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Mittwoch, 24. April 2013

Toter Mann = Bürgerhaushalt

Der Bürgerhaushalt ist ein toter Mann. Er wird in Gütersloh nicht fortgesetzt. Das einstimmige Votum für den Niedergang erging am Montag im Hauptausschuss der Stadt Gütersloh. Dieses Ergebnis war zu erwarten. Den Weg ins Grab hatte besonders die Politik bereits geebnet.


                  Zur Bestattung freigegeben     Foto ak 2013
(Mindestens) Drei Kritikpunkte sind zu nennen:

1. Quote als Gelingenskriterium reicht nicht

2. Anzahl der Bürgervorschläge übersteigt die der Politik

3. Steuern wurden nicht einmal diskutiert

4. Der Weg zum Begräbnis war politisch geebnet

Die Verwaltung hatte eine Vorlage erarbeitet, die den Abschuss erleichtern sollte. Das "Kleinrechnen" der Beteiligungsquote sollte dabei Sterbehilfe leisten. Allein diese Quote stellte seit drei Durchgängen das einzige Kriterium dar, welches dem Bürgerhaushalt als Erfolgskriterium zugrunde lag. Mehr Möglichkeiten des Gelingens hatte die Politik nicht diskutiert. Jetzt plötzlich sollen die Vorschläge auch haushaltswirtschaftliche Ergebnisse darstellen, wobei der Bürgerhaushalt niemals als bloßes "Sparschwein" definiert wurde, sondern als offenes Portal zu Haushaltsfragen.




1. Quote als Gelingenskriterium reicht nicht

In der Verwaltungsvorlage heißt es, die Beteiligungsquote habe bei 0,14 rsp. 0,28 % der Einwohnerzahl gelegen. Rechnet man das mit einem einfachen Dreisatz einmal nach, kommen ganz unterschiedliche Einwohnerzahlen dabei heraus:

Vor der Vorschlagsphase waren demnach 134 Nutzer registriert, diese ergeben 0,14 % gemessen an der Einwohnerzahl Gütersloh, in dem Fall dann 95.714 Personen. Rechnet man dann die Nutzer (wie angegeben) nach der Abstimmungsphase mit 264 Personen, ergebe sich die Quote von 0,28 Prozent gemessen an der Einwohnerzahl. Diese ist aber plötzlich um 1.428 Personen innerhalb von vier Wochen geschrumpft und liegt nur noch bei 94.285 Personen. Ein enormer Schwund, der sich in anderen Zahlenreihen nicht findet.

Nimmt man die Vergleichsquote von 2012, habe die Quote der Beteiligung noch bei 0,43 % gelegen. Je nachdem, welche Anzahl an Registrierten man berechnet (die Stadt gibt einmal 116 und 418 Registrierte an) ergeben sich Einwohnerzahlen von plötzlich nur noch 26.976 Güterslohern oder dann plötzlich bei 97.209 Einwohnern, wobei die letzte Zahl der realen Einwohnerzahl am nächsten kommt:

Die liegt laut Einwohnerstatistik der Stadt bei  97.127 Einwohner in 2012, im Jahr 2011 waren es noch 96.490 und in 2010 waren es noch 96.198. Der Anteil der unter 18 Jährigen liegt bei 17.9 Prozent, Anteil der ab 80 Jährigen liegt bei 5,3 Prozent.

Wenn Zahlen, dann bitte eine einheitliche Grundlage dafür schaffen. Sonst kommt man noch auf den Gedanken, den gesamten Haushalt neu zu rechnen. 

Diese niedrigen Quoten schocken - das ist ja auch erklärtes Ziel. Rechnet man allerdings einmal, wie hoch die Repräsentanz der Ratsleute (58) in der Stadt gemessen an der Einwohnerzahl der Stadt ist, nämlich 0,0597 Prozent, ist dieser Vergleich relativ. Niemand hätte je behauptet, ein Bürgerhaushalt müsse repräsentativ sein. 

Übertrumpft wird dies noch durch eine faktische O der Bürgerbeteiligung an vorherigen Haushaltsberatungen, bei denen niemand Bürgerliches den Haushalt je wirklich sah oder auch nur in die Hände bekam. Ein Einziger habe sich diesen "früher" erklären lassen, face to face mit ausgewählten Vorlagen.

Auch Wahlen und die Wahlbeteiligung müssten zukünftig noch deutlicher hinterfragt werden, denn auch die relativieren eine Beteiligungsquote gehörig. Hier einige Rechenbeispiele anhand der letzten Kommunalwahl 2009 und ausgewählten Mitgliedern des Hauptausschusses:

1. Peter Kalley UWG, Wahlkreis 170 GT, 1,66 Prozent der Stimmen und damit 29 ganze Wähler.
2. Thomas Ostermann SPD, Wahlkreis 100, 33,83 %, das sind 571 reale Wähler in seinem Wahlkreis.
3. Dr. Wolfgang Büscher FDP, Wahlkreis 050, mit 9,63 %, das sind 134 ganze Personen.
4. Heiner Kollmeyer CDU, Wahlkreis 010 und 44,33 Prozent, das sind 571 ganze Personen, die ihn in Gütersloh gewählt haben.
5. Marco Mantovanelli, Grüne, Wahlkreis 190 mit 9,77 %, das sind 230 ganze Wähler.
Es ist also nicht unerheblich, dass sich "nur" 134 Nutzer oder auch 264 Nutzer oder auch 116 oder sogar 418 Nutzer am Bürgerhaushalt beteiligt haben. Das sind immerhin mehr als der "Eine" Bürger, zitiert von der Kämmerin, der sich jedes Jahr einfinde, um sich den Haushalt erklären zu lassen.

Quotendiskussionen als Grundlagen des Gelingens sind also ein billiges Ablenkungsmanöver vom eigentlich verweigerten Diskurs über die Frage, was Demokratie und Partizipation ausmacht. 

2. Anzahl der Bürgervorschläge größer als aus Politik

Zudem ist die Anzahl der eingebrachten Bürgervorschläge deutlich höher als die Anzahl der Vorschläge, die aus der Politik eingegangen sind. Hier betonte wiederum die Kämmerin in einer vorherigen Sitzung des Finanzausschusses, es habe sich KEINER aus der Politik dazu gemeldet. 

Wer muss sich hier also vorführen lassen, er habe sich nicht ausreichend beteiligt? Nur der Bürger, der angeblich der Aufgabe fern geblieben ist?

Einen Bürgerhaushalt mitzugestalten, ist übrigens schon eine Kür der Bürgerbeteiligung. Es ist hier ausnahmslos hohe Qualität gefragt: man kann nicht ohne Vorarbeit, ohne Nachdenken und ohne langfristige Bindung an das Format Vorschläge machen. Das erfordert Wissen und vor allem eine hohes Maß an Einsatz für das Gemeinwohl einer Kommune, denn hier geht es um die Stadtpolitik an sich und weniger um Teilprojekte für die sich Bürger deutlich eher einsetzen.

3. Steuervorschläge wurden nicht einmal diskutiert

TOP 7 des Finanzausschusses am 21.1.2013 beinhaltete Fragmente des Bürgerhaushaltes. Es ging hier um die Steuervorschläge, die die Bürger gemacht hatten. Siehe vorherige Blogposts dazu, die zeigen, dass die Stadt sich nicht die Mühe gemacht hat, überhaupt dazu beim Land NRW anzufragen. Ohne jede inhaltliche Diskussion folgte die Politik der Vorlage der Verwaltung, nach der keinem der Vorschläge für weitere Steuern stattgegeben werden sollte. Einstimmig wurden diese also im Block abgewiesen.
An zwei Stellen erfolgten jedoch Kommentierungen, die ein gewisses Eigeninteresse nicht vertuschen konnten: die BfGT-Fraktion wollte den Bürgervorschlag "Gewinne aus Bürgerhand nicht privatisieren - B59 aus dem Bürgerhaushalt" zumindest würdigen und diesen in der Neuverhandlung etwa um die Containervergabe berücksichtigt wissen. (Privatunternehmen hatten der Stadt lukrative Geschäftsfelder durch Verträge abgeluchst, die ihnen nun Geld einbringen.)
Und die CDU verwies nochmals auf die "Rechtmäßigkeit" der Pflege öffentlicher Kreisverkehre. Wer sich dafür einsetze und für die Pflege zahle, dürfe dort auch werben, hieß es hier. CDU-Reklame sei also erlaubt, weil dafür gezahlt werde.


4. Der Weg zum Begräbnis war politisch geebnet

Dass der Bürgerhaushalt nun ein toter Mann ist, kommt nicht von ungefähr. Das Siechtum begann schon beim Bürgerhaushalt Nr. 1. Hier sollen Stichworte reichen, es wäre sonst zu lang, der Werdegang des Verderbens ist nachlesbar hier im Blog und auf der Seite von "Demokratie wagen" Gütersloh.
Stichpunkte sind: Streit um Shitstorm über Feuerwehr, beinahe Kriminalisierung der Nutzer wegen Anonymität, Hetzkampagnen gegen Feuerwehrlobby, fehlende Rechenschaft, Schließung des Ratssaals,  kein Erreichen der Internetseite, Verschärfung der Anmeldung durch persönliche Datenerhebung, Schimpfe vom Landesdatenschutzbeauftragten, Wiederherstellungsvorschrift für Anonymität, Vorschlagsphase vor Einbringung des Haushaltes, fehlende politische und öffentliche Diskussionskultur der Vorschläge, wenig Werbung usw. 

Morgen folgen ein paar Zeilen zur Hauptausschusssitzung und die politische Abstimmung.







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