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Donnerstag, 9. Juni 2011

Fragestunde im Rat demnächst auch mit "Ausspracherecht?"

In den Kommunen gilt in der Regel das Recht auf Fragestellung der Einwohner an den Rat. Die Regeln dazu werden über die Gemeindeordnungen hinaus in den Geschäftsordnungen der Räte getroffen. Diese sind verhandelbar und müssen nicht auf ewig so bleiben wie sie sind. Der Bürgerinitiative "Demokratie wagen" in  Gütersloh ist aufgefallen, dass es zwar das Fragerecht gibt - aber eine Aussprache sogar per Regel nicht vorgesehen ist. Das bedeutet: Die Antwort wird mündlich durch die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister verlesen. Danach herrscht Schweigen. Die Politik kommt nicht zu Wort. Das ist eine sehr einseitige Kommunikation - und keinesfalls modern. 

Aus dieser Situation heraus ist folgender Antrag entstanden. Wäre eine Anregung für viele andere Kommunen auch:

Antrag nach § 24 GO NRW „Anregungen und Beschwerden“ an den Hauptausschuss der Stadt Gütersloh am 4. Juli 2011

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,

die Bürgerinitiative „Demokratie wagen“ regt nach § 24 GO NRW an, die Geschäftsordnung des Rates unter § 21 Fragerecht von Einwohnern, Absatz 3, Satz 2 zu ändern, der da noch heißt: „Jeder Fragesteller ist berechtigt, in der Fragestunde zwei Zusatzfragen zu stellen. Eine Aussprache findet nicht statt.“ Der Passus „eine Aussprache findet nicht statt“ wird gestrichen. Statt dessen wird hinzugefügt: „Eine Aussprache, an der sich Verwaltung und Politik beteiligen, findet statt.“

Begründung:
Bürgerbeteiligung ist ein zunehmender Faktor im kommunalen Geschehen. Auch in Gütersloh. Allerdings sind die Möglichkeiten des Dialogs zwischen den Beteiligten Politik, Verwaltung und Bürgerschaft eher begrenzt. Den Einwohnern steht zwar die Möglichkeit der öffentlichen Fragestellung zur Verfügung. Die Antwort allerdings fällt prozessbedingt eher mager aus. In der Geschäftsordnung des Rates ist dieser Prozess so geregelt, dass „im Regelfall“ die Bürgermeisterin die Fragen mündlich beantwortet. In der Praxis wurden diese Fragen in letzter Zeit allerdings immer häufiger durch die zuständigen Dezernenten beantwortet - womit die politische Konnotation entfällt, die durch die Doppelrolle der Bürgermeisterin als Verwaltungsvorstand und als politische Person zumindest noch gegeben war.
Es ist eine Schieflage, wenn sich die politischen Vertreter an zentraler Stelle nicht in einen solchen Austausch mit der Bürgerschaft einbringen. Wo sonst soll der fragende Bürger eine politische Gesamteinschätzung seiner Fragestellung erhalten, wenn nicht im Rat, wo die Gewählten Rede und Antwort stehen können?
Wir regen daher an, die Geschäftsordnung des Rates an der angegebenen Stelle zu modernisieren und den gewachsenen Bedürfnissen nach politischem Austausch der Bürgerschaft nachzukommen. Durch die Beschränkung auf 60 Minuten Zeit für diesen Tagesordnungspunkt wird eine Überschreitung der Sitzungen in Grenzen gehalten. Im übrigen wird auch den Ratsmitgliedern ein Fragerecht eingeräumt, welches eine Aussprache nach sich zieht. Gütersloh wäre an der Stelle vorbildlich, wenn auch die Bürgerschaft ein Ausspracherecht für Fragestellungen erhalten würde.

Mittwoch, 8. Juni 2011

Lerne: Demnächst kein Ausschluss der Bürger mehr?

Bei der letzten Ratssitzung mussten die Bürger leider zum Teil draußen bleiben. Damit ein solches Ausschlussverfahren bei Themen mit hohem Bürgerinteresse nicht noch einmal passieren kann, hat die Bürgerinitiative "Demokratie wagen" folgenden Antrag gestellt, der heute im Rathaus eingegangen sein wird:

Antrag nach § 24 GO NRW „Anregungen und Beschwerden“ an den Hauptausschuss der Stadt Gütersloh am 4. Juli 2011

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,

die Bürgerinitiative „Demokratie wagen“ regt nach § 24 GO NRW an, die Geschäftsordnung des Rates unter § 5 Öffentlichkeit der Ratssitzungen, Absatz 1, Satz 2 zu ändern, der da bisher heißt: „Jedermann hat das Recht, als Zuhörer an öffentlichen Ratssitzungen teilzunehmen, soweit dies die räumlichen Verhältnisse gestatten“. Der Zusatz „soweit dies die räumlichen Verhältnisse gestatten“ ist zu streichen. Satz 2 wird statt dessen durch folgenden Passus erweitert: „Bei Themen mit sich abzeichnendem hohen Bürgerinteresse wird die Ratssitzung (Ausschusssitzung) an einen anderen, größeren öffentlichen Ort verlagert, der allen Interessierten rechtzeitig vorher öffentlich angekündigt wird.“

Begründung:
Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt bekunden immer wieder reges Interesse an der Gütersloher Kommunalpolitik. Dies zeigt sich sehr deutlich an den Themen Bädertarife, Theaterneubau, kommunaler Atomausstieg, Bürgerhaushalt, Porta-Neubau, Hallenbad und vielen mehr. Die Möglichkeiten der Teilhabe der Bevölkerung an öffentlichen Ratssitzungen der gewählten Volksvertreter allerdings sind begrenzt: So fasst die Besuchertribüne im Rathaus zu diesen Hochzeiten der Partizipation nur eine Handvoll Interessierte. Damit wird ein Großteil der Bevölkerung von dem politischen Prozess ausgeklammert. Politik und Verwaltung gleichermaßen haben immer wieder betont, dass sie Bürgerbeteiligung begrüßen und erinnern das Wahlvolk zudem an seine „Bürgerpflichten“, nämlich sich zu informieren und den Diskussionen um ihre Stadt beizuwohnen. Diesen misslichen Umstand der zu kleinen Räumlichkeiten kann man ändern, um zukünftig mehr Transparenz herzustellen. Damit ist allen gedient: Politik, Verwaltung und Bürgerschaft - auf dem Weg zu einer neuen Dialogkultur.

Wer darf rein? 
Wir sind sehr gespannt auf die Diskussion und das Abstimmungsverhältnis.

Dienstag, 7. Juni 2011

Mein Besuch im Sprachkurs, Teil 2

Individuelles Lernen

Im deutschen Schulsystem soll individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler Standard werden. Stärken fördern. Wenn wir dies als Ziel formulieren, dann gilt das für einen Sprachkurs für Menschen mit Migrationshintergrund ganz besonders: der halbe Erdball und seine Menschen sitzen hier am Tisch, Männer und Frauen. Keiner hat das gleiche Lerntempo wie sein Nachbar. Nicht einmal das Ursprungs-Alphabet ist gleich:
Neben mir sitzt eine junge arabisch-sprechende Frau. Ihr Wörterbuch liegt auf dem Tisch. Sie hat die „Wortschatzhitparade“ als Hausaufgabe ausgefüllt, damit lernt sie Vokabeln. Links stehen die deutschen Begriffe, rechts hat sie handschriftlich die arabischen notiert.
Die Wörter sind streng unterteilt, Nomen, Verben, Adjektive. Alle Begriffe stammen aus dem Alltag: Blume, Frieden, Planung, Garderobe – und Tod, stehen da. Bei den Adjektiven finde ich „streng, höflich, sozialkritisch“. Die Verben „anreden, widersprechen, küssen und husten“ warten noch auf ihre Übersetzung. Ich blättere selbst durch den Langenscheidt „Deutsch – Arabisch“ und bin beeindruckt. Ich müsste erst arabisch alphabetisiert werden, um diese Sprache zu lernen. Britta Thomas erklärt, wer hier im Kursus sitzt, lernt nicht nur deutsch: „Die Menschen hier bringen ihre gesamte Geschichte mit.“ Die Lehrenden konjugieren nicht nur Verben mit den Schülern, sondern fangen auch Heimweh auf, sprechen über Probleme mit dem Klima, dem deutschen Essen, über die Gefühlswelt, die hier alle kennen: wie etwa im neuen Land isoliert zu sein, den Verlust des sozialen Status zu erleben und manchmal auch die Wut, nicht dazuzugehören, obwohl die Anstrengung da ist. „Die meisten Menschen, die hier leben wollen, möchten so viel von der Kultur annehmen, wie sie vertragen können. Aber irgendwann kommt der Schock, dass sie im neuen Land „nichts“ sind“, so eine Teilnehmerin. Das geht allen so, egal wie unterschiedlich ihre Beweggründe für die Migration nach Deutschland sind: Familiennachzug, Kriegsflüchtlinge, Deutschstämmige etc. 
Die hohe Kunst des Vokabellernens

Areen, Kamila, Khairi, sie sprechen einen Dialog aus dem Lehrbuch über „Medien“ und stolpern über Vokabeln wie „Statistik“ und „Argumentationslinien“. Sie lassen sich nicht beirren und bemühen sich tapfer. Mittendrin klingelt ein Handy mit einer Melodie aus 1001 Nacht. Alle lachen. „Mit 300 Wörtern in der deutschen Sprache kann man sich im Alltag verständigen, aber dann nimmt man nicht an vielen Dingen teil“, so die Sprachlehrerin. „Zudem ist es in Deutschland auch möglich, mit der „Ein-Wort-Methode“ gut klarzukommen. Es gibt Stadtteile, da muss ich kein Wort deutsch können“, sagt sie.

Rollenproblematik: Erwachsene lernen eine Sprache neu
Wer also einen Sprachkurs besucht hat, muss auch die Gelegenheit haben und suchen, sich in der neuen Sprache auszutauschen. Das gelingt im Alltag, wenn man bemüht ist, mit deutschen Vokabeln auf der Zunge einzukaufen, seine Rolle wahrzunehmen, als Mutter, als Beschäftigte, als Nachbar. Aber die Gelegenheiten mit Deutschen zusammenzutreffen sind nicht so häufig gegeben. Einladungen fehlen in der Regel. „Die beste Möglichkeit mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen, ist der Sport“, sagt Britta Thomas. Noch allerdings trauen sich die „Neuen“ noch nicht zu diesem Schritt. Sie bleiben erst einmal in ihrem Kurs zusammen. „Wir waren letztens auf der Sparrenburg. Und im Zoo“, erzählen Tofik und Ahmed. Ausflüge ins Land wie sie eigentlich Grundschüler machen, um ihren Horizont zu erweitern. Im Rahmen eines Sprachkurses für Anfänger tauchen Erwachsene notgedrungen in eine andere Rolle, mit der sie klar kommen müssen. „Ich möchte gern, dass mein Schulabschluss aus dem Ausland hier anerkannt wird“, sagt ein junger Mann, der als Flüchtling aus dem Irak hierhergekommen ist und erahnt, dass ein Besuch im Zoo eher niedlich aussehen muss.


Frau Merkel kann kein Türkisch sprechen
Anerkennung. Das ist das Ziel aller hier. Das erlebe ich auch im zweiten Kurs, den ich heute besuche. Hier sitzen zehn Teilnehmer, die gerade einmal knapp 60 Stunden Deutschkurs hinter sich haben. Die Kommunikation ist schon deutlich eingeschränkter. Hier zählen die Mimik, die Gestik, Zeichen des Verstehens. Die Lehrerin Anelia Taschner übt heute das Verb „können“. Es handelt sich um ein Modalverb. Ist eigentlich unerheblich, das zu wissen. Spannend wird es erst, als Frau Taschner folgende Erklärung dazu abgibt: „Stellen Sie sich vor, Frau Merkel reist in die Türkei zum Präsidenten“, beginnt sie. „Wer ist Frau Merkel?“, fragt sie in die Runde. Schulterzucken bei den Teilnehmern. Ich merke, dass das „Bild“ von Frau Merkel schon in den Köpfen ist, aber wie lautet der Begriff für ihre Funktion? „Sie ist die höchste Frau in Deutschland“, sagt eine Teilnehmerin mit türkischen Wurzeln. „Ja, genau“, lobt Frau Taschner, „wenn also die Bundeskanzlerin in die Türkei reist, dann hat sie meistens einen Übersetzer dabei. Denn Frau Merkel spricht ja kein Türkisch. Der Übersetzer kann aber erst dann anfangen zu übersetzen, wenn er in einem Satz mit dem Modalverb „können“ auch das Verb am Ende eines Satzes hört. So lange muss er warten. Wenn er also nicht spricht, heißt das nicht, er hat nichts verstanden, sondern er wartet. Das macht die deutsche Sprache so schwer.“ Finde ich einleuchtend. Jetzt üben alle die Stellung der Verben am Satzende „im Rahmen“. Beispiel: Ich kann heute nicht mir dir spielen.

Konflikte der Welt sitzen mit am Tisch
Neben mir sitzt eine junge Frau aus dem Irak. Sie ist erst seit vier Wochen in Deutschland. Sie strahlt mich an, weil ich ihr bei den Übungen mit „können“ helfe. Sie meldet sich rasch und versucht sich an der richtigen Aussprache. In der Pause versuche ich ein Gespräch zu führen, ein Mischmasch aus Englisch, Wörterbuch und Handzeichen. Ich frage sie nach „Geschwister“. Sie zeigt mit den Händen sieben. Ihre Schwester ist auch im Kurs. Sie sagt dann, „Vater nix da“. Und beide werden sehr traurig. Einen Moment lang herrscht Stille. Uns einen in dem Moment wohl die Bilder aus dem Irakkrieg: Sie haben sie erlebt. Ich habe sie im Fernsehen verfolgt…Was mit ihrem Vater passiert ist, bleibt unausgesprochen.


„Für viele Menschen, die hier deutsch lernen war Bildung in ihrem Heimatland nicht das Wichtigste. Dort hieß es Überleben. Morgens aus dem Haus gehen. Und abends möglichst lebend zurück zu sein. Mit diesen Erlebnissen sind wir hier jeden Tag konfrontiert“, sagt Britta Thomas. Für einen Moment ist die Erdkugel ganz klein. Ich kann die Traurigkeit der jungen Frau spüren. Das Mädchen neben mir ist gerade mal 18 Jahre alt. Und möchte trotz aller Erlebnisse einen neuen Anfang wagen. Dafür gebührt ihr Respekt und Anerkennung.


Im Sprachkurs ausprobieren
Frau Taschner fährt mit dem Unterricht fort: „Deutsch ist sehr kompliziert. Man muss ein gutes Gedächtnis haben, damit man nicht vergisst, was in dem „Rahmen“ steht“, beendet sie die Lektion um „Können“. Im Chor konjugiert der Kurs: Ich kann, du kannst….ich mache mit. Am Ende des Unterrichts werden noch typische Berufe erklärt. Die Lehrerin heftet dazu Fotos an die Pinnwand und fragt, wer was macht: Ein Koch kocht, ein Friseur schneidet Haare, eine Abteilungsleiterin… ja, was ist denn eine Leiterin? Und sie erklärt. Auch das gehört zum Erlernen von Sprache: Wo findet sich was und wie kann ich das erklären. All das muss gelernt werden. Auch das, was zum „Chefsein“ in Deutschland dazugehört.


Nach dem Stundenende beantwortet Frau Taschner Fragen nach Fahrtkosten, nach Beteiligungskosten an den Schulbüchern. Sie ist sehr streng und direkt. „Der Weg durch die Instanzen dauert, aber die Erstattung kommt auf jeden Fall“, erklärt sie. „In der Sprachschule müssen Erwachsene wieder wie Kinder lernen. Das verunsichert viele und erfordert eine Menge Anstrengung. Hier geht es nicht nur ums Lernen. Es geht auch um Vertrauen und um Individuen – jeder lernt anders. Jeder mit seinen eigenen Möglichkeiten. Die kann man nicht verordnen.“ In der Sprachschule gebe es einen Schutzraum, hier können die Teilnehmer Sprache und „deutsch sein“ ausprobieren. Fragen stellen, wie die Gepflogenheiten in Deutschland sind, erklärt Frau Taschner. „Draußen ist es sehr viel schwieriger. Da werden die Fehler in der Sprache gerne mal übersehen, aber ein Fehlverhalten, weil man die deutsche „Gepflogenheit“ nicht kennt, kaum.“

Einsichten und Fragen
Der Vormittag ist rasend schnell vergangen. Während die Schülerinnen und Schüler sich nun um ihre Hausaufgaben kümmern müssen und die Lehrenden den nächsten Tag vorbereiten, fahre ich nach Hause. Mit vielen neuen Eindrücken – und Erkenntnissen. Und dem Wissen, dass der Besuch eines Sprachkurses etwas ganz Persönliches ist. Dass Sprache und deren Gebrauch an sich Persönlichkeit ist. Dass die Sprachschüler mit Migrationshintergrund sich echt bemühen. Und dass Erfolge nicht von heute auf morgen plötzlich da sind. Und vor allem: Die Lehrenden in den Kursen machen einen guten Job. Mit viel Engagement und Herzblut. Sie sind wahre Kenner der (kulturellen, sprachlichen) Vielfalt. Diversitymanagement ist ihr eigentliches Geschäft – ein gefragtes Gut dieser Tage. Ob dabei auch die Bezahlung stimmt, ist sicher eine zu stellende Frage. Ich bin gespannt auf die Evaluation der Kurse. Messbarkeit ist dabei eine Sache. Aber der Faktor Mensch ist eine andere. Und vor allem: Integration ist keine Einbahnstraße. Es ist ein gegenseitiger Prozess. Dazu gehören zu gleichen Teilen die „Neusprecher“ und die, die Deutsch schon können.

Sonntag, 5. Juni 2011

Status und Freiheit, letzter Teil

Zur Salzsäule bin ich dann allerdings erstarrt, als ich mit Entsetzen feststellen musste, dass nun zwar die Kinder aus dem Haus waren, jetzt aber immer öfter meine alten Eltern und eine betagte alleinstehende Nachbarin anriefen: Und mich baten, sie doch zu fahren. Sie hatten ihre Führerscheine nebst Auto abgegeben. „Das brauchen wir ja nicht mehr, so oft fahren wir ja gar nicht. Da kann man ein Taxi nehmen.“, hieß es. Eigentlich ein guter Vorschlag. Die Realität aber sah so aus: „Papa hat einen Arzttermin, es geht ihm nicht so gut und es wäre nett...“ „Ich muss unbedingt Blumen für die Terrassenbepflanzung einkaufen, weil meine Nachbarinnen zum Kaffee kommen, da soll es doch schön aussehen...“ „Kannst Du die alten Farbeimer nicht zum Sondermüll fahren?“ „Ach, ich habe noch das alte Holzregal im Keller, das müsste mal zum Bauhof.“ „Gerne würde ich mir mal ein neues Kleid kaufen...“
Mama-Taxi
Nach ungefähr dreizehn Fahrten in dieser Ära mit Kölnisch Wasser und Nina Ricci in der Nase, nach zehn Fahrten zum heimischen Gartenfachmarkt und einem ständig mit Blumenerde und Blütenblättern aller Farben zugedreckten Kofferraum, nach fünf Fahrten zum Facharzt der Urologie mit jeweils dreistündigen Wartezeiten habe ich mittwochs und samstags mein Lesepensum der örtlichen Lokalzeitung verändert. Ich schaute nun in der Rubrik Kleinanzeigen nach Fahrzeugen. Zweisitzer. Kleine Flitzer. So klein, dass der Einstieg auf keinen Fall altengerecht wäre. So klein, dass schon das Sitzen mit normaler Körperfülle eine Herausforderung war. So klein, dass man Angst bekommen musste, wenn ein etwas größeres Fahrzeug neben, vor oder hinter einem fuhr. Zu klein auf jeden Fall für jede Art von neumodischem Kindersitz und den Transport von Sperrigem im Kofferraum. Und so klein, dass man das Radio so laut stellen musste, dass die Fahrgeräusche nicht mehr zu hören waren und vor allem musste es ein so zugiges Verdeck haben, dass man sich möglichst schnell darin erkälten konnte.

Es dauerte nicht lange und ich fand meinen kleinen MG. Meinen Volvo habe ich in Zahlung gegeben. Ihm zum Abschied leise über die Motorhaube gestrichen und Mut zugesprochen, er sei doch nun einmal als Familienauto gebaut, ich aber nicht als Chauffeur. Und so trennten wir uns in Freundschaft.

Das alles dachte ich, als ich durch die Regalreihen meines Supermarktes fuhr, die orchestrierte Oberschichtfamilie mit der schmuckbehängten Supergattin in möglichst großer Distanz. Ich hatte immer noch nicht raus, wie hoch meine Versicherung war. Aber in mir brandete eine riesige Welle großer Freude auf, niemals mehr im Leben ein Auto mit mehr als zwei Sitzen besitzen zu wollen. Kein Neid, meine Liebe, weder auf Deine Doppelnamen-Kinder noch auf Dein steuerbefreites Realeinkommen, Deine Schuhe – und schon gar nicht auf Dein Auto. Während das Zahlungsmittel der goldenen Enddreißigerin von fester Materie ist, ist meines federleicht: Freiheit.

Mittwoch, 1. Juni 2011

Mein Besuch im Sprachkurs, Teil 1

Wie viele Wörter in deutsch muss man eigentlich können, um den Alltag in Deutschland zu meistern? Und was passiert in einem Sprachkurs? Das waren meine Ausgangsfragen. Antworten darauf fand ich hier:

Da stand ich nun vor der Tür der Sprachschule im Internationalen Zentrum der AWO, ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zugelassener Anbieter für Integrationskurse. Es ist kurz vor neun Uhr, mitten in der Bielefelder Innenstadt. In der sonst so überfüllten Einkaufszone kommen mir nur Fensterputzer und Lieferwagen entgegen. Heute besuche ich zwei Sprachkurse für Deutsch, einen für Fortgeschrittene, einen für Anfänger.

Sabine Stallbaum, Leiterin der Sprachqualifizierung der AWO, holt mich ab. Ein paar Stufen und wir stehen in der 1. Etage auf dem Gang vor den Klassenräumen. Die Türen stehen auf, ich spähe hinein. Sieht aus wie Schule: Tafel und Tische. Die Lehrerin steht vorn.

Heute konjugieren wir "können"!
Der Integrationskurs ist eine Maßnahme zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse für Ausländer in Deutschland. Diese sind seit dem 1. Januar 2005 verpflichtend. Teilnehmer können nach § 44 des Aufenthaltsgesetzes zu diesem 645-stündigen Deutschkurs verpflichtet werden. Die Kosten werden vom BAMF übernommen, jeder Teilnehmer trägt allerdings einen Eigenanteil von 1 Euro pro Stunde.
Die ersten Schüler warten ebenfalls vor der Tür, zwei junge Männer, unterhalten sich in einer mir unverständlichen Sprache, lachen. Ihre Bücher und Hefte tragen sie unter dem Arm geklemmt. Einer transportiert sie in einer Plastiktüte. „Meine bunte Welt“ steht drauf, unter dem Logo findet sich ein Schriftzug in Arabisch, mit Kugelschreiber drauf gekritzelt, daneben ein Herz.

Der Sprachkurs ist aufgeteilt in einen Basis- und einen Aufbausprachkurs. Das Ziel: Die Teilnehmer sollen sich im Alltag auf Deutsch verständigen können. Das Sprachniveau heißt „ B1“ und entspricht dem „Europäischen Referenzrahmen“. Das Rahmencurriculum zeigt Lebensbereiche auf, in denen sich Migranten in Deutschland bewegen. Anhand einer umfassenden Liste von Lernzielen beschreibt es, wie sie sprachlich handeln können müssen, um den Herausforderungen des Alltags zu begegnen – heißt es offiziell.

In einem kurzen Vorgespräch erläutern mir die drei Lehrenden, wie sehr sich die Sprachkurse verändert haben, seit sie verpflichtend eingeführt wurden. „Die Teilnehmer müssen erscheinen – und wir achten darauf.“ Zudem gibt es einen hohen bürokratischen Aufwand, der nach den Anforderungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erforderlich ist. Da muss die Berechtigung zum Kurs geprüft werden, oder die Kostenbefreiung, hierfür müssen die entsprechenden Daten erhoben, eingegeben und abgeglichen werden. Wer über kein Einkommen verfügt oder Arbeitslosengeld II bezieht, erhält den Unterricht gratis. Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe können zur Teilnahme auch verpflichtet werden. Andernfalls drohen Kürzungen der erhaltenen Leistungen. Die Menschen werden vom BAMF hierher geschickt, oder von der Ausländerbehörde oder von der Arbeitsagentur. Einige sind auch Selbstzahler.

Ich beginne im Kurs für Fortgeschrittene. Britta Thomas gibt den Unterricht. Der Raum ist groß und hell. Elf Schülerinnen und Schüler sitzen schon im Raum und schauen mich ganz erwartungsvoll an. Sie sind alle noch sehr jung. Später kann ich auf einem Plakat ihre Geburtsdaten lesen, sie hängen an der Pinnwand unter dem Stichwort „Geburtstag in Deutschland“. Jahrgang 1986 bis 1992. Ihre Herkunftsländer finden sich auf dem persönlichen Steckbrief gleich daneben: Irak, Türkei, Sri Lanka, Pakistan. Eines verbindet sie alle: sie sind gerade mal ein knappes Jahr in Deutschland. In ihrem Lehrbuch „Berliner Platz“ sind sie bereits bei Lektion 22.

Heute ist Gruppenarbeit angesagt. Wiederholen der Lektionen in Schreibarbeit und dann später in kleinen Dialogen. „Das laute Sprechen ist sehr wichtig“, sagt Frau Thomas. Das kenne ich selbst noch aus dem eigenen Fremdsprachenunterricht. Und auch das Scheitern und die vielen Fehler. Wie wohl jeder die Mühen kennt, der eine andere Sprache gelernt hat. Die Themen im Buch sind: „Über Gefühle sprechen“, „Bei uns und bei Euch“, „Schule“, „Medien“. Die Arbeitsgruppen sind gemischt. Wenn etwas nicht klar ist, wird in der eigenen Muttersprache quer über den Tisch gefragt, wie es geht. Dann sprechen sie wieder deutsch zusammen. Einige wollen es ganz genau machen, fragen nach den korrekten Endungen der Verben. „Gibt es etwas, das Sie nicht essen?“ ist eine der „Redemittel“, die gelernt werden und die in gelb besonders hervorgehoben in den Lehrbüchern stehen. „Ich höre jeden Morgen die Nachrichten aus dem Radio“, wiederholt Tofik eine Lektion.

Ich laufe um den Tisch und schaue über die Schultern. Entdecke ein Lehrbuch, vollgeschrieben mir unzähligen Vokalen in einer Schrift, die ich nicht lesen kann. Viele der Teilnehmer haben zunächst das deutsche Alphabet und das Schreiben der Buchstaben gelernt. Wenn jemand aus China kommt oder Kyrillisch schreibt, ist das schon die erste Hürde. Ich frage Prabhjot, ob ich sein Buch fotografieren darf. Ich weiß nicht genau, ob er mich verstanden hat, aber als ich meine Kamera in der Hand halte, rückt er unruhig auf seinem Stuhl herum. Frau Thomas kommt mir zu Hilfe und sagt, das sei ihm peinlich, weil er glaubt, ich fände das Geschreibsel unordentlich. Ich bin erstaunt, denn das war es überhaupt nicht, was mich bewegt hat, sondern vielmehr die Erinnerung daran, dass meine Fremdsprachenbücher auch so ausgesehen haben. Ich erkläre Prabhjot den Grund, langsam. Jetzt hat er mich verstanden und lächelt. Interkulturelle Kompetenz ist genau das, was hier greift.

Sprache lernen bedeutet Kulturschock
 Sprache zu erlernen, ist immer auch ein Kulturschock“, so Britta Thomas. Deutsch ist eine Akzentsprache, Tamilisch aber nicht. „Wir müssen uns jeden Tag vor Augen halten, dass die Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Jeder lernt da anders“, resümiert sie. „Der Lernhintergrund eines jeden Schülers ist wichtig“, sagt sie und fährt fort: „Die russischstämmigen Schüler etwa lernen mehr über die Vermittlung der Grammatik, sie sind eher den Frontalunterricht gewohnt, Gruppenarbeit ist für viele erst völlig fremd.“
Fortsetzung am Wochenende.

Dienstag, 31. Mai 2011

Kommunaler Finanzausgleich - wohin geht die Reise?

Städte- und Gemeindebund NRW  tagt in seiner 39. Sitzung vom 30.05.2011 bis 31.05.2011 in Gütersloh

Eineinhalb Tage diskutierten die Mitglieder des StGB NRW-Hauptausschusses in Gütersloh über die Entwicklung der Kommunalfinanzen sowie über Chancen und Risiken der Rekommunalisierung. Prominentester Gast am ersten Tag war NRW-Innen- und Kommunalminister Ralf Jäger.

Die Thesenpapiere zur Zukunft des kommunalen Finanzausgleiches finden sich hier: 
http://www.kommunen-in-nrw.de/mitgliederbereich/organe/hauptausschuss/dokument/39-hauptausschuss/aktion/details.html

In der Bild steht: 
"Trotz der guten Konjunktur stehen immer mehr Kleinstädte in Nordrhein-Westfalen finanziell mit dem Rücken an der Wand. Die Zahl der kreisangehörigen Kommunen mit Nothaushalt werde dieses Jahr von 107 auf 118 steigen, teilte am Montag der Städte- und Gemeindebund NRW in Gütersloh mit. Diese Städte hätten keinerlei Handlungsspielraum mehr, erläuterte ein Sprecher. «Sie dürfen nur noch die Ausgaben tätigen, zu denen sie gesetzlich oder vertraglich verpflichtet sind.» Jede dritte Kommune im Verband sei betroffen. Der wirtschaftliche Aufschwung führe zwar vor allem bei der Gewerbesteuer zu steigenden Einnahmen. Dieser Effekt verpuffe aber wieder durch steigende Ausgaben insbesondere im Sozialbereich."


Das Thema kommunale Finanzreform wird uns daher noch eine Zeitlang begleiten. Es geht um Fragen der kommunalen Selbstverwaltung, um Fragen der Nachhaltigkeit, der Generationengerechtigkeit und auch der Vermeidung einer Spaltung der Gesellschaft in arme und reiche, diesmal nicht Individuen, sondern auch Kommunen.

Einen interessanten Ansatz bietet folgendes Papier:
Zehn-Punkte-Programm für eine nachhaltige kommunale Haushalts- und Finanzpolitik in Nordrhein-Westfalen: (Hrsg. von der Bertelsmann Stiftung und dem Deutschen Gewerkschaftsbund NRW, NRW-Forum Kommunalfinanzen am 18. März 2010)

http://www.nrw.dgb.de/beamte/Kommunal/index_18_3_10








 



 




Sonntag, 29. Mai 2011

Wer gibt schon gerne Macht auf?

Gütersloh ist ein schönes Beispiel geworden: Die Vernetzungsdichte der Menschen, der Bürgerschaft, steigt stetig an. Dies ist unter anderem durch das Internet gelungen. Sie bündeln ihre Interessen und tauschen sich in Windeseile über politische Belange aus, über den aktuellen Informationsstand, verabreden sich zu politischen Aktionen. So gesehen gerade auf dem Rathausvorplatz.

Protest vor der Ratssitzung - erst der Anfang

Wer nun hofft, diese Zeiterscheinung ginge vorüber, irrt, denn die einmal erlangte Freiheit ist nur schwer zurückzunehmen. Die Aussichten auf ein entspanntes Politiker- und Entscheiderleben sind äußerst begrenzt. Das "Volk" will keine Zuckerwatte mehr. Denn eine Stadt ohne ein Aber ist kaum eine Stadt.

Dazu ein sehr interessanter Beitrag zu dem Thema "Hierarchie, Macht und Netzwerke" von Prof. Peter Kruse: