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Donnerstag, 13. Januar 2011

Wasch mich, aber mach mich nicht nass.....

So so. Nun beginnt das Spiel "Wie geht es mit dem Bürgerhaushalt Gütersloh 2011" weiter. Bisher war der Prozess transparent: Auf der Homepage der Stadt Gütersloh, auch in Facebook und auf der Seite der Initiative "Demokratie wagen" konnte sich jeder informieren, einklinken und den Stand der Dinge verfolgen. 

Wissenschaftler als Leumund für das Versagen
Jetzt aber beginnt das politische Geschäft. Da gehen dann schon schneller die Lichter aus, was Transparenz und Ernsthaftigkeit angeht. Die CDU-Fraktion startet heute mit ihrer Intervention gegen die Ergebnisse des Bürgerhaushaltes gleich auf zwei Kanälen: Sie geht mit dem Politologen Dr. Stephan Eisel von der Konrad-Adenauer-Stiftung (Leitung Projekt "Internet und Demokratie") als Leumund in die Bütt, internetbasierte Bürgerhaushalte hätten aufgrund niedriger Beteiligung keine demokratische Basis. Ein Politologe tritt auf die Bremse titelt heute die NW Gütersloh. Nun ist es gut zu wissen, dass Herr Dr. Eisel nicht nur für die CDU-nahe Stiftung arbeitet, sondern auch für die CDU im Deutschen Bundestag gesessen hat. Im April kommt seine Untersuchung zu Bürgerhaushalten in Deutschland raus. Sein Fazit: 
"An die Legitimation demokratisch gewählten Gremien reicht es nicht im Entferntesten heran.", nachzulesen auf einer Seite der KAS. Für ihn ist die geringe Zahl der Nutzer ein Argument, den neuen Ansatz der Beteiligung vom Tisch zu wischen. Ferner begründet er das damit, hier hätten sich grundsätzlich nicht genügend "neue Köpfe" in das politische Geschehen einbinden lassen - sondern wie immer nur die, die eh schon aktiv seinen. Er nennt diese Gruppe die, die sich zwischen Partei und Karneval bewegten. Belegen lässt sich das allerdings nicht wirklich, da die Nutzung des Online-Portals durchweg anonym war. Er geht in Gütersloh also von einer Annahme aus. 

Nun ist ein Anteil von 1,7 Prozent in der Stadt Gütersloh oder real von 1.664 Teilnehmern relativ hoch, wenn man die Bezugsgröße Rat oder Ausschuss zugrunde legt. Im Rat sind derzeit 58 Mitglieder vertreten, die über den Haushalt abstimmen werden. 23 Mandate für die CDU-Fraktion, die mit der Plattform + (Grüne und UWG) die Mehrheit abbilden. Die Ratsleute sind gewählt, ja. Die Wahlbeteiligung an der letzten Kommunalwahl in Gütersloh lag gerade mal bei 50,9 Prozent aller Wahlberechtigten. Das ist nicht einmal die Hälfte der Gütersloher Bürgerschaft, denn nicht alle sind wahlberechtigt. Nun haben wir eine repräsentative Demokratie - was auch gut ist. Aber: Allein die Zahl der für die Aufstellung der Parteimitglieder für die zu wählenden Listen Zuständigen liegt im Promillebereich, wenn man denn demokratietheoretisch grundsätzlich werden will. Und noch eine Bezugsgröße: Während sich am letzten Haushalt niemand beteiligen konnte, die Quote also O Prozent ist, kann man durchaus von einer Steigerung und Belebung neuer interessierter Köpfe sprechen, wenn jetzt 1.667 mitgemacht haben. Folgende Zahlen sprechen zudem eine deutliche Sprache:   
  • Besuche: 17927
  • Seitenaufrufe: 292436
  • Registrierte Benutzer: 1667
  • Bürgervorschläge: 328
  • Bewertungen: 52371
  • davon Pro: 28787
  • davon Contra: 19387
  • Kommentare: 2278
Und auch das Onlineverfahren selbst gerät bei Dr. Eisel in die Kritik:
Grundsätzlich sieht der Politologe die Schnelllebigkeit des Internets als Problem für die Gewinnung politisch Interessierter. Für die meisten Nutzer sei es ungewohnt, sich Zeit für komplexe Sachverhalte zu nehmen. Politik spiele nur eine Randrolle im Internet, die Leute surften lieber kurz bei Wikipedia oder schauten nach ihren e-mails, wird er in der NW zitiert. Eine sehr spannende Aussage, die der 55-Jährige da macht, angesichts obiger Zahlen. Nun mag das Internet nicht in jeder Form direkt zu mehr Bürgerbeteiligung führen, es führt aber direkt zu einem höheren Informationsgrad der Bürgerschaft, aus dem jeder Zeit eine eigene Form der Beteiligung werden kann, die dann gewaltig ihre Belange artikuliert: Stuttgart 21, die Anti-AKW-Bewegung - alles Belege für eine politisch informierte und aktivbereite Gesellschaft, auch von - neuen Akteueren, wie man allenthalben lesen kann. Ich gerate an dieser Einschätzung Eisels ins Nachdenken und erinnere mich dabei an Bismarck, der gesagt hat:  "Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze aufs Pferd." Dieser Anachronismus muss selbst in den Reihen der CDU für Diskussionsstoff sorgen. Allein der Blick auf die Anforderungen der heutigen Wirtschaft an die Ausbildung, die die CDU-nahen Kreise ja immer als ihren wichtigsten Claim im Auge hat, kommt heute keiner mehr ohne Internet und Kenntnisse über profunde Recherche aus. Wie war das noch? Laptops in die Schulklassen? Und: Schon mal was von sozialen Netzwerken gehört? Hier geht Politik aber so richtig ab.

Skepsis auch bei der CDU-Ratsfraktion
Skepsis äußerte die CDU-Fraktion auch selbst durch eine Pressemitteilung, an den Abstimmungen hätten sich zu wenige Bürger beteiligt. Nun muss man konstatieren, dass die CDU-Fraktion allerdings wirklich nicht viel von öffentlicher Informationen hält, denn auf der Homepage der Fraktion sucht man vergeblich nach dieser öffentlichen Pressemitteilung zum Thema Bürgerhaushalt und die anstehenden Beratungen in den Gremien. Die Info erfährt der geneigte Beobachter nun wirklich nur aus der Zeitung. Kein wirklich gutes Omen für eine inhaltliche und ernsthafte Beschäftigung mit dem, was der Bürgerhaushalt als Ergebnis gebracht hat. 

Eigentlich aber hätte die städtische CDU durchaus lernen können. Ihr Vorschlag zur Haushaltskonsolidierung war doch vormals ein ganz anderer gewesen, der das Schwungrad Bürgerhaushalt überhaupt erst ermöglicht hat: Der Konsolidierungsprozess durch Rödl und Partner. Die Finanzmisere zeichnete sich bereits 2008 ab. Da herrschte zudem noch der globale Finanznotstand. Der reichte auch bis nach Gütersloh. Sparen war angesagt. Aber Politik und Verwaltung waren für externe Beratung. Man wollte Kernzahlen zur Orientierung und Vorschläge für eine Streichliste. Nur wollte man die nicht selbst anfertigen - die CDU hätte die Chance gehabt als stärkste Fraktion in der Plattformgemeinschaft mit Bündnis 90/Die Grünen. So entschieden sich die politischen Gremien aus der letzten Ratsperiode aber bereits in der 36. Sitzung des Rates am 20. Juni 2008 für das Beratungsunternehmen Rödl & Partner aus Nürnberg. Dem Konzept wurde mit außerplanmäßigen Ausgabemitteln in Höhe von 165.410 Euro für die Unterstützung des Prozesses der Haushaltskonsolidierung zugestimmt. Sogar dann einstimmig mit damals 37 Ja-Stimmen angenommen.

In Folge ergaben sich zahlreiche Bürgerproteste, die in der Demonstration von mehr als 2.000 Schülerinnen und Schülern, Lehrern und Eltern gegen die Streichung der Zuschüsse für die Schulbibliotheken ihren Höhepunkt fandnen. Eine hohe Zahl an Bürgerbeteiligung. Und sicher viele, die sich vorher nicht (!) für Kommunalpolitik und Haushaltsfragen eingesetzt haben. Nur in negativer Konnotation. Bürger, die öffentlich protestieren, zeigen, dass Politik ihr Geschäft der Mitwirkung am der Meinungsbildung nicht akkurat ausgefüllt hat und die Bürger in ihrem ureigensten Lebensumfeld vor vollendete Tatsachen stellt, die keinen Rückhalt finden. 

Während der Kommunalwahl 2009 waren dann alle Parteien auf das Motto Bürgerhaushalt für 2011 aufgesprungen. Der politische Druck von der Straße war noch sehr spürbar und saß den Parteien in den Knochen. Der Startschuss für das Beteiligungsverfahren war doch ganz gelungen: Im Finanzausschuss der Stadt hatten sich die Mitglieder einstimmig für die Durchführung eines Bürgerhaushaltes ausgesprochen. Die weitreichende Vorlage kam von SPD und BfGT.  16 Pro-Stimmen, keine Gegenstimme. Ratsherr Wiesner (CDU) hatte zudem darauf hingewiesen, dass ein Fokus auf eine Internetabstimmung durchaus berechtigt sei, da das Internet das effektivste Medium für eine solche Abstimmung sei.

Es gilt also zu rechnen: 165.410 Euro als Investition in Dritte, die stellvertretend für die Politik den Haushalt sanieren wollten und damit über 2.000 protestierende Bürger auf den Plan riefen, die sich lauthals auf der Straße gegen die Entscheidung der Politik aussprachen. Hinzu kommen noch die zahlreichen Elternproteste gegen die Erhöhung der Kita-Gebühren.Ergebnis: Bürgerbeteiligung hoch aber kontra.
Dagegen stehen dieses Jahr 70.000 Euro Investitionssumme für den Bürgerhaushalt (der nun bezahlt ist und für mehrere Jahre dienen kann) - sowie 1.667 User. Anzahl der Vorschläge siehe die Zahlen oben:
  • Besuche: 17927
  • Seitenaufrufe: 292436
  • Registrierte Benutzer: 1667
  • Bürgervorschläge: 328
  • Bewertungen: 52371
  • davon Pro: 28787
  • davon Contra: 19387
  • Kommentare: 2278
Diese Relation scheint zu belegen, dass das Onlineverfahren zum Bürgerhaushalt als Legitimation für politisches Handeln schon recht tauglich ist. Ziel war es doch auch, Menschen zu beteiligen und den Bürgern ein Sprachrohr zu geben für Vorschläge und Anregungen. Rückhalt in der Bevölkerung bei engem Finanzrahmen ist unbezahlbar. 
Das jedenfalls hat auch die CDU sehr präsent in ihr Kommunalwahlprogramm geschrieben. Sie wünsche sich eine aktive Bürgerschaft. Unter Punkt 1 steht da, sie wolle die Eigenverantwortung stärken und Mitwirkung ermöglichen. Sie postuliert eine stärkere Einbindung der Ideen und Anliegen der Bürgerschaft in die politischen Entscheidungsprozesse sowie von einer Übertragung von Aufgaben und Kompetenzen auf eine aktive Bürgerschaft. 

Die hat sie nun! Nun muss sie diese auch ernst nehmen und nicht kleinrechnen. Alles andere wäre nicht ehrlich und dem demokratischen Prozess noch abträglicher als garkein Bürgerhaushalt.

Wasch mich, aber mach mich nicht nass  - das taugt in der Demokratie garnichts. Weder online noch offline.

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