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Freitag, 15. Oktober 2010

Legenden-Bildung

Legenden-Bildung

Schließung einer Grundschule
Der Gütersloher Bildungsausschuss tagte in einer Sondersitzung. Auf der Tagesordnung ganz oben stand (leider) die Entscheidung über die Schließung der Grundschule Astrid-Lindgren. Vorsitzende Tidetke-Strand (SPD) eröffente die Sitzung mit den Worten „wir hätten uns diesen Termin gerne erspart, nun ist er notwendig geworden“. Die Mitglieder des Ausschusses waren offiziell dazu aufgerufen, die Schließung zu „beschließen“: Zu wenig Eltern hatten ihre Kinder für den Schulstart 2010/11 in der Astrid-Lindgren-Grundschule angemeldet. Es lagen lediglich 13 solcher Anmeldungen vor. Zu wenig, um eine neue Eingangsklasse zu bilden, urteilte jetzt die zuständige Bezirksregierung in Detmold. Fazit: Keine Eingangsklasse für den kommenden Jahrgang. Und damit nicht genug. Im Schulgesetz heißt es, wenn keine Eingangsklasse gebildet werden könne und absehbar sei, dass auch im Folgejahr nicht ausreichend Schüler dafür angemeldet werden, sei die Schule zu schließen. Nun galt es, die Hand zu heben: Tod oder Leben.

Rückblick: Politik hat gepennt

Dieses Menetekel der Schließung geisterte nun schon seit Frühjahr 2010 durch die Presse. Bis dahin lagen die offiziellen Zahlen seitens der Stadtverwaltung immer noch nicht vor – obwohl die Anmeldungen bereits im November 2009 erfolgt waren. Hier hat die Politik gepennt – das scheint Tradition zu sein, wenn es um die Anmeldezahlen der Grundschulen geht. Genau diese aber sind Steuerungsinstrumente. Besonders, wenn die Schuleinzugsgebiete aufgehoben sind. Das gehört zum „Einmaleins“ der Bildungspolitik.


Das Hin- und Her muss also stillschweigend im Schulverwaltungsamt und im Dezernat für Schule seinen Ausgang genommen haben. Am Ende standen Eltern und die Schulleitung schnell vor vollendeten Tatsachen. Ein Kampf entbrannte trotzdem - mit ungleichen Waffen, ein Kampf zwischen dem Schulverwaltungsamt, den betroffenen Eltern und der Schulleitung – ausgetragen auf dem Rücken der Kinder. Kurze Beine, kurze Wege, hieß es bis dahin noch. Heute muss es heißen, kleine Köpfe, keine Chance. Auf Druck der Eltern setzte sich die Öffentlichkeit in Bewegung. Nun endlich lag das Malheur unaufschiebbar auch auf dem Tisch der Politik.
Ein offizieller Sitzungstermin fand noch statt, in dem „alle Möglichkeiten zum Erhalt der Schule“ geprüft werden sollten. Allerdings waren die Würfel der Schließung da offensichtlich schon längst gefallen, Handheben im Gremium nur noch Formsache. Der Todesstoß aus Detmold (Bezirksregierung) lag längst vor.

Am Ende entsteht Legende Nr. 1
Was passierte nun im Ausschuss? Legenden-Bildung, statt Bildungspolitik. Legende Nr. 1, der Dezernent: Herr Martensmeier bekundete sein Bedauern über die Schließung. Er gab zu bedenken, die Verwaltung habe immer und rechtzeitig davor gewarnt, dass im Zuge des demographischen Wandels eine Schulschließung bevorstehen könnte. In seiner Heimatstadt Essen sähe es noch schlimmer aus, dort ständen ganze zehn Grundschulen vor der Schließung. Ausrufe der Betroffenheit im Gremium, na immerhin jetzt. Hinweise auf noch kränkere Patienten ist schon immer ein gutes Mittel gewesen, um vom eigenen Gebrechen für einen Augenblick abzulenken. Auch hier gelingt die Methode: Der kurze Aufreger über dieses Schreckensszenario hilft, Legende Nr. 1 ungestraft ins Leben zu setzen: Die Verwaltung habe rechtzeitig darauf hingewiesen, dass Grundschulen geschlossen werden könnten. Wann soll das gewesen sein? In den letzten Niederschriften ist mit keinem Wort nachzulesen, dass ein solches Problem überhaupt andiskutiert wurde. Kein Widerspruch aus den Reihen der Politik, minimale Mitleidsbekundungen, fast identisch im Wortlaut der politischen Parteien.
Am Ende heben (fast) alle Mitglieder die Hand und beschließen – ja mit Bedauern und schweren Herzens, aber sie tun es – die Schließung der Astrid-Lindgren-Schule. Der Schulleitung, sie sitzt hinter mir auf der Zuschauertribüne, wird öffentlich und warm versichert, man setze nun alles dran, dass die noch beschulten Kinder ihren Abschluss an der Schule mit allem Notwendigen vollbringen können. Bis die Schule dann abgewickelt wird. Der letzte macht das Licht aus. Die Nachbarschule übernimmt zwar das Gebäude, dass kann den Astrid-Kindern aber wenig helfen. Auf ihrem Zeugnis, Übergangszeugnis !!, wird nicht stehen, dass ihre Schule aufgrund der „Kinderinsolvenz“ verramscht wurde.
Nachsatz: Der Vertreter der Linken hebt tapfer die Hand gegen die Schließung. Sein Argument, man solle als Ausschuss geschlossen gegen die Schließung stimmen und die unliebsame Entscheidung doch gleich Detmold überlassen, ist ein lieber Versuch, zeigt aber auch hier das Fehlen von vorausschauender und nachhaltiger Bildungspolitik.

Tja, hätte der Ausschuss wahrlich häufiger getagt und hätte die Politik, genauer die Mitglieder im Bildungsausschuss, ihre Hausaufgaben gemacht, wäre die Schließung vielleicht verhindert worden. Kluge Politik bedarf weiser Voraussicht. Nun ist im wahrsten Sinne das Kind in den Brunnen gefallen.

Hätte das aber sein müssen? Nein.

Legenden Nr. 2: Schullandschaft ist prima so

Damit aber nicht genug. Antrag zwei findet sich auf der Tagesordnung: Gütersloh soll eine Gemeinschaftsschule einrichten. Ein Antrag, der eigentlich in die Zukunft weisen sollte, leider erkennbar fadenscheinig daher kommt, damit die Grünen das Thema für sich besetzen. Seit die rot-grüne Regierung in NRW das Zepter auch für die Schulpolitik übernommen hat, werden Gemeinschaftsschulen als eine Lösung auf drängende Fragen der Bildungsgerechtigkeit diskutiert. Gut so. Auch der Ansatz, diese Entscheidung auf die Kommunen zu verschieben ist klug, denn hier vor Ort wirkt Schule. Es ist also folgerichtig, auch in Gütersloh über diese Alternativen nachzudenken. Der Antrag steht nun schon auf wackeligen Beinen, weil er bis Ende des Jahres umzusetzen sein soll, heißt es im Papier. Damit ist das Anliegen leicht zu entkräften: allein das behördliche Hürdenrennen zur Beantragung einer solchen Entscheidung sprengt den Rahmen. Doch in diesem kurzen Handgemenge der Diskussion – die CDU erklärt, eine Gemeinschaftsschule sei lediglich ein Angriff auf die zwei Gymnasien (! Klientelpolitik ?) – schon eine tolle Situation in einer schwarz-grünen Plattform auf kommunaler Ebene und einer rot-grünen Landespolitik – entsteht die Legende Nr. 2. Auch hier ist Urheber der Dezernent. Herr Martensmeier erklärt, Gütersloh habe eine lebendige und nachgefragte Schullandschaft – und brauche keine Gemeinschaftsschule!
So so, will man da zwischenrufen, weil auch das Volk auf der Tribüne gerne mal was dazu sagen würde. Nun sind es kreisweit rd. 24 Prozent der Schüler (nichtdeutsch), die lediglich einen Förderschulabschluss aufweisen. Satte 26,4 Prozent der gleichen Kohorte verlassen die Hauptschule ohne Abschluss.
Zahlen, die sich in der Stadt Gütersloh ähnlich gestalten. Alles Probleme, die das bisherige Schulsystem nicht zu lösen vermag. Eine Diskussion um Alternativen im Schulsystem stände da berechtigt an. Ein System, in dem ein Drittel ins Gymnasium geht, der Rest verteilt wird und viele vergessen werden. Nun aber hat der Dezernent gesprochen: Gütersloh braucht das nicht. Gerne verweise ich an dieser Stelle auf Legende 1. Hier hat auch keiner nachgefragt, geschweige denn frühzeitig diskutiert.

Legende Nr. 3 – innovativer Schulträger
Das führt schnell zu Legende Nr. 3, als Krönung sozusagen: Gütersloh sei ein innovativer Schulträger, so ebenfalls der Dezenent. Ist Schweigen und Verweigern einer Diskussion Innovation? Wohl eher nicht. Innovation bedeutet übersetzt „Neuerung / Erneuerung“. Davon allerdings ist das legendäre Gütersloh weit entfernt.
Am Ende der Sitzung reibe ich mir die Augen. Das war ein legendäres Lehrstück an Ausschussarbeit: Handheben leicht gemacht. Verantwortung übernehmen Fehlanzeige. Weitermachen wie bisher. Ein Volk bekommt die Politik, die es verdient. Da bin ich aber sehr froh, dass die SPD-Fraktion den Antrag angekündigt hat, einen eigenen Gütersloher Bildungsgipfel einzuberufen, der den Schulentwicklungsplan ab 2012 in einem breiten öffentlichen Diskurs fortschreiben soll. Da freue ich mich drauf. Denn nach der Legendenstunde folgt das Aufwachen in der Realität. Auch für Gütersloh.

Freitag, 1. Oktober 2010

Unterschiede – die machen frei


Heute habe ich etwas gekauft, was ich sonst nie kaufe: Den Stern. Die Zeitschrift „Stern“. Die Titelseite war es – da steht in dicken Lettern: Karriere? Das tue ich mir noch nicht an! Warum gut ausgebildete Frauen das Spiel der Männer um Macht und Status nicht mitmachen. Auf dem Foto zu sehen ist eine junge Frau mit weißem Hemd. Ausgabe Nr. 40.

Karriere nein danke

Der Leitartikel war schnell gefunden. Seite 54. Große Bilderserie von den „Fallbeispielen“. Alle vorgestellten Frauen waren schon in leitender Position in größeren Unternehmen oder hätten „Ja“ zu einem solchen Angebot sagen können. Allen gemein ist, die betitelte Absage an die Karriere. Die Gründe sind schnell aufgezählt: Kinder, unflexible Arbeitszeiten, Männerdomaine und Machtspielchen. Nach einer kurzen Zeit des Erduldens folgte das Abnicken und eben der Ausstieg. Nun sind die Damen keine „Nullnummern“ geworden, sondern haben andere Wege gesucht, sich und ihre Talente einzubringen. Der Artikel endet mit der Mutmaßung, das auch die nächste Generation junger Frauen mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird, wie ihre Mütter. Resignation?! Auf der letzten Seite gibt es dann auch gleich Botschaften von „Frauen an Frauen“, wie sie sich im Job durchsetzen können. Aber ist das nicht die falsche Antwort auf die offensichtlicheFrage? Nämlich, wie können Frauen auch Frauen bleiben und wie gelingt es, dass sie nicht einfach die „besseren“ Männer sein müssen?

Frauen und Männer unterscheiden sich

Und dabei ist die eigentlich gute Botschaft versteckt: Männer und Frauen unterscheiden sich. Gut so und unbestritten. Darin liegt doch schon die Antwort, dass sich Frauen nicht in den gleichen Parametern vermessen lassen müssen, wie die männlichen Kollegen. Es sind nicht immer die naturwissenschaftlich-mathematischen Kenntnisse ausschlaggebend, die man gerne den „Jungs“ als Vorteil auf die Fahnen geheftet hat. Frauen dürfen gerne auch auf ihre eigenen Kompetenzen setzen: Die liegen etwa im Netzwerken, in der Fähigkeit der Kommunikation, des Zuhörens und der Empathie. Leider Faktoren, die bisher auf keiner Bank der Welt wirklich Zinsen gebracht hätten. Erfolgsmodelle waren eher die Derivate der Männer, schneller, weiter, mehr - ungeachtet vieler Faktoren der Nachhaltigkeit oder der Zufriedenheit oder gar des Glücks.

Neuer Wohlfahrtsindex

Doch es sind genau diese Inhalte, die neuerdings einen Aufwind erleben. Das selbst in der möglichen Neuberechnung des Bruttoinlandproduktes, welches in Testverfahren, dem sogenannten Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) als Gegenrechnung zum Bruttoinlandsprodukt berechnet wird. Hierin enthalten sind immerhin 21 Variablen, die Themenfelder abdecken wie soziale Gerechtigkeit, unbezahlte Arbeit, Umweltschonung und dabei die Wohlfahrtsentwicklung in der Bundesrepublik im Auge haben. Damit werden andere Quellen des Wohlstandes und der Wohlfahrt in unserer Gesellschaft ins rechte Licht gerückt, nämlich die Leistungen sozialer Netzwerke, Leistungen des bürgerschaftlichen Engagements, gerechtere Einkommensverteilungen und so fort. Mit einem Wort, Lebensqualität und Wohlbefinden rücken zunehmend in den Fokus einer immer bewusster werdenden Gesellschaft. Da fallen mir die vielen ehrenamtlichen Damen, Mütter ein, die unser Leben mit unzähligem Kuchenbacken, Zuhören und Anpacken bereichert haben. Gerade in diese Kuschelecke sind ja nun jahrzehntelang die Frauen abgeschoben worden. Wenn diese Kernkompetenzen nun endlich eine eigene Konjunktur erleben und messbar in unserem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sein verortet werden, kann das für Frauen nur gut sein. Selbst die Schweiz als Paradeland des Geldverdienens hat diese neuen Parameter des Glücks in ihre Berechnungen aufgenommen. Die britische New Economics Foundation hat ähnliche Vorschläge für England unterbreitet.

Sie sind frei!

Nimmt man diese Aspekte zur Grundlagen, dann sind die Roll-Modells aus dem Stern schon einen ganzen Schritt weiter als der Artikel uns eigentlich sagen will. Immerhin haben sie den Mut aufgebracht, nein zu sagen - und was noch besser ist, sie haben Wege gefunden, den eigenen Neigungen zu folgen und diese einzusetzen. Sie müssen sich nicht mehr den Regeln anderer anpassen. Sie sind eigentlich das, was alle gerne sein wollen: Sie sind frei!