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Donnerstag, 28. April 2011

Wie erfolgreich war das Verfahren zum Bürgerhaushalt?

Eine Analyse anhand eines Kriterienkatalogs

Gemeinsame Problemlösung für die Zukunft
Meine deutliche These vorweg: Beteiligungsverfahren sind aus der politischen Kultur unseres Landes nicht mehr wegzudenken. Seit ihrem Entstehen in den frühen 70er Jahren und der Weiterentwicklung in den letzten Jahrzehnten stehen wir heute vor immer differenzierterer und sogar gesetzlicher Verpflichtung dazu.

Neue Formen des Dialogs auf Augenhöhe sind gefragt. Es geht um den gemeinsamen Diskurs. Erörterung von Sachfragen und die Problemlösung stehen im Zentrum künftiger Zukunftsfähigkeit. Die hohe Komplexität in unserem Leben macht neue Formen der Begegnung und der Entscheidung notwendiger denn je. Am Anfang eines solchen Prozesses steht meistens ein deutlich umrissenes und definiertes Problem. Etwa ein Haushaltsdefizit, also Finanzloch, in einer Kommune.

Nicht nur ein Kriterium für den Erfolg
Diese Situation war auch der Beweggrund für Gütersloh, neue Wege in der Haushaltspolitik zu beschreiten. Die Genese des Bürgerhaushaltes soll hier nicht wiederholt werden, sie liegt zwischen Zwang durch Bürgerproteste bis hin zum stets geäußerten Zweifel an der Richtigkeit eines solchen Verfahrens und dem ausdrücklichen Wollen der Verwaltung. Nur so viel sei in Erinnerung gerufen, dass das Verfahren, also der Ablauf zum Bürgerhaushalt an sich (inklusive einer zu erstellenden Liste der Top 30 Vorschläge) von allen Fraktionen im Finanzausschuss (!) abgesegnet wurde. Welche konkreten Kriterien für ein Gelingen erfüllt sein müssten, wurde im Vorfeld aber nicht ausreichend geklärt. Daher ist in Gütersloh zu Beginn des Verfahrens leider nur ein Kriterium stillschweigend zugrunde gelegt worden, ohne dass sich die Beteiligten real darauf geeinigt hätten: die Quote der Beteiligung. Die Marge der Beteiligungsquote anderer vergleichbarer Städte von rund 1,5 bis 2,0 Prozent galt als Messlatte für das Gelingen des Bürgerhaushaltes in Gütersloh. Dieser Wert speiste sich jedoch eher aus den Erfahrungswerten des begleitenden Partners Zebralog/Fraunhofer Institut als dass er selbständig von den politisch Verantwortlichen in der Stadt „gesetzt“ worden wäre.

Erreicht wurden in Gütersloh am Ende 1,7 Prozent Beteiligung. Diese Quote allerdings wurde schon während des Verfahrens und auch im Nachklang durch Teile der Ratsfraktionen mehrfach in Zweifel gezogen. Daran gekoppelt schwang daher bereits zum Ende des Online-Verfahrens auch immer schon die Frage mit, ob das Verfahren eine Wiederholung finden würde.

Gemeinsamer Kriterienkatalog ist notwendig
Um nun am Ende einen gemeinsamen Diskurs über das Verfahren führen zu können und eine abschließende Bewertung zu ermöglichen, bedarf es der Spielregeln, die allen Beteiligten bereits von Anfang an deutlich sind - und die von allen akzeptiert werden. Beteiligung braucht also Kriterien, anhand derer am Ende für alle messbar ist, ob und wie Beteiligung effektiv war. Das Zugrundelegen eines einzelnen Kriteriums für das Gelingen oder Scheitern eines Bürgerhaushaltes jedoch verengt die Möglichkeit der Bewertung deutlich. Viele Aspekte eines Beteiligungsverfahrens geraten dabei aus dem Blickfeld. Diese zusätzlichen Aspekte aber sind notwendig, um die Komplexität eines solchen Verfahrens ablichten und bewerten zu können.

Jetzt steht die Stadt also am Ende dieses ersten Bürgerhaushaltes. Die Frage der Bewertung steht im Raum: Ist er gelungen oder nicht?

Kriterien der Bewertung
Folgende zusätzliche Kriterien könnten daher für die Bewertung herangezogen werden (siehe dazu auch: Kubicek, Herbert, Lippa, Barbara und Koop, Alexander: Erfolgreich beteiligt? Nutzen und Erfolgsfaktoren internetgestützter Bürgerbeteiligung, Gütersloh 2011, Verlag Bertelsmann Stiftung)

  • Ressourcen / Kosten
  • Innovation und Professionalisierung
  • Mobilisierung
  • Transparenz
  • Verbindlichkeit
  • Repräsentativität
  • Nutzerfreundlichkeit
  • Qualität der Beiträge
  • Zufriedenheit der Nutzer
  • Akzeptanz
  • Anschlussfähigkeit
  • Erhöhung der Demokratieeinstellung
  • Nachhaltigkeit
  • Effizienz

Kriterium 1 (von 14): Kosten und Ressourcen
Die Kosten respektive die bereitgestellten Ressourcen von 70.000 Euro für die Online-Plattform sind immer wieder in die Kritik geraten. Dem gegenüber stehen jedoch die 164.000 Euro, die der Rat der Stadt dem Beratungsunternehmen Rödl&Partner für die Unterbreitung von Haushaltskonsolidierungsvorschlägen 2008 gezahlt hat. Diese Gelder wurden zudem im nicht-öffentlichen Teil der Gremien abgestimmt. Es gilt also abzuwägen, was politisch höher zu bewerten ist: die Vorschläge von der „Stange“ eines Beraters, die es hundertfach gleich gibt oder aber die breite Einbeziehung der eigenen Bevölkerung, die ihr Wissen und ihre Kenntnisse der Stadt in den Prozess mit einbringt? Zudem gilt hier, politisch zu bewerten, was mehr zählt: die hohe Legitimation von Entscheidungen durch die eigene Bürgerschaft oder das Know-how Externer, deren Ergebnisse große Proteste ausgelöst haben - bis hin zur Demonstration gegen Kürzungen im Bildungsbereich vor dem Rathaus. Ressourcen wurden darüber hinaus aus der Verwaltung der Stadt bereitgestellt, so zeigte sich die Betreuung der Online-Phase als eine Querschnittsaufgabe der gesamten Stadtverwaltung mit den jeweiligen Fachbereichen im „backoffice“, die den Moderator (Zebralog/Fraunhofer Institut) bei seiner Arbeit effektiv unterstützt hat. Die Verwaltung hat sich mit der laufenden fachlichen Aufnahme der Vorschläge als ein Sparringpartner gezeigt, der zwar Grenzen aufgezeigt hat, wenn die Handlungshoheit der Stadt überschritten wurde, aber auch Hinweise zur Konkretisierung aus allen Fachbereichen liefern konnte. Note: sehr gut

Morgen geht es weiter mit Teil 2: Kriterium 2 und 3.

Dienstag, 26. April 2011

Meine Antwort auf die Replik Kornfeld - Tadel wegen Fragenstellen

Heute: Meine Antwort auf die Replik von Siegfried Kornfeld auf meine Argumentation "Pro Anonymität beim Bürgerhaushalt"

Sehr geehrter Siegfried Kornfeld,

vielen Dank für die ausführliche Replik gegen meine Argumentation für die Anonymität beim Bürgerhaushalt. Gerne nehme ich dazu Stellung. Vorweg allerdings dies: Beim Lesen begleitete mich fortwährend das Gefühl, unterschwellig tadelst Du eigentlich mich mit dem Vorwurf: „Du darfst nicht einfach etwas in einem Blog schreiben und veröffentlichen.“ Doch, lieber Siegfried, das darf ich. Und ich muss Dich nicht erst fragen, ob ich das darf. Deine Haltung erinnert mich an die Gattung „moralinsaure Zeigefinger der Gutmenschen-Fraktionen“. So eine Blogseite wie meine trage dazu bei, meinst Du, das Bild der „Kaste der Politiker“ wie es an Stammtischen oder unter sonstigen Fußkranken der Staatsbürgerkunde gepflegt wird. Das ist eine Frage des Glaubens, meine ich. Während Du seit nunmehr 25 Jahren Rats- und Funktionärstätigkeit in der Politik hinter Dir hast, was an sich schon gegen Demokratie spricht, und damit dem „System Politik“ angehörst, stelle ich einfach nur Fragen an das politische System. Und stelle fest, dass es an vielen Ecken nicht mehr aussagefähig ist – eine davon ist die Frage nach Bürgerbeteiligung. Die ist eindeutig noch nicht abschließend beantwortet. Fragen zu stellen ist allerdings ein Akt der Freiheit, hat mit Stammtisch wenig zu tun, wohl aber mit dem Suchen nach Verbesserungen. Und dass ich dabei nicht in den Dialog getreten bin, ist falsch. Unsere Treffen der Bürgerinitiative waren stets öffentlich, Dich habe ich allerdings keinmal dort angetroffen, während die Initiative immer den Weg in die Fraktionen gefunden hat. Für Demokratie muss man aus dem Haus gehen, meinst Du und es gehöre die „Rede“ dazu sowie die Begegnung der realen Menschen und man müsse sich an seinen Forderungen messen lassen.

Repräsentativ: Zustand glorifiziert
Du schreibst „Wer größere Bürgerbeteiligung sucht, in der Form aber repräsentative Anteile der Bürgerschaft von einer Beteiligung ausschließt, begibt sich in Widersprüche.“
Hinzu kommt die Kritik, Bürger würden ihre demokratische Bringschuld nicht einlösen.
Einerseits ist die Gefahr einer digitalen Spaltung der Gesellschaft vorhanden. Allerdings spricht dem entgegen, dass kein Medium an sich, so schnell und direkt erreichbar ist, wie der Zugang zum Netz. Die Allgegenwart des Netzes, das es jedem ermöglicht, sich schnell und unbürokratisch in Prozesse einzuklinken, beginnt ein breites Bedürfnis nach aktiver Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen zu erzeugen. Diesen Zugang mehr Menschen zu ermöglichen, könnte daher sogar Gegenstand entsprechender Sozialleistungen werden, meint dazu Prof. Peter Kruse bei seiner Anhörung in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ im Juli 2010.
Ferner stehen wir vor dem Fakt, dass in der bisherigen Politiktradition die Bürger seit Jahrzehnten auf Distanz gehalten wurden und höchstens zu Wahlzeiten ihr Kreuz für eine Partei machen konnten. Die Politikvermittlung zwischen den Wahlen tendierte gen Null. Es gab de facto kaum institutionalisierte Formate des Austausches, des Dialogs zwischen den Regierenden und den Regierten. Es gab und gibt ein extremes Defizit der Information der Regierenden an die Regierten. Es gibt ein extremes Defizit der fortlaufenden Einbindung in Entscheidungsprozesse. Und: Durch die Wahl wurden die Gewählten in eine „höhere Sphäre“ katapultiert. Zudem entwickeln sich die Gewählten immer mehr zu Teilen des Staatsapparates selbst, den sie doch eigentlich kontrollieren sollen. Ferner werden ganze Bereiche der Restbeteiligungsmöglichkeiten aus den Gemeindebelangen ins Unerreichbare verschoben, d.h. sie entziehen sich dem Zugriff der Gestaltung durch die Bevölkerung.
Bürger wollen aber mehr. Sie wollen informiert werden, sie wollen diskutieren, sie wollen Alternativen aufzeigen und ggf. vorhandene Möglichkeiten bewerten – und dann darüber abstimmen. Viel Bürger haben erkannt, dass es um IHRE Sache geht. Das ist der Kernpunkt von Demokratie. Im Netz formieren sie sich als Gemeinschaft, sie lassen sich durch die Politik nicht mehr in Einzelbürger zerlegen, denen in Folge schnell das Vertreten von Partikularinteressen vorgeworfen wird, ein stereotypes Killerargument der Politik gegen die Bürger. Aber genauso will es die Politik.
Nach dieser Tradition muss man sich nicht wundern, wenn sich die Bürger erstmal nicht mehr trauen, selbst zu denken, selbst zu fragen, selbst zu agieren. Daher braucht es dieser Zeit dringend wieder demokratische Übungsplätze. Übungsplätze, Mut zu entwickeln, den eigenen Sachverstand einzusetzen: Demokratischen Verstand und Habitus zu lernen, indem man Demokratie übt. Das ist die Hauptrichtung notwendiger Reformen. (Siehe Prof. Roland Roth et alii in: Die verstockte repräsentative Demokratie – Für eine Demokratisierung von unten, März 2011)

Netzkontrolle heißt Zensur
Streng genommen bedarf es einer neuen Radikalität, eines zivilen Ungehorsams, einer selbstbewussten Inanspruchnahme der neuen Möglichkeiten, sich einzubringen – ohne auf die Zustimmung der Gewählten zu warten. Mit dem Bürgerhaushalt ist nun sehr mutig ein erster Schritt dahin gemacht. Die digitale Form des Gütersloher Bürgerhaushaltes ist gewählt worden, um den Prozess der Beteiligung und der Entscheidungsfindung zu rationalisieren, schreibst Du. Das ist zum Teil richtig, denn hiermit hat das neue Medium Netz Einzug gehalten. Was nur eine Frage der Zeit war. Dieses Medium allerdings so formalisieren zu wollen, dass es der alten Tradition der Politik entspricht, ist anachronistisch und – verkennt die Realität. Das Internet ist ein sich selbst organisierendes System, der Versuch einer Steuerung oder der Kontrolle ist prinzipiell zum Scheitern verurteilt, so u.a. Prof. Kruse. Auf den Bürgerhaushalt übertragen heißt das: Es geht nicht darum, die Bürgervorschläge zu vereinheitlichen, personenscharf zu machen, in kleine Portionen zu verpacken, wieder den Einzelnen in den Fokus zu rücken. Sondern es geht darum, dass die Bürger mittels Anonymität erst einmal wieder Mut schöpfen, sich überhaupt einzubringen, sich zu erproben. Hier ist die Chance entstanden, sich zu einer größeren, wirkungsvollen Masse zusammenzuschließen, um dem eigentlich anonymen Gegenpart „Politik“ und einer bis dato eher intransparenten Informationspolitik gegenüber zu treten. Ein Herausfiltern Einzelner und anschließender Sezierung kann damit nicht gelingen. Bis dato war die Strategie, das „Volk“ in Einzelbürger zu verwandeln sehr erfolgreich. Mit dem anonymisierten Nutzen der Technik jedoch ist aus dem Volk wieder das geworden, was es ist, eine große Menge unbestimmbarer Einzelteile. Ein Schwarm, dem eigene Intelligenz innewohnt. Die einzige Chance, diese Energie für kurze Zeit zu unterbinden ist der Eingriff über Zugangsbeschränkungen, Indizierung oder auch: Zensur.
Es bleibt zu vermerken, dass das Medium nicht durchgehend anonym genutzt wurde, sondern viele haben sich bereits namentlich angemeldet, keiner wurde daran gehindert. Wenn nun rund 1.700 Nutzer das Portal für sich entdeckt haben, dann ist das eine deutliche Aussage für den Wunsch, sich einzubringen und auch der Wunsch nach der Möglichkeit der Anonymität. Solange die Übungsphase der neuen demokratischen Beteiligung noch nicht abgeschlossen ist, ist daher an der Anonymität festzuhalten.

Anonymität längst Alltag
Diese Praxis der Anonymität wird übrigens von vielen Teilen auch der Gütersloher Politikprominenz durchaus angenommen und goutiert: In Facebook haben viele einen eigenen Account und teilen jedem (teilweise auch anonymen) Interessierten so gerne mit, auf welchem Flughafen man sich gerade befindet, welchen Ortsverein man gerade besucht hat oder an welchem Grünkohlessen man teilnimmt. (Siehe dazu hervorragend der Blogbeitrag vom 24. April 2011 von OleWintermann, Globaler Wandel)

Und selbst die bundesweiten Qualitäts- und Leitmedien setzen heute auf anonyme Informationsquellen wie Blogbeiträge und Videobotschaften. Diese neuen Formen sind sogar zu bahnbrechenden Katalysatoren geworden, den gesamten nordafrikanischen Landstrich zu demokratisieren. Von Wikileaks will ich gar nicht erst schreiben. Anonymität sind dabei Prädikatsfaktoren: Es geht nicht mehr um Personen, sondern um Inhalte.
Hier aber schreibst Du, die Einträge der Anonymen im Bürgerhaushalt hätten keine Legitimation und die Teilnehmer wären nicht repräsentativ. Das hat auch keiner behauptet. Im Gegenteil, es wurde offen kommuniziert, vor allem von der Politik, die von vornherein dargelegt hat, die Vorschläge seien nicht bindend. Allerdings müsste die Menge der Vorschläge ein Zeichen sein dafür, dass sich die Gütersloher Bevölkerung GEDANKEN macht.

Deutungshoheit verschiebt sich Richtung Bürger
Keine andere technologische Innovation hat eine vergleichbare Durchdringungsgeschwindigkeit und Alltagsreichweite gehabt, wie das Internet. Die emotional geführte Debatte dazu ist dann auch eine Frage, in welcher Phase der persönlichen Bewältigung des Neuen sich der jeweilige Protagonist befindet, sagt Kruse, selbst Jahrgang 1955. Es ist an der Zeit, deutlich zu machen, dass sich mittels Nutzung dieser neuen Online-Formate eine deutliche „Machtverschiebung“ ergeben hat. Die naturgemäß diejenigen schmerzt, die diese vorher inne hatten. Nicht mehr die Sender bestimmen, sondern jetzt sind es die Empfänger, diejenigen, die die Resonanz erzeugen können. Die Möglichkeiten hier werden immer wieder mit dem „Schmetterlingseffekt“ aus der Chaostheorie verglichen, nach dem Motto „kleine Ursache – große Wirkung“. Dieses Phänomen gab es auch beim Bürgerhaushalt, als ein Feuerwehrmann offenkundig mit einem Eintrag eine ganze Hierarchie einer Organisation in Frage gestellt hat, die sonst nur in kleinen Kreisen zu Sprache gekommen wäre.

Neues Politikverständnis
Ohne Experimentierfreude würde sich Demokratie nicht weiterentwickeln. Dazu gehört auch die Überwindung der Angst in der Politik vor unvorhergesehenen Ergebnissen, vor Verlust der alleinigen Deutungshoheit von komplexen gesellschaftlichen Zusammenhängen, die die Politik längst alleine nicht mehr bewältigen kann.

Du jedoch nimmst grundsätzlichen Bezug auf das antike Politikverständnis, Du schreibst, man müsse sich auf die Ursprünge besinnen, um dem Nebel der Gegenwart begegnen zu können: Das System der Politik beruhe auf der Vorherrschaft des gesprochenen Wortes über alle anderen Instrumente der Macht. Du bemühst das Logos in der Form der vernünftigen Rede. Es bedürfe auch eines Publikums, an das sich das gesprochene Wort als seinen Richter wendet. Diesem aristotelischen Standpunkt sind etliche philosophische Diskurse gefolgt und auch vorgelagert, die die Redekunst sehr kritisch hinterfragen. Zunächst gilt es zu klären, ob die Redekunst dieser Tage denn wirklich die Kunst des Überzeugens ist mit dem Ziel der Wahrheit mittels der Glaubwürdigkeit näher zu kommen - oder ob sie nicht doch eher zur Überredungskunst mutiert ist. Es gab und gibt viele Virtuosen, die die Klaviatur der Rede glänzend beherrscht haben, viel Freude am öffentlichen Auftritt zeigten aber am Ende mit wenig Feingefühl für die Wirkungen ihres Spiels grandiosen Schaden angerichtet haben. Redekunst, besonders der Politiker, erleben „wir“ fast täglich in den medialen Sprechblasen der Talkshows, in denen Politik zum wohlfeilen Populismus verkommt, Politiker aller Parteien sich dabei überbieten, gedrechselte Worte wiederzukäuen und dabei neuerdings Lobeshymnen auf die populäre Bürgerbeteiligung dichten. Von logos ist dabei wenig zu spüren. Den Punkt, dass Redekunst auch zwingend dazu eingesetzt wird, Macht herzustellen, können wir gerne an anderer Stelle weiterführen....

Zudem führst Du den antiken Gedanken an, Politik impliziere „Gemeinschaft“ und finde sich auf dem Marktplatz, dem öffentlichen Versammlungsplatz der Bürger. Diese Idee kann ich verstehen, wenn so etwas auf dem Marktplatz im Ortsteil Isselhorst vielleicht noch möglich ist. Allerdings schließt das auch diejenigen aus, die nicht auf dem Markt einkaufen (können) und die nicht zu den bekannten Gesichtern des Dorfes zählen – also viele, wenn man bedenkt, dass Isselhorst eine gut situierte Bürgerschaft sein Eigen nennt. Das entspringt der Ära des alten Buddenbrook, der als langjähriger Senator mit Zylinder auf dem Kopf einzelne Gespräche mit der Bürgerschaft suchte, die ihm schmeichelten und seine Sorge um das Gemeinwohl öffentlich zur Schau stellten. Und noch eins: Platon war auch kein Demokrat an sich. Am Ende verlangte er die bedingungslose Aufopferung der Einzelnen für ihr Gemeinwesen. Demokratie und ihre Erscheinungsformen haben sich nun seit Jahrhunderten weiterentwickelt. Und sie wird auch jetzt nicht stehen bleiben, wo sie ist. Das zumindest sagte auch Platon: Unsere Staatsform der Demokratie ist noch nicht das letzte Wort, nicht einmal das vorletzte.

Experimente zulassen
In den kommenden Jahren wird sich das „System Politik“ dieser neuen Formen nicht verschließen können. Es muss Experimente zulassen, um überleben zu können. Die aktuellen Protestbewegungen machen das deutlich, in dem ein großes Maß an Anonymität existiert – vor der aber die Aktiven keine Angst haben, sondern diese als Transmissionsriemen zu nutzen verstehen. Die nachrückende Jugend ist hier bereits anders sozialisiert, es ist also nur eine Frage der Zeit, wann sich diese Änderungen ganz durchsetzen, obwohl sie im Prinzip schon immer im System geschlummert haben, leider all zu oft von der Parteienräson eingefangen wurden:
Bei unserer Umfrage der ehemaligen Ratsleute in Gütersloh (Zimmermann, Knopp, 2009) ist etwa deutlich geworden: Diejenigen, die zwischen 15 bis 25-Jahren in die aktive Kommunalpolitik eingestiegen waren, geben überdurchschnittlich oft an, „etwas außerhalb von Wahlen bewegen/gestalten“ zu wollen. Besonders wichtig war dabei offensichtlich das politische Zeitgeschehen zur Zeit des eigenen aktiven Einmischens in die Politik. Zudem sind der Wunsch nach mehr Demokratie sowie nach einem generellen Wertewechsel (herausragend: ökologische und soziale Sicherheit) besonders häufig als Antwort vertreten.

Wunsch nach Veränderung durch Parteien vereitelt
Nach dem Austritt aus der aktiven K-Politik gaben viele als Beweggrund an: An erster Stelle steht für die Mehrheit eine zu starke Parteiräson und ein starrer Fraktionszwang sowie krampfhaftes Festhalten an Parteiprogrammen statt das sachorientierte Ausloten von Lösungen. Es folgen das Fehlen von echter Bürgerbeteiligung, mangelnde Transparenz der Entscheidungswege innerhalb der Politik sowie oftmals mangelnde Sachkenntnis. Besonders kritisch werden die allzu groben politischen Auseinandersetzungen ohne erkennbare Wertschätzung sowie fehlendes interfraktionelles Arbeiten zum Erreichen von Lösungen betrachtet. Nur sehr wenige der ehemaligen Mandatsträger sind nach ihrem Ausscheiden aus den kommunalpolitischen Ämtern noch in der Partei aktiv. Einige wenige Befragte haben ihren Schwerpunkt auf außerparlamentarische Gruppierungen verlegt wie attac und Gewerkschaften. 68 % haben sich andere Ort des Ehrenamtes gesucht, etwa Vereine.

Was genau den Unterschied ausmacht zwischen dem kommunalpolitischen Wirken und dem Engagement in anderen Formaten beschreiben die Befragten sehr deutlich: Betont wird hier von fast allen Befragten die größere persönliche Freiheit, die sich vor allem darin ausdrückt, dass ein selbstbestimmteres Arbeiten außerhalb der Politik möglich ist, ebenso wie das lediglich kurzfristige Engagement möglich ist, die Regelmäßigkeit wegfällt, das Formelle fehlt, weniger Zeitaufwand betrieben wird und mehr Zeit fürs Handeln bleibt ohne Projekte zu zerreden. Der Aspekt, in diesem Rahmen mehr Veränderung herbeizuführen als in der Politik, kommt zahlreich zum Ausdruck.

Die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, noch einmal ein Mandat in der Kommunalpolitik übernehmen zu wollen, beantworten dann auch deutliche 65% mit einem klaren „Nein“.

Welche Änderungen konkret zu einer größeren demokratischen Teilhabe in Parteien und Kommunalparlamenten führen könnten, beschreibt der größte Teil der Befragten darin, mehr direkte Bürgerbeteiligung zu ermöglichen. Diese Aussage steht unangefochten auf Platz eins.

Keine Frage – einfach machen
Da kann ich mich nur anschließen. Und Dank dafür, dass Du mir weiterhin viel Kraft des „vollen Einsatzes“ wünschst, was immer das heißen soll. Um Erlaubnis fragen werde ich Dich jedenfalls dafür nicht.

Sonntag, 24. April 2011

Ostern 2011

Osterspaziergang

Johann Wolfgang von Goethe - Faust, 1. Teil
 
Vom Eise befreyt sind Strom und Bäche,
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Thale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,

Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,

Ueberall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen

Nach der Stadt zurück zu sehen.
Aus dem hohlen finstern Thor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feyern die Auferstehung des Herrn,

Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,

Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß, in Breit’ und Länge,

So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s seyn.

Kommentar zu meinem Blog: Pro Anonymität beim Bürgerhaushalt

Hier ein längerer Kommentar zu meinem Blog "Pro Anonymität beim Bürgerhaushalt" - von Siegfried Kornfeld, lange Jahrzehnte im Rat sowie in Ausschüssen der Stadt Gütersloh für die Grünen, aber ohne Parteibuch. Er bemängelt, dass nun wenige Zeilen in das Kommentarfeld passen. Seine Replik ist ungehalten, hier der gesamte Text im Original:

Liebe ehemalige Mitstreiterin Dr. Anke Knopp,
Marco Mantovanelli hat mich in seiner Fraktionsmail auf Deine Seite verwiesen, ich lese sie normalerweise nicht (auch nicht die von Wibke Brems oder der BfGT usw.). Immerhin hat sich Marco damit auf seine Weise um Transparenz bemüht, auch wenn Du ihm dieses Ansinnen sonst schon mal bestreitest.
Eigentlich möchte man ja im Alter milde werden – aber Dein Blogg hat mich geärgert.
Zunächst einmal begrüße ich es, wenn sich eine Initiative um mehr Bürgerbeteiligung – gerade in Angelegenheiten des Haushalts der Stadt – bemüht. Und wenn die diesjährige Internetplattform „Bürgerhaushalt“ einen Beitrag zu mehr Bürgerbeteiligung bewirkt, ist sie es wert, weiter verfolgt aber auch kritisiert und verbessert zu werden.
Wenn man den Anspruch erhebt, dass möglichst viele Menschen sich am politischen Diskurs beteiligen und von „Bürgerhaushalt“ spricht, muss sich die gesamte Bürgerschaft beteiligen können. Die derzeitige Form beinhaltet aber den Ausschluss einer breiten Bürgerschicht. Alle die, die keinen Internetzugang haben, sind von der Beteiligung ausgeschlossen oder können nur unter schwierigen Bedingungen teilnehmen. Das ist schon mal ein schwerwiegender Nachteil. Denn wer eine größerer Bürgerbeteiligung sucht, in der Form aber repräsentative Anteile der Bürgerschaft von einer Beteiligung ausschließt, begibt sich milde gesagt in Widersprüche.
Davon ist in allen Deinen Beiträgen allerdings keine Rede. Dagegen machst Du Dir Sorgen um die, die der Rechtschreibung nicht so richtig mächtig sind, um die, die sich mit ihren Nachbarn nicht anlegen wollen, um die, die erst einmal eine Hemmschwelle überwinden müssen, um sich an der Polis zu beteiligen. Und schreibst dazu, Anonymität sei die Voraussetzung dazu, diese Hemmschwelle zu überwinden.
Soweit ich die Beiträge gelesen habe, sind mir große Rechtschreibprobleme nicht aufgefallen. Als Herausgeber einer kleinen Ortsteilzeitung (DER ISSELHORSTER) habe ich es da oft mit sehr selbstbewussten Analphabeten zu tun.
Die Voraussetzung der Anonymität ist aber auch Bedingung der Möglichkeit, Gerüchte, üble Nachreden oder weit Schlimmeres in die Welt zu setzen. Auch die meisten Lobbyisten, jedenfalls die, die mir begegnet sind, arbeiten weitgehend anonym, zumindest nicht auf einem Markt, der für jeden transparent ist. Der Pressesprecher des Bertelsmann Konzerns lud mich dann zu einem Kaffee hinter verschlossenen Türen ein, wenn ich öffentlich etwas gegen das Gebaren des Konzerns zu sagen gewagt hatte.
Schließt die jetzige Form des „Bürgerhaushaltes“ schon große Gruppen der Bürgerschaft aus, so sollen diejenigen, die sich beteiligen können, anonym bleiben dürfen. Ihre Stimme soll zwar wahrnehmbar, aber ihr Sprecher nicht erkennbar sein. Das erinnert mich an die Homerischen Epen. Die Herrschaftsverhältnisse zwischen den Heroen wurden im Zweikampf ausgemacht, nur sie durften im Rat reden. Die Gemeinen waren davon ausgeschlossen, sie durften murmelnd ihre Zustimmung oder ihr Missfallen zum Ausdruck bringen – mitreden durften sie nicht. Wer auf der Plattform „Bürgerhaushalt“ anonym einen inhaltlichen Beitrag äußert, ist kein gleichberechtigter Teilhaber, sein Beitrag steht für nichts, er kann Beliebiges äußern, seine Äußerung hat für ihn keine Folgen, eine Auseinandersetzung mit ihm oder ihr ist nicht möglich. Das ist vergleichbar mit dem homerischen Murmeln. Es ist keiner Person konkret zuzuordnen, es ist aus seinen Beweggründen nicht zu verstehen. Du schreibst, das sei im Netz so und das Netz korrigiere sich selbst. Das mag vielleicht bei Wikipedia so sein, nicht aber bei diesen vielen schwachsinnigen Foren, in denen die Beteiligten anonym bleiben und auch nicht beim „Bürgerhaushalt“. Ich erinnere mich lebhaft an meinen ersten Chat im Rahmen der Kommunalwahl 1999 bei der NW. Ich bin da rausgekommen und habe gesagt, das war die flachste Form von Kommunikation, die ich in politischen Auseinandersetzungen bis dahin erlebt habe. Glaubst Du ernsthaft, das Sprachgewürge in den sogenannten „sozialen“ und anderen Netzwerken habe die Kommunikation zwischen Menschen verbessert? Glaubst Du wirklich, die bei Facebook aufgelisteten „Freunde“ hätten irgendetwas mit der Freundschaft zwischen Menschen zu tun, die sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen? Das Netz bietet ohne Zweifel viele gute Möglichkeiten, aber zu einer Verbesserung der öffentlichen Debatte leistet es nur unzureichende Beiträge. Inzwischen wird das Netz von nicht wenigen Bürgern als Instanz höherer Autorität beschworen, was im Netz steht, gilt unhinterfragt als richtig und wahr.
Nun ist Politik keine Enzyklopedie und die Beteiligung daran kann nicht anonym sein. Jedenfalls nicht dann, wenn es um Inhalte geht. Politik kommt von „polis“, womit nicht nur Stadt sondern in erster Linie die Gemeinschaft der Bürger gemeint ist. Gemeinschaft aber kann es nur unter physisch vorhandenen, identifizierbaren Bürgern geben, auch wenn ihre Kommunikation mit Werkzeugen der Technik zustande kommt. Und das System der Politik beruht auf einer Vorherrschaft des gesprochenen Wortes über alle anderen Instrumente der Macht. Und das gesprochene Wort ist nicht mehr das Wort des Rituals, der gesprochenen Formel wie in der Religion oder der Smiley in den Foren, sondern des logos, der vernünftigen Rede. Beides impliziert einen Sprecher, also eine identifizierbare Person, den Bürger / die Bürgerin, die sich der vernünftigen Rede bedient, sich also mit der Sache ihrer Rede auseinandersetzt. Es bedarf auch eines Publikums, an das sich das gesprochene Wort als seinen Richter wendet. Und dieses Publikum ist ebenfalls nicht anonym, sondern findet sich auf dem Markt, dem öffentlichen Versammlungsplatz der Bürger. Mit diesen zugegeben idealisierten antiken Vorstellungen von polis und Versammlungsplatz der Bürger und Bürgerinnen hat der digitale Marktplatz aber auch die digital und anonym geäußerte Stellungnahme nichts gemein. Aber manchmal ist es notwendig, sich auf die Ursprünge zu besinnen, um sich nicht im Nebel der Details der Gegenwart zu verlieren.
Selbst unser Wahlsystem ist nicht anonym, wie Du es in Deiner Argumentation ansiehst. Es bleibt zwar anonym, was gewählt wird, aber es ist öffentlich, wer berechtigt ist zu wählen. Teilnehmer einer Wahl müssen sich identifizieren. Das Organ des Wahlleiters kann und muss namentlich nachweisen können, wer an der Wahl teilgenommen hat und wer von den Wahlberechtigten nicht. Personen ohne Wahlberechtigung werden pingelig ausgeschlossen.
Teilhaber am politischen Prozess müssen sich also legitimieren. Die digitale Form des Gütersloher Bürgerhaushalts ist gewählt worden, um den Prozess der Beteiligung und der Entscheidungsfindung zu rationalisieren.
(Ein Ergebnis der Rationalisierung von Beteiligung und Entscheidungsfindung ist aber auch die repräsentative Demokratie und ein weiteres Ergebnis der Rationalisierung ist, sich ein Urteil zu bilden, wer um der Sache willen sich in den Prozess der politischen Auseinandersetzung einschaltet oder wer aus anderen Gründen die Zeit der politisch handelnden Menschen in Anspruch nimmt. Vielleicht warst Du nicht lange genug im Geschäft, aber glaub mir, die Motivation, mit Politikern zu sprechen, sind sehr vielfältig und oft nicht auf die Sache bezogen, die zunächst als Anlass vorgegeben werden. Das umfasst z. B. die Aussage eines Bürgers „Was glauben Sie denn, weshalb ich hier stehe und mich mit Ihnen unterhalte: jetzt nach zwei Stunden sind meine Kopfschmerzen weg und das ist der einzige Zweck meines Gespräches mit Ihnen“ bis hin zu der Äußerung einer Bürgerin „Ich möchte nur, dass überhaupt jemand mit mir spricht.“ Dass nicht alle Politiker auf kommunaler Ebene auch gute Sozialarbeiter, Gesprächs- oder andere Therapeuten sind, ist das auch der „politischen Kaste“ vorzuwerfen? ).
Die derzeitige digitale Form des „Bürgerhaushaltes“ lies es zu, dass auch „Nichtbürger“ teilhaben konnten (was ja auch passiert ist), die Form lies es ebenfalls zu, dass Bürger sich unter mehreren Namen registrieren konnten, auch wenn das in den „Spielregeln“ ausgeschlossen wurde. Das Ergebnis ist mit 1672 Teilnehmern durchaus beachtlich, aber keineswegs repräsentativ. Da nutzt es auch nicht, die Zahl durch Hinzuziehen der Zugriffe oder der Seitenaufrufe schön zu reden, wie D. Fiedrich es in einem Leserbrief gemacht hat. Die eingebrachten Beiträge sind mehr oder weniger sinnvoll, innovativ und insofern beachtenswert, aber eine Legitimation haben sie nicht.
Es ist ein Versuch, eine größere Zahl von Bürgern an kommunalpolitischen Entscheidungen zu beteiligen. Nicht mehr und nicht weniger. Und wenn dieser Versuch weiter gehen soll, bedarf es der Korrektur der Regeln. Und eine dieser Korrekturen muss die Teilnahme unter vollem Namen und Adresse sein. Bürger und Bürgerinnen müssen sich nachprüfbar legitimieren.
Rationalisierungen in dem Prozess politischer Beteiligung und Entscheidungsfindung bewirken nicht automatisch eine Verbesserung der Entscheidungsqualität, rechtfertigen allerdings auch nicht ihre Fehlentwicklungen. Demokratische Verhältnisse (und deren Verbesserung) hat es nie ohne Mühen gegeben. Änderungen und Korrekturen an Fehlentwicklungen auch nicht und die Geschichte ist voll von Mühen identifizierbarer Menschen oder Gruppen um Verbesserung der Prozesse oder der Abwendungen von Fehlentwicklungen. Namen (insbesondere aus Gütersloher Initiativen) brauche ich Dir da ja wohl nicht zu nennen.
Beteiligung an der polis ohne Mühen und ohne Folgen für die beteiligte Person, den Bürger, die Bürgerin ist nicht möglich. Und diese Folgen muss der Bürger / die Bürgerin, so er / sie denn einer / eine sein will, aushalten. Dieses Aushalten der Folgen ist in unserer derzeitigen historischen Situation durchaus zumutbar. Folgen können die Hinterfragung der Argumente sein, der Hinweis, diesen oder jenen Aspekt nicht beachtet zu haben usw.. Um Rufschädigung, gar um Gefahr von Leib und Leben muss in unserer Situation niemand Sorge haben.
Natürlich kann man mit Angabe des Namens als auch ohne diese Angabe Beteiligungsunsinn betreiben. Ich habe oft die Unterschriftslisten von Bürgeranträgen durchgesehen und erstaunliche Dinge gefunden. Bürger, die zwar eine Unterschrift gegeben hatten aber keinen blassen Dunst von dem Sachverhalt hatten, den sie da unterschrieben hatten (Ich habe stichprobenhaft angerufen). Bürger, die seinerzeit bei der Umgehungsstraße Friedrichsdorf sowohl auf Anträgen für als auch gegen die Umgehungsstraße unterschrieben hatten. Das bestärkt keineswegs Deine „Pro Anonymität“ Argumente. Nur mit der Unterschrift waren Widersprüche, Missverständnisse, Unverständnisse aufzuzeigen. Dass Menschen ihre Unterschrift für etwas geben, was sie nicht verstehen oder womit sie sich nicht beschäftigt haben, zeigt, dass Beides zusammen gehört: 1.) der Bürger als identifizierbare Quelle und 2.) der logos, der vernünftigen Rede, einer Rede, die sich mit den zugrunde liegenden Sachverhalten auseinander gesetzt hat und die diesem identifizierbaren Bürger zuzuordnen ist. Ein politischer Diskurs ohne jede Kenntnis des Sachverhaltes erscheint mir als nicht möglich – auch, wenn nicht erwartet werden kann, dass jeder Bürger sich in beliebige Tiefen der Argumentation begeben kann. Aber in der politischen Auseinandersetzung mit Bürgerinnen und Bürgern ist es mir oft passiert, dass vordergründig „naive“ (naiv im Sinne von Ursprünglichkeit) Beiträge zum Nachdenken zwingen.
In meinen 25 Jahren Ratszugehörigkeit bin ich von vielen Menschen kontaktiert worden, zu Gesprächen eingeladen, angeschrieben, angemacht, beschimpft, verhöhnt und sogar angespuckt worden. Beschimpfungen und Verleumdungen, aber auch Denunziationen kamen oft anonym. Auf sie konnte ich nicht reagieren. Einmal habe ich Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt, das war natürlich auch nur Ausdruck der Hilfslosigkeit.
Mit den nicht anonymen Menschen habe ich mich dagegen auseinandersetzten können, mich ihren Fragen gestellt, ihre Kritik gehört und versucht, die Zusammenhänge der Materie nach meinem Verständnis und die Gründe meiner Entscheidung darzulegen. Oft über viele Stunden des Gespräches oder viele Seiten schriftlicher Korrespondenz. Manchmal mit dem Ergebnis einer bereichernden Auseinandersetzung, in Einzelfällen auch mit dem Ergebnis einer schriftlichen Entschuldigung – von meiner Seite, aber auch von Seiten der Bürger.
Das „Schema der bisherigen politischen Kultur“ ist sehr viel differenzierter, als Du es in Deinem Blogg darzustellen versuchst. Und ich unterstelle, dass Du das auch weist. Da gibt es nicht nur auf der einen Seite die „Kaste der Politiker“, zynisch, korrupt und empfindungslos wie ein Türpfosten (die gibt es, aber die gibt es auch in der Wirtschaft, in der Rechtsprechung, in den Banken in den Kirchen, Gewerkschaften, Sozialverbänden…), sondern es gibt auch den ängstlichen, zaghaften wie ein Halm im Winde der öffentlichen Meinung sich Windenden, der den Satz des Widerspruchs nicht kennt, sich keinen Standort erarbeitet hat, kein Gestern und kein Morgen kennt, sondern an den Pflock des Augenblickes gebunden den vermeintlichen Erfordernissen hinterher rennt, soweit seine Kette es zulässt. Aber es gibt in der Politik auch Menschen, die sich um Lösungen bemühen, die zwischen den verschiedenen Interessen zu vermitteln versuchen, die um Kompromisse bemüht sind und die einen nicht unerheblichen Teil ihrer Lebenszeit dafür einsetzen, ehrenamtlich. Und es gibt besonders oft in der Politik auch menschliche Beschädigungen.
Auf der anderen Seite gibt es auch nicht nur den hehren Bürger, der selbstlos in seinen Äußerungen das Gemeininteresse im Blick hat und danach handelt. Den gibt es zwar, aber es gibt auch den, der von nichts eine Ahnung hat, es gibt fundamentale Interessengegensätze, es gibt Bürger, die ausschließlich ihrem Eigeninteresse folgen. Und es gibt auch in der Bürgerschaft Menschen mit Beschädigungen. Den Typus des Egoisten habe ich unter den Politikern wie unter den Bürgern häufiger angetroffen, als den des Altruisten. Was Du dazu in Deinem Blogg schreibst, ist schlicht und ergreifend Unsinn.
Seiten wie die Deine tragen leider ihr Scherflein zu dem Bild „der Kaste der Politiker“ bei, wie es am Stammtisch oder unter sonstigen Fußkranken der Staatsbürgerkunde gepflegt wird. Es tut mir leid, Dir das in dieser Härte sagen zu müssen.
Und dazu tragen auch anonyme Briefe oder sonstige anonymen Äußerungen von Menschen bei, die sich nicht zu erkennen geben. Die Angst machen. Meine Frau hat sich an unserem früheren Wohnort geängstigt, weil sie sich von einem Psychopaten beobachtet und schriftlich bedroht fühlte, mit dem ich es zu tun hatte. Einem Psychopaten, der seine rhetorischen Fähigkeiten und seine Skrupellosigkeit anonym einsetzte. Auch damit hat man es in der Kommunalpolitik zu tun. Ist es da verwunderlich, wenn man sich ein „dickes Fell“ zulegt?
Die Folgen einer anonymen Beteiligung erfahren in der Quotenermittlung beim Fernsehen ihre erbärmlichste Ausformung, gut quotierte Sendungen sind in der Regel niedrigstes Niveau.
Dass die Prozesse der Entscheidung unter der unabweisbaren Notwendigkeit ihrer Rationalisierung verbessert werden müssen, dass sie einer breiteren Beteiligung bedürfen, ist nicht zu bestreiten. Aber eine bequeme und anonyme Beteiligung vom Sofa aus ohne Verantwortung für das dort Eingebrachte, wird die Qualität politischer Entscheidungen weder verbessern, noch den Prozess der Entscheidungsfindung transparenter machen.
Du selbst hast mal das Modell der Dienelschen Planungszelle in die Diskussion gebracht. Varianten davon sind in der Stadt wiederholt angewandt worden, beispielsweise bei der Entwicklung des Stadtentwicklungskonzeptes. Die Lösungen, die dort öffentlich erarbeitet wurden, waren gar nicht so schlecht, wurden aber oft wieder ad absurdum geführt, wenn aus der Anonymität dagegen geschossen werden konnte, ich vermute, von denselben Bürgern und Bürgerinnen, die zunächst öffentlich an konsensfähigen, akzeptablen Lösungen mitgewirkt hatten. Und der Konsens und die Akzeptanz wurden öffentlich erfragt.
Varianten dieser Methode könnten auch auf den Bürgerhaushalt angewandt werden. Bequemer wäre diese Methode nicht, aber wie schon mehrfach gesagt: bequem ist Demokratie nun mal nicht, man muss sich schon dafür einsetzen und dafür „aus dem Haus gehen müssen“. Mit seiner Person. In öffentlicher kontroverser Debatte, Diskussion, Argumentation. In der das Argument zählt und nicht die Stimmungsmache.
Ich wünsche uns allen, dass der Prozess einer besseren Beteiligung in der Kommunalpolitik gelingt. Dazu ist der digitale Bürgerhaushalt ein Modell unter anderen Modellen. Aber Teilhabe kann nur verantwortliche Teilhabe sein. Und die bedarf der Identifikation der Teilhaber und Teilhaberinnen. Auf der Plattform des Bürgerhaushalts wird von „Spielregeln“ gesprochen. Verantwortliche Teilhabe aber ist kein Spiel, das man aufnehmen, aber auch wieder fallen lassen kann.
In diesem Sinne wünsche ich Dir weiterhin die Kraft des vollen Einsatzes! Aber auch der Nachdenklichkeit. Sei gewiss, dass ich mich gelegentlich öffentlich zu Wort melde. Du kannst diesen Beitrag gern auf Deiner Seite veröffentlichen. So wie sie derzeit angelegt ist, ist sie auch sehr hierarchisch. Kommentare sind zwar möglich, aber können nur in einem kleinen Kästchen eingesehen werden. Eine gleichwertige Auseinandersetzung ist so nicht möglich, vielleicht auch nicht gewünscht. Womit wir wieder beim Thema wären: Murmeln ist zulässig, mitreden eher nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Kornfeld

Samstag, 23. April 2011

Bouns-Zahlungen: Aus "gut" machen, was es ist!

Bonus heißt "gut"
Bonuszahlungen: Alle Bankhäuser zahlen sie mindestens einmal im Jahr an ihre Manager in den Chefetagen. Bonus, das lateinische Adjektiv bedeutet: gut. Es wird als Begriff für Zuwendungen von Geld oder Punkten etc. für besonders gute Leistungen genutzt. Das Gegenteil von „bonus“ ist „malus“. Lateinisch für „schlecht“, im Gebrauch von Punktabzug.

Seit der Bankenkrise von 2008, die die globale Welt mit einem Wimpernschlag  in die roten Zahlen katapultiert hat, kennen wir uns ein klein wenig mit dieser Begriffswelt aus: Derivate, Ratingagenturen, Bonus-Zahlungen, all dieser Bankensprech ist plötzlich so geläufig wie Hagelschauer und Sandburg. Spätestens nach dem ersten Sonderbericht in der Tagesschau teilen wir diese Fachsprache und haben damit die Denke der Banker übernommen. Damit sind wir Teil ihres Systems, weil wir es sprachlich teilen. Aber wir teilen die Inhalte nicht!


Bankenrettung
Das globale Bankensystem kann der „kleine Mann“ nun nicht ändern. Daran sind weltweit schon die Regierungen grandios still gescheitert. Statt Regulierung der Finanzmärkte folgte die „Bankenrettung“. So sind wir als Gesellschaft nicht nur Teilhaber der Bankensprache, sondern auch ohnmächtige Anteilseigner der Banken. Denn der gemeine Steuerzahler, also du und ich, wir haben den Bankrott durch unsere Steuergelder verhindert.


Nehmen wir einmal die Commerzbank, die mit dem gelben Schriftzug und neue Eignerin der Dresdner, die mit dem grünen Band der Sympathie. Mit rd. 18 Mrd. Euro wurde sie vom Staat vor dem Absturz geschützt. Heute werden Boni-Zahlungen im dreistelligen Millionenbereich für „außergewöhnliche Leistungen“ möglich.

Empörung erwacht zyklisch
Während das System „Finanzparkett“ unverändert weiter wirkt, erwacht unsere Empörung wiederkehrend immer dann neu, wenn die großen Banken ihre Bilanzen vorstellen. Und eben auch die Bonuszahlungen an die Nadelstreifenanzugträger in den Chefetagen bekannt geben (müssen). Glücklicherweise teilen wir daher kollektiv auch das Unrechtsbewusstsein. Das Credo, die Bänker seien unmoralisch, sittenwidrig, verwerflich, schamlos, eint uns.

Warum "gut" nicht einfach ändern?
Wie gesagt, das System Geld können wir nicht ändern, es ist fest in den Händen weniger. Warum aber teilen wir deren Sprache und manifestieren „Bonus“ als „Bonbons“ für die Manager? Denn die Bedeutung eines Wortes bestimmt allein sein Gebrauch in der Sprache. Nun ist Sprache durchaus frei verfügbar, nicht privatisiert und ein Segen (!) in den Händen vieler: Machen wir als Sprachgemeinschaft doch einfach aus den Bonuszahlungen, Maluszahlungen. Mit der Sprachhoheit erobert sich die Sprachgemeinschaft zumindest verbal zurück, was ihre Volksvertreter nicht ändern können: Aus einem gezahlten „Bonus“ für moralisch verwerfliche Leistung können wir wieder das machen, was es eigentlich ist: nämlich ein „Malus“ - ein Punktabzug für Banker. Sprache ist das alleinige Vehikel unseres Denkens und formt in der Konsequenz eine Lebensform, sagt Wittgenstein. Das wäre zumindest eine verbale Satisfaktion fürs ohnmächtige Beiwohnen ungerechter Handlungen in unserer modernen Welt.

Samstag, 16. April 2011

Freitag, 15. April 2011

Zurück zum Alltag - zum Alltag zurück?

Kilometerzahl unwichtig, Wolken sind grenzenlos






"Konsequenzen aus der Atomkatastrophe in Fukushima" wollen die Grünen im Kreis Holzminden ziehen. Mit einem Antrag für den Sonderkreistag am Freitag, 15. April, um 17 Uhr im Kreishaus will die Fraktion, dass der Landkreis die Bundes- und Landesregierung auffordert, für die "schnellstmögliche und endgültige Stilllegung des Atomkraftwerks Grohnde" zu sorgen. 

Große Landstriche des Kreises Holzminden liegen in der 20km-Evakuierungslinie des AKW Grohnde. Im schlimmsten Fall wäre der Landkreis auf Jahrzehnte verstrahlt. Und was passiert mit den Menschen, die in der direkten Umgebung evakuiert werden müssten? Diese und weitere Fragen stellt heute die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Sondersitzung des Kreistages. 

Und wie weit ist Gütersloh entfernt? 80 Kilometer? Und kommt der Wind nicht oft aus Westen? Schon vor zwanzig Jahren haben die Grünen gefragt, ob es eigentlich eine Strategie für solche Katastrophenfälle gibt. 
Antwort: Soetwas passiert hier nicht!
 
Na dann.