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Donnerstag, 1. November 2012

Zeitgeist Parteienflucht

Warum man in eine Partei eintritt, ist sehr gut analysiert. Warum man austritt noch nicht ganz: 
Parteiaustritt als eigener Entschluss wenn es reicht, scheint ein Tabubruch zu sein: Man darf das "eigene Nest" nicht beschmutzen! 

Offensichtlich kann man in eine Partei nur EINtreten. AUStreten als individueller Prozess ist nicht vorgesehen. Aus einer Partei wird man höchstens wohlwollend entlassen, wenn man stirbt. Dann gibt es einen Kranz in den Parteifarben und bedauernde Worte der Restparteiler, die ihre Tränen mühsam unterdrücken können. Eine letzte Schüppe Sand. Freund, Feind, Parteifreund. Oder aber die Partei darf einen ausschließen, das Rudel, die Familie verjagt einen Einzelnen, verjagt mit gutem Grund: Ausschlussverfahren, Rausschmiss! Mit Schimpf und Schande vom Hof gewiesen. Die zurückbleibende politische Einheit erfährt eine packende Welle der Zugehörigkeit, der Gruppe, das verleiht Flügel. Der da draußen kann sich freuen, wenn nicht noch Steine fliegen. 


Vorsicht, Steine fliegen....











Ist schon interessant, dass ein erfahrungsmotivierter Parteiaustritt solche Wellen schlägt. Nach der Veröffentlichung meiner Austrittsbegründung in der NW gab es zahlreiche Kommentare dazu per mail.

Die Steinewerfer: "arrogant" bis zu "Stammtischniveau", "Intellektuelle" und schließlich "Verräter" und "Bürgerbeteiligung darf man mit Parteibuch nicht machen". Diese stammen allesamt aus dem Parteienvolk und der Funktionärsriege. Keinesfalls nur Grüne, nein, quer Beet aus allen Fraben, sogar über Gütersloher Grenzen hinaus. 

Aber: Wo Schatten, da auch Licht. Die positive Bandbreite gab es auch: von "gut so" und "Respekt" sowie "konsequent" bis hin zu "herzlichen Glückwunsch". Viele Zivile und Ehemalige.
  
Wer sich an eine Partei bindet, bindet sich auf Lebzeit, scheint es. Wer sich scheiden lässt - erntet Rosenkrieg. Und da bin ich dann doch kein Einzelfall.

Denn, wer bindet sich noch an eine Partei, ist die Frage? Immer weniger. Den Parteien fehlen die Neu-Mitglieder - fliehen die Mitglieder. Ich bin da also doch kein Enzelfall (obwohl die Grünen im Bundesgebiet bisher eher Zulauf verzeichnen konnten). Ich koste den Zeitgeist der allgemeinen Mitgliederflaute auf eigener Zunge.

Warum bin ich im Mainstream? "Partei" liest sich heute leider vielfach und im Grunde auf allen Ebenen als: Verfestigte Strukturen in Wagenburgen, Fraktionszwang, Funktionärseliten, Versorgungsmentalität, Wiederwahlgonorhoe, Dinosaurierdurchschnittsalter, in Stein gemeißelte Mandate, Vorteilsnahme, Hierarchie, innerparteiliche Demokratiedefizite, Versorgungsverlockung, Gefälligkeitszirkus, Eitelkeitsmanege. - Keine Eigenschaften, die eine besondere Magnetwirkung auf die breite Basis erzielen würden. "Partei" heißt heute auch, Fehlen von Repräsentativität, es sitzen immer mehr Berufspolitiker und Berufsjoungster in den Parlamenten, die mit handfesten Zielen der Karrieregestaltung einsteigen, Fehlen von Beteiligung, von Öffnung.  Und Partei heißt heute auch "Macht", "Einfluss", "Beziehungen", "Informationshoheit". Auch das findet in Bund, Land und Kommune statt. Machen wir uns nichts vor - auch in Gütersloh. Die Blüten dieser Pflanze lassen sich überall erkennen.

Kein Wunder also, dass die Lust auf Freiheit, Unabhängigkeit und Volatilität in der Gesamtbevölkerung unbändig wächst. Die Zahl der politischen Menschen ist dadurch nicht kleiner geworden. Die WegvondenParteienBewegung ist spürbar und findet ihren Weg in andere Formate der Beteiligung, der politischen Artikulation. Das Internet ist ein Zeichen dafür. Die Diskussion über die Notwendigkeit der Transparenz, Offenlegung, Veränderung in den Reihen der Gewählten hat Nahrung für die nächsten Jahre und viele Akteure - da sorgen u.a. Formate wie abgeordnetenwatch.de für Aufklärung. Und auch eine neue Partei der Piraten.

Setzt sich dieser Trend allerdings fort, ist die repräsentative Demokratie noch fragiler als bisher unterstellt, denn Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit. So die Verankerung in der Verfassung. Hier allein die Architektur, also die Struktur der Parteiendemokratie, aufrecht zu erhalten, reicht nicht. Es kann kaum gelingen, dass immer Weniger immer mehr Aufgaben stemmen müssen. Weder auf Bundes- noch auf kommunaler Ebene. Man darf gespannt sein, wie die einzelnen Parteien mit ihren starren Organisationen diese Aufgabe anpacken wollen. Auch in Gütersloh.









1 Kommentar:

  1. “Wer in einer Masse, die vorwärts drängt, stehenbleibt, leistet so gut Widerstand, als trät’ er ihr entgegen: er wird zertreten.”
    Dantos Tod / Robbespierre 1.Akt 6.Szene

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