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Montag, 22. November 2010

Taxifahrer - die Außenminister der Nation?!

In der letzten Woche hatte ich zwei Termine in Hamburg. Genau am Tag der Terrorwarnung: Donnerstag, der 18.11. 2010 - am gleichen Donnerstag tagten auch die Innenminister in Hamburg. Mitten in der Stadt, mit Blick auf die Binnenalster. Die Sicherheitsvorkehrungen waren nicht zu übersehen. Schon am Bahnhof ging es
los.....bis an die Zähne bewaffnete Polizisten in Mannschaftsstärke.

Weil die Tagungsorte weit aus dem Zentrum entfernt lagen, nahm ich ein Taxi. Es dauerte keine zwei
Minuten, da war ich schon im Gespräch mit dem Fahrer. Ein iranstämmiger Ingenieur, der seit Jahren
in Hamburg Taxi fährt. Unser Thema war klar "Integration". Anlass: Natürlich die schwer bewaffnete
Polizei im Hamburger Einsatz. Dass beide Themen einen so deutlichen Zusammenhang aufweisen,
lag auf der Hand. Mein Fahrer erklärte mir, eigentlich müsse er ja auch im Fadenkreuz stehen, er
sei Moslem, Iranstämmiger, Mann, Hamburger, Mitte 40. Alles Faktoren, die ihn deutlich ins
Fahnundungsraster bringen konnten...

Integration, meinte er, sei in Deutschland schon viel weiter fortgeschritten. Noch vor 15 Jahren hätte es keine Unterhaltung in einem deutschen Mietshaus mit Fremdländischen gegeben. Mittlerweile aber feierten er und die Nachbarn zusammen Weihnachten: Christen und Muslime. Tür an Tür in einem Haus. Da gäbe es zwar immer welche, die die von ihm geschenkte Flasche Wein wieder zurückgäben, aber der Großteil sitze eben für ein paar Stunden zusammen - und rede miteinander. Es sei schon multikulti, aber nicht nur "heimelig", da kämen auch Vorurteile auf den Tisch. Manchmal auch Beschimpfungen bestimmter ethnischer Gruppen. "Mich stört das nicht", erklärt er auf meinen fragenden Blick, "denn so werden wir wenigstens wahrgenommen. Beschimpfen ist auch eine Art von Auseinandersetzung, die am Ende ein Verstehen ergibt. Wer sagt mir sonst so direkt, was in den Köpfen der Deutschen vor sich geht? Niemand außer die, die mit mir zusammenleben." Er erkennt die vielen Stereotypen, die sich da so ansammeln. Eine davon amüsiert ihn besonders: Eine seiner Nachbarinnen ist schon sehr betagt - und verwechsele stets seine Frau und seine Tochter. Nun sei seine Frau sehr schlank und zierlich, seine Tochter eher "stabil" und rund. Wer, fragt er mich, wird wohl für meine Frau gehalten? Die "Dicke" natürlich. Frauen von Ausländern müssen immer dick sein, zeichnet er ein klares Vorurteil nach.
Ich stelle mir die beiden Frauen vor - und lache, wie oft ist auch mir das passiert. Ehrlich. Und ich sage ihm das auch. Am Ende der Fahrt reicht er mir die Hand und erklärt: "Wenn das Vertrauen der Menschen untereinander nicht mehr da ist, sieht es schlecht aus für die Welt", und nickt in Richtung Bahnhof, wo die Bewaffneten immer noch am Eingang stehen.

Die zweite Fahrt mache ich mit einem türkeistämmigen Taxifahrer. Er sieht den Folder "Leadership Programm für junge Führungskräfte aus Migrantenorganisationen" in meinen Unterlagen. Das wäre ja ein sehr spannendes Thema eröffnet er den Dialog mit Blick auf das Papier. "Ja", antworte ich und warte auf das, was er offensichtlich noch sagen will. Er stellt mir direkt die Frage, was ich von dem Sarrazin-Buch halte. Ich fange an zu erläutern. Wie oft hatte ich das in den letzten Wochen schon getan. Der Fahrer lächelt. "Sie sind sehr freundlich mit ihrem Urteil über Migranten", sagte er. Das sei nicht immer so. Gerade Hamburg habe da nicht nur weiße Flecken. Erst habe man die Migranten alle in einen Stadtteil gesperrt, Wilhelmsburg etwa, und nach und nach würden dann daraus Edelviertel, aus denen die Migranten wieder verdrängt würden. "Wir haben uns bemüht, hier Fuß zu fassen und dann kommt so ein Buch - und alle Anstrengung geht kaputt", kommentiert er. Nun sei er aber erst recht stolz, ein Türke zu sein. Wenn er auf die Leistung seiner Eltern schaue, die damals aus der Türkei nach Deutschland gekommen seien, die hätten in kurzer Zeit deutsch gelernt, nicht perfekt, aber sie könnten sich gut verständigen, hätten einen eigenen Laden aufgemacht, die Kinder groß gezogen und allen eine Ausbildung ermöglicht. So viel wie sie, werde er in seinem Leben kaum auf die Beine stellen. Da könnte eigentlich nicht nur er stolz auf seine Eltern sein, sondern auch Deutschland. Aber das sehe keiner wirklich. Wir sind am Ziel. Was kann ich da noch Sinnvolles antworten, was nicht als lahme Entschuldigung daherkommt? Ich bedanke mich für die Fahrt - und bestelle liebe Grüße an seine Eltern.

Ich denke noch lange über die Gespräche nach. Wie viele Migranten fahren eigentlich Taxi frage ich mich. Und wieviel Potenzial wird da verschenkt, weil viele qualifizierte Berufsabschlüsse aufweisen, die in Deutschland bisher nicht anerkannt wurden. Allerdings freut mich der Gedanke, dass gerade Taxifahrer eine so zentrale Funktion ausüben, denn sie sind in der Regel die ersten, die Kontakt zu ausländischen Gästen haben, wenn sie in Deutschland ankommen. Sind nicht sie daher eine Art "Außenminister" Deutschlands? Und wenn ja, was heißt das dann für unser Land?