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Montag, 13. Dezember 2010

Lokale Demokratiebilanz - die Nagelproben

Unser Pressegespräch vom Freitag 10.12.2010 (siehe NW) zur lokalen Demokratiebewegung um den Bürgerhaushalt schlägt unvermutet hohe Wellen. Da fühlt sich die Politische Klasse in Person der Bürgermeisterin der Stadt angegriffen und reagiert reflexartig: Der Bürgerhaushalt sei nur eine Marke auf dem Weg der Demokratie. Außenstehende lobten bereits die gute Kultur der öffentlichen Diskussion in der Stadt, so ihre Antwort auf unseren kritischen Blick auf die kommunale Politiklandschaft.

Löblich ist das Engagement der Stadtverwaltung, diesen Bürgerhaushalt so qualifiziert und maßgeblich zu unterstützen. Alle Achtung dafür. Aber wie sieht es denn wirklich mit dem demokratischen Selbstverständnis in Gütersloh aus? Und da ist nicht nur die Verwaltung gefragt.

In Artikel 20 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes wird die Bundesrepublik unter dem Aspekt der staatlichen Ordnung als ein demokratischer und sozialer Bundesstaat bezeichnet. Alle Gewalt geht vom Volke aus, heißt es. Ein hoher Anspruch und eine Aufgabe, dem und der man auch gerecht werden muss: Das scheint aber immer weniger zu gelingen.
Schon seit 1992 das Unwort des Jahres mit „Politikverdrossenheit“ kreiert wurde, stellt sich immer wieder die Frage, wie politikmüde eigentlich die Bürger sind und wenn sie das denn sind, wie der Weg zurück zur Partizipation gestaltet werden kann. Andererseits wirft aber die Umkehrfunktion die Frage danach auf, wie bürgermüde die Politik eigentlich ist.

Seit der Antike und den Vorstellungen einer Gesellschaft nach Platon und Aristoteles und der Zeit der Aufklärung durch Rousseau und Kant wurde die Frage nach der Politikfähigkeit des Menschen immer wieder erörtert und unterschiedlich beantwortet. Nun ist Demokratie kein Zauberwerk, sondern ein Prozess. Ein Prozess, der sich im Spannungsverhältnis zwischen Politik, Bürger und auch Verwaltung orientiert. Das gilt auch für die kommunale Ebene, oder gerade dort, so nahe am Lebensraum des „Volkes“. Demokratie ist dabei sogar auch messbar – und vor allem eine Haltung. Diese Haltung lässt sich definieren. Kriterien sind etwa:

Informationszugang
Rollenverständnis der Politik
Ermöglichungshaltung seitens der Politik
Beteiligungsverfahren
Bewertung der Beteiligung

Wer also für sich reklamiert, eine demokratische Kultur in der Stadt zu pflegen, darf sich gerne einmal auf Spurensuche begeben:

Der Bürger und das Theater:
Fangen wir mal an mit dem Theater der Stadt. Ja - bitte nicht so vorschnell urteilen, das sei ein alter Hut. Die Debatte um das Theater in der Stadt Gütersloh ist zwar schon „alt“ – aber für den Bürger nicht transparent abgeschlossen und damit sehr lebendig – das zeigen einmal mehr die unzähligen Vorschläge und Kommentare im Bürgerhaushalt. Lange Jahre stand die Frage im Raum, ob wir als Stadt ein neues Theater brauchen oder nicht. Die Politik wollte dann irgendwann. Die Bürger aber nicht. Die politische Antwort der Bürgerschaft gab es schon 2003 beim von der BfGT angestrebten Bürgerbegehren, welches zulässig war und damit in einem Bürgerentscheid mündete. Hierbei stimmten rund 75,8 Prozent der stimmberechtigten Gütersloher Bürger und Bürgerinnen gegen das Theater. Damit war der Neubau vom Tisch. Dachten die Wähler. Nach zwei Jahren (diese Frist muss man laut Gemeindeordnung NRW verstreichen lassen, bis ein Thema nach einem Bürgerentscheid wieder auf die Tagesordnung kommen darf) nahm die Politik den Theaterwunsch wieder auf. Das Ende ist bekannt: Am 21.6.2006 fiel der Errichtungsbeschluss im Rat. Mit 36 Ja-Stimmen, 1-Nein-Stimme, 4 Enthaltungen. Das Theater wurde gebaut. Übrigens ist im Protokoll nicht mehr nachvollziehbar, wer wie abgestimmt hat, da nur ein Zahlenergebnis vorliegt, keine Zuordnung zu den Fraktionen vorgenommen wurde. (!)

Der Bau ist heute immer noch umstritten, denn nach wie vor besteht das Bauchgefühl in der Bürgerschaft, dies gegen den Willen der Bürgerschaft errichtet zu haben – und das auch noch in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Noch während der Bauzeit wurde Rödel&Partner als Beratungsunternehmen eingekauft, welches den Haushalt in Gütersloh konsolidieren helfen sollte. Ein Zusammenhang liegt nahe. Heute stehen wir bei aufgerundet rund 13 Millionen Euro Schulden insgesamt. Die Nagelprobe für Demokratie sieht dabei unter dem Strich eher schlecht aus: Das Rollenverständnis der Politik: „Wir entscheiden, das Votum des Volkes wird legal durch die 2-Jahres-Frist umschifft“ ist wenig hilfreich für den Status einer demokratischen Gemeinde mit einer guten Kultur der öffentlichen Diskussion. Dieses Lehrstück sitzt noch im kollektiven Gedächtnis der Bürgerschaft verankert.

Weitere Proben können genommen werden: Bis vor zwei Monaten war es nicht üblich, die Protokolle der Beschlüsse in Rat und Ausschüssen den Fraktionen zuzuordnen. Ein politisches Nachhalten der Abstimmungsverhalten ist damit nicht möglich. Viel Raum für Spekulation und daher wenig Raum für Transparenz. Nagelprobe nicht bestanden.
Noch eine Nagelprobe. Das Informationsfreiheitsgesetz NRW ist seit Januar 2002 in Kraft. Es gibt den rechtlichen Rahmen für die Bürger vor, Zugang zu Informationen zu erhalten. Ein erster Schritt zum gläsernen Rathaus und damit zur Öffnung der Aktenschränke. Eine eigene Satzung hierzu wollte die Stadt Gütersloh nicht erlassen, zu viel Bürokratie. Es ist lediglich eine Gebührensatzung entstanden, die annähernd die Richtung vorgibt, wie hoch etwa die Kosten sind, die entstehen, wenn der Bürger wirklich Informationen einfordert. Die sind nämlich nicht kostenlos zu haben. Und da liegt bereits der Teufel im Detail. Die Verwaltung steht allen Bürgern bei Nachfragen offen. Ja. Aber wer gewährt diese Offenheit und in welchem Maße? Nagelprobe nur halbwegs bestanden.

Eine Fortsetzung der Liste folgt.....

Will man sich nun wirklich und wahrhaftig auf den Weg einer modernen Bürgerkommune machen, ist dies ein langer Weg. Ein Bürgerhaushalt ist ein echter erster Schritt. Nur ein Schritt führt noch nicht zum Ziel. Es bleibt abzuwarten, wie die Politik mit dem Ergebnis des Bürger-online-Verfahrens umgeht. Wer dann seine postulierte „gute Kultur der öffentlichen Diskussion“ in eine echte Beteiligungskultur transformiert sehen will, braucht da mehr als Worte. Wir werden sehen, wie sich die politische Diskussion anschließt und zu welchem Ergebnis die Gewählten dann kommen. Im Zustand wie gesehen, wäre die schlechteste aller Endformen.

Vielleicht mag man in Gütersloh im Anschluss aber auch mal bei Kommunen reinschauen, die sich schon auf den Weg zu einer Bürgerkommune gemacht haben, wie Viernheim etwa, die nach der Methode der lokalen Demokratiebilanz arbeiten – und Demokratie nicht nur mit einer Marke betreiben, sondern Beteiligungsmöglichkeiten auch bewerten lassen. Von den Bürgern. Und das stetig.