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Montag, 18. Juli 2011

Bürgerbeteiligung konkret: 2. Fragestunde im Rat

Folgendes Beispiel hört sich sehr formal an, ist aber demokratietheoretisch höchst spannend:
Gleich vorweg: Der Antrag wurde abgelehnt. 
Die BI "Demokratie wagen!" hatte den Antrag gestellt, die Geschäftsordnung des Rates unter § 21 "Fragerecht von Einwohnern" zu ändern: der Passus "Eine Aussprache findet nicht statt" sollte gestrichen werden. An dessen Stelle soll stehen: "Eine Aussprache, an der sich Verwaltung und Politik beteiligen, findet statt". 

Grund: Die Möglichkeiten für den Dialog zwischen Bürgern, Verwaltung und Politik an einem öffentlichen Ort sind eher begrenzt. In der Gemeindeordnung NRW § 48 1, Satz 3 steht, dass Fragestunden für Einwohner in die Tagesordnung des Rates mit aufgenommen werden können. Eine Verpflichtung dazu gibt es nicht. Die Mustergeschäftsordnung des Städte- und Gemeindebundes sieht ebenfalls nur vor, dass der Rat von Sitzung zu Sitzung beschließen kann, ob er Einwohnerfragestunden zulassen will oder nicht. 

In Gütersloh sei man da schon weiter, heißt es in der Verwaltungsvorlage. Hier sei die Fragestunde schon fest auf der Tagesordnung des Rates etabliert. (findet sich unter "Ortsrecht")

Was heißt das aber konkret?
In der Geschäftsordnung des Rates § 21 heißt es, die Frage werde im Regelfall mündlich durch die Bürgermeisterin beantwortet. In der Praxis wurden diese Fragen allerdings häufig von den Dezernenten beantwortet. Womit die politische Zuordnung wegfällt, die durch die Doppelrolle der Bürgermeister in NRW (Verwaltungsvorstand und politischer Repräsentant) gegeben ist. 

Da steht dann also ein Bürger und hat schriftliche Fragen an den Rat formuliert, eine Frage nebst zwei Zusatzfragen, um genau zu sein. Die Antwort wird dann verlesen. Und dann ist Ruhe im Rat: Keiner darf darauf antworten. Keine Partei kann das Thema aufgreifen, diskutieren oder sonst wie reagieren. Und der Bürger schon gar nicht. Es herrscht also Funkstille. Wenn das ein Instrument der Bürgerbeteiligung sein soll, hat man den Bock zum Gärtner gemacht. Einbahnstraßenkommunikation.

Bürgerbeteiligung im Praxistest
Der Antrag wurde nun also im Hauptausschuss des Rates am 4. Juli 2011 diskutiert. Die Verwaltung hatte vorgeschlagen, den Antrag abzulehnen: Der Rat sei ein Entscheidungsgremium, die Fragestunde sei nicht dafür vorgesehen, den Rat mit Anliegen im Rahmen einer politischen Erörterung oder Beschlussfassung zu beschäftigen. Verwiesen wird auf den § 24 GO Anregungen und Beschwerden. Der Rat solle sich außerdem nicht zu einer Aussprache verpflichten... schon gar nicht dürfen im Rahmen von Fragestunden Beschlüsse gefasst werden, heißt es in der Vorlage. Man könne mit der Bürgermeisterin und den Ratsmitgliedern außerhalb der politischen Diskussionen ins Gespräch kommen. Zum Beispiel in den Sprechstunden. Innerhalb politischer Gremien sei die Diskussion aber alleine unter gewählten und damit legitimierten Vertretern vorgesehen. So steht es in der Vorlage.  
Nun zeigt die Vorlage bereits eine bestimmte Geisteshaltung zur Beteiligung. Die Argumentation der jeweiligen Fraktionen war nicht minder aufschlussreich:


Die Konservativen wollten gleich der Vorlage folgen, man solle sich nicht auf eine Aussprache festlegen lassen. Der Vorsitzende formulierte sogar "ich warne vor einer Diskussion mit den Bürgern in den Ausschüssen". Die Politik "übernehme sich damit". Jede Partei habe ihre Möglichkeiten wie Bürgersprechstunden, Stammtische, um sich dort (!) als Bürger einzubringen.
Die Sozialdemokraten verwies ebenfalls auf den Rat als Beschlussgremium, und verwiesen auf die Nutzungsmöglichkeit von Bürgeranträgen in den Ausschüssen. 

Die Grünen räumten ein, man habe das Fragerecht auch schon für die Ratsleute selbst eingeräumt, es müsse also Gleichheit hergestellt werden. Belasse man den derzeitigen Zustand, gingen wichtige Impulse seitens der Bürgerschaft verloren. Die Bürger für Gütersloh argumentierten, man solle das Fragerecht und die Aussprache in die Ausschüsse verlagern und dort sachgebunden die Möglichkeit zur Diskussion nutzen. Der Leiter des Büros der Bürgermeisterin erläuterte, die GO sehe eine grundsätzliche Diskussion im Rat oder in den Ausschüssen gesetztlich nicht vor. Eine Öffnung der Sitzung für Nicht-Mitglieder sei nicht möglich. Die Dezernentin erlärte, der Bürger bekäme auch jetzt schon direkt Auskunft durch die Verwaltung "ein Mail reicht da aus", um informiert zu werden. Ein Fragerecht sei überflüssig. Das Fragerecht sei das falsche Mittel, wenn es um Mitsprache ginge. Fragestunden seien nur dazu da, Öffentlichkeit herzustellen. (Also Wind zu machen?)

Grüne und Bürger für Gütersloh stellten schließlich folgenden Änderungsantrag:
"Die Verwaltung wird beauftragt die Einwohnerfragestunde in den Ausschüssen einzuführen. Nach § 18der Geschäftsordnung wird jeder Einwohner berechtigt, schriftliche Anfragen zu stellen. Eine Aussprache wird zugelassen." (Die Frage wird sich anschließen, wer an der Aussprache teilnehmen darf. Der Bürger?)

Die Bürgermeisterin erklärte, es solle zunächst geprüft werden, wie eine bessere Einbindung der Bürger in die Ausschussberatungen möglich wäre.

Der Antrag wurde mit 14 Stimmen abgelehnt: 6 CDU, 4 SPD, 1 FDP, 1 Linke, 1 UWG, 1 Bürgermeisterin. Nur 3 stimmten mit Ja, 2 Grüne, 1 BfGT.

Im folgenden Rat am 15.7. wurde die Ablehnung nochmal deutlich untermauert: 9 Stimmen gegen den Verwaltungsvorschlag (hier wieder Grüne und BfGT) sowie 441 Stimmen für den Verwaltungsvorschlag ( 9 Ratsleute waren nicht anwesend): Fazit: Antrag abgelehnt. Der Vorschlag auf Änderung, d.h. Beteiligung in den Ausschüssen soll "demnächst" aufgegriffen werden, wohl erst im Oktober. Welches Jahr allerdings, blieb unerwähnt. (Wir werden das nachprüfen.)

Offensichtlich ist nicht wirklich deutlich geworden, dass der Wunsch nach öffentlicher politischer Diskussion aller Gewählter an einem Ort (!) gewünscht wird. Wo sonst sollte der politische Diskurs geführt werden? Beteiligung steht auch hier drauf, findet aber nicht statt. Praxistest nicht bestanden.