Letzte Woche erreichte mich ein Fragekatalog einer Schülerin einer Oberstufe zum Projekt "Bürgerhaushalt in Gütersloh". Spannende Fragen hat sie gestellt. Hier die Antworten:
1.
Wie sind Sie mit dem Verlauf des Bürgerhaushaltes Gütersloh zufrieden?
Die Antwort würde ich gerne differenzieren: Bisher zeichnen sich vier Phasen des Verlaufs ab. Mit Phase eins bis zwei bin ich sehr zufrieden, mit Phase drei bin ich keinesfalls zufrieden und Phase vier lässt sich noch nicht abschließend bewerten.
Phase 1 – Der Ursprung:
Der Bürgerhaushalt feiert seine Geburtsstunde bereits im Mai 2009: Im Frühjahr 2009 wurde das Konzept zur Haushaltskonsolidierung durch das Beratungsunternehmen Rödl&Partner (Nürnberg) in der Stadt Gütersloh verabschiedet – mit weitreichenden Folgen für die städtische Infrastruktur sowie viele freiwillige Leistungen der Stadt, die insgesamt gekürzt und sogar gestrichen werden sollten. Es ist damit der Eindruck entstanden, ein Konzept „von der Stange“ gekauft zu haben, welches vor allem einen sozialpolitischen Kahlschlag nach sich ziehen würde. Insbesondere durch das angekündigte Streichpaket im Bereich Bildung und Schulbibliotheken. Aus dieser Situation heraus hat sich die Bürgerinitiative „Demokratie wagen“ gegründet; dies mit dem Hauptziel, einen Bürgerhaushalt für Gütersloh zu etablieren, an dem sich die Bürger als direkt Betroffene mit ihrem breiten Wissen selbst über die Finanzpolitik austauschen und nicht ein externes Beratungsinstitut.
Die Initiative hat daraufhin ein Bürgerbegehren angestrebt und bereits rd. 2.700 Unterschriften dazu gesammelt. Zeitgleich stand im Herbst 2009 die Kommunalwahl in NRW auf der Tagesordnung. Durch den politischen Druck - bedingt durch die Haushaltsmisere - haben sich die damals im Rat befindlichen Fraktionen/Gruppierungen dazu entschlossen, die Idee eines Bürgerhaushaltes aufzugreifen und den Ratsbeschluss gefasst, diesen für das Haushaltsjahr 2011 einzuführen. Die Verwaltung wurde beauftragt, hierzu ein Konzept zu erstellen. Mit diesem Schritt war das Bürgerbegehren der Initiative hinfällig geworden.
Der Prozess bis zur Einführung eines Bürgerhaushaltes ist gut gelaufen. Es hat sich gezeigt, dass ein zunächst kollektives „Gefühl“ für unzumutbare Belastungen in einer Stadt zu einem unüberhörbaren Protest und später zu konkreter politischer Handlung führt. Das ist ein lebendiger Beweis dafür, dass die Menschen in einer Stadt nicht unpolitisch sind, sondern sich „ihre“ Politik auch wieder zurückholen können und Alternativen zu üblichen Entscheidungsprozessen entwickeln.
Phase 2: Die Konzeption und Durchführung des Bürgerhaushaltes
Die Verwaltung hat den Ratsbeschluss zur Einführung eines Bürgerhaushaltes konsequent umgesetzt – und hat zumindest die Erwartungen der Bürgerinitiative weit übertroffen. Die Verwaltung, insbesondere die Verantwortliche Kämmerin Christine Lang, hat von Anfang an auf ein großes Maß an Transparenz gesetzt und die Beteiligten sehr eng in den Entstehungsprozess zum Bürgerhaushalt einbezogen. Viele Fachgespräche sind geführt worden, die Pros und Cons wurden ausgetauscht, diskutiert und sind als wichtige Entwicklungsschritte mit in den Bürgerhaushalt eingeflossen.
Besonders wichtig war der Initiative, dass nicht nur Sparvorschläge eingebracht werden können, sondern auch politische Präferenzen, Meinungsbilder und Alternativen vorgeschlagen werden konnten. Diesen Wunsch teilte auch die Verwaltung und schließlich auch die Fraktionen, die dieses Format im Fachausschuss abgesegnet haben. Ferner wurde ein Gremium eingerichtet, welches den Prozess zum Bürgerhaushalt begleiten sollte, bestehend aus den Vertretern der Politik sowie einem Querschnitt von Bürgern aus dem Gesamtspektrum der Stadt.
Die Durchführung der Beteiligungsphase ist gut gelaufen. Die angesetzten drei Wochen der Online-Phase waren durchaus ausreichend. Problematisch war vielleicht der Zeitpunkt generell vor Weihnachten. Es hat sich gezeigt, dass eine Fülle an Vorschlägen eingegangen ist. Die Vorschläge sind dabei unterschiedlich zu gewichten, da es nicht nur haushaltsrelevante Ideen gab, sondern eben auch politische Anregungen wie etwa die Mittagsverpflegung von Schülern und Schülerinnen im Ganztagsschulbetrieb etc. Nicht nur die Zahl der eingebrachten Vorschläge von rd. 330, sondern auch die Beteiligung von 1,7 Prozent sowie die Häufigkeit der Klicks auf der Seite zeugen von einem hohen Interesse in der Bürgerschaft. Auch die zahlreichen Kommentare zeigen eine intensive Diskussion um kommunalpolitische Themen. Die Haushaltsdiskussion in der herkömmlichen Tradition wäre so gelaufen, dass ggf. zwei bis drei Interessierte auf der Tribüne gesessen hätten und dem Verfahren hätten lauschen können. Handlungsoptionen hätten sie nicht gehabt - und auch keine Möglichkeit des politischen Agenda-Settings, so wie jetzt beim Bürgerhaushalt.
Die Konzeptionsphase ist sehr offen und transparent gelaufen. Zudem bestand durch die stets offene Einladung der Bürgerinitiative an alle Interessierten auch zu dieser Zeit die Möglichkeit, sich auch schon im Prozess zu beteiligen. Die Phase der Durchführung wurde überschattet durch die Vorwürfe der Mehrfachnennungen sowie der unerlaubten Nutzung durch externe Nutzer. Diese war geknüpft an die Frage der Feuerwehr, die zu einer Berufsfeuerwehr umdeklariert werden sollte. Die Probleme der Mehrfachnutzung, der anonymen Nutzung und damit der Nutzung durch Externe sind bekannt, waren auch kalkuliert. Im ersten Durchlauf stand die Frage der niedrigschwelligen Beteiligung ganz oben. In einem zweiten Durchgang müsste man sich ggf. über einige Änderungen austauschen. Hierzu hat die Initiative bereits Vorschläge gemacht. Kritisch zu hinterfragen ist auch die mediale Strategie aller Beteiligter. Hier gibt es sicher noch mehr Möglichkeiten, den Bürgerhaushalt noch öffentlicher zu machen. Insbesondere in der Schülerschaft der Stadt war die Werbung für den Bürgerhaushalt eher schlecht. Und das, obwohl gerade Jugendliche hier besonders angesprochen sind, wenn man das Stichwort „Schuldenabbau“ und „Generationengerechtigkeit“ ernst nehmen will. Problematisch ist m.E. die Stellung des Beirates, der im Prinzip völlig wirkungslos und intransparent gearbeitet hat.
Phase 3: Die Rechenschaftsphase
Zur Zeit laufen die Diskussionen über die Vorschläge aus dem Bürgerhaushalt in den jeweiligen Gremien und Ausschüssen. Dazu hat einerseits die Verwaltung fachspezifische Vorschläge vorgelegt. Andererseits haben sich die Fraktionen dazu ausgetauscht und positioniert. Leider ist diese Phase überhaupt wenig transparent. Außer der Auflistung der Verwaltungsvorschläge dazu auf der Bürgerhaushaltsplattform findet sich kaum ein Hinweis auf die inhaltlichen Dikussionen. Auch die Parteien sind hier wenig transparent, wobei nach Fraktionen stark differenziert werden muss: Es ist schon deutlich interpretierbar, wer hinter dem Format Bürgerhaushalt steht und wer nicht. Ansonsten findet das Politikgeschäft in dieser Phase fast wie gehabt ohne öffentliches Interesse statt. Zudem laufen viele der Vorschläge ins politische Nichts, da sie entweder schon einmal beraten wurden oder dem Haushaltssicherungsvorschlag von Rödl&Partner unterliegen und bereits abgestimmt wurden oder aber weil die Verwaltung den Vermerk vergeben hat, zur Zeit bestehe kein Handlungsbedarf (etwa im Bildungsausschuss). Auch die politischen Parteien bieten keinerlei Formate zur Diskussion der Inhalte an, weder real noch im Netz. Funkstille. Die Verbreitung von Pressemitteilungen ist daher die Politikvermittlung der „alten“ Tage. Einbahnstraßenkommunikation. Die gewünschte Transparenz und die fortgesetzte öffentliche Diskussion fehlen fast komplett.
Phase 4: Der Ratsbeschluss zur Verabschiedung des Haushaltes
Der Rat wird voraussichtlich am 25. März den Haushalt 2011 verabschieden. In der letzten Ratssitzung ist daher erwartbar, dass einzelne Aspekte der Vorschläge resümiert werden. Ein Aufrollen der politischen und bürgerschaftlichen Diskussion steht allerdings wohl eher nicht an. Zu erwarten ist zudem ein generelles Resümee zum Bürgerhaushalt. Ob dabei auch schon die Frage einer möglichen Fortsetzung im kommenden Jahr auf der Tagesordnung steht, ist noch offen. Meiner Einschätzung nach werden die Fraktionen, die den Bürgerhaushalt nicht wirklich wollen, bereits hier deutlich machen, dass es eine zweite Runde nicht geben wird. Diese Entscheidung erwarte ich von der CDU, der FPD und der UWG.
2.
Würden Sie das Verfahren „Bürgerhaushalt“ wiederholen?
Ja. Die Initiative auf jeden Fall. Das entscheidet aber der Rat.
Generell steht fest: Erst die Wiederholung vertieft die Erkenntnisse aus dem Bürgerhaushalt und übt den Umgang damit ein. Die Wiederholung allerdings sollte bereits die Weiterentwicklung beinhalten, d.h. die Kinderkrankheiten der ersten Runde sollten verbessert sein: Hierzu liegt bereits ein Katalog der Veränderungen vor. (Abrufbar auf der Homepage der Bürgerinitiative).
Hinzugefügt werden sollte sicherlich die Erkenntnisse über die Votingphase, in der viele Vorschläge relativ wenig Votes bekommen haben. Ggf. muss die „Longlist“ der Vorschläge hier zugunsten einer Priorisierung eingeschränkt werden. Zudem muss der Umgang mit neuen direktdemokratischen Formaten zunächst einmal etabliert werden und in den politischen Alltag der Menschen einfließen. Aus der Erfahrung der fehlenden Diskussion in der Rechenschaftsphase kann man also nur lernen: Nicht nur die Bürgerschaft ist aufgerufen, sich auch hier mehr einzubringen, sondern auch die Politik ist aufgerufen, hier ihre Angebote und Entscheidungen transparent zu machen. An dieser Stelle wären politische Veranstaltungen angebracht gewesen. Zudem rechnet sich die Investition in den Bürgerhaushalt auch erst durch ein zweites und mehrfaches Verfahren.
3.
In welcher Weise ist er als Mittel der Bürgerbeteiligung geeignet?
Der Bürgerhaushalt ist ein direktdemokratisches Mittel – ohne dabei die Letztentscheidung des Rates als gewählte Instanz in Frage zu stellen. Dieses komplexe Verfahren der öffentlichen Beteiligung erfüllt in erster Linie das Ziel, die Transparenz der Politik zu erhöhen, Bürger für öffentliche Haushaltsbelange zu sensibilisieren (und damit auch Spannungsverhältnisse in der Entscheidung sichtbar zu machen), Legitimation für Entscheidungen zu erhöhen sowie die Kenntnisse und Fähigkeiten der eigenen Bevölkerung ernst zu nehmen und abzurufen. Es stärkt die demokratischen Strukturen, denn Politik im Dreiecksverhältnis Bürgerschaft, Politik und Verwaltung braucht die Beteiligung aller, um langfristig erfolgreich und tragfähig und effizient zu bleiben. Außerdem konnten die Bürger ihre eigenen Themen und Wünsche für die Stadt Gütersloh einbringen und die politische Agenda der Stadt damit offensichtlich machen. Nicht alles das, was die Politik glaubt, bereits bearbeitet zu haben, ist in der Bürgerschaft angekommen – oder gar akzeptiert. Zudem haben die Bürger am Ende auch ein Mitspracherecht bei der Auswahl und Umsetzung künftiger konkreter Vorhaben in der Stadt.
4.
Wurde die Zufriedenheit der Bürger erhöht?
Das ist nicht objektiv beantwortbar – man könnte hier einmal die Bürger selbst befragen. Zudem ist die Zufriedenheit sicher abhängig von den Phasen des Bürgerhaushaltes. Am Anfang war der Zuspruch sicher höher als er das zur Zeit ist. Teils aus den oben genannten Gründen. Ferner wäre es einmal eine Untersuchung wert, welche „Klientel“ eigentlich wie zufrieden ist: die junge Generation, die alte Generation, Schüler, Politikinteressierte, Neu-politisch-Interessierte? Die Bandbreite ist groß.
Um der Antwort ein wenig näher zu kommen: Ich denke, die Bürgerschaft kann damit zufrieden sein, wenn sich demokratische Beteiligungsformate überhaupt entwickeln. Jede Art von Beteiligung kann im Prinzip nur dazu beitragen, Zufriedenheit zu stiften. Wir Europäer sind ja sehr verwöhnt im Umgang mit „unserer“ Demokratie. Dass das aber nicht immer so bleiben muss, liegt auf der Hand. Demokratie lebt nur durch Demokraten. Die fallen nicht vom Himmel. Wer also zufrieden sein will, darf sich auch gerne einbringen.