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Sonntag, 12. Mai 2013

Was überzeugt Merkel? Netzpolitik ist "Politik"

Die Re:publica 2013 ist erwachsen geworden: noch mehr Besucher - diesmal waren es 5.000, deutlich viele Frauen, Altersdurchschnitt "reif". Dazu 450 Speakerinnen und Speaker, 263 Vorträge mit 268 Stunden Programm auf elf Bühnen boten eine einzigartige Vielfalt. Aber alles drehte sich um eins: Das Internet - und wie es (uns) verändert - In/Side/Out.

Am Montagabend stand Sascha Lobo zur Bestzeit um 20:00 Uhr auf Stage 1, angekündigt in der session-Liste mit dem Titel "Überraschungsvortrag II". Die größte Bühne gehörte für eine Stunde ihm.


 Ich war sehr gespannt auf den Mann, der in seinem Blog und in seiner Spiegel-Kolumne "Die-Mensch-Maschine" die Welt rockt, Impulse setzt. Vorweg gesagt: er ist eine Ikone, aber sein Fazit (zu viel getwittert, zu wenig gemacht) kann ich nicht mittragen, da unterscheiden sich seine und meine Welt. Hier hätte ich mehr erwartet als schließlich den Anspruch, "Politik zu machen". Die Zeit-online titelte sogar: "Sascha Lobo wird Realo!"


 



Im Zentrum seines Beitrages stand die Anklage an sich selbst und die Anwesenden, es sei "uns" allen nicht gelungen, die eigenen Vorstellungen vom (freien) Internet in die Politik zu tragen. Lobo sprach vom Kampf der "selbsternannten Hobbylobby für das freie, offene und sichere Internet in den Grenzen von 1999". 

LSR, VDS, BDA, Drosselkom, Netzneutralität, Funkzellenabfrage, Closed Government-Bewegung -  Themen, die die gegenwärtige Regierung zu verantworten / zu beantworten habe. Diese Regierung heiße am Ende "Frau Merkel".

Lobo formulierte: "Wir müssen mit Wut und Pathos "Politik" machen". Und das spitzte sich auf die Frage zu (denn nur sie sei Regierung): "Was interessiert Frau Merkel? Kann man der aber einen Vorwurf machen, dass sie Merkel-Politik macht? Wer hat die Verantwortung für diese Politik?" Die liege eindeutig bei "uns" - also den anwesenden digitalen Interessierten, meinte Lobo. "Wir haben einen Fehler gemacht - wir haben verkannt, dass Netzpolitik zu allererst "Politik" ist und nur zu einem kleinen Punkt "Netz"." 

Es liege an uns, dass wir glaubten, wie Netzpolitik zu laufen habe. Das sei es aber nicht. "Wir müssen in einen saueren Apfel beißen, der da heißt "Netzpolitik machen". Man müsse auf eine politische Art einschwenken: In der Politik suche man sich Verbündete, mit denen man punktuell etwas gemeinsam macht, um etwas zu erreichen." Ärgerlich daran sei nur, dass die Fronten dauernt wechselten: Mal mit dem, mal mit dem anderen. Die Koalitionen wechseln da von Thema zu Thema. (Jetzt hörte er sich ein wenig an wie ein Pastor auf der Kanzel, die Intonation war genau so.)

Er kündigte an, es kämen nun auf EU-Ebene ein paar digitale Netzthemen, "wo wir die Politik in toto brauchen!" Er hakte selbstironisch auf den "kleinen Piraten" herum, die übrigen Parteien waren als "Kreise" angedeutet. Jetzt kam er auch noch auf Jesus zu sprechen.... Was würde Jesus tun? Spann den Faden weiter: Was würde Google sagen? Um dann zu landen bei: "Wir müssen uns fragen, bei dem was wir tun, das wir sagen: Was würde Merkel überzeugen?"(Für ihn den SPD-nahen Berater in Fragen Digital schien klar: Sie macht bei der #BTW wieder das Rennen.)



Diese Frage stellte er dem Publikum: Was würde Merkel überzeugen - als Ausdruck der Hilflosigkeit sozusagen! Es gehe Frau Merkel um Mehrheiten - mit Wut und Pathos könne man die bekommen. 

Abgesehen davon, dass hier ein Politikverständnis der Singularität vorliegt, was dem demokratischen "Politik gestalten" überhaupt nicht entspricht, war das im Grunde ein direkter Aufruf, den Marsch durch die Instanzen anzutreten. durch die Parteien. Es wird die vielen Politiker gefreut haben, die sich als "netzpolitische Sprecher" ihrer Fraktionen unters Re:Volk gemischt hatten und immer so gerne die Deutungshoheit haben möchten. Dieser Weg durch "die Politik" aber wird ein schwerer sein und am Ende herauskommt in der Regel - ein Funktionär, der sich dem langtradierten Gusto des Systems "Parteiapparat" beugen muss. Parteien sind verknöchert, funktionieren nach dem Habitus der Nachkriegsgesellschaft, haben deutliche hierarchische Strukuren und jede Menge Sanktionsmöglichkeiten für Ausbrecher und Querdenker. 

Solange zudem die Zeit als Mandatsträger unbefristet ist und sich einmal Gewählte über Jahrzehnte unkündbar in Stein meißeln und erst dann aufhören, wenn sie das Rentenalter erreicht haben und entweder öffentlich faseln oder an einer der drei tödlichen Volkskrankheiten dahingerafft werden, so lange wird sich nicht viel ändern. Die digitale Haltung, also "frei, offen, hierarchiefrei etc." - ggf. sogar jung sowie nachwachsend - hat in einer Partei der alten Gattung nichts verloren, ist sogar eher eine Gefahr für den inneren Bestand von Parteien. Man wird den Ball über "Netzpolitik" hier so flach wie möglich halten, weil zu viel Möglichkeiten auf der einen Seite das Regieren schwerer macht. Auch die Haltungsfrage im Netz wird nicht angesprochen werden, "Dialog auf Augenhöhe" - bisher eher hinderlich. Und über die Frage der "Netzpolitik" hinaus gibt es in Deutschland kaum einen Politiker, der überhaupt echte Einblick in seine inhaltliche Mandatsarbeit gewährt, viele Accounts sind lediglich PR-Kanäle, einer sendet, die anderen empfangen. Nein, Überzeugungsarbeit mit echten Argumenten in Parteien, die nach ihren eigenen Regeln funktionieren, ist kein gutes Rezept.


 
Lobo kam auf sein Rezept 1: "Machen"

"Ich glaube, dass wir alle zusammen zu viel geredet und getwittert haben, und zu wenig gemacht haben," kritisiert er (sich und) das Publikum. Das sehe ich anders, ohne die vielen tweets und posts, ohne die nicht-abreißende Kommunikation, Tag und Nacht, ohne Kenntnis eines Wochendes oder Feiertages gäb es das Machen nicht. Dieses Rauschen hat ganz klar dazu beigetragen, eine andere Welt erst einmal zu etablieren, wegzurücken vom Ladenschluss und dem tradierten 9to5-Working und der gestochenen Arbeitszeit sowie der Bindung an einen, der einem sagt, wann es Zeit ist, sich zu äußern. Und das Grundrauschen hat die Freiheit bisher über Wasser gehalten. Die hohe Frequenz ist erst die Basis des Machens, denn durch sie entsteht die Unkalkulierbarkeit der Menge, oder des Schwarms - dieser Faktor X macht das Machen am Ende notwendig und treibt voran. Du weißt nie, was passieren kann!

Lobo verwies auf (seine) Liste der "bekloppten Projekte". Sah das Machen als Fanal! = Trotzdem, dass die Projekte bekloppt sind, kann man damit nach vorne gehen:


Klar, dass sich ein "big name" wie Sascha Lobo da erstmal mit einem Gastgeschenk in die Herzen spielte: Er hatte sich Gedanken zu einem passenden Logo fürs Internet gemacht - es gibt nämlich nicht wirklich eines. Er kreierte dieses hier: (#) Damit hatte er seinen Claim gesetzt und wird vermutlich als Gallionsfigur in die digitalen Geschichtsbücher eingehen.

Für ihn gebe es keine stärkere Aufforderung als zu "Machen". "Ich fordere Euch auf, Projekte zu machen. Im Internet und mit dem Internet!" (Kein Widerspruch. Hier: ja!)


Ein Problem sprach er an (das kann ich gut nachvollziehen): Wir haben unsere Blogs dramatisch vernachlässigt! Vor allem technisch! Und verwies auf "Reclaim Social Media" Reclaim.fm : Das eigene Blog wird zur Zentrale dessen, was man im Internet tut. Es wird auf dem Blog gespiegelt, inklusive der sozialen Beziehungen und Inhalte. Er nannte das "Zurückholen von Kontrolle, nicht Vermarktung durch Dritte, sondern durch sich selbst." Damit wäre die Diskussion um Datenwirtschaft bei facebook und co. ein Stück weit wieder in die Hand der Nutzer gerückt, die nicht in die "ferne weite Welt" ausrücken müssen, sondern nah an ihren Rechnern bleiben können.

Lobo zum Schluss: "Wir müssen einfach "machen": Jetzt seid ihr an der Reihe!"

Ja, Realo ist er geworden, oder war es schon vorher. Politisch angekommen - vielleicht demnächst erster Digitalminister Deutschlands im neuen Kabinett, das wäre auch eine Kanzlerinlogik. Technisch angekommen auf jeden Fall auch, die Angebote werden nicht ausbleiben für einen, der die Branche mit Neuem versorgt und in einem Streifzug alle derzeit bekannten Anbieter nennt: "Ist jemand von Microsoft hier?"
 


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