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Mittwoch, 11. Juli 2012

Zeit für Aviophobie - Sommer 2012

Urlaubszeit. Zeit der Flugreisen. Zeit für Aviophobie - man nennt es auch "Flugangst".

Immerhin leiden rund 15 Prozent aller Deutschen "offiziell" daran, die Dunkelziffer ist wohl weitaus höher. Und dabei sind die Fluggastzahlen im ersten Quartal 2012 deutlich angestiegen, 20,9 Millionen Menschen flogen in der Zeit von deutschen Flughäfen ab!

Ich war eine davon, im 2. Quartal.



 
Die Wetterkarte hatte es schon ahnen lassen - Regen, Sturm. Keine guten Voraussetzungen fürs Fliegen. Schon gar nicht in einer Fokker 50, wo jeder gleich per Du ist, weil nur eine Handvoll Reisende da reinpassen, die sich schon auf dem kleinen Treppchen beim Einsteigen geortet haben. Sitzt man erst in einer solchen Maschine, gilt nur noch das Vertrauen in den Piloten - oder in den lieben Gott. Oder dem Gesichtsausdruck der Stewardess. 
 
Wenn am Himmel aber "Turbulenzen" den Flieger derart schütteln, dass die Katastrophenbilder aus dem Kopf real werden könnten, hilft der Glaube kaum mehr weiter. Auch ein Blick auf die ewig lächenlnde Flugbegleiterin kann das nicht ändern. Und wenn sich dann zu allem Überfluss auch noch der Kapitän hochst persönlich genötigt sieht, anzusagen: "Hier spricht Ihr Flugkapitän! Meine Damen und Herren, wie Sie unschwer selbst spüren, passieren wir zur Zeit einige Turbulenzen. Wie werden diese Höhe in ein paar Minuten hinter uns haben." Knacken in der Leitung. "Bitte bleiben Sie so lange angeschnallt und haben Sie Geduld." - dann steigt die Zahl der Aviophoben um ein Vielfaches.

Da hilft nur ein kurzer Klick vor Abflug auf die Internetseiten unter der Rubrik "Flugangst".

Hier findet sich ein schönes Verzeichnis aller möglichen Szenarien, die einem während eines Fluges begegnen könnten. Mein Favorit auf diesem Flug war also: "Turbulenzen" - "Das die Luft nicht ruhig ist, sondern ständig in Bewegung, merken wir auch auf der Erde immer wieder (Wind, Sturm.. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Fliegen. Durch die verschiedenen Luftströmungen kann es immer wieder Phasen von unruhiger Luft geben. Man muss sich das so vorstellen wie Wellen auf dem Wasser. Turbulenzen können zwar unangenehm sein, aber nicht gefährlich. (Aha!) Ein Flugzeug ist für ein Vielfaches an Belastungen gebaut, welche bei einem Flug auftreten können. Turbulenzen können ein Flugzeug nicht zum Absturz bringen. (Sagt nochmal wer?) Man sollte dennoch darauf achten, nach Möglichkeit immer angeschnallt zu bleiben, da Turbulenzen auch ohne Ankündigungen auftreten können und so ein Verletzungsrisiko besteht."

So, das wusste ich nun theoretisch. Praktisch aber half es nichts. Schlecht auch, wenn bis zum Zielort keine weitere Durchsage mehr erfolgt, wann denn nun genau diese Passage der Turbulenzen hinter dem Flugzeug liegt. Offensichtlich war das eine Langstreckenturbulenz, sie hielt bis das Fahrgestell ausgefahren war.

Auf dem Anschlussflug wurde ich gleich mit der zweiten Ernstfallübung konfrontiert: Beim Einchecken hieß es "Sie sitzen am Notausgang - da haben Sie mehr Beinfreiheit", es ist Reihe 12. Gut, freut mich. Reihe 13 hätte ich auch nicht genommen - die gibt es auch gar nicht, es geht nach 12 weiter mit Reihe 14!

Beim Boarding erkenne ich die Tragweite meiner Reihe 12. Es ist also die mit den beiden Notausstiegen in der Mitte der Fokker, mit Blick auf die Tragflächen, die Flügel. Das Flugzeug rollte bereits, da kam die Stewardess in ihrer schicken hellblauen Tracht auf mich zu und fragte, welche Sprache ich spreche. Ähm, ja, englisch, französisch, deutsch..... Yes, wählte sie also die englische Konversation. Und erklärte lächelnd aber ernst, im Falle eines Notfalles brauche sie meine Hilfe - weil ich ja am Notausgang säße. Sollte ich also das Wort "Evacuate aircraft" vernehmen, müsse ich den roten Hebel des Notausstieges nach unten ziehen und mit der anderen Hand den Griff zu mir heranziehen. So ließe sich das Fenster herausziehen, dieses sollte ich dann einfach nach draußen werfen, so dass die Passagiere das Flugzeug über die Flügel verlassen könnten. "Sind Sie dazu bereit?"



Ähm, ja. Immerhin war der Vorgang auch noch bildhaft auf dem Sitz meines Vordermannes platziert, so dass ich ausreichend Anschauungsmaterial hatte, diesen technischen Hilfsakt schon mal mental zu üben.

Zudem überwog nun neben meiner ausgeprägten Flugangst die Angst, das Codewort "Evacuate" zu verpassen und nicht rechtzeitig reagieren zu können. Zumindest diese Aufgabe hielt mich auf Trab und die Zeit verging "im Fluge". 

Der dritte Anschlussflug dann ließ mich meine Entscheidung, zu fliegen, bedenklich überdenken. Der Capitän erklärte uns Passagieren via Durchsage, der Flug dauere nun eine Stunde und 45 Minuten. Meine Augenbraue glitt nach oben. Wo wollte der gute Mann mit der Maschine hin, waren wir gekidnappt? Es handelte sich um einen Flug von Amsterdam nach Hannover, also 45 Minuten reichten völlig aus. Wieder knackte es im Äther. Der Copilot meldete sich: "Entschuldigen Sie bitte, meine Damen und Herren, (lachte leicht irre), es handelt sich um eine irrtümliche Durchsage.(Lachte  wieder und sagte nichts weiter.) Dann wieder Knacken in der Leitung. "Wir fliegen natürlich nur 45 Minuten und nicht eine Stunde länger." Lachen der Passagiere. Ich war mir sicher, der Anteil der Aviophoben lag am Ende meiner Reise bei deutlich 90 Prozent. Unausgesprochen, das leicht hysterische Kichern meiner Mitreisenden war mir Barometer genug. "Hoffentlich hat der sonst mehr Ahnung", lag in der dünnen, klimatisierten Luft, die kaum nach dem Start schon wieder Opfer der Turbulenzen des deutschen Sommerwetters wurde....

Vielleicht hilft am Ende gegen Flugangst nur die Konfrontationstherapie: sehe Deiner größten Angst direkt ins Auge. Oder besser: fliege unbedingt nur bei erkennbar schlechtem Wetter und schaue vorher alle Katastrophenfilme von "Mayday, Alarm im Cockpit" bis "90 Minuten bis zum Absturz". Oder man fliegt erst gar nicht.





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