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Montag, 27. Juni 2011

Besuch im Baumarkt

Eine Gesellschaft verfügt über unsichtbare aber aktive kollektive Fieberkurven. Eine davon steigt an, wenn das Wetter frühlingshaft wird und die Sonne mehr als drei Stunden am Stück den blauen Himmel verschönt. Dann pilgern die Menschen mit Besitz oder festen Mietverhältnissen von Garten, Wohnungen und Häusern in Strömen in den nächstgelegenen Baumarkt. Dieser liegt zumeist an der örtlichen breitspurig asphaltierten Ausfallstraße, im sonst kulturleeren Gewerbegebiet. Auch uns hatte das Fieber über Umwege erreicht: Es handelte sich um eine Auftragsarbeit für die mittlerweile unmotorisierte Oma. Ihr Wunsch war eine Gartenbank mit Auflage für das heimische Grün einer verbliebenen Rasenfläche. Ein lange gehegter Wunsch, befeuert durch die Werbebeilage der Lokalzeitung, die seltsamerweise konsumorientierte Begehrlichkeiten stets passend zum Wetterhoch durch bunte Prospekte mit Bildern von Wohlfühlatmosphäre belebt.

Der Parkplatz ist voll, gleicht einer Werteallokation des heimischen Bruttoinlandsproduktes: Stoßstange an Stoßstange. Unsere alte Schrottkarre mit dem Antiatomaufkleber am Heck wirkt merkwürdig anachronistisch zwischen den uniformierten Silberfelgen und schwarzen Hochglanzkarossen drumherum. Wir pilgern mit dem Strom in die heiligen Hallen des Do-it-yourself.

Den Straßenplan des Baumarktinnern haben wir längst verinnerlicht, bewegen uns in den Gängen wie in einer historischen alten Stadt, die wir in kurzen Abständen immer mal wieder gerne besuchen und reichlich Souvenirs einkaufen. Ganz links hinten findet sich der Gartenbereich. Rollregale voller Geranien begrüßen uns, obwohl die Eisheiligen erst noch kommen. Hier gibt es nichts, dass es nicht gibt. Der religiöse Begriff Paradies bekommt vor dieser Offenbarung eine ganz neue Bedeutung, nur dass der Markt am Sonntag geschlossen hat. Über den Stapeln an gebeutelter Gartenerde mit den hundertfachen Sorten von Kaktus- über Saatanzucht- bis hin zur Graberde schwebt auf einem Balkon so groß wie der der Royals am Buckingham Palace die Ausstellung der Gartenmöbel: Alle tropischen Wälder der Erde sind hier durch einen diplomatischen Gesandten repräsentiert. Bänke, Tische, Sonnenschirme, Liegen, Chaiselongues, Hocker. Durch das Plexiglasdach hell erleuchtet und sonnendurchflutet, fast wie im echten Leben. Passend dazu die aktuellen Gartenaccessoires, dieses Jahr Türkis als Renner. Letztes Jahr war es noch grün in allen Facetten.

An der Gartenbank „Kent“ bleiben wir hängen. Die Architektur gefällt mit der geschnörkelten Rückbank und dem stabilen Antlitz. Auf dem daneben gestapelten Paket heißt es, die „Tragkaft“ betrage 225 Kg. Rechtschreibung darf man im Baumarkt nicht erwarten, wer weiß, in welchem Land diese Kartons gefertigt werden und wie fremd unser Wort „Tragkraft“ da anmuten muss. Ich lasse den Rotstift in der Tasche, was mir Klugscheißer schwer fällt.

Mein Mann setzt sich auf den vor der Bank aufgestellten Tisch. Nimmt nur auf der Kante Platz, um von hier oben eine bessere und prüfende Aussicht auf „Kent“ zu erhalten. Sein Vergnügen währt nicht lange. Sekunden und es knackt und er liegt mit gekreuzten Beinen auf dem Boden - wie der Tisch unter ihm ebenfalls. Das Ding war mit lautem Getöse der Erdanziehung erlegen und lag nun horizontal und hinterließ eine vage Ahnung von Statik. Eine kleine Staubwolke umgab beide: der Mensch noch mit dem Zollstock in der Hand, eine Schraube des Tisches rollte unter die ausgesuchte Gartenbank. Dann Stille.

Einen Wimpernschlag später ertönte eine Sirene. Ohrenbetäubender Lärm. Ein Scheinwerfer richtete sein Licht auf uns. An den Ausgängen des Baumarktes rasselten Eisenrollos mit schäpperndem Lärm herunter. Instinktiv hob ich die Hände, ergab mich, schaute nach links und rechts, am Boden festgenagelt. Als plötzlich von allen Seiten eine Armee an Baumarktmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in ihren blau und gelben Corporate-Identity- Shirts auf die Empore gestürmt kam. Im Anschlag und auf uns gerichtet ihre grellbunten Softair-Gewehre, munitionsgeladen für einen Erstschlag, der uns schnell außer Gefecht setzen konnte. In zweiter Reihe die Mannschaft mit einem bunten Waffenarsenal aus dem Regal der Heimwerker: vierzackige Forken, umgerüstete Brauseköpfe mit Nagelmunition, handgedrechselte Holzbaseballschläger, Teppichschneider als Aufsätze an Gartenteichkeschern. Wir waren hoffnungslos unterlegen.

Der Anführer schob das Visier seines Helmes nach oben, befahl uns an die Reeling des Balkons zu stellen, breitbeinig, die Hände schön nach oben, so sein Kommando. Er untersuchte das erlegte Wild, den Tisch und deutete seinen Kollegen mit einer Handbewegung, da sei nichts mehr zu machen. Unter uns hatten sich die Restbesucher des Paradieses versammelt, starrten uns an, ängstlich, hasserfüllt, alles dabei. Wir waren die Bösen, die es gewagt hatten, die heiligen Hallen zu schänden. Lyncht sie, sah ich in vielen Augenpaaren. Dann mussten wir die Treppe hinunter gehen, vor uns Eskorte, hinter uns Eskorte, die Spitzen der Knarren und Peacemaker nur Zentimeter von unserem Rücken entfernt. Wir stolperten den grauen Estrichgang entlang. Wo sie uns wohl hinbrachten? Hatte dieser Satellit des modernen Stadtstaates etwa auch ein Gefängnis? Im Heimwerkerformat selbst entworfen? Ich wagte nicht, zu meinem Mann hinüber zu sehen, der Schweiß stand mir auf der Stirn. „Vorwärts!“, hörte ich und stolperte weiter.
Gerne hätte ich geträumt, mir folgendes Ende gewünscht: Als ich endlich hochschreckte und mein Mann mit dem Autoschlüssel in der Hand vor meinem Gartenstuhl stand und mich weckte. „Komm, wir müssen noch die Gartenbank für Deine Mutter kaufen“, sagte er. „Fahr besser allein – und nimm Deinen Ausweis mit“, wäre meine Antwort gewesen.

Aber der Alptraum war echt. Keine Spur von Aufwachen. Mit einem letzten Stoß in den Rücken wurden wir in einen schallgedämmten Raum geführt, die Geräusche verhallten merklich. Direkt auf grelles Scheinwerferlicht zu, das uns blendete. Da kannte sich einer aus mit Leuchtmitteln. „Setzen!“, folgte ein kurzer Befehl. Wir tasteten nach der angewiesenen Sitzmöglichkeit, wahrscheinlich ein Restposten aus dem Holzsortiment. Ohne Polster. In Demutshaltung lauschten wir der Stimme aus dem off, sehen konnten wir immer noch nichts. In professioneller Befehlstonlage nahm ein Mann unsere Personalien auf. Widerspruch war zwecklos, ich fürchtete sonst standrechtlich auf einem Baumarktprovisorium am Galgen hingerichtet zu werden. „Nach dem aktuellen Baumarktgesetz, verabschiedet durch den Deutschen Bundestag am 1.1.2010 sind Sie verpflichtet, den hier entstandenen Schaden mit sofortiger Wirkung zu begleichen, einschließlich einer Verwaltungsgebühr von 3 Prozent der Schadenssumme.“ Unverzüglich zückte ich meine Kreditkarte und beglich die 249 Euro inklusive Steuern und Schmerzpauschale. Alles wortlos, blind blinzelnd. Lediglich das Surren einer Lüftungsanlage war zu hören. Dann wurden wir aufgefordert, das Kundenverhörbüro in Richtung Ausgang zu verlassen. Wir folgten. Erreichten das plexiglashelle Verkaufsgelände, sahen unbescholtene Kunden unwissend ihre Einkaufswagen schiebend, die uns anstarrten. Gott, wie sahen wir wohl aus, kalkweiß im Gesicht. Wir passierten den Kassenbereich, schnellten auf den ersehnten Ausgang zu, da rief uns eine weibliche Altstimme nach: „Halt! Bitte kommen Sie zurück.“ Mit erhobenen Händen drehte ich mich um und ging ein paar Schritte zurück zur Kassenschranke. Eine dienstälteste Kollegin der Baumarktkette hielt mir mit einem kundenorientierten Lächeln einen Zettel hin: „Sie haben Ihre Bewertung für unseren Kundenservice nicht ausgefüllt. Wenn Sie uns den Fragebogen der Kundenzufriedenheit ausfüllen, nehmen Sie automatisch an einem Preisausschreiben teil.“

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