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Donnerstag, 1. Mai 2014

Kommunalwahl als Demografiefalle?

Kandidaten – Alterscheck: In Gütersloh kandidieren 155 Kandidaten in 22 Wahlkreisen zur Kommunalwahl. Beängstigend ist deren Durchschnittsalter - es liegt bei 51,60 Jahren aller Kandidaten. Wir diese erkennbare Überalterung zur Demografiefalle der Kommunalpolitik?


        Kommunalwahl = Demografiefalle?     Foto ak 2014
Stellt man eine Rangliste der Alterung auf, ergibt sich folgendes Bild: 

1. UWG mit einem Altersdurchschnitt von 61 Jahren.
2. Grüne und BfGT mit einem Altersdurchschnitt von 52 Jahren
3. CDU mit einem Altersdurchschnitt von 50,00 Jahren
4. SPD, FDP und Linke mit je einem Altersdurchschnitt von 49 Jahren.

Der älteste Kandidat steht auf der Liste der FDP mit Jahrgang 1932, der jüngste Kandidat steht auf der Liste der SPD mit Jahrgang 1994. Ein Unterschied von 62 Jahren.

Schaut man auf den Demografischen Wandel in Gütersloh generell, so liegt das Durchschnittsalter in Gütersloh im Jahre 2011 bei 42,8 Jahren. Nach einer Bevölkerungsprognose zufolge läge der Durchschnitt im Jahr 2030 für Gütersloh bei 46,4 Jahren. (Quelle: Wegweiser-Kommune.de) Die Ratskandidaten aller Parteien und Gruppierungen liegen also deutlich über dem Durchschnittsalter aller Gütersloher heute und sogar noch in 26 Jahren.

Die größte Häufung älterer Kandidaten liegt in den Altersjahrgängen von 1945 bis 1955. Die UWG-Kandidaten sind hier mit 45% ihrer Kandidaten vertreten, gefolgt von den Grünen und der SPD. Im Altersspektrum zwischen 1955 und 1965 hat die CDU ihren stärksten Anteil. Im Altersspektrum der Jahrgänge zwischen 1965 und 1975 ist die zweitgrößte Welle vertreten, hier ist die BFGT am häufigsten vertreten, dicht gefolgt von den Linken. Der unabhängige Kandidat liegt übrigens im Trend der Alterung mit Jahrgang 1949.


#Alte bestimmen über Zukunft

Das vorliegende Altersspektrum bedeutet u.a., dass mit der Altersdebatte auch in Gütersloh ein häufig diskutiertes Problem des demografischen Wandels greift: die Älteren bestimmen deutlich über die Zukunft der Jungen, die kaum in den politischen Gremien vertreten sein werden. Auch wenn nicht alle Kandidaten als Ratsleute gewählt werden, finden sich trotzdem  viele von ihnen später als sachkundige Bürger in den Ausschüssen wieder, das Durchschnittsalter bleibt also hoch.

Mit der deutlichen Überalterung der politischen Gremien schwingen viele Aspekte mit - es soll keine Altersdiskriminierung erfolgen. Geschärft werden soll jedoch der Blick und das Bewusstsein dafür, dass ggf. Problemlösungen gänzlich nach alter Tradition gesucht werden, was die Methode angeht "Wir kümmern uns" und neues Wissen etwa aus dem Arbeitskontext gänzlich fehlen wird.




#Arbeit verändert Kommunen

Beim Stichwort "Arbeitswelt" schlagen zur Zeit viele neue Studien und Forschungsergebnisse auf, die belegen, wie sehr und wie schnell sich die Arbeitswelt künftig revolutionieren wird: Entfesselte Hierarchien, dialogische Kommunikation, Arbeitszeitverschiebungen, Arbeitsortverschiebungen, Netzwerke, Fachkräftemangel, Sinnhaftigkeit, Arbeitgeberwechsel sind nur einige Schlagworte - alles ist in Bewegung, langsam aber stetig.


Was hat die Kommunalpolitik nun mit diesen Änderungen zu tun? Die Menschen ändern sich, sie arbeiten anders. Und Arbeit verändert Kommunen - das erlebt jeder, der schon mal das Stadtmuseum Gütersloh besucht hat - vom Spinnrad an den Computer etwa. Die Kommunalpolitik legt in der Regel die Rahmenbedingungen fest, ist also die Antwort: Ob es nun um die Bereitstellung von Kitas und Schulen geht, oder noch handfester, ob es künftig etwa eine moderne Breitbandversorgung in der Stadt geben wird oder nur die altbackene Überbauung durch das Vektoring der Telekom zum Zuge kommt, sind bahnbrechende Fragen für die Zukunftsfähigkeit der Stadt. Zugleich ist Gütersloh Modellkommune für E-Government. Der neue Rat wird entscheiden, wie es damit weitergeht, in welchem Tempo und was das für Auswirkungen auf künftige Arbeitsbeziehungen mit anderen haben wird. Will man auf dem untersten Level der Möglichkeiten bleiben - oder erkennt man Innovationen, die die Gesamtbevölkerung in Gütersloh künftig brauchen wird? Fragen, die zentral werden in den kommenden sechs Jahren Rat.

Wer etwa Themen wie "Open Data" und öffentliche E-Mails für Personen des öffentlichen Interesses (Kandidaten) ablehnt, wird sich in den kommenden sechs Jahren vor vollendete Tatsachen gestellt sehen, wenn die Umwelt deutlich weiter sein wird und die Stadt mit Entscheidungen hinterherhinkt. Da ist es wenig hilfreich an alten Mustern festzuhalten oder auch nur situativ, alternativlos und diskussionslos (oder wie so oft nur geheim) zu entscheiden.


#Neues Demokratieverständnis

Vor dem Hintergrund der "alten Kümmerer" könnte auch komplett ausgeblendet werden: der zunehmende und deutliche Wunsch der modernen Gesellschaft nach umfassender und früher Informationen sowie echter Teilhabe. Zudem ist ein ganz wesentlicher Punkt zu beleuchten: wie steht es künftig mit der Gewichtung der Repräsentativität in den Räten, wenn alleine die Altersfrage ein solches Ungleichgewicht mit sich bringt? In dem Zusammenhang müsste man sich zudem auch die Altersstruktur in den politischen Parteien und Gruppierungen ansehen und analysieren, ob diese Formen der Politikvermittlung überhaupt noch die Gesellschaft erreichen und ihrem hohen Vertretungsanspruch gerecht werden können.

Auch das Vorhandensein eines Jugendparlamentes etwa kann dieses Manko nicht überdecken. Das Jugendparlament wird in der Regel nicht angehört, es gibt zwar öffentliche Protokolle über die Sitzungen, die man nachlesen und damit erahnen könnte, mit welchen Themenschwerpunkten sich die junge Generation beschäftigt, wenn es um die Gestaltung ihrer Heimatstadt geht, wie fließen die aber in die reale Kommunalpolitik ein? Die Frage wäre auch spannend: wie hoch ist eigentlich die Übergangsquote von Aktiven aus dem Jugendparlament in die „reale“ Politik? Das zu beantworten ist schwer, denn es gibt kaum Namenslisten dazu, obwohl bereits das 7. Jugendparlament gewählt wurde.

Hinzukommt die Verweildauer der Politiker im Rat. Hier wird deutlich: die älteren Semester bleiben lange im Rat. Allerdings ist das vor allem erkennbar eine Problematik der „alten“ Volksparteien CDU und SPD, die auf sehr lange Verweildauern zurückblicken.Sie aber sind die Mehrheitsfraktionen. Die Mehrheitsbeschaffer, die „kleineren“ Parteien oder Gruppierungen „frischen“ sich zwar häufiger mit neuen Kandidaten auf – aber auch hierdurch wird der Altersdurchschnitt nicht spürbar verjüngt. Von aktiver Kommunalpolitik in PARTEIEN (!) angesprochen fühlen sich offensichtlich Ältere weit mehr als Jüngere.

Was also tun, wenn das politische Personal nur in der Form zur Verfügung steht? Wie dem kommunalpolitisch entsprechen - oder gar entgegenwirken? An der Aufstellung der Kandidaten ist nun nicht mehr zu rütteln, die haben Wenige gebastelt. Die Mischung fehlt, die Perspektiven sind einseitig. Die Wahl gibt schon Möglichkeiten, aber die Alternativen sind so minimal, dass sie nicht ins Gewicht fallen, das Wahlrecht in NRW alleine ist schon altbacken.


#Zukunftsfähigkeit selbst organisiert?
  Der kommende Rat sollte sich rein organisatorisch die Frage stellen, wie Zukunftsfähigkeit überhaupt als Thema kontinuierlich mitgedacht wird. Also weg vom ewigen Diskutieren über Innenstadtzentriertes wie Stadthalle, Hallenbad, Theater und Feuerwache. Hin zu Themen, die über den Tellerrand weisen. Hier sind die Stichworte Kollaboration und Zukunftsausschuss wesentlich. Die Politik und auch die Verwaltung müssen sich öffnen. Warum nicht einen solchen Ausschuss für Zukunftsfragen einrichten und die Zivilgesellschaft aktiv in die Entwicklung in Form von Kollaboration mit einbeziehen? Öffentlich. Vernetzt.

Fakt ist: Die Alten allein werden es nicht richten. Der neue alte Rat in der Form auch nicht.