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Samstag, 15. Januar 2011

Vernichtende Kritik an Bürgerhaushalt - oder Krieg "Zeitung gegen Web 2.0"?

 Ein "Schuss in den Ofen" sei der Bürgerhaushalt kommentiert heute Rainer Holzkampf von der NW. Und er führt auch Gründe auf, warum das für ihn so ist.
 
Hier ein kurzes Resümee seiner Sicht (für die vielen Nicht-NW-Leser):
 - Mit großem Tam-Tam sei für den Bürgerhaushhalt  geworben worden. Am Ende standen für ihn magere 1,7 Prozent der Beteiligung, die sich nochmals auf eine "unterirdische Quote" schmälere, wenn man alle Doppelanmeldungen, Gefälligkeitsunterstützer und Inkognito-Politiker abziehe.

- Der Kämmerin Christine Lang beschreibnigt er eine gewisse Zahnlosigkeit bei sonst doch so scharfen analytischen Verstand.

- Die 70.000 Euro für den Bürgerhaushalt seien in Zeiten leerer Kassen verschwendet und brächten nichts Neues, in den Folgejahren würde das wahrscheinlich auch viel Geld kosten.

- Das Internet sei nicht geeignet, alle Bürger in den gleichnamigen Haushalt mit einzubeziehen. Im Gegenteil, ganze Bevölkerungsschichten seien a priori ausgeschlossen, weil sie nicht können oder aus Datengründen nicht wollen. Es solle daher bei zukünftigen Versuchen eine echte Anlaufstelle für Voten und Vorschläge geben - persönlich /händisch im Bürgerbüro.

- Es sei nun nicht angemessen und zu erwarten, dass sich die Politik im Hauptauschuss am Montag von einer kleinen Minderheit das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lasse. 

- Um Demokratie zu wagen, brauche es schon mehr Courage, schließt er.

Wau. 

Ich nehme seine Argumente aufmerksam auf. Rainer Holzkamp ist als ein fundiert recherchie-render, ernsthafter und informierter Journalist bekannt - und wird ausdrücklich von mir geschätzt. Um hier Missverständnissen vorzubeugen.

Mich beschleicht aber doch folgender Verdacht: Liegt der Kritik nicht vielleicht ein ganz anderer Konflikt zugrunde? Etwa der von altmedial berichtender Zeitung gegenüber dem Web 2.0 und seinen modernen Formen der Kommunikation - an der Zeitungen und Redaktionen eben nicht mehr den Anteil und auch die Einflussnahme haben, wie sie das bisher gewohnt waren?

Wie sah denn bisher die Alternative aus? Beteiligung braucht Information. Und Information entsteht durch Öffentlichkeit. Und das Herstellen von Öffentlichkeit war und ist immer eine Aufgabe der Printmedien gewesen. Die NW nun berichtet schon seit längerem nicht mehr ausführlich oder regelmäßig aus den kommunalpolitischen Ausschüssen oder aus dem Rat. Manchmal wartet man sogar ganz vergeblich auf eine Berichterstattung. Die NW behält sich vor, was sie bringen will und aus Zeit- und Personalgründen bringen kann. Zudem gibt es hausinterne Äußerungen, man sei mehr zur Boulevardisierung übergegangen, weil die Bürger das eher lesen würden als politische Berichterstattung - die nur einen verschwindenden Prozentsatz an Bürgerschaft interessiere. Über die Haushaltsberatungen im Rat hatte die NW im letzten Jahr nur sehr spärlich berichtet. Einen fundierten Bericht über die jeweiligen Positionen der Fraktionen vermisste man ganz.

Demokratie aber lebt vom Austausch der Meinungen und Positionen. Nun hat sich in den letzten Jahren sehr deutlich das Internet einen großen Anteil an Information und Kommunikation errungen. Die Bürgerbewegungen etwa wie Stuttgart 21, die erstarkte Anti-AKW-Bewegung, der Protest der Münsterländer gegen die Erdgasbohrung von Exxon etc. -  alle diese Aktionen wären ohne das Internet nicht in der großen Wirkung möglich gewesen. Auch ein Blick ins Ausland verrät, dass gerade die Online-Medien in politisch prekären Zeiten die einzigen Quellen waren und sind, die überhaupt über die Geschehnisse im Land informieren. Sie stammen direkt aus den Handys und Kameras des Volkes - und sind nicht nur im Netz zu finden, sondern werden auch in den etablierten Medien übernommen.

Bisher mussten also demokratische Alternativen nicht nur durch das Nadelöhr der Politik, wo viele Anregungen im System der Parteien verschwunden sind, sondern auch noch durch die Hände der Zeitungsmacher, die entschieden, was berichtet wird und was nicht. Die Medien seien die vierte Macht im Staate, heißt es gemeinhin. 

Nun aber ist das Web 2.0 ganz enorm präsent hinzugekommen: Ein schier unbegrenzter Pool für Informationen und Kommunikation. Viel schneller und viel nachhaltiger als Zeitungen es sein können. Natürlich muss man das Netz nicht glorifizieren, auch hier gibt es Tücken und nicht alles ist demokratisch wertvoll. Eines aber ist deutlich: Die Bürgerschaft hat sich dieses neue Medium zu Eigen gemacht und damit ein Sprachrohr für sich gefunden, welches unabhängig ist von Politikern und Redakteuren. 

Auch der Bürgerhaushalt im Onlineverfahren hat diesen Vorteil genutzt und gezeigt: Die Teilnahme war für alle potenziell möglich (übrigens auch durch den Gang zum Bürgerbüro, aber es sind auf diese Art nur rd. 10 Vorschläge eingegangen). Der Prozess ist für alle nachvollziehbar, die Vorschläge sind allesamt dokumentiert, abrufbar und lesbar, die Kommentare sind es ebenfalls, die Wertungen genauso. Wie anders hätte ein solch breiter Prozess moderiert und transparent dargestellt werden sollen? In keiner Versammlung und in keinem anderen Format hätte das gelingen können. Auch nicht in der Zeitung. Die dann hätte werten, clustern und verknappen müssen - auf jeden Fall ein weniger transparenter Prozess.

Kein Grund nun für die Printmedien, ggf. beleidigt zu sein und den Bürgerhaushalt abzuwatschen. Im Gegenteil. Die Printmedien sind immer auch willkommene Begleitung und Kommentierung für ein solches Verfahren. Aber eben in einer anderen Rolle als bisher. Sie haben nicht mehr die alleinige Deutungshoheit.
Vielleicht liegt es daran, dass die Auflage im Druckbereich weiter fällt, die Klickzahlen im Netz aber steigen - und somit das Web 2.0 zur Bedrohung auch für Lokalredaktionen wird. (Obwohl viele Blogger oder Internetnutzer Links zu Artikeln setzen, die sie in Printform zuerst gelesen haben.) Die Angst vor dem Abgehängtwerden ist also greifbar: Schaut man auf die Informationsgewinnung der nachrückenden Generation ist deutlich, dass diese wohl zukünftig noch selbstbestimmter/individueller und noch elektronischer stattfinden wird. Ein Trend wird sich also fortsetzen. 
Diese unterschwellige Kritik am Web 2.0 aber auf dem Rücken eines Bürgerhaushaltes auszutragen, ist schade. Zumal am Ende überhaupt keine Alternative präsentiert wird. - Ja, gut, der Gang ins Bürgerbüro. - Wir reden aber doch von einer Fortschreibung der Demokratie und die Einordnung einer immer komplexer werdenden Gesellschaft und Welt - von Globalisierung mal ganz zu schweigen.

Da muss man nun wirklich der Kämmerin Recht geben: Sie hat offensichtlich verstanden, was die Moderne mitsichbringt - und sie zeigt sich aufgeschlossen. Das allein sichert ihr und dem Verfahren des Bürgerhaushaltes in Zukunft noch mehr Bekanntheit über Gütersloher Grenzen hinaus. Sie hatte eben die Courage, 70.000 Euro in die Hand zu nehmen und neues Terrain auszuprobieren. Hut ab, Frau Lang, (die ich übrigens auch als streitbar und "schwer bewaffnet" zu würdigen gelernt habe.) Ihr ist sicher bewusst, dass die Summe von rund 165 Tausend Euro für die externe Beratung zur Konsolidierung nach intransparenter Manier, weniger gut investiert war. Denn danach gab es lediglich massive Proteste mit Trillerpfeifen auf der Straße, aber keinen Dialog über Veränderungen. (Übrigens haben die Bürger den Vorschlag, keine weiteren Gutachten zu vergeben, sondern lieber selbst Entscheidungen zu fällen, im Bürgerhaushalt auf die vorderen Plätze gevotet!)

Der Bürgerhaushalt war ein erster Gehversuch, neue Formen der Beteiligung auszuprobieren. Klar steckt das System noch in den Kinderschuhen. Aber ein Versuch und der politische Wille zu mehr moderner Beteiligung kann nicht grundsätzlich schlecht sein - immerhin hatte sich auch die Politik dazu mehrheitlich entschieden. Wenn dem Versuch allerdings das gnadenlose Abbügeln in der größten Gütersloher Lokalzeitung sowie durch die konservative Politik, die lieber an alten Pfaden festhält, weil dann das Geschäft der Entscheidungsfindung "einfacher" und vor allem gewohnter ist, entgegensteht, so ist das sicher kein Weg, der nun gerade ein Mehr an Courage für Demokratie gezeigt hätte. 

Ein Schuss in den Ofen also? Für mich nicht. Ruß an den Händen derer, die gezielt haben, ist allemal besser, als die vermeintlich weiße Weste derer, die sich hinter Nichtstun und "wir-machen-das-alleine" verstecken.