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Dienstag, 8. März 2011

Der Rentenbescheid

Eine satirische Betrachtung zum Weltfrauentag am 8. März

Noch bin ich keine Rentnerin. 23 Jahre trennen mich noch von einem solchen Dasein. Gut dass ich diesmal kein Mann bin, dann wären es zwei Winter mehr. Trotzdem sieht sich der Deutsche Rentenversicherer Bund bemüßigt, mir dieser Tage wie schon einmal im Vorjahr meine persönliche Rentenhochrechnung per Post ins Haus zu schicken. Wie allen versicherten, berufstätigen Bürgern dieses Landes gleichfalls, nehme ich an. Wie hoch wohl die Portokosten dafür ausgefallen sind und aus welcher Kasse werden die bezahlt?

Der Inhalt des Briefes zeigt sich knapp und informativ, dennoch ist ein warnender Zeigefinger durch die Zeilen zu erkennen: Würde ich in dem Maße weiterzahlen wie bisher, bekäme ich 2030 gerade einmal xx Euro Rente im Monat. So das Rechenexempel der Profis. Du musst privat vorsorgen, wenn Du im Alter überleben willst, schießt es mir durch den Kopf während ich aus dem Bürostress kommend mir noch den Mantel ausziehe und gleichzeitig die Einkäufe im Kühlschrank verstaue. Mit diesem Gedanken lege ich das Schreiben mit der noch freien Hand auf den Stapel unerledigter Lebensverwaltung.

Die Wirkung der Rentenbotschaft allerdings setzt unvermittel und etwas später ein, ein Wirkungsgrad wie eine bittere Pille mit Langzeitwirkung. Renteneintritt mit 65. Bis zum Jahr 2030 waren es nur noch 23 Sommerurlaube, 23 Weihnachtsfeste. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass schon 42 davon hinter einem lagen und diese Zeit verdammt schnell um war, zum größten Teil sogar beitragsfrei. Die Ausbildung und die Erziehungszeit für ein Kind fallen da kaum ins Gewicht. Und nach den verbleibenden 23 Jahren stehen am Ende magere xx Euro. Wie hoch war gleich die Inflationsrate, die Steigungsrate der Lebenshaltungskosten? Hatten die Stadtwerke nicht letzte Woche schriftlich höhere Energiepreise angemeldet? Und den Zapfhahn ließ ich beim letzten Tanken genau dann ausrasten, als die 20 Euro aufleuchteten, mehr war diese Woche nicht drin. Ein Liter für einen Euro fünfundfünfzig.

xx Euro - ein beunruhigender Hungerlohn für die Fleißarbeit, die Ausbildung, der Erziehungsanspruch und der tägliche Überlebenskampf, die schon hinter einem lagen. So langsam dämmerte mir die Schieflage der Gesellschaftspolitik: Als alleinerziehende Mutter mit einem 12-jährigen Sohn war ich ja schon heute finanziell nicht auf Rosen gebettet. Und dabei begann alles doch so hoffnungsvoll: Abitur. Mädchen sind ja schulisch immer besser als Jungs. Eine Ausbildung mit Abschluss. Ein Hochschulstudium, mit vorzeigbarerer Semesteranzahl, nämlich zehn inklusive bestandener Magisterprüfung und einer gleichzeitigen Aushilfstätigkeit, um ab und zu ein gutes Buch auf dem Nachttisch liegen zu haben - und zeitgleich Praxisbezug im Lebenslauf herzustellen. Dann der erste Einstieg ins Berufsleben, natürlich befristet. Und kurz darauf das erste Kind. Dann der Bruch im Leben. Kennen ja viele: Scheidung, Patchwork, neue Lebensentwürfe und so weiter. Willkommen im Land der Alleinerziehenden. Wie war das noch gleich, Frau Ministerin? Wir wollen die Familien im Lande wieder in den Mittelpunkt stellen? Blöd nur, dass dabei so viele Alleinerziehende noch mehr an den Tellerrand der Nation verschoben wurden. Komischer Denkansatz bei der belegbaren Scheidungsrate. 

Wie durch ein Wunder ergab sich die Möglichkeit der Teilzeitarbeit im studierten Fachgebiet. Aber eben nur Teilzeit. Was wiederum überhaupt ein guter Grund war, damals einen Kindergartenplatz zu bekommen. Der auch schon seiner Zeit nicht ganz billig war. Und wenn man dann in einem Betrieb erstmal als Teilzeit geparkt ist, bleibt man an eben dieser Parkuhr stehen. Alleinerziehend: Da drohen dauernd kranke Kinder am Horizont, das Verlassen des Büros mit fliegenden Fahnen und zwangsweiser Telearbeit bei maximal 10 Tagen Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Wie das mit der Beförderung geht, kann man sich immer gerne bei den männlichen Kollegen ansehen. Damit man weiß zum mindest theoretisch, wie das im Prinzip laufen könnte. Teilzeit übersetzt in den Alltag bedeutet Sparen, wenig Zeit, selten Teilhabe und Schmalhans Küchenmeister. Wir kochen nicht mit dem goldenen Löffel, sondern mit dem Taschenrechner. Miete, Nebenkosten, Kindergarten, Hort. Kleidung. Schuhe. Ach ja. Für was man alles Schuhe braucht, wird einem erst mit Kindern klar: Hausschuhe, Winterschuhe, Sandalen, Turnschuhe – weiße Sohle für drinnen, schwarze für draußen – und diese selbstverständlich stets in passender Größe, mindestens dreimal im Jahr. Warum vergeben die Schuhhersteller eigentlich keine Langzeitabonnements? Das wäre mal Kundenbindung. 
 
Ein Segen – es kommt zum Teilzeiteinkommen noch das üppige Kindergeld von 184 Euro für das erste Kind hinzu. Mein Kind wird später sicher keine Lust haben, sich dann auch noch um die alte Mutter zu kümmern, geschweige denn, sie mit ins Eigenheim zu nehmen. Und ein Altenheim müsste auch bezahlbar sein.

Mir kommt ein rettender Gedanke: Im Baumarkt neulich, da standen draußen ganz großartige kleine Blockhäuser. Mit einem Eingang und immerhin zwei Fenstern. Wenn ich frühzeitig, also heute (!) in solch ein Haus investieren würde, könnte ich später darin wohnen. Und vielleicht die Stadt fragen, ob sie nicht einen Stellplatz auf einer öffentlichen Wiese für diese Frauen-Häuser (das nenne ich mal einen moderenen Transfer von Sprachgebrauch!) ausweisen möchte. Die Anschlussgebühren wären dann schon in den Tagen der Berufstätigkeit zu entrichten und schlagen beim Renteneintritt nicht mehr zu Buche. Also diese Vorstellung beruhigt mich. Das hat Perspektive – vielleicht sollte ich diese Idee gegen ein Honorar an die zahlreichen Baumarktketten in Deutschland verkaufen? Und zum Weltfrauentag gibt es dann schon mal Rabatt auf das künftige Eigenheim. Dann kann mich auch so ein Schreiben vom Deutschen Rentenversicherer nicht mehr umhauen.

Montag, 7. März 2011

Bürgerhaushalt auf der Zielgeraden....

Letzte Woche erreichte mich ein Fragekatalog einer Schülerin einer Oberstufe zum Projekt "Bürgerhaushalt in Gütersloh". Spannende Fragen hat sie gestellt. Hier die Antworten:
1.
Wie sind Sie mit dem Verlauf des Bürgerhaushaltes Gütersloh zufrieden?


Die Antwort würde ich gerne differenzieren: Bisher zeichnen sich vier Phasen des Verlaufs ab. Mit Phase eins bis zwei bin ich sehr zufrieden, mit Phase drei bin ich keinesfalls zufrieden und Phase vier lässt sich noch nicht abschließend bewerten.

Phase 1 – Der Ursprung:
Der Bürgerhaushalt feiert seine Geburtsstunde bereits im Mai 2009: Im Frühjahr 2009 wurde das Konzept zur Haushaltskonsolidierung durch das Beratungsunternehmen Rödl&Partner (Nürnberg) in der Stadt Gütersloh verabschiedet – mit weitreichenden Folgen für die städtische Infrastruktur sowie viele freiwillige Leistungen der Stadt, die insgesamt gekürzt und sogar gestrichen werden sollten. Es ist damit der Eindruck entstanden, ein Konzept „von der Stange“ gekauft zu haben, welches vor allem einen sozialpolitischen Kahlschlag nach sich ziehen würde. Insbesondere durch das angekündigte Streichpaket im Bereich Bildung und Schulbibliotheken. Aus dieser Situation heraus hat sich die Bürgerinitiative „Demokratie wagen“ gegründet; dies mit dem Hauptziel, einen Bürgerhaushalt für Gütersloh zu etablieren, an dem sich die Bürger als direkt Betroffene mit ihrem breiten Wissen selbst über die Finanzpolitik austauschen und nicht ein externes Beratungsinstitut.

Die Initiative hat daraufhin ein Bürgerbegehren angestrebt und bereits rd. 2.700 Unterschriften dazu gesammelt. Zeitgleich stand im Herbst 2009 die Kommunalwahl in NRW auf der Tagesordnung. Durch den politischen Druck - bedingt durch die Haushaltsmisere - haben sich die damals im Rat befindlichen Fraktionen/Gruppierungen dazu entschlossen, die Idee eines Bürgerhaushaltes aufzugreifen und den Ratsbeschluss gefasst, diesen für das Haushaltsjahr 2011 einzuführen. Die Verwaltung wurde beauftragt, hierzu ein Konzept zu erstellen. Mit diesem Schritt war das Bürgerbegehren der Initiative hinfällig geworden.

Der Prozess bis zur Einführung eines Bürgerhaushaltes ist gut gelaufen. Es hat sich gezeigt, dass ein zunächst kollektives „Gefühl“ für unzumutbare Belastungen in einer Stadt zu einem unüberhörbaren Protest und später zu konkreter politischer Handlung führt. Das ist ein lebendiger Beweis dafür, dass die Menschen in einer Stadt nicht unpolitisch sind, sondern sich „ihre“ Politik auch wieder zurückholen können und Alternativen zu üblichen Entscheidungsprozessen entwickeln.

Phase 2: Die Konzeption und Durchführung des Bürgerhaushaltes
Die Verwaltung hat den Ratsbeschluss zur Einführung eines Bürgerhaushaltes konsequent umgesetzt – und hat zumindest die Erwartungen der Bürgerinitiative weit übertroffen. Die Verwaltung, insbesondere die Verantwortliche Kämmerin Christine Lang, hat von Anfang an auf ein großes Maß an Transparenz gesetzt und die Beteiligten sehr eng in den Entstehungsprozess zum Bürgerhaushalt einbezogen. Viele Fachgespräche sind geführt worden, die Pros und Cons wurden ausgetauscht, diskutiert und sind als wichtige Entwicklungsschritte mit in den Bürgerhaushalt eingeflossen.
Besonders wichtig war der Initiative, dass nicht nur Sparvorschläge eingebracht werden können, sondern auch politische Präferenzen, Meinungsbilder und Alternativen vorgeschlagen werden konnten. Diesen Wunsch teilte auch die Verwaltung und schließlich auch die Fraktionen, die dieses Format im Fachausschuss abgesegnet haben. Ferner wurde ein Gremium eingerichtet, welches den Prozess zum Bürgerhaushalt begleiten sollte, bestehend aus den Vertretern der Politik sowie einem Querschnitt von Bürgern aus dem Gesamtspektrum der Stadt.

Die Durchführung der Beteiligungsphase ist gut gelaufen. Die angesetzten drei Wochen der Online-Phase waren durchaus ausreichend. Problematisch war vielleicht der Zeitpunkt generell vor Weihnachten. Es hat sich gezeigt, dass eine Fülle an Vorschlägen eingegangen ist. Die Vorschläge sind dabei unterschiedlich zu gewichten, da es nicht nur haushaltsrelevante Ideen gab, sondern eben auch politische Anregungen wie etwa die Mittagsverpflegung von Schülern und Schülerinnen im Ganztagsschulbetrieb etc. Nicht nur die Zahl der eingebrachten Vorschläge von rd. 330, sondern auch die Beteiligung von 1,7 Prozent sowie die Häufigkeit der Klicks auf der Seite zeugen von einem hohen Interesse in der Bürgerschaft. Auch die zahlreichen Kommentare zeigen eine intensive Diskussion um kommunalpolitische Themen. Die Haushaltsdiskussion in der herkömmlichen Tradition wäre so gelaufen, dass ggf. zwei bis drei Interessierte auf der Tribüne gesessen hätten und dem Verfahren hätten lauschen können. Handlungsoptionen hätten sie nicht gehabt - und auch keine Möglichkeit des politischen Agenda-Settings, so wie jetzt beim Bürgerhaushalt.

Die Konzeptionsphase ist sehr offen und transparent gelaufen. Zudem bestand durch die stets offene Einladung der Bürgerinitiative an alle Interessierten auch zu dieser Zeit die Möglichkeit, sich auch schon im Prozess zu beteiligen. Die Phase der Durchführung wurde überschattet durch die Vorwürfe der Mehrfachnennungen sowie der unerlaubten Nutzung durch externe Nutzer. Diese war geknüpft an die Frage der Feuerwehr, die zu einer Berufsfeuerwehr umdeklariert werden sollte. Die Probleme der Mehrfachnutzung, der anonymen Nutzung und damit der Nutzung durch Externe sind bekannt, waren auch kalkuliert. Im ersten Durchlauf stand die Frage der niedrigschwelligen Beteiligung ganz oben. In einem zweiten Durchgang müsste man sich ggf. über einige Änderungen austauschen. Hierzu hat die Initiative bereits Vorschläge gemacht. Kritisch zu hinterfragen ist auch die mediale Strategie aller Beteiligter. Hier gibt es sicher noch mehr Möglichkeiten, den Bürgerhaushalt noch öffentlicher zu machen. Insbesondere in der Schülerschaft der Stadt war die Werbung für den Bürgerhaushalt eher schlecht. Und das, obwohl gerade Jugendliche hier besonders angesprochen sind, wenn man das Stichwort „Schuldenabbau“ und „Generationengerechtigkeit“ ernst nehmen will. Problematisch ist m.E. die Stellung des Beirates, der im Prinzip völlig wirkungslos und intransparent gearbeitet hat.

Phase 3: Die Rechenschaftsphase
Zur Zeit laufen die Diskussionen über die Vorschläge aus dem Bürgerhaushalt in den jeweiligen Gremien und Ausschüssen. Dazu hat einerseits die Verwaltung fachspezifische Vorschläge vorgelegt. Andererseits haben sich die Fraktionen dazu ausgetauscht und positioniert. Leider ist diese Phase überhaupt wenig transparent. Außer der Auflistung der Verwaltungsvorschläge dazu auf der Bürgerhaushaltsplattform findet sich kaum ein Hinweis auf die inhaltlichen Dikussionen. Auch die Parteien sind hier wenig transparent, wobei nach Fraktionen stark differenziert werden muss: Es ist schon deutlich interpretierbar, wer hinter dem Format Bürgerhaushalt steht und wer nicht. Ansonsten findet das Politikgeschäft in dieser Phase fast wie gehabt ohne öffentliches Interesse statt. Zudem laufen viele der Vorschläge ins politische Nichts, da sie entweder schon einmal beraten wurden oder dem Haushaltssicherungsvorschlag von Rödl&Partner unterliegen und bereits abgestimmt wurden oder aber weil die Verwaltung den Vermerk vergeben hat, zur Zeit bestehe kein Handlungsbedarf (etwa im Bildungsausschuss). Auch die politischen Parteien bieten keinerlei Formate zur Diskussion der Inhalte an, weder real noch im Netz. Funkstille. Die Verbreitung von Pressemitteilungen ist daher die Politikvermittlung der „alten“ Tage. Einbahnstraßenkommunikation. Die gewünschte Transparenz und die fortgesetzte öffentliche Diskussion fehlen fast komplett.

Phase 4: Der Ratsbeschluss zur Verabschiedung des Haushaltes
Der Rat wird voraussichtlich am 25. März den Haushalt 2011 verabschieden. In der letzten Ratssitzung ist daher erwartbar, dass einzelne Aspekte der Vorschläge resümiert werden. Ein Aufrollen der politischen und bürgerschaftlichen Diskussion steht allerdings wohl eher nicht an. Zu erwarten ist zudem ein generelles Resümee zum Bürgerhaushalt. Ob dabei auch schon die Frage einer möglichen Fortsetzung im kommenden Jahr auf der Tagesordnung steht, ist noch offen. Meiner Einschätzung nach werden die Fraktionen, die den Bürgerhaushalt nicht wirklich wollen, bereits hier deutlich machen, dass es eine zweite Runde nicht geben wird.  Diese Entscheidung erwarte ich von der CDU, der FPD und der UWG.

2.
Würden Sie das Verfahren „Bürgerhaushalt“ wiederholen?

Ja. Die Initiative auf jeden Fall. Das entscheidet aber der Rat.
Generell steht fest: Erst die Wiederholung vertieft die Erkenntnisse aus dem Bürgerhaushalt und übt den Umgang damit ein. Die Wiederholung allerdings sollte bereits die Weiterentwicklung beinhalten, d.h. die Kinderkrankheiten der ersten Runde sollten verbessert sein: Hierzu liegt bereits ein Katalog der Veränderungen vor. (Abrufbar auf der Homepage der Bürgerinitiative).
Hinzugefügt werden sollte sicherlich die Erkenntnisse über die Votingphase, in der viele Vorschläge relativ wenig Votes bekommen haben. Ggf. muss die „Longlist“ der Vorschläge hier zugunsten einer Priorisierung eingeschränkt werden. Zudem muss der Umgang mit neuen direktdemokratischen Formaten zunächst einmal etabliert werden und in den politischen Alltag der Menschen einfließen. Aus der Erfahrung der fehlenden Diskussion in der Rechenschaftsphase kann man also nur lernen: Nicht nur die Bürgerschaft ist aufgerufen, sich auch hier mehr einzubringen, sondern auch die Politik ist aufgerufen, hier ihre Angebote und Entscheidungen transparent zu machen. An dieser Stelle wären politische Veranstaltungen angebracht gewesen. Zudem rechnet sich die Investition in den Bürgerhaushalt auch erst durch ein zweites und mehrfaches Verfahren.

3.
In welcher Weise ist er als Mittel der Bürgerbeteiligung geeignet?

Der Bürgerhaushalt ist ein direktdemokratisches Mittel – ohne dabei die Letztentscheidung des Rates als gewählte Instanz in Frage zu stellen. Dieses komplexe Verfahren der öffentlichen Beteiligung erfüllt in erster Linie das Ziel, die Transparenz der Politik zu erhöhen, Bürger für öffentliche Haushaltsbelange zu sensibilisieren (und damit auch Spannungsverhältnisse in der Entscheidung sichtbar zu machen), Legitimation für Entscheidungen zu erhöhen sowie die Kenntnisse und Fähigkeiten der eigenen Bevölkerung ernst zu nehmen und abzurufen. Es stärkt die demokratischen Strukturen, denn Politik im Dreiecksverhältnis Bürgerschaft, Politik und Verwaltung braucht die Beteiligung aller, um langfristig erfolgreich und tragfähig und effizient zu bleiben. Außerdem konnten die Bürger ihre eigenen Themen und Wünsche für die Stadt Gütersloh einbringen und die politische Agenda der Stadt damit offensichtlich machen. Nicht alles das, was die Politik glaubt, bereits bearbeitet zu haben, ist in der Bürgerschaft angekommen – oder gar akzeptiert. Zudem haben die Bürger am Ende auch ein Mitspracherecht bei der Auswahl und Umsetzung künftiger konkreter Vorhaben in der Stadt.

4.
Wurde die Zufriedenheit der Bürger erhöht?

Das ist nicht objektiv beantwortbar – man könnte hier einmal die Bürger selbst befragen. Zudem ist die Zufriedenheit sicher abhängig von den Phasen des Bürgerhaushaltes. Am Anfang war der Zuspruch sicher höher als er das zur Zeit ist. Teils aus den oben genannten Gründen. Ferner wäre es einmal eine Untersuchung wert, welche „Klientel“ eigentlich wie zufrieden ist: die junge Generation, die alte Generation, Schüler, Politikinteressierte, Neu-politisch-Interessierte? Die Bandbreite ist groß.
Um der Antwort ein wenig näher zu kommen: Ich denke, die Bürgerschaft kann damit zufrieden sein, wenn sich demokratische Beteiligungsformate überhaupt entwickeln. Jede Art von Beteiligung kann im Prinzip nur dazu beitragen, Zufriedenheit zu stiften. Wir Europäer sind ja sehr verwöhnt im Umgang mit „unserer“ Demokratie. Dass das aber nicht immer so bleiben muss, liegt auf der Hand. Demokratie lebt nur durch Demokraten. Die fallen nicht vom Himmel. Wer also zufrieden sein will, darf sich auch gerne einbringen.

Sonntag, 6. März 2011

Der Haushalt: Wie war das noch im letzten Jahr?

Am 25. März 2011 wird der Haushalt für 2012 beschlossen. Hier zur Erinnerung die Rede zum Haushalt 2011 von Bürgermeistern Maria Unger am 26.11.2010 im Rat:

Die Rede im TV: 
http://www.gueterslohtv.de/Kanal.html?channel=27&infotid=

Und zum Nachlesen auf der Seite der Stadt Gütersloh:
http://www.guetersloh.de/Z3VldGVyc2xvaGQ0Y21zOjM5MDU4.x4s

Samstag, 5. März 2011

`Schuldigung, ich suche "Seeed"

Für Günter zum Frühstück:

`Schuldigung, ich suche "Seeed" 

Neulich war ich in einem dieser riesigen Elektronik-Megastores. Dort, wo die Schließfächer ganz winzig sind, die Sherrifs am Eingang im Gegensatz aber ganz riesig und sich in ihrer Arbeitskleidung dem roten Schriftzug des Konzernnamens angepasst haben. Nein, der mit dem Geiz war es nicht.

Ich war auf der Suche nach einer CD. Ein Geschenk. Stand auf meinem Zettel ganz oben, weil sich der Geburtstag des Sohnes meiner Freundin jährte und ich eben einen Tonträger mit Musik schenken wollte. "Seeed" sollte es sein. In der Musikabteilung angekommen, ragten vor mir die unzähligen Regale auf wie die Klippen vor dem Festland von Australien.

Spätestens beim Anblick dieser Vielfalt bekomme ich immer einen leichten Schwindelanfall: man hat keine Zeit und muss trotzdem etwas suchen, von dem man ganz genau weiß, dass man es nicht finden wird. Was hab ich denn für eine Ahnung, unter welcher Musiksparte sich "Seeed" einreiht? Keine. Und dann standen da auch noch unzählige andere Kunden im Laden - uns einte die Ratlosigkeit, das Suchen und das planlose Meandern zwischen den Reihen. An der Theke (ja, die gibt es auch noch) stand ein einziger Fachverkäufer, der deutlich in einem Alter war, dass ich davon ausgehen konnte, Seeed müsste ihm geläufig sein. Er war umlagert von einer Traube von Fragenden - und kopfhörertragenden "Reinhörern" auf Barhockern. Meine Chance auf  Beratung oder Hilfe sank auf Null.

Gerade wollte ich gehen. Da drehte ich mich nochmal zu ihm um und hörte mich sagen: "`Schuldigung, ich bin Analphabetin und suche Seeed. Können Sie mir helfen?"

Mit dem Kopfhörer am einen Ohr, die Hand am CD-Player schoss sein Kopf hoch. Er hatte mich gehört. Wie die übrigen Kunden auch. Sekunden lang stand ich wie in einem Spottlicht. Die Röte schlich sich ganz zart in mein Gesicht, ich zog die Augenbrauen hoch - und wusste nicht, was die Menge jetzt mit mir anstellen würde. Und siehe da: Der Musikfachverkäufer legte seine Arbeit nieder, kam um die Theke herum auf mich zu, legte mir seine Hand auf den Unterarm und sprach: "Kommen sie doch bitte mit, ich kann ihnen zeigen, wo die CD zu finden ist", und führte mich fort. Unter den Argusaugen der Hörenden, die mich mit großem Interesse und einer Spur Mitleid musterten. Ein Segen hatte ich meine schwarze TCM-(Tschibo)Mütze auf dem Kopf und einen dicken Schal um den Hals, so dass ein späteres Wiedererkennen unmöglich war.

"Sie sollten einen Kurs belegen, um Lesen und Schreiben zu lernen", bemerkte der junge Mann am Ende meines Armes. Er führte mich immer noch wie einen Blinden durch die Regale. Sehen konnte ich ja. Fühlte mich nun wie Günter Wallraff und achtete streng darauf, nicht aus der Rolle zu fallen, das hätte mir der freundliche Helfer echt übel genommen. Sekunden später hielt ich "Seeed" in der Hand. Eine von mehreren Versionen. "Ich empfehle ihnen diese", schnitt er meine nächste Frage ab und ich war froh, nicht Nicht-Lesen zu müssen. "Danke", brachte ich heraus. "Das ist nett, dass sie nicht lachen." "Kein Problem. Musik geht ohne Buchstaben." - Fand ich super: PISA mal andersherum. "Die Letzten werden die Ersten sein" geht auch.
Danke!

Mittwoch, 2. März 2011

Wir gehen oder bleiben, ich bin hier: Manifest der Vielen

Manifest der Vielen  - heute mal etwas aus dem Arbeitsleben:

Ich halte ja nichts von Ohrwürmern: Also Musik, die man irgendwann so nebenbei aufschnappt, meistens aus dem Radio - und die einem dann nicht mehr aus dem Kopf geht. Unterschwellig ertappt man sich ständig dabei besagte Melodie vor sich hinzusummen. Meistens steckt dahinter eine eher simple Melodie, gestützt durch vielleicht zwei, drei Akkorde. Kinderlieder, Hymnen oder Schlager funktionieren ja so.

Aber dieser Ohrwurm, den ich gerade im Kopf habe, ist nicht nur etwas für das Unterbewusstsein - sondern eindeutig etwas für Kopf und Herz gleichzeitig: Das Manifest der Vielen! Schon gehört? Nein?

Der Song enthält neben einem treffenden Refrain "Wir leben heute schon in der Welt von morgen" außerordentlich politische Statements: "Wir gehen oder bleiben, ich bin hier" oder auch "Tanz den Sarrazin/den Mubarak..., mach Dir keine Sorgen" oder auch "Viele sind aus dem Takt". Schön auch die Anspielung auf die Vielen in der Sprache: Aussiedler, Einsiedler, Imigrant, Migrant, Menschen mit Vibrationshintergrund. Großartig. Finde ich. Und höre zu. Und denke nach.

Den Video-Clip dazu findet man hier:

http://www.youtube.com/watch?v=jQcKwA1fnzY

Und dann ist da noch das Buch erschienen - gleicher Titel: Manifest der Vielen.
Eine Antwort auf die Thesen von Herrn Sarrazin. Autorinnen und Autoren aus Kultur, Gesellschaft und Medien schreiben über ihr Leben in Deutschland, über Heimat und Fremde, über ihr Muslim-Sein oder ihr Nicht-Muslim-Sein anlässlich der Debatte um Sarrazin, so steht es im Buchdeckel. Herausgegeben ist es von Hilal Sezgin.

Es sind persönliche Geschichten, die die Autoren in und mit Deutschland erlebt haben, zusammengetragen auf 219 Seiten. Im Kern steht die Frage nach der Identität: Um sich nicht abzuschaffen, muss sich Deutschland neu erfinden, heißt es weiter.

Spannende Frage: Wenn sich Deutschland neu erfinden muss, was ist dann am Ende "die" Identität? Kann das überhaupt ein Fixum sein oder ist Identität nicht eher ein Prozess? Jeden Tag weiß ich mehr über das Leben, jeden Tag mache ich neue Erfahrungen mit der Vielfalt, die mich umgibt und mein "Sein" prägt. Schwanken wir nicht alle im Umfeld des "Andersseins"?

"Identitäten sind hochkomplexe, spannungsgeladene, widersprüchliche symbolische Gebilde - und nur der, der behauptet, er habe eine einfache, eindeutige, klare Identität - der hat ein Identitätsproblem" (Sami Ma´ari, arabischer Soziologe, zitiert nach Heiner Keupp: Auf dem Weg zur Patchwork-Identität?)

Ja, da schließt sich der Kreis zum Song "Manifest der Vielen": Irgendwann intergriere ich mich mit dir!

Montag, 28. Februar 2011

Versteckspiel in der Rechenschaftsphase beim Bürgerhaushalt

Es ist sehr still geworden um den Bürgerhaushalt in Gütersloh. Warum nur?

Mit der Einbringung von Vorschlägen des Bürgerhaushalts in die Fachausschüsse hat jetzt die Phase der Rechenschaft begonnen, die mit dem Ratsbeschluss über den Haushalt - voraussichtlich am 25. März – endet - so steht es auf der Homepage der Stadt zum Bürgerhaushalt Gütersloh.

Die Phase der "Rechenschaft" bedeutet nichts Anderes als das, was bisher in den politischen Gremien zu dieser Zeit diskutiert wird: die Vorschläge zur Haushaltsgestaltung 2011. Nur dass diesmal eben nicht allein die Vorschläge der Verwaltung und der Politik eingebracht werden - sondern auch die der Bürgerschaft. Die 30 Favoriten aus der Summe der Vorschläge des Bürgerhaushaltes stehen zur Disposition. Hier findet sich zur Erinnerung die Liste der Top 30 zum Nachschlagen.

Genau jetzt, wo eigentlich "Butter bei die Fische" kommen müsste, ist eher das "Versteckspiel" Programm.
Zwei Punkte möchte ich herausgreifen:

Punkt 1: Die Verwaltung
Die Verwaltungsvorlagen als Stellungnahmen zu den Vorschlägen stehen zwar im Netz, sehr transparent, zum download und mit den verwaltungsrelevanten Stellungnahmen zu den jeweiligen Positionen. Aber: Oftmals lässt sich ablesen, dass die Vorschläge aus der Bürgerschaft schon Dinge berühren, die bereits in den Ausschüssen diskutiert und durch bindende Beschlüsse zum Abschluss gebracht worden sind. Oder aber es wird auf die Beschlüsse der Haushaltskonsolidierungsvorschläge der Beratungsfirma Rödl & Partner hingewiesen, die über 2011 hinausreichen und damit unverrückbar Bestand haben. Das war ein Punkt, den auch wir als Initiative angesprochen haben, in wieweit der Handlungsspielraum überhaupt gegeben war. Bewegt sich nun also nichts, steht am Ende das gefürchtete Frustrationserlebnis für die Bürgerschaft, die schließlich das Gefühl haben: "Es hat nichts gebracht - ändert sich eh nichts." Der Eindruck verhärtet sich, wenn am Ende der Verwaltungsvorlage zum Teilhaushalt Bildung etwa steht:
"Aufgrund der vorausstehenden Ausführungen ergibt sich für die Verwaltung akutell keinen Handlungsbedarf."
Das ist ein Killersatz für jede Art von bürgerschaftlicher Einmischung.

Nun mögen die Einwände der Verwaltung gegen die Vorschläge berechtigt sein, wie etwa die Frage nach den Hausmeisterstellen (jede Schule einen Hausmeister) oder aber die nach den geregelten Mahlzeiten in der Schule, die die Stadt mehr als 8 Mio. Euro kosten würde. Allerdings zeigt sich, dass hier verstärkt Erklärungsbedarf besteht und den Bürgern offensichtlich Probleme auf den Nägeln brennen, die nicht ausreichend diskutiert und nachvollziehbar zum Abschluss gebracht worden sind. Man darf sich schon fragen, wieviel Euros uns die gute Ernährung von Kindern im Ganztagsbetrieb der Schulen wert ist. Eine solche Diskussion um Grundsätzliches muss am Ende auch nachvollziehbar ankommen, dann kann das Ergebnis akzeptiert werden - oder eben nicht.

Punkt 2: Die Politik der im Rat vertretenen Fraktionen
Während die Verwaltung ihre Stellungnahme im Netz ablichtet, werden die Diskussionsstränge in der 
Politik nicht transparent. Streng genommen müssten die Protokolle aus den Gremiensitzungen ebenfalls umgehend veröffentlicht werden. Schon aus dem Eigeninteresse der Politik heraus. Auf der Bürgerhaushalts-plattform findet sich dazu aber überhaupt nichts.
Um den politischen Diskurs über die Vorschläge also nachvollziehbar zu machen, müssten sich die Bürger nun selbst in die Ausschüsse begeben, oder aber auf die Homepages der politischen Parteien und Fraktionen klicken, um hier Informationen über die politische Position zu den Vorschlägen zu bekommen. Auffallend ist hier allerdings wiederum, dass selbst auf den eigenen Informationskanälen der Parteien so gut wie nichts zur politischen Diskussion der Bürgervorschläge zu finden ist (geschweige denn zu möglichen eigenen Vorschlägen). Allenfalls die eine oder andere sehr magere Pressemitteilung lässt erkennen, wie sich die Fraktionen positionieren. Da ist die SPD-Fraktion neben der BfGT noch herausragend- sie stehen auch im Wort, denn der weitestgehende Antrag zum Bürgerhaushalt stammt aus ihrer Feder. Die übrigen Beiträge der Ratsbeteiligten allerdings reichen für die Akzeptanz in der Entscheidungsfindung für die Longlist von 30 Vorschlägen aber nicht aus.

Das erstaunt: Am Anfang des Prozesses zum Bürgerhaushalt waren sich schließlich alle Fraktionen einig, hier größtmögliche Transparenz herstellen zu wollen - sonst hätte man das Format auch lassen können. Und allen Fraktionen war klar, dass Beteiligung von Information und Interaktion lebt. Die fehlt nun bisher leider. Also doch ein politisches Versteckspiel?

Die Phase der Rechenschaft ist nun noch nicht ganz vorbei. Man darf ja noch einen Showdown in den letzten Tagen vor der Verabschiedung des Haushaltes erhoffen. Dann ist die Arbeit in den Gremien zwar schon gelaufen, aber am Ende findet sich die Longlist der Top 30 auch im Rat wieder. Da erhoffe ich mir zumindest ein paar zusätzliche Worte der Erklärung, warum und wieso wie entschieden wurde.

Oder war der Bürgerhaushalt etwa gleich mit dem Faktor "death dating" gestrickt: Will heißen, am Ende war das Sterben des Formates Bürgerhaushalt schon vordatiert und geplant?
 

Politikmüde Jugendliche? Eher nicht.




Spannendes Interview zur Frage "Sind Jugendliche politikverdrossen?"

Dr. Marc Calmbach, Sinus Institut Berlin erklärt, Jugendliche hätten heute keine Biografie mehr vor sich, die am Reißbrett entworfen werden kann. Zu viele Brüche, zu viel Unkalkulierbares. Die Identitätsarbeit liegt vermehrt in den Händen der Jugendlichen selbst, sagt er. Ein Faktor für den Politikverdruss ist seiner Auffassung nach die Entfremdung der Parteipolitik vom Volk. Zudem seien jugendliche Themen heute anders gelagert, es fehle daher eine moderen Form der Angebote. Interesse an gesellschaftspolitischen Fragestellungen sei auf jeden Fall vorhanden, nur nicht mehr in der Vermittlungsstrategie, wie sie in den letzten Jahren der Politikvermittlung ausreichten. Heute sind flexiblere Strukturen und Prozesse gefragt, die ein kurzfristigeres und auch spontaneres Mitwirken ermöglichen.

Mehr dazu im Interview.

In seinem Vortrag erklärte Calmbach übrigens auch, dass etwa die Frage nach "Kennst Du den Ministerpräsidenten von soundso oder kennst du den Fraktionsvorsitzenden von YX?", für Jugendliche nicht so wichtig sei, sondern eher die Inhalte und die konkreten Lösungsstrategien. Legt man also diese alten Strukturen und Herangehensweisen des Politikverständnisses als Grundlage zur Erhebung, ob Jugendliche politikmüde sind, kann die Antwort darauf nur eine Schieflage sein. Allein der Fragenkatalog spiegele ja schon die alte Denke wieder.

Da muss sich die Erwachsenenwelt in der Politik auch nicht die Nase rümpfen, sondern vielleicht einfach mehr hinhören - und Möglichkeiten schaffen. Oder aber die Jugendlichen suchen sich ihre eigenen Kanäle zur politischen Meinungsbildung. Wie heißt noch der Spruch des Bundespräsidenten Wulff auf seiner Reise in die arabische Welt? "Wer sich nicht verändert, wird verändert." Hier sind es auch die Jungen, die den Aufbruch ermöglicht haben. Und Politik fängt vor der Haustür an.