Bild

Bild

Montag, 3. November 2014

Wie wird sich Arbeit verändern? Industrie 4.0 im Philo-Cafe - der VHS!


Industrie 4.0 beschäftigte das PhilosophieCafe der Volkshochschule Gütersloh. Wie aktuell! Das lockte mich hinterm Schreibtisch hervor - welche Fragestellung würde hier aufgegriffen? Als Referent war geladen: Dr. Ulf Ortmann, Soziologe an der Uni Bielefeld Lehrbeauftragter an der Universität Paderborn. Moderatorin war Almut von Wedelstaedt. Ortmann ist kritisch, er stellt den Technikansatz in Relation zum Nutzer - und landete dabei unweigerlich auch bei der Gemeinwohlperspektive. Eine Frage der Gesamtgesellschaft - und künftig auch die der Definition und Gestaltung von Arbeit - das wird sich auch im kommunalen Raum niederschlagen.




                                          Dr. Ulf Ortmann im Gespräch                Fotos ak 2014 
Die 4. Revolution? 

Ortmann formuliert gleich zu Beginn: handelt es sich bei Industrie4.0 wirklich um eine Revolution? "Hinter diese Aussage gehört auf jeden Fall erstmal ein Fragezeichen", so beginnt er. Das es zudem die 4. industrielle Revolution sei, sei die Zählart der Ingenieure, nicht die der Geisteswissenschaftler. Zudem sei der Begriff gerade erst "erfunden" worden, sein Ursprung geht auf die Hannovermesse 2011 zurück: Hier trat zum ersten Mal die Initiative "Industrie 4.0" an die Öffentlichkeit. Henning Kagermann, Wolf-Dieter Lukas, Wolfgang Wahlster als Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft skizzierten einen möglichen Paradigmenwechsel in der Industrie der nächsten Dekade, der auf Basis Cyber-Physischer Systeme neue Geschäftsmodelle möglich mache. Kagermann als ehemaliger SAPler gilt seither als erste Quelle. Mittlerweile hat die Plattform "Industrie4.0" ihre Arbeit dazu aufgenommen. "Die Plattform Industrie 4.0 ist ein Gemeinschaftsprojekt der deutschen Wirtschaftsverbände BITKOM, VDMAund ZVEI zur Weiterentwicklung und Umsetzung des Zukunftsprojekts Industrie 4.0 der Hightech-Strategie der Bundesregierung." So findet es sich auf Wikipedia.

Ortmann erklärt, es handele sich bei Industurie4.0 zur Zeit nicht um flächendeckende Verfahren, sondern zunächst um Musterbeispiele, die keinen Standard inne haben. Eine erste Art von "Smartfactory" befinde sich etwa in Kaiserslautern - eine Fabrik, die Seife mit unterschiedlichen Farben befüllen könne. Jedes Werkstück sage dabei der Maschine, wie es berabeitet werden will. Smart heißt hier die Kommunikation zwischen Maschinen.


und dann fand der Vortrag aber doch ohne Beamer stattt.....

Und wo bleibt der Mensch?

Die visionäre Frage lautet daher: Und der Mensch, welche Rolle wird er im Arbeitsleben noch spielen? Eine Einschätzung erfolge bisher immer noch aus der Sicht der Ingenieure. Ortmann erklärt, Innovation müsse nicht nur von der technischen Seite gesehen werden, die Perspektive des Anwenders und die Gemeinwohlperspektive kommen zu kurz. Fragen der Sicherheit, der Beherrschbarkeit, der Akzeptanz und des individuellen Nutzens der Technologie bleiben außen vor. Hier ist er als Soziologe auch in ITs OWL dem TechnologieCluster der Region verbunden. Die Uni Bielefeld ist mit in die Forschung eingebunden, betrachtet den Aspekt der Technikfolgeabschätzung. Auf der Seite von ITs OWL finden sich u.a. diese Forschungsansätze unter der Rubrik "Technologieakzeptanz" 

Technik funktioniere nun mal oft nicht, sagt Ortmann. Dann sei der Mensch gefragt: zur Wartung, Reparatur, Kontrolle. Es sei immer noch Massenproduktion, die flexibel sei. 

Ein wichtiger Punkt seiner Arbeit ist auch: das Identifizieren und Beschreiben der jeweiligen Interessen aller Beteiligten. Ingenieure hätten hier andere Ziele als etwa die Belegschaft oder auch die Geschäftsleitung, die Entwickler, die Anbieter... Eine Unternehmung könne man aus vielen Perspektiven beschreiben. Ortmann und Kollegen gehen daher in die an ITs OWL beteiligten Betriebe und identifizieren eben diese Interessenlagen. Um zu verstehen.

Als Ergebnis sollen Leitfragebögen entstehen, dann schließlich "Leitbilder". Ein Ziel kann sein: die Handlungsspielräume der Beschäftigten zu verbessern, die Humanisierung des Arbeitslebens zu erhalten/verbessern. Spannend ist das schon jetzt, hier die unterschiedlichen Herangehensweisen der Beteiligten zu verfolgen, die interdisziplinär am Cluster ITsOWL arbeiten. 

  Zukunftsdiskussion im Ambiente der Jahrhundertwende 

Und wo ist der Einfluss staatlichen Handelns?

Interessant ist auch die Frage, ob sich Technikfolgeabschätzung durch den Untersuchungsgegenstand "Industrie4.0" verändert - wo etwa ist das Packende staatlichen Handelns dabei? Das Packende zeigt sich deutlich etwa in der Finanzierung: das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) investiert kräftig in die zahlreichen Projektstränge allein von ITs OWL, die ein Spitzencluster in Deutschland sind. Hier eine Übersicht in der Publikation Industrie 4.0 vom BMBF allein mit den Projektskizzen von ITs OWL. Und wer bezahlt, lässt sich Einfluss nicht nehmen. 

Die sich daraus ableitende Frage ist auch die: wie wird sich Arbeit überhaupt verändern? Eine Frage, die ungefähr seit dem Mauerfall nicht mehr gestellt wurde - durch die Digitalisierung aber wieder mit fester Faust an die Werktür klopft. Wie werden künftig Menschen mit Niedrigqualifikation eingesetzt? Diese Aufgabe werde von vielen Unternehmern als eine gesamtgesellschaftliche dargestellt, erklärt Ortmann. In der Diskussion fällt jetzt das Stichwort des bedingungslosen Grundeinkommens. Es ist an der Zeit, dies aufzugreifen und zu diskutieren - und zwar als Chance und nicht als eine ideologiebefrachtete politische Position nur der Linken (die übrigens zahlreich als Hörer erschienen war).

Ortmann rekurriert kurz auf das Automatisierungsparadox: die Fehlerquellen nähmen zu, je automatisierter, desto häufiger die menschlichen Eingriffe. Er bemühte das Beispiel der Autoreparatur: einen VW-Käfer konnte früher jeder selbst reparieren - heute machte man den Kühlerdeckel auf - und stände vor dem Nichts, weil das Selbstmachen durch die Komplexität unmöglich sei. 

Und was heißt das für Kommunen?

Wer diese bahnbrechenden Entwicklungen der Industrie 4.0 nicht im Blick hat, wird sich künftig überholt oder hilflos fühlen, denn die heimische Wirtschaft wird dadurch ihre Bedürfnislage was kommunale Entscheidungen angeht, völlig verändern. Um das zu verstehen, ist es wichtig, hier am Ball zu bleiben. Insbesondere, wenn man über Bildung, Ausbildung, Weiterbildung, Gewerbeflächen und auch Wertschöpfung nachdenkt. Und entscheidet. Reicht künftig eine kleine Werkhalle mit einem 3-D-Drucker für beliebig viele Firmen? Reicht eine Schulbildung ohne digitale Kenntnisse? 

Als Leseempfehlung möchte ich hier noch kurz auf den Blogpost von Uwe Hauck "Die wirklichen Themen der Trendforschung drehen sich ums Wollen" verweisen, er betreibt seinen Blog "Living the Future"