Ausgangspunkt in Teil 1 war ja die These: Die Bürger sind nicht politikverdrossen. Sie vermessen den politischen Raum neu und überlassen diesen nicht mehr nur den Gewählten. Dazu braucht es Informationen.
Schauen wir heute einmal auf die Informationsvermittlung durch die Parteien. In Artikel 21 (1) im Grundgesetz heißt es, Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit. Und auch: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus (Artikel 20 (2) GG). Demnach wird der Bürger nun alle fünf (!) Jahre in der Kommune zu einem Votum an die Wahlurne gebeten. Ein Bürger, eine Stimme - also eine für den Rat, eine für den Kreistag. Die Bürgermeister und Landräte werden seit kurzem von der Kommunalwahl entkoppelt gewählt. Die eigene Wählerstimme aufspalten kann man in NRW nicht: Kumulieren und Panaschieren, wie das in anderen Bundesländern teilweise möglich ist, fehlen hier. Das heißt, die Wahlstimme ist "ganz". Ein prozentuales Abwägen analog der Parteiprogramme gibt es also nicht. Wenn der Wahlzettel in der Wahlurne verschwunden ist, ist damit streng genommen die urdemokratische Möglichkeit ausgenutzt.
Eine lebendige Demokratie aber zeichnet sich dadurch aus, dass auch zwischen den Wahlterminen eine aktive und kritische Mitwirkung an politischen Diskussionen und Entscheidungen möglich ist. Will man mitreden, braucht es mehr als nur ein Kreuzchen zu machen. Regelmäßiges Lesen der Tageszeitung etwa ist ein Weg der Information. Aber auch das Anklicken der Homepages der Parteien. Schließlich will man gerne aus erster Hand wissen, worum es geht und wie die Positionen sind: Sieben Fraktionen sind in dieser Ratsperiode im Rat der Stadt Gütersloh vertreten: CDU, SPD, Grüne, BfGT, FDP, UWG, Die Linke. Das allein ist schon eine Bandbreite an sich, die eine Herausforderung an die Orientierung stellt.
Was kann ich tun, um mich zu informieren?
- Ich kann zur Ratssitzung und in die Ausschüsse gehen und auf der Tribüne verfolgen, wer welche Position einbringt. Dauert sehr lange, bis ich mir da ein Bild verschafft habe. Allein die vielen Grußformeln und Floskeln in den Sitzungen (Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, sehr geehrte Damen und Herren.. Wir danken der Verwaltung....auch meine Fraktion, ....es ist zwar schon gesagt, aber ich will nochmal von unserer Seite sagen...) einmal weggestrichen, brauche ich mehrere Sitzungstage dafür.
- Ich kann zu den Fraktionssitzungen der einzelnen Parteien und Gruppen erscheinen - wenn sie denn öffentlich sind - und erstmal zuhören.
- Ich kann zu Parteiveranstaltungen marschieren, wenn sie denn stattfinden - zuhören und mitdiskutieren.
- Ich kann zur Bürgersprechstunde der Fraktionen gehen - und Vieraugengespräche führen.
- Ich kann das Wahlprogramm durchlesen....
Mein erster Klick landet bei der CDU, wegen der größten Fraktionsstärke im Rat. Suche nach Punkt 1, Wahlprogramm: Vergebens. Auch mit dem Suchregister ging der Schuss ins Leere. Da finden sich zwar rot hinterlegte Wörter mit dem Begriff "Wahlprogramm". Dahinter allerdings ist: Nichts. Kein Link, kein Verweis. Gut, dass ich mir das Ding kurz vor der Wahl schon in gedruckter Form besorgt habe. Der Inhalt soll ja für fünf Jahre aussagefähig sein und Bestand haben. Welchen Grund gibt es, dieses Zeugnis der Parteipolitik aus dem öffentlich zugänglichen Netz zu nehmen? Punkt 2: Anträge an den Rat oder die Ausschüsse. Kein Treffer, keine Rubrik. Keine Dokumente, die belegen, was die Partei als Gedanken und Anregungen in den Entscheidungsprozess der Gremien einspeist. Die kommunalpolitisch reale Arbeit bleibt im Dunkeln.
Der zweite Klick gilt der SPD. Leider finde ich auch hier kein Lebenszeichen eines Wahlprogramms. Trotz beredter Suche findet sich kein roter Faden, der zur Dokumentation der künftigen politischen Ausrichtung der sozialdemokratischen Kommunalpolitik führen würde. Gleiches Erstauen an dieser Stelle wie oben. Auch die Rubrik "Anträge" fehlt. So kann ich mir nur aus den zahlreichen Pressemitteilungen zusammen"denken", was die Partei programmatisch vertritt und wie sie politisch gestaltet. Immerhin ist durch die Presse-Meldungen ein vages Bild erkennbar. Eine belastbare und messbare Grundlage für politisches Wirken ist das aber nicht.
Die FPD-Fraktion macht einen guten Eindruck: Das Parteiprogramm findet sich sehr schnell, ist sogar in der Navigationsleiste namentlich aufgelistet. Erhältlich ist es in Kurz- und auch Langversion. Bei der Rubrik "Anträge" allerdings passt die Partei. Auch hier findet sich dazu nichts. Auch hier wird verwiesen auf "Aktuelles" aus dem Rat und den Ausschüssen, wo in sehr kurzer Prosa Gremieninhalte referiert werden. Eine Dokumentation der politischen Richtung fehlt.
Die Grünen haben ihr Wahlprogramm unter der Rubrik "Ortsverband" organisiert. Das muss man wissen. Denn beim Eingeben des Suchbegriffes "Wahlprogramm" unter dem Reiter Ratsfraktion folgt erstmal nur der Hinweis "kein Treffer". Klickt man den richtigen Reiter (Ortsverband) an, taucht dann zumindest der Begriff Kommunalwahl 2009 auf, unter dem das Programm schließlich zu finden ist. Merke: Man muss sich schon ein wenig auskennen und die Struktur der Politik kennen, dann ist das Trüffeln etwas leichter. Die Rubrik "Anträge" ist vorhanden. Auch ein Archiv. Hier finden sich die politischen Ideen im Wortlaut. Politisches wird als Proaktion in der Handlung erkennbar, nicht nur als Reaktion auf Vorlagen der Verwaltung.
Die UWG, Unabhängige Wählergemeinschaft, hat kein "Parteiprogramm". Sie versteht sich ja auch nicht als Partei, sondern als Zusammenschluss von interessierten Bürgerinnen und Bürgern. "Unser Ziel ist es, in unserer Stadt eine sachorientierte und verantwortungsbewußte Bürgermitwirkung zu etablieren." - so in der Rubrik "kurz und knapp" beschrieben. Was das genau beinhaltet, finde ich nicht. Auch die Rubrik "Anträge" ist nicht vorhanden, wohl aber kurze Pressemitteilungen über die aktuellen Diskussionen in Rat- und Ausschussarbeit.
Die BfGT stellt mit Abstand den besten Internetauftritt auf die Beine. Das Wahlprogramm ist schnell zu finden. Sogar im zeitlichen Rahmen abgesteckt, von 2009 bis 2014, als download verfügbar. Auch unter dem Stichwort "Anträge" findet sich jede Menge Information, nicht nur der Antragstext im Original, sondern auch noch mit dem Abstimmungsvermerk versehen, so dass sich schnell und übersichtlich ein Eindruck einstellt, wie leistungsstark die Fraktion sich in Rat und Ausschüssen eingebracht hat.
Die Linke bietet auf der Homepage der Fraktion ebenfalls mit zwei Klicks das Kommunalwahlprogramm für die Stadt Gütersloh zum download an, einmal in der Langfassung sowie in der Kurzfassung. Auch die Rubrik "Anträge" findet sich, sogar mit dem Abdruck des Originaltextes.
Die Auslese politischer Grundlagen und Dokumenten politischer Willensbildung ist in der Summe eher mager. Dabei ist aber gerade das eine der wichtigsten Aufgaben von Parteien und politischen Gruppierungen.
Allen Homepages gemein ist allerdings die dezidierte Auflistung des politischen Personals, also der Gewählten im Rat und in den Ausschüssen, nebst sachkundiger Bürger. Es ist gut, wenn man die Gesichter kennt und deren Funktionen herausfinden kann. Nur: Mich interessiert nicht der Kopf von außen, sondern ich will eher wissen, was denn in den Köpfen steckt. Was zeichnet die politisch Aktiven aus und für was stehen sie? Die reine Auflistung von Posten verliert sich genau da, wo die Parteien eigentlich seit langem herauswollen: In der Parteienverdrossenheit.
Es fehlt an Wegen der Information. Es fehlt an (modernen) Wegen des direkten Austausches. Es fehlt an Möglichkeiten des Interaktiven. Erstaunlich ist dieser Fakt vor dem Hintergrund, dass in den Gremiensitzungen so viele Ratsleute-Rechner auf den Tischen stehen. (Und jetzt sogar der Landtag NRW um die Erlaubnis streitet, mehr interaktive Medien auch im Plenum benutzen zu dürfen.)
Wollen die Parteien und Gruppierungen in der Stadt sich wirklich der Beteiligung öffnen und den Einbezug der Bürgerschaft nicht nur als Lippenbekenntnis stehen lassen, so bedarf es an vielen Stellen größerer Anstrengungen als bisher. Vor allem für die "etablierten" Parteien, die sich in der Mitte der Gesellschaft wähnen, die aber unterm Strich deutlich schlechter abschneiden und damit weiter weg sind vom Ziel: nämlich vom Bürger.