Bild

Bild

Donnerstag, 19. April 2012

Wie ein Sitzungskalender den Bürgerhaushalt aushebeln kann

Während NRW noch keinen gültigen Haushalt für 2012 hat (deshalb die Neuwahlen), beeilt sich Gütersloh, den Haushalt für 2013 schnellstens unter Dach und Fach zu bekommen. Was heißt das für den Bürgerhaushalt in der dritten Runde? Nichts Gutes....

Wolken, wo gerade noch Sonne war.....


Haushalt: Schneller ist besser?
Gütersloh hat einen sehr ambitionierter Beratungsplan zur Einbringung des Haushaltes 2013 aufgestellt: am Montag, den 12. November 2012 wird er eingebracht. Bereits am 25. Januar 2013 steht die Verabschiedung auf dem Plan. Eine so frühe Verabschiedung hat es wohl bisher noch nicht gegeben. Der Vorschlag geht auf einen Vorschlag im Bürgerhaushalt 2012 zurück, eingebracht hat ihn der GrünenRatsherr und Fraktionsvorsitzende.
Die Begründung der Verwaltung ist zunächst einleuchtend:
"Die späte Verabschiedung des Haushalts führt zu einem längeren Zeitraum der Übergangswirtschaft, in dem nur Ausgaben getätigt werden dürfen auf die ein Rechtsanspruch besteht bzw. die unaufschiebbar sind. Insbesondere neue Investitionsmaßnahmen müssen damit bis zur Verabschiedung des Haushalts zurückgestellt werden. Dies führt dazu, dass den Fachbereichen im jeweiligen Haushaltsjahr nur 8 Monate zur Umsetzung zur Verfügung stehen, was mit zu entsprechend hohen Haushaltsresten beiträgt. Darüber hinaus beklagen die technischen Fachbereiche, dass Mitte des Jahres häufig schlechtere Ausschreibungs-ergebnisse erzielt werden." - steht in der Verwaltungsvorlage.

Nun ist eine kleine Exitstrategie schon eingebaut: "Sämtliche Planungen stehen unter dem Vorbehalt, dass bis zum Redaktionsschluss des Haushalts Anfang Oktober 2012 die erste Probeberechnung nach dem Gemeindefinanzierungsgesetz 2013 vorliegt. Davon kann jedoch normalerweise ausgegangen werden. (....) Sofern diese Daten nicht vorliegen, muss eine Verschiebung der Einbringung und Beratung des Haushaltsentwurfes 2013 in Erwägung gezogen werden."

Haushalt im Turbo-Gang - wem nützt das?
Vergleicht man nun die  beschlossenen Termine und Zeitspannen mal genauer, wird deutlich, in welchem TurboGang schon allein die Politik seitens der Verwaltung durch das Haushaltspensum 2013 getrieben wird. Für eine transparente und bürgerverständliche Beratung der Vorschläge aus dem Bürgerhaushalt ist kaum ein Atemzug wirklicher Zeit vorhanden. Da könnte man sich also freuen, wenn die städtischen Beratungen aufgrund der Neuwahlen und der möglicherweise fehlenden Daten verschoben werden müssten.

Im Hauptausschuss am 12.3.2012 ist folgendes (nach Kampfabstimmung für den Bürgerhaushalt) beschlossen worden (8 Ja-Stimme(n), ( 4 SPD, 2 GRÜNE, 1 DIE LINKE, 1 Bürgermeisterin) 2 Nein-Stimme(n) ( 1 FDP, 1 UWG) 7 Stimmenthaltung(en)( 6 CDU, 1 BfGT, ):  Für den Haushalt 2013 soll ein Bürgerhaushalt entsprechend der Variante 1 der Vorlage durchgeführt werden.
Alternative 1 heißt: Bürgerhaushalt wie in 2012 mit dem 2 Phasen-Modell -
Vorschläge können in der Zeit vom 25.8.2012 bis 16.9.2012 unterbreitet werden. Die Abstimmphase würde vom 20.10.2012 bis 11.11.2012 dauern. Gewisse Modifizierungen der Termine sind grundsätzlich denkbar. Zwischen der Vorschlagsphase und der Abstimmphase ist jedoch kein Sitzungstermin anberaumt, in dem über die zur Abstimmung zu stellenden Vorschläge eine politische Entscheidung herbeigeführt werden kann. Über die Abstimmungsergebnisse kann in der Sitzung des Finanzausschusses am 20.11.2012 informiert und entschieden werden. Rechtzeitig für die Fraktionsklausuren und die Beratung der Fachausschüsse liegen die Abstimmungsergebnisse vor.

Einen Tag später am 13.3.2012 ist dann im Finanzausschuss beschlossen worden, den Haushalt für 2013 möglichst früh zu verabschieden - mit folgendem Konzept:

Erstmal transparent....
Die Bürger machen zunächst Vorschläge. Dann folgt die Abstimmungsphase (s.o.). Alles online, diesmal auch wieder anonym - bis jetzt ist der Prozess nachvollziehbar und durch die Online-Plattform transparent.

.... dann biegt das Verfahren ein in die traditionelle Politikvermittlung: Nun ist aber keine politische Sitzung zwischen diesen beiden Phasen der Vorschläge und Abstimmung anberaumt. Das heißt, es wird keinen Hauptausschuss geben, der die Vorschläge politisch bewertet und aufnimmt. Im Hauptausschuss sind 16 Mitglieder der Fraktionen vertreten, alle stimmberechtigt - plus eine Stimme der Bürgermeisterin dazu, also insgesamt 17 Stimmen. Der Hauptausschuss ist eindeutig das politischste Gremium - an Wertigkeit gleich unter dem Rat. Wennn der Hauptausschuss also nicht bemüht wird, muss man sich fragen, wer denn dann über die Vorschläge entscheidet, die in den als nächstes tagenden Finanzausschuss kommen sollen? Im Finanzaussschuss sitzen 16 stimmberechtigte Vertreter der Fraktionen, die Bürgermeisterin ist hier nicht stimmberechtigt.
Damit wird schon mal deutlich: der offene Charakter des Bürgerhaushaltes, in dem eben nicht nur Sparvorschläge gemacht werden können, sondern auch "politische" Vorschläge Eingang finden sollen, wir qua Prozedur nun doch deutlich auf den finanziellen Aspekt gestutzt. Dies ist interessant vor dem Hintergrund, dass in der Verwaltungsvorlag bereits geschrieben steht, dass kaum mehr Einsparpotenzial im Städtischen Haushalt vorhanden ist.


Nun wird wohl die Verwaltung selbst eine Vorlage für den Finanzausschuss machen, sie listet, bewertet und steuert also. Noch offen ist auch die Frage, wie viele Vorschläge berücksichtigt werden. Mit diesem Schritt, weg vom Hauptausschuss hin zum Finanzausschuss, wäre die Politik eher aus dem Schneider der Verantwortung und Gestaltung. Auch eine politisch gewählte Bürgermeisterin lässt sich hier ihre Stimme abnehmen.


Das Argument liegt nahe, dass die Verwaltung eh entscheiden muss, was in der Entscheidungshoheit der Kommune liegt und was nicht. Das hatte die Verwaltung auch im letzten Durchgang so gemacht. Dennoch bleibt die Deutungshoheit und Steuerung der Vorschläge nun mehr oder weniger allein bei ihr. Am 20. November soll es dann eine Grundsatzentscheidung im Finanzausschuss geben. Hier "kann" informiert und entschieden werden. Also neun Tage nach Abstimmungsschluss im Bürgerhaushalt. Die Grundlage für diese Grundsatzentscheidung im Finanzausschuss stammt also zwangsläufig aus der Feder der Verwaltung. Die Abstimmungsergebnisse sollen zwar auch zu den Fraktionsklausuren vorliegen, die müssten aber zwangsläufig zwischen dem 11. und vor dem 20. November liegen, sollen die Ergebnisse in die Grundsatzentscheidung mit einfließen. Zudem gibt es auch hier keine öffentliche Diskussion dazu, weil die Klausuren nicht öffentlich sind und auch nicht die Wege, wie diese Fraktionswünsche in die Vorlage für den Finanzausschuss einfließen.


Nur eine Sitzung pro Fachausschuss
Dann schließen sich die politischen Beratungen in den jeweiligen Fachausschüssen an. Sie sollen vorgezogen und gestrafft werden,  heißt es in der Vorlage der Verwaltung. Weiter heißt es: "Die Beratung und Beschlussfassung der Teilergebnispläne der Fachbereiche ist in einer Lesung vorgesehen." Im Klartext: eine einzige Sitzung pro Ausschuss. Eine breite Diskussion mit Überdenken und politischem Aushandeln ist damit vom Tisch. Ein Schuss - ein Treffer - was ja nicht immer gelingt und demokratietechnisch nicht sinnvoll ist. Das ist Politik in ganz altem Stil: heimlich, schnell und leise.


Die Beratungen finden dazu im Dezember bis Mitte Januar statt. Man bedenke, dass Kommunalpolitiker keine Berufspolitiker sind - und damit gerade in der Vorweihnachtszeit auch andere Dinge auf dem Schirm haben (dürfen).  "Auftretende Fragen sollten im Vorfeld an die Verwaltung herangetragen werden, um sie dann in der Sitzung abschließend beantworten zu können." Von Öffentlichkeit ist hier überhaupt keine Rede mehr. Transparenz in einem Bürgerhaushaltsverfahren sieht anders aus. Die politische Dikussion wird im Keim erstickt. 
Und wieder wird lediglich der Finanzcharakter, nicht aber der politische Charakter des Bürgerhaushaltes getärkt:  "Sollten Fragen in einer Sitzung offen bleiben, können sie in der vorgesehenen Sitzung des Finanzausschusses am 22.01.2013 beantwortet und entschieden werden." = Man bedenke, eine letzte Sitzung am 22.1. - und ganze drei Tage später soll dann die endgültige Verabschiedung im Rat erfolgen, ein Gremium, welches am Ende nur noch abwinkt, aber nicht mehr diskutiert.

Der Bürgerhaushalt 2013 ist zwar in Gütersloh am Leben geblieben (gut so!) - aber nach der öffentlichen Online-Phase biegt er auch ein drittes Mal in die Untiefen der Politik - der Verwaltung - ab. Wenn nun die Fraktionen so vorbildlich für den Erhalt gestritten haben - wir erinnern uns an die Sitzungsunterbrechung, die politische Enthaltung und die Angst vor dem Scheitern von Bürgerbeteiligung an sich - sollten sie sich schon mal den Terminkalender anschauen und feststellen, dass sie selbst diesmal eher Getriebene im Haushalt 2013 sind als Entscheider. Das Kerngeschäft der Diskussion würde ich mir nicht nehmen lassen - bei aller guter Begründung für eine schnelle Verabschiedung. 

Und wenn dann am Ende nicht ausreichend Einsparpotenzial unterm Strich steht - was ja schon intendiert ist - heißt es am Ende der dritten Runde ganz sicher: der Bürgerhaushalt wird kein viertes Mal erleben. Die politische Gewichtung verschwindet ganz - und dass obwohl in der ersten und zweiten Runde Bürgerhaushalt deutlicher denn je wurde: die eigentlichen Knackpunkte waren nicht das Einsparpotenzial, sondern die Themen, die den Bürgern auf den Nägeln brennen - wie die Feuerwehrfrage und jetzt der mögliche Hallenbadneubau.


Schade, dass in der dritten Runde wieder so viel (zunächst nicht auffallende) Taktik eingesetzt wird. Und alle Politiker mitmachen. Eine elegante strategisch-unauffällige Lösung, das ungeliebte Projekt Bürgerhaushalt doch noch irgendwie abzuschütteln.

(Die Ironie dabei: Beschleunigung beantragt durch einen Grünen, im Bürgerhaushalt, Konservative gegen Bürgerhaushalt, großes Schauspiel bei Kampfabstimmung für oder gegen dritte Runde Bürgerhaushalt, Politische Plattform Grüne-CDU-UWG stimmt uneinheitlich, Grüne halten offiziell an Bürgerhaushalt fest, Mehrheits-Plattform in Gefahr?, Beschleunigung des Haushaltes 2013 bedeutet Qualitätsverlust des Bürgerhaushaltes, also Ende durch die Hintertür?, Beibehaltung der Plattform = die sind jetzt wieder alle zufrieden?)





















2 Kommentare:

  1. Kurz: Einführung des Sofortness - Trends auf Kosten von Qualität, Transparenz und Bürgerbeteiligung.

    HILFE - wo ist die Notbremse, die diesen Irrsinn stoppt ???

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Nora B., was für ein schöner Begriff "Sofortness" - den kannte ich noch nicht. Finde den aber derart passend! Danke.

    Viele Grüße, Anke Knopp

    AntwortenLöschen