Taxifahrer - die Außenminister der Nation?! 
In der letzten  Woche hatte ich zwei Termine in Hamburg. Genau am Tag der Terrorwarnung:  Donnerstag, der 18.11. 2010 - am gleichen Donnerstag  tagten auch die  Innenminister in Hamburg. Mitten in der Stadt, mit Blick auf die Binnenalster. Die Sicherheitsvorkehrungen waren nicht zu übersehen. Schon am Bahnhof ging es 
los.....bis an die Zähne bewaffnete Polizisten in Mannschaftsstärke.  
Weil die Tagungsorte weit aus dem Zentrum entfernt lagen, nahm ich ein Taxi. Es dauerte keine zwei  
Minuten, da war ich schon im Gespräch mit dem Fahrer. Ein iranstämmiger Ingenieur, der seit Jahren 
in Hamburg Taxi fährt. Unser Thema war klar "Integration". Anlass: Natürlich die schwer bewaffnete 
Polizei im Hamburger Einsatz. Dass beide Themen einen so deutlichen Zusammenhang aufweisen, 
lag auf der Hand. Mein Fahrer erklärte mir, eigentlich müsse er ja auch im Fadenkreuz stehen, er 
sei Moslem, Iranstämmiger, Mann, Hamburger, Mitte 40. Alles Faktoren, die ihn deutlich ins  
Fahnundungsraster bringen konnten...  
Integration,  meinte er, sei in Deutschland schon viel weiter fortgeschritten. Noch  vor 15 Jahren hätte es keine Unterhaltung in einem deutschen Mietshaus  mit Fremdländischen gegeben. Mittlerweile aber feierten er und die  Nachbarn zusammen Weihnachten: Christen und Muslime. Tür an Tür  in  einem Haus. Da gäbe es zwar immer welche, die die von ihm geschenkte  Flasche Wein wieder zurückgäben, aber der Großteil sitze eben für ein  paar Stunden zusammen - und rede miteinander. Es sei schon multikulti,  aber nicht nur "heimelig", da kämen auch Vorurteile auf den Tisch.  Manchmal auch Beschimpfungen bestimmter ethnischer Gruppen. "Mich stört  das nicht", erklärt er auf meinen fragenden Blick, "denn so werden  wir wenigstens wahrgenommen. Beschimpfen ist auch eine Art von  Auseinandersetzung, die am Ende ein Verstehen ergibt. Wer sagt mir sonst  so direkt, was in den Köpfen der Deutschen vor sich geht? Niemand außer  die, die mit mir zusammenleben."  Er erkennt die vielen Stereotypen,  die sich da so ansammeln. Eine davon amüsiert ihn besonders: Eine seiner  Nachbarinnen ist schon sehr betagt - und verwechsele stets seine Frau  und seine Tochter. Nun sei seine Frau sehr schlank und zierlich, seine  Tochter eher "stabil" und rund. Wer, fragt er mich, wird wohl für meine  Frau gehalten? Die "Dicke" natürlich. Frauen von Ausländern müssen immer  dick sein, zeichnet er ein klares Vorurteil nach.  
Ich stelle mir  die beiden Frauen vor - und lache, wie oft ist auch mir das passiert.  Ehrlich. Und ich sage ihm das auch. Am Ende der Fahrt reicht er mir die  Hand und erklärt: "Wenn das Vertrauen der Menschen untereinander nicht  mehr da ist, sieht es schlecht aus für die Welt", und nickt in Richtung  Bahnhof, wo die Bewaffneten immer noch am Eingang stehen.  
Die  zweite Fahrt mache ich mit einem türkeistämmigen Taxifahrer. Er sieht  den Folder "Leadership Programm für junge Führungskräfte aus  Migrantenorganisationen" in meinen Unterlagen. Das wäre ja ein sehr  spannendes Thema eröffnet er den Dialog mit Blick auf das Papier. "Ja",  antworte ich und warte auf das, was er offensichtlich noch sagen will.  Er stellt mir direkt die Frage, was ich von dem Sarrazin-Buch halte. Ich  fange an zu erläutern. Wie oft hatte ich das in den letzten Wochen  schon getan. Der Fahrer lächelt. "Sie sind sehr freundlich mit ihrem  Urteil über Migranten", sagte er. Das sei nicht immer so. Gerade Hamburg  habe da nicht nur weiße Flecken. Erst habe man die Migranten alle in  einen Stadtteil gesperrt, Wilhelmsburg etwa, und nach und nach würden  dann daraus Edelviertel, aus denen die Migranten wieder verdrängt  würden. "Wir haben uns bemüht, hier Fuß zu fassen und dann kommt so ein  Buch - und alle Anstrengung geht kaputt", kommentiert er. Nun sei er  aber erst recht stolz, ein Türke zu sein. Wenn er auf die Leistung  seiner Eltern schaue, die damals aus der Türkei nach Deutschland  gekommen seien, die hätten in kurzer Zeit deutsch gelernt, nicht  perfekt, aber sie könnten sich gut verständigen, hätten einen eigenen  Laden aufgemacht, die Kinder groß gezogen und allen eine Ausbildung  ermöglicht. So viel wie sie, werde er in seinem Leben kaum auf die Beine  stellen. Da könnte eigentlich nicht nur er stolz auf seine Eltern sein,  sondern auch Deutschland. Aber das sehe keiner wirklich. Wir sind am  Ziel. Was kann ich da noch Sinnvolles antworten, was nicht als lahme  Entschuldigung daherkommt? Ich bedanke mich für die Fahrt - und bestelle  liebe Grüße an seine Eltern.  
Ich denke noch lange über die  Gespräche nach. Wie viele Migranten fahren eigentlich Taxi frage ich  mich. Und wieviel Potenzial wird da verschenkt, weil viele qualifizierte  Berufsabschlüsse aufweisen, die in Deutschland bisher nicht anerkannt  wurden. Allerdings freut mich der Gedanke, dass gerade Taxifahrer eine  so zentrale Funktion ausüben, denn sie sind in der Regel die ersten, die  Kontakt zu ausländischen Gästen haben, wenn sie in Deutschland  ankommen. Sind nicht sie daher eine Art "Außenminister" Deutschlands?  Und wenn ja, was heißt das dann für unser Land?
 
 
