Die Neue Westfälische Zeitung und Radio Gütersloh hatten fünf der Kandidaten auf den Berliner Platz zu einer Diskussionsveranstaltung geladen: Ralph Brinkhaus (CDU), Ludger Klein-Ridder (Linke), Marco Mantovanelli (Grüne), Thorsten Klute (SPD), Evelyn Dahlke (FDP). Die beiden Chefredakteure Thorsten Gödecker (NW) und Carsten Schoßmeier (Radio GT) moderierten - mittels Fragen aus der Bürgerschaft, die vorab online eingereicht werden konnten.
Zunächst: großes Lob! Lob an die Kandidaten, die sich dem Gespräch gestellt haben. Politik lebt von Menschen für Menschen. Es müssen sich Jene finden, die das gerne machen und sich engagieren. Insbesondere im Wahlkreis Gütersloh, der bereits als an die CDU vergeben gebucht wird. Weil seit dem Bestehen der Bundesrepublik das Direktmandat immer an die CDU ging. Da könnte man als Gegenkandidat schon mal mutlos werden.
Großes Lob auch an die beiden Veranstalter NW und Radio Gütersloh. Es war ein Experiment, im Wahlkampf einen öffentlich zugänglichen Diskurs herzustellen. Auf dem öffentlichsten Platz, den die Stadt wohl hat. Die beiden Medien haben sich getraut, Politik unters Volk zu bringen, auf die Straße.
Jetzt kommt aber das große Aber. Und das macht auch mich ratlos.
Das Format "Podium mit Kandidaten drauf, Moderatoren, die Fragen stellen, davor das Publikum" scheint so nicht mehr zu funktionieren. Der direkte Platz vor der Bühne sah so aus.
Der Platz in seiner Gesamtheit sah so aus:
Da war noch viel Luft nach oben. Auch das schlechte Wetter ist für die gähnende Leere nur eine müde Erklärung. Wer sich in der Stadt außerdem mit den politisch Aktiven auskennt, musste nicht lange schauen, um die vielen Parteimitglieder unter den Zuschauern zu erkennen.
Erreicht der Wahlkampf die Menschen noch? Haben die Wähler überhaupt noch eine Wahl? Eine Chance auf Veränderung? Die Diskussion über die Nichtwähler hat in den letzten Wochen deutlich an Raum und Relevanz zugenommen. Es geht hier nicht allein um die Frage, ob man unmotiviert ist und aus "Bequemlichkeit" oder "Desinteresse" nicht zu Wahl geht - und wer das eigentlich, der sich der Wahl verweigert. Es geht um die Frage, ob die Wähler nicht fernbleiben, weil sie verstanden haben, dass sich eh nichts ändert. Das System unangetastet bleibt, die Positionen zu gleich sind.
Im Grunde wollte auch ich hören, was die Parteienvertreter zu sagen haben. Wobei es schade war, dass die Piraten, die AfD und die Bündnis 21-Vertreter nicht anwesend waren. Nicht eingeladen? Und es war schade, dass man die eingereichten Fragen der Bürger/Wähler nicht online vorab sehen konnte.
Dann aber fand ich die Betrachtung des FORMATES viel spannender. Was stellt sich dar? Ich habe einfach mal einen jungen Mann, einen echten Erstwähler, gebeten, mir zu beschreiben, was er da sieht:
Kurze Skizze seiner Einschätzung:
"Die Politik" steht auf einer Bühne. Die Kandidaten sprechen über die Köpfe der Bürger hinweg. Sie bleiben unter sich. Eine große Lücke klafft zwischen ihnen und der Bevölkerung, zu der sie sprechen. Sie senden ihre Botschaften. Hören aber nicht hin. Einzelne Kommentare kommen aus dem Publikum, meist kritische. Die finden kaum ihren Weg auf die Bühne, werden nicht aufgegriffen. Das Volk bleibt unerhört. Die Botschaften sind Politikersprech, sie haben auf alles eine Antwort, die so oder ähnlich im Parteiprogramm steht. Man erkennt die geübten Redner, der Rest ist Unsicherheit. Die Moderatoren geben nicht zu erkennen, welche Fragen von den Bürgern gestellt wurden. Das gesamte Geschehen ist einseitig: hier Sender - dort Empfänger. Hier die Macher - dort die Verwalteten. Moderiert von zwei Menschen, die der politischen Klasse sehr nahe sind, journalistische Selbstdarstellung pflegt, Qualität produzieren möchte - und Auflagen.
In England habe ihm eine Diskussionsrunde in einem öffentlichen Park gut gefallen: Vier Stühle in einem Kreis. Ein Politiker sitzt auf einem Stuhl, drei "Bürger" auf den anderen Stühlen. Jeder konnte mit dem politischen Vertreter ins Gespräch kommen, Dauer jeweils vier Minuten, dann kam die nächste Runde des Volkes auf die drei Stühle. Die Umstehenden hörten zu, spendeten Beifall oder Buhrufe. Alles war direkter. Lebhafter. Wirklicher. Der Moderator nicht erpicht auf eine gute Figur, sondern auf Diskurs.
Und die jungen Leute stellen sich auch nicht mehr auf so einen Platz und hören zu. Wahlkampf findet für sie im Internet statt. Interaktiver. Viel näher dran an denen, die eine Stimme zu vergeben haben."
Ich bin nachdenklich. Morgen findet die Diskussion der Kandidaten im Parkbad statt. Gleiche Besetzung, nur die Einladenden sind Vertreter des DGB. Ich bin gespannt, auch dort werde ich zuhören und die Frage im Kopf behalten: was müsste sich eigentlich ändern? Müsste sich was ändern?