragen, was mich von der Außenwelt hätte retten können. Da saß mir eine junge blonde Frau im sardinendosenvollen Abteil gegenüber. Ich musste schon höllisch aufpassen, dass sich unsere Knie nicht bei jeder Bewegung berührten. Und dann dieses Gespräch: Sie trug ein Headset und offensichtlich rief sie gerade jemanden an. „Hei,“ eröffnete sie ganz harmlos. Die Antwort blieb mir verborgen. Wenige Sekunden später, setzte mein Gegenüber fort: „Man, ich dachte, du würdest schlafen, haste gesagt und dabei guck ich in facebook, dass du mit der Schlampe gepostet hast, für die hast du Zeit oder was?“ Ich zog mein Knie nun ganz weit von ihrem weg. Instinktiv duckte ich mich ein wenig in meiner dicken Jacke.

Weiter ging es: „Was hast du mir denn mitgebracht? Gefällt mir das?“ Pause. „Wenn du schon so anfängst, dann wohl nicht. Du bist echt scheiße. Behalt den Scheiß. Findest du die gut, die Tussi?“ Verzweifelt schaute ich nach draußen auf die an uns vorbei fliegenden Lichtkegel. Mittlerweile drehten sich auch zwei junge Männer zu der wenig Freundlichen um und verfolgten ihrerseits das Gespräch mit sichtlichem Interesse. Weiter ging es, während sie ungeduldig mit ihren ultralangen weißlackierten Fingernägeln auf ihrem Handy rumtippe. „Nee, brauchst mich nicht abzuholen. Ich will kein Stress. Nee, meine Jacke zieht die aber nicht an, man. Schüss.“ Stille. Ihre Hände endlich ruhig. Die beiden Zuhörer nebenan transportierten nun das Gehörte in ihre Sitzreihe: „Ei die Alte ist aber drauf, man. Völlig abgedreht, die möcht ich nicht als Freundin haben.“ „Nee, schwör dir, ich auch nich. Aber geiles Handy hat se.“ An der nächsten Haltestelle stieg sie aus. Eine Wolke der Energie hing einen kurzen Augenblick in der Luft. Der Zug fuhr weiter. Ihre Stimme aber blieb in meinem Kopf. Der Begriff der Unschuld bekommt im Zeitalter der omnipräsenten Kommunikation einen anderen Inhalt. Ob ich diese Gespräche hören will oder nicht, ich werde nicht mehr gefragt.

Und abends schaue ich Nachrichten um Acht. Im Ersten. Fukushima. Rauf und runter. Die Betroffenheit braucht ein paar Tage, bis sie wirklich fühlbar ist. Am Ende eines Berichtes folgt unvermittelt die Szene mit dem weißen Telefon. Ein Ur-altmodell, so wie die alten Bakelit-Dinger, noch mit Telefonkabel und Hörer an der Schnur. Die standen in großer Anzahl in einer langen Reihe auf einem Tisch. Dahinter schwarz gekleidete Menschen, meist Frauen. Weinend. Mit Taschentüchern von die Münder gepresst, damit die Schreckens- und Schluchzlaute nicht so laut entweichen können. Sie versuchten nach dem schrecklichen Erdbeben und dem Tsunami ihre Angehörigen zu erreichen. Keine Antwort am anderen Ende des Kabels. Funkstille. Gespenstische Stille. Leitung tot. Hier habe ich mir Wortwechsel gewünscht, denen ich gerne zugehört hätte. Hier hätten Worte einen Sinn ergeben.

Ich erinnere mich auch noch an meine Kindertage, als die alten Telefonhäuschen noch überall herumstanden. Wo man mit der passenden Menge Münzen erst in ein solches eintreten, vielleicht noch mühsam eine Telefonnummer in den welken Büchern nachschlagen musste. Um dann die altmodische kleine Drehscheibe zu bedienen, wobei man an der Länge des Zurückdrehens erkennen konnte, ob es eine neun oder vielleicht nur eine fünf war, die man gewählt hatte. Und hatte endlich jemand abgehoben, war erstmal nichts zu verstehen, weil der Lärm der durchratternden Münzen so laut war.  Derlei Gespräche hatten etwas Geheimnisvolles, Seltenes. Sie blieben in dem kleinen umbauten Raum der Sprechkabine gefangen, den Passanten, der Welt verborgen. Von außen zu erkennen waren einzig Lippenbewegungen des Sprechers. So oft ich im Zug sitze und die Worttiraden und Sprechhülsen meiner Umwelt hören muss, wünsche ich mir dieses lautlose Zeichen der Kommunikation sehnlichst zurück.

Nichts mehr zu sagen....

Donnerstag, 24. März 2011

Was kommt eigentlich nach dem Bürgerhaushalt? Alles wie bisher?

In der letzten Woche haben wir uns mit dem Bürgerhaushalt beschäftigt. In einer echten Gütersloher "Elefantenrunde" der Ratsfraktionen (alle sieben Fraktionen waren da: SPD, CDU, Grüne, FDP, BfGT, UWG, Die Linke) stand die Frage auf dem politischen Speisezettel, was eigentlich unter dem Strich des Bürgerhaushaltes steht. Die jeweiligen Antworten darauf finden sich im vorausgehenden Blogeintrag - und natürlich auch auf der Seite der Bürgerinitiative "Demokratie wagen". 

Aber: Spannend wurde es nochmal am Ende der Veranstaltung. Da habe ich nämlich die Frage gestellt, was eigentlich an Bürgerbeteiligung vorgesehen ist, wenn der Bürgerhaushalt keine (!) zweite Chance bekommt, sondern aufgrund der "Mängel" wie etwa die Anonymität der Nutzer von den Kommunalpolitikern eingedampft wird.

Das Ergebnis erstaunt nicht: Wenig Neues, wenig Kreatives auf dem Gebiet. Politik und Bürgerschaft stehen sich in dieser Fragestellung wie auf zwei Fronten gegenüber. Die Einen fordern mehr Beteiligung (dazu gibt es immer wieder Studien, die dies belegen und zur Zeit hat der Protest auf der Straße auch Hochkonjunktur), die Anderen verweisen auf die Modelle, die schon ausreichend da seien. Reflexartig wird seitens der organisierten Politik darauf verwiesen, dass die Bürger sich auch dahin begeben müssen, wo Politik "gemacht wird", nämlich in den Fraktionen, in den Bürgersprechstunden, an den politischen Stammtischen, in den Ausschüssen, im Rat. Doch hierher verirrt sich "der Bürger" offensichtlich schon lange nicht mehr. Übrigens auch nicht auf unsere Veranstaltung, denn diese war sehr spärlich besucht.

Einige Ansätze wurden aufgezeigt. Die SPD erklärte, dass sie mit den Aktiven einer Stadt ins Gespräch komme, sich da einbringe, wo Netzwerke entstehen, wo Anliegen formuliert werden und die Partei diese Impulse dann in die Ortspolitik übertrage. Eine weitere Möglichkeit sei die Nutzung der Ratsbürgerentscheide, wie sie die neue Gemeindeordnung NRW vorsieht. Die BfGT verwies auf die erfolgreichen Bürgerbegehren, die sie angestoßen und umgesetzt hat. (Siehe Theater Gütersloh). Auch die CDU sah die Notwendigkeit, stärker mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen, die Bürgerschaft durch Gespräche abzuholen, die Anliegen in den Wahlbezirken zu erfagen und ernstzunehmen.
Schade, dass der Vertreter der Grünen bei gerade dieser Frage nicht mehr anwesend war. Doch die Antwort findet sich zumindest auf der Homepage der Ortsgrünen, wenn man sich einmal auf die Verlinkungen durchklickt. Hier wird Claudia Roth zitiert, immerhin Bundesvorsitzende der Grünen (wobei ich umschalte, wenn sie irgendwo auftaucht - man kann sich das politische Personal nicht an jeder Stelle aussuchen.) Sie wirbt in ihrer Rede auf dem Demokratiekongress der Grünen am 11.3.2011 damit, "das radikaldemokratische Engagement gehöre zu den Grundpfeilern grüner Politik."
Die FDP und UWG sah sich eher auf der Seite der repräsentativen Demokratie, hier müssten die entscheiden, die rechtmäßig vom Volk gewählt worden sind. Ansonsten gelte auch hier der übliche Weg der Bürgerschaft in die politischen Formate, dort sei ausreichend Raum die Anliegen vorzubringen.

Mein Problem dabei: Die (Denk-)Ansätze sind von gestern. Will man die Menschen beteiligen, das heißt sie zu Mitgestaltern des politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses machen, braucht es neue Formen der Beteiligung. Das Internet ist eine davon. Man kann es finden wie man will, die Gefahren sind bekannt - aber: In keiner anderen Art und Weise sind so viele Menschen aktiviert und motiviert worden, sich zu beteiligen, wie auf den neuen Plattformen des Sozialen Netzwerke. Auch in der Enquete-Kommission zu mehr Bürgerbeteiligung in Online-Verfahren wird dieser Umstand berücksichtigt. Der Startschuss für das Beteiligungsexperiment ist am 16. März 2011 gefallen: Die vier Projektgruppen der Enquete-Kommission haben ihre Arbeitspapiere auf der neuen Beteiligungsplattform eingestellt.


Daher gilt es, die neuen Formen auch in Gütersloh beizubehalten - sogar einzuüben. Das beginnt nach Abschluss der Ratsentscheidung über den Bürgerhaushalt morgen im Rat mit der Auflistung der Abstimmungsverhältnisse in den politischen Gremien über die 3o Top-Vorschläge - bis sogar hin zu den nachfavorisierten 78 Vorschlägen aus den Fraktionen. Die Rubrik "Rechenschaft" muss transparent dokumentieren, wie sich die Fraktionen verhalten - und schließlich abgestimmt haben. Ergebnisse auf einen Blick sozusagen.

Zudem könnte die Plattform zum Bürgerhaushalt bis zur Einbringung des nächsten Haushaltes für die Abfrage von politischen Meinungsbildern in der Stadt genutzt werden. Eine erste solche
Nutzung wäre die Abfrage nach dem nächsten geplanten Großprojekt in der Stadt (liegt wohl in der politischen Realität, jetzt, wo das Haushaltsloch scheinbar (!!) doch nicht so groß ist.)
Die Frage könnte etwa lauten: Braucht Gütersloh ein neues Hallenbad? Zum Einstieg könnte diese Frage mit Ja oder Nein zu beantworten sein. Sie böte allemal einen ersten Überblick über die Willensbildung.

Zum Zweiten bietet der kommende Bildungsgipfel in der Stadt Gütersloh einen willkommenen Anlass, die Bürgerhaushaltsplattform zur Diskussion zu nutzen. Hier könnte dann schon eine sehr viel differenziertere Diskussion platzier werden, die der Komplexität der Thematik gerecht werden kann. Den Fragenkanon sollte eine Gruppe aus dem Bildungsausschuss erstellen: Welche Bildung will die Stadt?

Vielleicht wäre aber auch die Weiterentwicklung des Haushaltes an sich eine eigene Diskussion wert: Etwa, dass die Stadtteile ein eigenes Budget bekommen, welches sie selbst verwalten können und damit eigene Projekte initiiren können. Zu dem Gedanken der "Solidarkommune", in der das praktiziert werden könnte, gibt es schon Lesestoff:

http://dielinke.symbolisch.net/index.php?option=com_content&view=article&id=412:carsten-herzberg-von-der-buerger-zur-solidarkommune&catid=73:literaturtipps&Itemid=98
Eine weitere Komponente wäre etwa das Konzept des Community Organizing von Prof. Leo Penta. Es geht hier um neue Formen der Selbstorganisation der Bürgerschaft, in denen sich Menschen zusammenfinden, sich qualifizieren, ihre Anliegen selbst definieren und dann gemeinsam Wege zur Umsetzung finden. 

Am Ende aller Bemühungen, neue Formen der Beteiligung zu etablieren, könnte auch eine eigene Demokratiebilanz für die Stadt stehen, in der Beteiligung und Demokratie nicht nur zufällig erfolgen und vom Engagement Einzelner abhängen, sondern dem ausgesprochenen Willen der Politik entspringen: Das Konzept Demokratiebilanz gibt es bereits.

Die Ideen zur Beteiligung sind zahlreich. Es gilt sie allerdings zu diskutieren - und den Willen zur Umsetzung zu formulieren.

Da schließt sich der Kreis, denn ich hatte auch gefragt, wie lange die Anwesenden eigentlich schon Kommunalpolitik in den Gremien machen. Die Antwort: Da sitzen Einige schon in der dritten Ratsperiode in Amt und Würden. Vielleicht ist das dann auch schon keine wirkliche Demokratie mehr, denn Demokratie bedeutet auch Wandel. Und schließlich darf man gerne auch einmal den Altersdurchschnitt in unserem Kommunalparlament errechnen. Na? Ich weiß es....




Sonntag, 20. März 2011

Bürgerbeteiligung ja - aber bitte nicht mehr anonym

  Beteiligung ja – aber nicht mehr anonym: Podiumsdiskussion zum Bürgerhaushalt

Am kommenden Freitag (25. März 2011) wird der Rat den ersten Bürgerhaushalt in Gütersloh verabschieden. Was aber steht konkret für die Bürger unter dem Strich? Diese Frage war Anlass für die Bürgerinitiative „Demokratie wagen“, den Gütersloher Fraktionen abschließend auf den Zahn zu fühlen, wie die Politik diesen ersten Durchgang bewertet.

Alle waren sie der Einladung gefolgt. Es war ziemlich eng auf dem Podium, als sich die sieben Politiker der im Rat vertretenen Fraktionen in einem Halbkreis zusammenfanden: Thomas Ostemann (SPD), Markus Kottmann (CDU), Norbert Morkes (BfGT), Peter Kalley (UWG), Hans-Dieter Krause (FDP), Ludger Klein-Ridder (Die Linke) und Marco Mantovanelli (Grüne) stellten sich den Fragen der Inititaive und der nur spärlich anwesenden Bürgerschaft.

Erstaunt hat es keinen der Sieben, dass über 300 Vorschläge aus der Bürgerschaft eingegangen sind. Allerdings stand die Zahl der Vorschläge zur Diskussion: Peter Kalley etwa bestritt, dass es so viele waren, er verwies auf die Mehrfachnennungen und sogar Leerstellen. Sein "Parteikollege", die UWG ist ja keine Partei, Dr. Ahlert entrollte gar ein Poster mit einem "Beteiligungsgraphen", der minutiös belegen soll, wie mitgemacht wurde und vor allem wer. Mir war die wissenschaftliche Grundlage allerdings schleierhaft, denn die Daten dazu waren anonym und die Frauenhofergesellschaft hat hierzu keine Daten herausgegeben.
Thomas Ostermann dagegen formulierte deutlich, es habe vielmehr neue Anstöße zur politischen Diskussion gegeben, die inhaltlich sehr konträr diskutiert worden seien. Ein Stück gelebte Demokratie in einer Kommune. Hans-Dieter Krause hob hervor, dass einige Ideen aus der Bürgerschaft auch deutliche Indizien für das Missverständnis zwischen Politik und Bürgerschaft verdeutlichten, etwa wenn es um die Zuschüsse zur Fraktionsarbeit gehe oder aber um angeblich kostenfreies Parken vor dem Rathaus für die Politik. An diesem Punkt entwickelte sich eine muntere Diskussion über die vermeintliche "Politikverdrossenheit", die der Bürgerschaft attestiert werden könne. Dem entgegen stand die Replik aus der Bürgerschaft, es gebe keine Politikverdrossenheit, sondern vielmehr eine Parteienverdrossenheit. Dieser Deutung konnte sich die versammelte politische Mannschaft anschließen - wenn auch zähneknirschend.
Kritisch  wurde zudem die Qualität einzelner Nennungen und die Dopplung der Vorschläge im Bürgerhaushalt bewertet. Norbert Morkes erklärte, die Politik sei damit überfordert, die vielen Vorschläge in der Kürze der Zeit aber mit der gebührenden Ausführlichkeit zu diskutieren. Seine Aussage erntete keinen Widerspruch. Dass sich die Politik der Aufgabe durchaus gestellt habe, zeige auch die Liste der knapp 78 zusätzlich (zu den Top-30 des Bürgerhaushaltes) von den Fraktionen eingebrachten Vorschläge aus der langen Liste der Bürgerideen, so die Meinung der Aktiven. Mit der Ausnahme, dass die FDP und die UWG hier keine Auswahl getroffen haben - wer allerdings welche Vorschläge nachgereicht hat, bleibt offen. Lediglich die Nennungen, die den Planungsausschuss betreffen, sind nach einbringender Fraktion gekennzeichnet. (Nachlesbar in den Protokollen.)

Schade sei die Tatsache, dass es keine Übersicht über das abschließende Abstimmungsverhalten der Parteien auf der Onlineplattform selbst gebe, bemerkte ein Bürger. Hier sei noch eine Menge Nachholbedarf nötig, um die Rechenschaftsphase des Bürgerhaushaltes transpranet zu machen. „Die Bürger wollen schließlich auch wissen, was aus ihren Ideen geworden ist“, so die (sehr berechtigte) Forderung.

Der Bürgerhaushalt war in seinem ersten Durchlauf ein Experiment, so der Tenor aller Kommunalpolitiker. Ob es im nächsten Jahr einen zweiten Durchlauf gebe, hänge entscheidend davon ab, ob sich die offensichtlichen Mängel beheben lassen, so Kottmann. Einen Mangel sah er in der Annonymität der Nutzer. Diese dürfe es in einer zweiten Runde nicht wieder geben, so sein Ansatz. Dem schlossen sich die Vertreter der Grünen, der UWG, der FDP und auch der BfGT an. Die Grünen forderten zumindest die namentliche Nennung von Politikern, die sich als Nutzer am Bürgerhaushalt beteiligen.

Ein Bürger fragte, was den Güterslohern denn der Bürgerhaushalt wert sei und in der fogenden Diskussion müsse man offen klären, was die Politik bereit sei, für die Nachbesserung noch auszugeben.
 
Klein-Ridder gab zu bedenken, dass sich die Bürgerschaft vielleicht überhaupt nicht mehr beteiligen werde, wenn der Bürgerhaushalt nicht fortgesetzt werde. Ostermann verwies darauf, dass Beteiligung immer auch ein längerer Prozess sein müsse, dafür sei die Startphase schon sehr gut gelaufen.

Ob der Bürgerhaushalt zu mehr Demokratie beigetragen habe, war ein eigener Diskussionspunkt. Hier standen sich Bürger und Politiker in einer Grundsatzdiskussion gegenüber, die nicht nur in der Stadt Gütersloh geführt wird. Bürger fordern mehr Beteiligung, Politik verweist auf die vielen Möglichkeiten, die es schon gibt. „Warum sitzen so Wenige auf der Tribüne, wenn es um Politik in der eigenen Stadt geht?“, warfen Kalley und Krause ein. „Man muss den Bürger mitnehmen und neue Formen einführen,“ so ein Zuhörer dagegen. Ein Punkt der Debatte war die traditionelle Politikvermittlung, die durch das Internet und seine Möglichkeiten heute überholt scheint. Zumindest hier hat der Bürgerhaushalt die Erwartungen eingelöst: Die Beteiligung am Onlineverfahren war mit 1.700 Nutzern deutlich höher als die Zahl der Zuhörerschaft im alten Format bei der Podiumsdiskussion.




Mehr dazu unter:
www. Demokratie.wagen.org
www.Bürgerhaushalt-mitreden.mitgestalten.de


Sonntag, 13. März 2011

Gedanken aus Frankreich in der ostwestfälischen Provinz




ZAZ, je veux. Das für alle Schülerinnen und Schüler, die morgen wieder in die Schule pilgern und sich fragen, warum sie denn diese Sprache lernen sollen.
Neben der enormen Lebensfreude, die der Text vermittelt, ist er auch noch politisch: "Euer Geld macht mich nicht an. Und: Ich will krepieren - mit der Hand auf dem Herzen."

Passt zumdem zum aktuellen Aufreger aus Frankreich: Stéphane Hessel "Empört Euch!"
Deutschland Radio Kultur schreibt dazu:
"Man tritt dem 93-jährigen Stéphane Hessel nicht zu nahe, wenn man Empört Euch! als energischen Gruß vom Grabesrand bezeichnet. "Wie lange noch bis zum Ende?" fragt Hessel eingangs ohne Melodramatik und kommt sogleich zur Zeitdiagnose: Das "gesamte Fundament der sozialen Errungenschaften der Résistance" sei gegenwärtig in Frage gestellt, und zwar weil "die Macht des Geldes […] niemals so groß, so anmaßend, so egoistisch war wie heute".
Hessel glaubt, dass sich die Empörten stets mit "dem Strom der Geschichte" verbinden, während Gleichgültigkeit "das Schlimmste" sei. Er empfiehlt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 als universelle Orientierungsmarke. Sein stiller Optimismus stützt sich auf Hegels Geschichtsphilosophie, nach der die Menschheit sich auf einem schwierigen, aber unumkehrbaren Weg in die Freiheit befindet."

Was hat das alles mit der Provinz zu tun? Ganz einfach: Alles. Die Welt ist weit weg und doch so nah.

Freitag, 11. März 2011

Was steht unterm Strich - Farbe bekennen der Politik zum Bürgerhaushalt

Bürgerhaushalt Gütersloh  -  was steht unterm Strich?
Einladung zur Podiumsdiskussion der politischen Parteien im Rat mit der Bürgerinitiative "Demokratie wagen".
Donnerstag, 17. März 2011
19:00 Uhr, Brauhaus Gütersloh, kleiner Saal
Interessierte sind herzlich eingeladen.

Der erste Bürgerhaushalt für Gütersloh ist auf der Zielgeraden angekommen. Mit der Einbringung von Vorschlägen des Bürgerhaushalts in die Fachausschüsse hat die Phase der Rechenschaft begonnen, die mit dem Ratsbeschluss über den Haushalt - voraussichtlich am 25. März - endet.
Das sehr komplexe System der Bürgerbeteiligung im Onlineverfahren zum Bürgerhaushalt sollte gleich mehrere Ziele verfolgen und erreichen: Es sollte die Transparenz und die Legitimation politischer Entscheidungen erhöhen, es sollte vor allem die Erfahrungen und das Wissen der Gütersloher Bürgerschaft einbeziehen und nicht zuletzt die Bevölkerung für finanzpolitische Entscheidungen in der kommunalen Haushaltsmisere sensibilisieren.

Neben der Stärkung der Demokratie durch die direkte Beteiligungsmöglichkeit sollte den Bürgern zudem die Möglichkeit offen stehen, ihre eigenen Themen und Wünsche auf die politische Agenda der Stadt zu setzen und ein Mitspracherecht bei der Auswahl möglicher Zukunftsthemen zu nutzen.
Sind diese Ziele erreicht? Was steht unterm Strich?
Bevor nun der Rat seine letzte Entscheidung zu den von der Bürgerschaft eingebrachten Vorschlägen trifft, möchte die Initiative „Demokratie wagen!“ alle im Rat vertretenen Fraktionen auf ein Podium bitten. Folgenden Fragen wollen wir den Vertretern der Fraktionen auf dem öffentlichen Podium stellen:
  1. Wie stehen Sie zu der Liste der Vorschläge, was ist für Sie realisierbar und was nicht? (Jede Fraktion hat drei Minuten Zeit zur Präferierung)
  2. Wie finden Sie den ersten Durchgang zum Bürgerhaushalt 2011?
  3. Wird das Verfahren zum Bürgerhaushalt wiederholt?
Zwecks Planung und Ankündigung haben wir die Fraktionen um eine konkrete Rückmeldung bis zum Freitag, 11. März 2011 gebeten.

Dienstag, 8. März 2011

Der Rentenbescheid

Eine satirische Betrachtung zum Weltfrauentag am 8. März

Noch bin ich keine Rentnerin. 23 Jahre trennen mich noch von einem solchen Dasein. Gut dass ich diesmal kein Mann bin, dann wären es zwei Winter mehr. Trotzdem sieht sich der Deutsche Rentenversicherer Bund bemüßigt, mir dieser Tage wie schon einmal im Vorjahr meine persönliche Rentenhochrechnung per Post ins Haus zu schicken. Wie allen versicherten, berufstätigen Bürgern dieses Landes gleichfalls, nehme ich an. Wie hoch wohl die Portokosten dafür ausgefallen sind und aus welcher Kasse werden die bezahlt?

Der Inhalt des Briefes zeigt sich knapp und informativ, dennoch ist ein warnender Zeigefinger durch die Zeilen zu erkennen: Würde ich in dem Maße weiterzahlen wie bisher, bekäme ich 2030 gerade einmal xx Euro Rente im Monat. So das Rechenexempel der Profis. Du musst privat vorsorgen, wenn Du im Alter überleben willst, schießt es mir durch den Kopf während ich aus dem Bürostress kommend mir noch den Mantel ausziehe und gleichzeitig die Einkäufe im Kühlschrank verstaue. Mit diesem Gedanken lege ich das Schreiben mit der noch freien Hand auf den Stapel unerledigter Lebensverwaltung.

Die Wirkung der Rentenbotschaft allerdings setzt unvermittel und etwas später ein, ein Wirkungsgrad wie eine bittere Pille mit Langzeitwirkung. Renteneintritt mit 65. Bis zum Jahr 2030 waren es nur noch 23 Sommerurlaube, 23 Weihnachtsfeste. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass schon 42 davon hinter einem lagen und diese Zeit verdammt schnell um war, zum größten Teil sogar beitragsfrei. Die Ausbildung und die Erziehungszeit für ein Kind fallen da kaum ins Gewicht. Und nach den verbleibenden 23 Jahren stehen am Ende magere xx Euro. Wie hoch war gleich die Inflationsrate, die Steigungsrate der Lebenshaltungskosten? Hatten die Stadtwerke nicht letzte Woche schriftlich höhere Energiepreise angemeldet? Und den Zapfhahn ließ ich beim letzten Tanken genau dann ausrasten, als die 20 Euro aufleuchteten, mehr war diese Woche nicht drin. Ein Liter für einen Euro fünfundfünfzig.

xx Euro - ein beunruhigender Hungerlohn für die Fleißarbeit, die Ausbildung, der Erziehungsanspruch und der tägliche Überlebenskampf, die schon hinter einem lagen. So langsam dämmerte mir die Schieflage der Gesellschaftspolitik: Als alleinerziehende Mutter mit einem 12-jährigen Sohn war ich ja schon heute finanziell nicht auf Rosen gebettet. Und dabei begann alles doch so hoffnungsvoll: Abitur. Mädchen sind ja schulisch immer besser als Jungs. Eine Ausbildung mit Abschluss. Ein Hochschulstudium, mit vorzeigbarerer Semesteranzahl, nämlich zehn inklusive bestandener Magisterprüfung und einer gleichzeitigen Aushilfstätigkeit, um ab und zu ein gutes Buch auf dem Nachttisch liegen zu haben - und zeitgleich Praxisbezug im Lebenslauf herzustellen. Dann der erste Einstieg ins Berufsleben, natürlich befristet. Und kurz darauf das erste Kind. Dann der Bruch im Leben. Kennen ja viele: Scheidung, Patchwork, neue Lebensentwürfe und so weiter. Willkommen im Land der Alleinerziehenden. Wie war das noch gleich, Frau Ministerin? Wir wollen die Familien im Lande wieder in den Mittelpunkt stellen? Blöd nur, dass dabei so viele Alleinerziehende noch mehr an den Tellerrand der Nation verschoben wurden. Komischer Denkansatz bei der belegbaren Scheidungsrate. 

Wie durch ein Wunder ergab sich die Möglichkeit der Teilzeitarbeit im studierten Fachgebiet. Aber eben nur Teilzeit. Was wiederum überhaupt ein guter Grund war, damals einen Kindergartenplatz zu bekommen. Der auch schon seiner Zeit nicht ganz billig war. Und wenn man dann in einem Betrieb erstmal als Teilzeit geparkt ist, bleibt man an eben dieser Parkuhr stehen. Alleinerziehend: Da drohen dauernd kranke Kinder am Horizont, das Verlassen des Büros mit fliegenden Fahnen und zwangsweiser Telearbeit bei maximal 10 Tagen Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Wie das mit der Beförderung geht, kann man sich immer gerne bei den männlichen Kollegen ansehen. Damit man weiß zum mindest theoretisch, wie das im Prinzip laufen könnte. Teilzeit übersetzt in den Alltag bedeutet Sparen, wenig Zeit, selten Teilhabe und Schmalhans Küchenmeister. Wir kochen nicht mit dem goldenen Löffel, sondern mit dem Taschenrechner. Miete, Nebenkosten, Kindergarten, Hort. Kleidung. Schuhe. Ach ja. Für was man alles Schuhe braucht, wird einem erst mit Kindern klar: Hausschuhe, Winterschuhe, Sandalen, Turnschuhe – weiße Sohle für drinnen, schwarze für draußen – und diese selbstverständlich stets in passender Größe, mindestens dreimal im Jahr. Warum vergeben die Schuhhersteller eigentlich keine Langzeitabonnements? Das wäre mal Kundenbindung. 
 
Ein Segen – es kommt zum Teilzeiteinkommen noch das üppige Kindergeld von 184 Euro für das erste Kind hinzu. Mein Kind wird später sicher keine Lust haben, sich dann auch noch um die alte Mutter zu kümmern, geschweige denn, sie mit ins Eigenheim zu nehmen. Und ein Altenheim müsste auch bezahlbar sein.

Mir kommt ein rettender Gedanke: Im Baumarkt neulich, da standen draußen ganz großartige kleine Blockhäuser. Mit einem Eingang und immerhin zwei Fenstern. Wenn ich frühzeitig, also heute (!) in solch ein Haus investieren würde, könnte ich später darin wohnen. Und vielleicht die Stadt fragen, ob sie nicht einen Stellplatz auf einer öffentlichen Wiese für diese Frauen-Häuser (das nenne ich mal einen moderenen Transfer von Sprachgebrauch!) ausweisen möchte. Die Anschlussgebühren wären dann schon in den Tagen der Berufstätigkeit zu entrichten und schlagen beim Renteneintritt nicht mehr zu Buche. Also diese Vorstellung beruhigt mich. Das hat Perspektive – vielleicht sollte ich diese Idee gegen ein Honorar an die zahlreichen Baumarktketten in Deutschland verkaufen? Und zum Weltfrauentag gibt es dann schon mal Rabatt auf das künftige Eigenheim. Dann kann mich auch so ein Schreiben vom Deutschen Rentenversicherer nicht mehr umhauen.

Montag, 7. März 2011

Bürgerhaushalt auf der Zielgeraden....

Letzte Woche erreichte mich ein Fragekatalog einer Schülerin einer Oberstufe zum Projekt "Bürgerhaushalt in Gütersloh". Spannende Fragen hat sie gestellt. Hier die Antworten:
1.
Wie sind Sie mit dem Verlauf des Bürgerhaushaltes Gütersloh zufrieden?


Die Antwort würde ich gerne differenzieren: Bisher zeichnen sich vier Phasen des Verlaufs ab. Mit Phase eins bis zwei bin ich sehr zufrieden, mit Phase drei bin ich keinesfalls zufrieden und Phase vier lässt sich noch nicht abschließend bewerten.

Phase 1 – Der Ursprung:
Der Bürgerhaushalt feiert seine Geburtsstunde bereits im Mai 2009: Im Frühjahr 2009 wurde das Konzept zur Haushaltskonsolidierung durch das Beratungsunternehmen Rödl&Partner (Nürnberg) in der Stadt Gütersloh verabschiedet – mit weitreichenden Folgen für die städtische Infrastruktur sowie viele freiwillige Leistungen der Stadt, die insgesamt gekürzt und sogar gestrichen werden sollten. Es ist damit der Eindruck entstanden, ein Konzept „von der Stange“ gekauft zu haben, welches vor allem einen sozialpolitischen Kahlschlag nach sich ziehen würde. Insbesondere durch das angekündigte Streichpaket im Bereich Bildung und Schulbibliotheken. Aus dieser Situation heraus hat sich die Bürgerinitiative „Demokratie wagen“ gegründet; dies mit dem Hauptziel, einen Bürgerhaushalt für Gütersloh zu etablieren, an dem sich die Bürger als direkt Betroffene mit ihrem breiten Wissen selbst über die Finanzpolitik austauschen und nicht ein externes Beratungsinstitut.

Die Initiative hat daraufhin ein Bürgerbegehren angestrebt und bereits rd. 2.700 Unterschriften dazu gesammelt. Zeitgleich stand im Herbst 2009 die Kommunalwahl in NRW auf der Tagesordnung. Durch den politischen Druck - bedingt durch die Haushaltsmisere - haben sich die damals im Rat befindlichen Fraktionen/Gruppierungen dazu entschlossen, die Idee eines Bürgerhaushaltes aufzugreifen und den Ratsbeschluss gefasst, diesen für das Haushaltsjahr 2011 einzuführen. Die Verwaltung wurde beauftragt, hierzu ein Konzept zu erstellen. Mit diesem Schritt war das Bürgerbegehren der Initiative hinfällig geworden.

Der Prozess bis zur Einführung eines Bürgerhaushaltes ist gut gelaufen. Es hat sich gezeigt, dass ein zunächst kollektives „Gefühl“ für unzumutbare Belastungen in einer Stadt zu einem unüberhörbaren Protest und später zu konkreter politischer Handlung führt. Das ist ein lebendiger Beweis dafür, dass die Menschen in einer Stadt nicht unpolitisch sind, sondern sich „ihre“ Politik auch wieder zurückholen können und Alternativen zu üblichen Entscheidungsprozessen entwickeln.

Phase 2: Die Konzeption und Durchführung des Bürgerhaushaltes
Die Verwaltung hat den Ratsbeschluss zur Einführung eines Bürgerhaushaltes konsequent umgesetzt – und hat zumindest die Erwartungen der Bürgerinitiative weit übertroffen. Die Verwaltung, insbesondere die Verantwortliche Kämmerin Christine Lang, hat von Anfang an auf ein großes Maß an Transparenz gesetzt und die Beteiligten sehr eng in den Entstehungsprozess zum Bürgerhaushalt einbezogen. Viele Fachgespräche sind geführt worden, die Pros und Cons wurden ausgetauscht, diskutiert und sind als wichtige Entwicklungsschritte mit in den Bürgerhaushalt eingeflossen.
Besonders wichtig war der Initiative, dass nicht nur Sparvorschläge eingebracht werden können, sondern auch politische Präferenzen, Meinungsbilder und Alternativen vorgeschlagen werden konnten. Diesen Wunsch teilte auch die Verwaltung und schließlich auch die Fraktionen, die dieses Format im Fachausschuss abgesegnet haben. Ferner wurde ein Gremium eingerichtet, welches den Prozess zum Bürgerhaushalt begleiten sollte, bestehend aus den Vertretern der Politik sowie einem Querschnitt von Bürgern aus dem Gesamtspektrum der Stadt.

Die Durchführung der Beteiligungsphase ist gut gelaufen. Die angesetzten drei Wochen der Online-Phase waren durchaus ausreichend. Problematisch war vielleicht der Zeitpunkt generell vor Weihnachten. Es hat sich gezeigt, dass eine Fülle an Vorschlägen eingegangen ist. Die Vorschläge sind dabei unterschiedlich zu gewichten, da es nicht nur haushaltsrelevante Ideen gab, sondern eben auch politische Anregungen wie etwa die Mittagsverpflegung von Schülern und Schülerinnen im Ganztagsschulbetrieb etc. Nicht nur die Zahl der eingebrachten Vorschläge von rd. 330, sondern auch die Beteiligung von 1,7 Prozent sowie die Häufigkeit der Klicks auf der Seite zeugen von einem hohen Interesse in der Bürgerschaft. Auch die zahlreichen Kommentare zeigen eine intensive Diskussion um kommunalpolitische Themen. Die Haushaltsdiskussion in der herkömmlichen Tradition wäre so gelaufen, dass ggf. zwei bis drei Interessierte auf der Tribüne gesessen hätten und dem Verfahren hätten lauschen können. Handlungsoptionen hätten sie nicht gehabt - und auch keine Möglichkeit des politischen Agenda-Settings, so wie jetzt beim Bürgerhaushalt.

Die Konzeptionsphase ist sehr offen und transparent gelaufen. Zudem bestand durch die stets offene Einladung der Bürgerinitiative an alle Interessierten auch zu dieser Zeit die Möglichkeit, sich auch schon im Prozess zu beteiligen. Die Phase der Durchführung wurde überschattet durch die Vorwürfe der Mehrfachnennungen sowie der unerlaubten Nutzung durch externe Nutzer. Diese war geknüpft an die Frage der Feuerwehr, die zu einer Berufsfeuerwehr umdeklariert werden sollte. Die Probleme der Mehrfachnutzung, der anonymen Nutzung und damit der Nutzung durch Externe sind bekannt, waren auch kalkuliert. Im ersten Durchlauf stand die Frage der niedrigschwelligen Beteiligung ganz oben. In einem zweiten Durchgang müsste man sich ggf. über einige Änderungen austauschen. Hierzu hat die Initiative bereits Vorschläge gemacht. Kritisch zu hinterfragen ist auch die mediale Strategie aller Beteiligter. Hier gibt es sicher noch mehr Möglichkeiten, den Bürgerhaushalt noch öffentlicher zu machen. Insbesondere in der Schülerschaft der Stadt war die Werbung für den Bürgerhaushalt eher schlecht. Und das, obwohl gerade Jugendliche hier besonders angesprochen sind, wenn man das Stichwort „Schuldenabbau“ und „Generationengerechtigkeit“ ernst nehmen will. Problematisch ist m.E. die Stellung des Beirates, der im Prinzip völlig wirkungslos und intransparent gearbeitet hat.

Phase 3: Die Rechenschaftsphase
Zur Zeit laufen die Diskussionen über die Vorschläge aus dem Bürgerhaushalt in den jeweiligen Gremien und Ausschüssen. Dazu hat einerseits die Verwaltung fachspezifische Vorschläge vorgelegt. Andererseits haben sich die Fraktionen dazu ausgetauscht und positioniert. Leider ist diese Phase überhaupt wenig transparent. Außer der Auflistung der Verwaltungsvorschläge dazu auf der Bürgerhaushaltsplattform findet sich kaum ein Hinweis auf die inhaltlichen Dikussionen. Auch die Parteien sind hier wenig transparent, wobei nach Fraktionen stark differenziert werden muss: Es ist schon deutlich interpretierbar, wer hinter dem Format Bürgerhaushalt steht und wer nicht. Ansonsten findet das Politikgeschäft in dieser Phase fast wie gehabt ohne öffentliches Interesse statt. Zudem laufen viele der Vorschläge ins politische Nichts, da sie entweder schon einmal beraten wurden oder dem Haushaltssicherungsvorschlag von Rödl&Partner unterliegen und bereits abgestimmt wurden oder aber weil die Verwaltung den Vermerk vergeben hat, zur Zeit bestehe kein Handlungsbedarf (etwa im Bildungsausschuss). Auch die politischen Parteien bieten keinerlei Formate zur Diskussion der Inhalte an, weder real noch im Netz. Funkstille. Die Verbreitung von Pressemitteilungen ist daher die Politikvermittlung der „alten“ Tage. Einbahnstraßenkommunikation. Die gewünschte Transparenz und die fortgesetzte öffentliche Diskussion fehlen fast komplett.

Phase 4: Der Ratsbeschluss zur Verabschiedung des Haushaltes
Der Rat wird voraussichtlich am 25. März den Haushalt 2011 verabschieden. In der letzten Ratssitzung ist daher erwartbar, dass einzelne Aspekte der Vorschläge resümiert werden. Ein Aufrollen der politischen und bürgerschaftlichen Diskussion steht allerdings wohl eher nicht an. Zu erwarten ist zudem ein generelles Resümee zum Bürgerhaushalt. Ob dabei auch schon die Frage einer möglichen Fortsetzung im kommenden Jahr auf der Tagesordnung steht, ist noch offen. Meiner Einschätzung nach werden die Fraktionen, die den Bürgerhaushalt nicht wirklich wollen, bereits hier deutlich machen, dass es eine zweite Runde nicht geben wird.  Diese Entscheidung erwarte ich von der CDU, der FPD und der UWG.

2.
Würden Sie das Verfahren „Bürgerhaushalt“ wiederholen?

Ja. Die Initiative auf jeden Fall. Das entscheidet aber der Rat.
Generell steht fest: Erst die Wiederholung vertieft die Erkenntnisse aus dem Bürgerhaushalt und übt den Umgang damit ein. Die Wiederholung allerdings sollte bereits die Weiterentwicklung beinhalten, d.h. die Kinderkrankheiten der ersten Runde sollten verbessert sein: Hierzu liegt bereits ein Katalog der Veränderungen vor. (Abrufbar auf der Homepage der Bürgerinitiative).
Hinzugefügt werden sollte sicherlich die Erkenntnisse über die Votingphase, in der viele Vorschläge relativ wenig Votes bekommen haben. Ggf. muss die „Longlist“ der Vorschläge hier zugunsten einer Priorisierung eingeschränkt werden. Zudem muss der Umgang mit neuen direktdemokratischen Formaten zunächst einmal etabliert werden und in den politischen Alltag der Menschen einfließen. Aus der Erfahrung der fehlenden Diskussion in der Rechenschaftsphase kann man also nur lernen: Nicht nur die Bürgerschaft ist aufgerufen, sich auch hier mehr einzubringen, sondern auch die Politik ist aufgerufen, hier ihre Angebote und Entscheidungen transparent zu machen. An dieser Stelle wären politische Veranstaltungen angebracht gewesen. Zudem rechnet sich die Investition in den Bürgerhaushalt auch erst durch ein zweites und mehrfaches Verfahren.

3.
In welcher Weise ist er als Mittel der Bürgerbeteiligung geeignet?

Der Bürgerhaushalt ist ein direktdemokratisches Mittel – ohne dabei die Letztentscheidung des Rates als gewählte Instanz in Frage zu stellen. Dieses komplexe Verfahren der öffentlichen Beteiligung erfüllt in erster Linie das Ziel, die Transparenz der Politik zu erhöhen, Bürger für öffentliche Haushaltsbelange zu sensibilisieren (und damit auch Spannungsverhältnisse in der Entscheidung sichtbar zu machen), Legitimation für Entscheidungen zu erhöhen sowie die Kenntnisse und Fähigkeiten der eigenen Bevölkerung ernst zu nehmen und abzurufen. Es stärkt die demokratischen Strukturen, denn Politik im Dreiecksverhältnis Bürgerschaft, Politik und Verwaltung braucht die Beteiligung aller, um langfristig erfolgreich und tragfähig und effizient zu bleiben. Außerdem konnten die Bürger ihre eigenen Themen und Wünsche für die Stadt Gütersloh einbringen und die politische Agenda der Stadt damit offensichtlich machen. Nicht alles das, was die Politik glaubt, bereits bearbeitet zu haben, ist in der Bürgerschaft angekommen – oder gar akzeptiert. Zudem haben die Bürger am Ende auch ein Mitspracherecht bei der Auswahl und Umsetzung künftiger konkreter Vorhaben in der Stadt.

4.
Wurde die Zufriedenheit der Bürger erhöht?

Das ist nicht objektiv beantwortbar – man könnte hier einmal die Bürger selbst befragen. Zudem ist die Zufriedenheit sicher abhängig von den Phasen des Bürgerhaushaltes. Am Anfang war der Zuspruch sicher höher als er das zur Zeit ist. Teils aus den oben genannten Gründen. Ferner wäre es einmal eine Untersuchung wert, welche „Klientel“ eigentlich wie zufrieden ist: die junge Generation, die alte Generation, Schüler, Politikinteressierte, Neu-politisch-Interessierte? Die Bandbreite ist groß.
Um der Antwort ein wenig näher zu kommen: Ich denke, die Bürgerschaft kann damit zufrieden sein, wenn sich demokratische Beteiligungsformate überhaupt entwickeln. Jede Art von Beteiligung kann im Prinzip nur dazu beitragen, Zufriedenheit zu stiften. Wir Europäer sind ja sehr verwöhnt im Umgang mit „unserer“ Demokratie. Dass das aber nicht immer so bleiben muss, liegt auf der Hand. Demokratie lebt nur durch Demokraten. Die fallen nicht vom Himmel. Wer also zufrieden sein will, darf sich auch gerne einbringen.

Sonntag, 6. März 2011

Der Haushalt: Wie war das noch im letzten Jahr?

Am 25. März 2011 wird der Haushalt für 2012 beschlossen. Hier zur Erinnerung die Rede zum Haushalt 2011 von Bürgermeistern Maria Unger am 26.11.2010 im Rat:

Die Rede im TV: 
http://www.gueterslohtv.de/Kanal.html?channel=27&infotid=

Und zum Nachlesen auf der Seite der Stadt Gütersloh:
http://www.guetersloh.de/Z3VldGVyc2xvaGQ0Y21zOjM5MDU4.x4s

Samstag, 5. März 2011

`Schuldigung, ich suche "Seeed"

Für Günter zum Frühstück:

`Schuldigung, ich suche "Seeed" 

Neulich war ich in einem dieser riesigen Elektronik-Megastores. Dort, wo die Schließfächer ganz winzig sind, die Sherrifs am Eingang im Gegensatz aber ganz riesig und sich in ihrer Arbeitskleidung dem roten Schriftzug des Konzernnamens angepasst haben. Nein, der mit dem Geiz war es nicht.

Ich war auf der Suche nach einer CD. Ein Geschenk. Stand auf meinem Zettel ganz oben, weil sich der Geburtstag des Sohnes meiner Freundin jährte und ich eben einen Tonträger mit Musik schenken wollte. "Seeed" sollte es sein. In der Musikabteilung angekommen, ragten vor mir die unzähligen Regale auf wie die Klippen vor dem Festland von Australien.

Spätestens beim Anblick dieser Vielfalt bekomme ich immer einen leichten Schwindelanfall: man hat keine Zeit und muss trotzdem etwas suchen, von dem man ganz genau weiß, dass man es nicht finden wird. Was hab ich denn für eine Ahnung, unter welcher Musiksparte sich "Seeed" einreiht? Keine. Und dann standen da auch noch unzählige andere Kunden im Laden - uns einte die Ratlosigkeit, das Suchen und das planlose Meandern zwischen den Reihen. An der Theke (ja, die gibt es auch noch) stand ein einziger Fachverkäufer, der deutlich in einem Alter war, dass ich davon ausgehen konnte, Seeed müsste ihm geläufig sein. Er war umlagert von einer Traube von Fragenden - und kopfhörertragenden "Reinhörern" auf Barhockern. Meine Chance auf  Beratung oder Hilfe sank auf Null.

Gerade wollte ich gehen. Da drehte ich mich nochmal zu ihm um und hörte mich sagen: "`Schuldigung, ich bin Analphabetin und suche Seeed. Können Sie mir helfen?"

Mit dem Kopfhörer am einen Ohr, die Hand am CD-Player schoss sein Kopf hoch. Er hatte mich gehört. Wie die übrigen Kunden auch. Sekunden lang stand ich wie in einem Spottlicht. Die Röte schlich sich ganz zart in mein Gesicht, ich zog die Augenbrauen hoch - und wusste nicht, was die Menge jetzt mit mir anstellen würde. Und siehe da: Der Musikfachverkäufer legte seine Arbeit nieder, kam um die Theke herum auf mich zu, legte mir seine Hand auf den Unterarm und sprach: "Kommen sie doch bitte mit, ich kann ihnen zeigen, wo die CD zu finden ist", und führte mich fort. Unter den Argusaugen der Hörenden, die mich mit großem Interesse und einer Spur Mitleid musterten. Ein Segen hatte ich meine schwarze TCM-(Tschibo)Mütze auf dem Kopf und einen dicken Schal um den Hals, so dass ein späteres Wiedererkennen unmöglich war.

"Sie sollten einen Kurs belegen, um Lesen und Schreiben zu lernen", bemerkte der junge Mann am Ende meines Armes. Er führte mich immer noch wie einen Blinden durch die Regale. Sehen konnte ich ja. Fühlte mich nun wie Günter Wallraff und achtete streng darauf, nicht aus der Rolle zu fallen, das hätte mir der freundliche Helfer echt übel genommen. Sekunden später hielt ich "Seeed" in der Hand. Eine von mehreren Versionen. "Ich empfehle ihnen diese", schnitt er meine nächste Frage ab und ich war froh, nicht Nicht-Lesen zu müssen. "Danke", brachte ich heraus. "Das ist nett, dass sie nicht lachen." "Kein Problem. Musik geht ohne Buchstaben." - Fand ich super: PISA mal andersherum. "Die Letzten werden die Ersten sein" geht auch.
Danke!

Mittwoch, 2. März 2011

Wir gehen oder bleiben, ich bin hier: Manifest der Vielen

Manifest der Vielen  - heute mal etwas aus dem Arbeitsleben:

Ich halte ja nichts von Ohrwürmern: Also Musik, die man irgendwann so nebenbei aufschnappt, meistens aus dem Radio - und die einem dann nicht mehr aus dem Kopf geht. Unterschwellig ertappt man sich ständig dabei besagte Melodie vor sich hinzusummen. Meistens steckt dahinter eine eher simple Melodie, gestützt durch vielleicht zwei, drei Akkorde. Kinderlieder, Hymnen oder Schlager funktionieren ja so.

Aber dieser Ohrwurm, den ich gerade im Kopf habe, ist nicht nur etwas für das Unterbewusstsein - sondern eindeutig etwas für Kopf und Herz gleichzeitig: Das Manifest der Vielen! Schon gehört? Nein?

Der Song enthält neben einem treffenden Refrain "Wir leben heute schon in der Welt von morgen" außerordentlich politische Statements: "Wir gehen oder bleiben, ich bin hier" oder auch "Tanz den Sarrazin/den Mubarak..., mach Dir keine Sorgen" oder auch "Viele sind aus dem Takt". Schön auch die Anspielung auf die Vielen in der Sprache: Aussiedler, Einsiedler, Imigrant, Migrant, Menschen mit Vibrationshintergrund. Großartig. Finde ich. Und höre zu. Und denke nach.

Den Video-Clip dazu findet man hier:

http://www.youtube.com/watch?v=jQcKwA1fnzY

Und dann ist da noch das Buch erschienen - gleicher Titel: Manifest der Vielen.
Eine Antwort auf die Thesen von Herrn Sarrazin. Autorinnen und Autoren aus Kultur, Gesellschaft und Medien schreiben über ihr Leben in Deutschland, über Heimat und Fremde, über ihr Muslim-Sein oder ihr Nicht-Muslim-Sein anlässlich der Debatte um Sarrazin, so steht es im Buchdeckel. Herausgegeben ist es von Hilal Sezgin.

Es sind persönliche Geschichten, die die Autoren in und mit Deutschland erlebt haben, zusammengetragen auf 219 Seiten. Im Kern steht die Frage nach der Identität: Um sich nicht abzuschaffen, muss sich Deutschland neu erfinden, heißt es weiter.

Spannende Frage: Wenn sich Deutschland neu erfinden muss, was ist dann am Ende "die" Identität? Kann das überhaupt ein Fixum sein oder ist Identität nicht eher ein Prozess? Jeden Tag weiß ich mehr über das Leben, jeden Tag mache ich neue Erfahrungen mit der Vielfalt, die mich umgibt und mein "Sein" prägt. Schwanken wir nicht alle im Umfeld des "Andersseins"?

"Identitäten sind hochkomplexe, spannungsgeladene, widersprüchliche symbolische Gebilde - und nur der, der behauptet, er habe eine einfache, eindeutige, klare Identität - der hat ein Identitätsproblem" (Sami Ma´ari, arabischer Soziologe, zitiert nach Heiner Keupp: Auf dem Weg zur Patchwork-Identität?)

Ja, da schließt sich der Kreis zum Song "Manifest der Vielen": Irgendwann intergriere ich mich mit dir!