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Mittwoch, 4. Mai 2011

Bürgerhaushalt Fazit: Transparenz von Anfang an

Wie erfolgreich war das Verfahren zum Bürgerhaushalt?
Eine Analyse anhand eines Kriterienkatalogs

Heute
Kriterium 13 (von 14) Effizienz
Die Frage der Effizienz ist an zwei Punkten messbar: Zum einen ist es die mögliche Einsparsumme. Eine konkret eingesparte Summe ist dabei auf dem Portal Bürgerhaushalt nicht abrufbar, hier werden auch nach Beschluss über den Gesamthaushalt im Rat am 25. März 2011 immer noch die Zwischenergebnisse dokumentiert, dies zwar nach Teilhaushalten, aber eben nicht aktuell: https://www.buergerhaushalt.guetersloh.de/inhalt/erreichte-summen
Auch in den Protokollen der Gremien findet sich hier keine „Zahl“. Ebenso finden sich dazu keine Anhaltspunkte in den Haushaltsreden der Fraktionen sowie der Bürgermeisterin. Leider hat das wenig mit Transparenz und Messbarkeit oder Zielerreichung zu tun. Ein Defizit.

Andererseits spiegelt sich die Effizienz auch in der Quantität der nutzbaren Vorschläge:
Mit den einzelnen Vorschlägen ist sehr unterschiedlich verfahren worden. Von der Top-30-Liste der bestbewerteten Vorschlägen sind nur drei Vorschläge umgesetzt worden, zehn werden bereits praktiziert, heißt es in einer verwaltungsinternen Liste, die der Öffentlichkeit allerdings nicht zugänglich ist. Die übrigen Vorschläge wurden abgelehnt oder einer weiteren Prüfung unterzogen. Zusätzlich werden vier von sieben vorab auf der Plattform notierten Verwaltungsvorschlägen umgesetzt.

Positiv zu bewerten ist, dass nicht nur die Liste der Top-30-Vorschläge in die engere Betrachtung gelangt ist, sondern zudem noch weitere 78 Vorschläge, die die Fraktionen selbst aus dem Katalog der rd. 330 Vorschläge gefiltert haben; wobei die FDP und UWG dieser Stelle keine weiteren Vorschläge eingebracht haben. Kritisch aber auch hier: Von den 78 Vorschlägen werden sechs Vorschläge umgesetzt, 19 werden bereits praktiziert, die Hälfte wurde abgelehnt und weitere 19 sind auf dem Weg in weitere Prüfungsrunden. Unterm Strich bedeutet das, von 115 Vorschlägen (Bürger, Verwaltung, Politik) wurden 13 umgesetzt, 29 bereits praktiziert, 49 abgelehnt und der Rest geprüft.
Damit liegt der Anteil der umgesetzten Vorschläge bei 57 Prozent für die Verwaltung, bei 10 Prozent für die Bürgervorschläge aus der Top-30-Liste und rund 7,7 Prozent bei den Politikervorschlägen aus der Longlist der Bürgervorschläge. Das allein ist eine deutliche Aussage.

Pikant zudem: Betrachtet man die Anzahl der eingebrachten Vorschläge, die bereits praktiziert werden, also faktisch „umsonst“ eingebracht wurden, so ergeben sich 33,3 Prozent aus der Top-30-Liste. Aber auch aus den Reihen der Politiker selbst wurden Vorschläge nachnominiert, die bereits zu 24,39 Prozent umgesetzt werden. Dies bekommt eine besondere Note, wenn man bedenkt, dass große Teile der eher konservativen Beteiligungsgegner den Bürgern unterstellt haben, die Bürger hätten „keine Ahnung“. Dafür ist der Anteil der Politikernennungen für Vorschläge, die bereits praktiziert werden, deutlich zu hoch. Die Folgerung liegt nahe, auch die Politik sei bisweilen überfordert und nicht auf dem Laufenden.
Note: befriedigend

Kriterium 14 (von 14) Zufriedenheit

Die Anzahl der Vorschläge, die nach dem Bürgerhaushaltsverfahren realisiert werden, ist wie gezeigt eher niedrig. Hinzu kommt, dass es bisher wenig transparent war, wie inhaltlich mit den einzelnen Vorschlägen verfahren wurde. In der Praxis werden die Vorschläge also zunächst nach zwei Kriterien geprüft: ist die Kommune überhaupt für den Vorschlag zuständig und kann man diesen Vorschlag im Rahmen des Budgets umsetzen? Einerseits steht damit die Stadtverwaltung in der Funktion eines „Torwartes“ und wehrt die „Bälle“ ab, die jenseits der Entscheidungskompetenz der Kommune liegen. Andererseits kann die Verwaltung Vorschläge „abbügeln“, die etwa das Finanzbudget der jeweiligen Fachbereiche sprengen würde. So gesehen etwa bei dem Bürgervorschlag des kostenlosen Mittagessens für alle Kinder der Stadt. Dass derartige Forderungen real nicht umsetzbar scheinen, wird damit seitens der Verwaltung gesteuert. Die politischen Vertreter sind an der Stelle aus der Verantwortung gerückt. Dass in diesen Vorschlägen allerdings politische Aussagen der Bürgerschaft stecken, fällt oft aus der Betrachtung heraus. Wichtig ist dies vor dem Hintergrund, dass nicht nur Sparvorschläge eingebracht werden konnten, sondern auch Meinungsbilder eingefangen wurden. Diese Praxis des formalistischen Wegtauchens erzeugt auf lange Sicht Frustration in der Bürgerschaft, denn offensichtlich handelt es sich hier um eine gesamtgesellschaftliche Anregung, die zumindest politisch diskutierbar sein sollte. Wenn sie kostenbedingt ggf. real nicht umsetzbar ist, so zeigt sich zumindest eine Position innerhalb der Bürgerschaft zu einem Thema. Die Bürgerschaft wird allerdings wenig ernst genommen, wenn sie auf die Position eines Bittstellers reduziert ist, der vor der Rathaustür mit vagen Formulierungen vertröstet wird.
Gleichzeitig sinkt die Zufriedenheit innerhalb der Bürgerschaft, wenn unterbreitete Vorschläge in der Kategorie „das machen wir schon“ eingestuft werden – aber in Folge nicht wirklich transparent ist, auf welche Weise etwas „schon gehandhabt“ wird. Offensichtlich sind diese Vorgehen in der Öffentlichkeit nicht transparent genug. Am Ende bleibt das Gefühl, mit den Bürgeranliegen abgebügelt zu werden. Ein fatales Ergebnis am Ende eines Beteiligungsverfahrens. Es gilt hier besonders intensiv nachzubessern. Hier sind vor allem die politischen Vertreter gefordert, die auf ihren Anspruch als legitim gewählte Volksvertreter pochen, diese Rolle aber nicht in letzter Konsequenz ausfüllen. Mit mehr Transparenz in der Entscheidung können sie damit dem Eindruck entgegenwirken, sie überließen Entscheidungen der Verwaltung und Politik „kümmere sich nicht“. Ein Eindruck, der dem Parteienverdruss Vorschub leistet und die Akzeptanz in der Bevölkerung nachhaltig schmälert.
Note: ausreichend


Rahmenbedingungen gut, Umsetzung defizitär

Unterm Strich steht eine Durchschnittsnote von 2,7: Festzuhalten gilt, dass die Faktoren wie Ressourcen und Kosten, Innovation und Professionalisierung, Nutzerfreundlichkeit, Qualität der Beiträge und Anschlussfähigkeit viele positive Aspekte gezeigt haben. Dies deutet darauf hin, dass die grundlegenden technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen passgenau gestaltet waren und die Systematik in der Lage ist, einen solch großen Prozess hin zur Steuerung von Impulsen grundsätzlich kanalisieren kann.

Die Faktoren wie Mobilisierung, Repräsentativität, Demokratieeinstellung, Nachhaltigkeit und Effizienz zeigen dagegen deutliches Potenzial zur Verbesserung – und deuten darauf hin, dass die eingespeisten Inhalte ihr Ziel, nämlich Gehör zu finden, durchaus erreicht haben, dass aber auch ein Bürgerhaushalt Zeit für nachhaltige Veränderung braucht und ohne strategische Ausrichtung nicht voll leistungsfähig ist.

Die Faktoren wie Transparenz, Verbindlichkeit, Repräsentativität und Akzeptanz, Zufriedenheit sprechen in hohem Maße Defizite der „Politikvermittlung“ an, die es deutlich zu verbessern gilt, soll der Wunsch nach mehr Beteiligung nicht ein eilig gesprochenes Lippenbekenntnis in schlechten Zeiten bleiben.


Fazit: Ohne klare Ziele am Anfang, wird es am Ende parteipolitisch

Am Ende bleibt festzuhalten, dass es beim ersten Durchlauf zum Bürgerhaushalt keine klare einheitliche Zielformulierung gab, sondern unterschiedliche Erwartungshaltungen, die an keiner Stelle als realer Zielkatalog transparent formuliert wurden. Bereits im Vorfeld des Verfahrens zum Bürgerhaushalt hätte es klare Spielregeln für die anschließende Bewertung geben müssen, die jedoch politisch nicht diskutiert worden sind, sondern eher schweigend je nach parteipolitischem Gusto der Fraktion „angenommen“ wurden. Auf einen solchen Kriterienkatalog aber müssen sich alle Kommunalpolitiker einigen, um eine abschließende Bewertung messbarer zu machen. Kriterien und deren Auslegung im Nachhinein zu artikulieren, ist verfänglich, da nunmehr alles politische Auslegungssache ist. Diese Aufgabe hat die Mehrheit der Politik nicht wahrgenommen, sondern sie hat sich auf das formale Vorbereiten des Bürgerhaushaltes als Prozess der Verwaltung verlassen. Während die Bereitstellung der Online-Plattform sowie die Begleitung des Gesamtprozesses zusehends in den Händen der Verwaltung lag, die ihre Aufgabe mit Bravour erledigt hat, bleibt die Frage der Fortsetzung des Bürgerhaushaltes nun allein in den Händen der Politik, die interessengesteuert damit verfahren kann. Am Ende ist und bleibt es eine politische Willensbekundung, ob Beteiligung erwünscht ist oder nicht. Das jedenfalls ist eine nicht delegierbare Kernaufgabe der gewählten Volksvertreter. Sie müssen jetzt deutlich Flagge zeigen, ob ihnen das Verfahren „Bürgerhaushalt“ lediglich ein ordnungspolitisches Instrument war, um den Zustand des der „Ruhe nach dem Sturm“ wiederzuerlangen oder ob sie ihre Angst vor unberechenbaren Interessen überwinden können und sich auch zukünftig auf das Wagnis „Bürgerhaushalt“ verbindlicher einlassen können. Eine Entscheidung gegen eine Fortsetzung muss durch die Gewählten erklärt werden. Drückt sich die Politik vor dieser Aussage, dann ist die Gefahr groß und naheliegend, dass der Bürgerhaushaltes jetzt durch die möglicherweise einsetzende Überfrachtung mit künftigen Regeln somit über Umwege ausgebremst wird.



Erfolgreicher Bürgerhaushalt? Heute: Demokratieeinstellungen


Wie erfolgreich war das Verfahren zum Bürgerhaushalt?
Eine Analyse anhand eines Kriterienkatalogs

HEUTE: 
Kriterium 10 (von14) Anschlussfähigkeit
Der Bürgerhaushalt zeigt in sofern Anschlussfähigkeit, als dass er grundsätzlich im kommenden Jahr wiederholt durchgeführt werden kann: Das technische Tool ist vorhanden und bezahlt. Es gilt lediglich wieder einen Moderator einzukaufen, der den Prozess kompetent begleitet. Dieses sollte auch in Zukunft nicht durch die Mitarbeiter der Verwaltung geleistet werden, da dies die Inhalte und Transparenz in Frage stellen könnte.
Zudem ist man mittlerweile eingespielt und hat mögliche Verbesserungen erarbeitet, die es in der zweiten Runde einzupflegen gilt. Bisher gibt es generell wenig Ansätze zur regelgebundenen Implementierung solcher Onlineverfahren zur Partizipation in Kommunen. (Siehe den 4. Statusbericht vom 12.4.2011 zu den Bürgerhaushalten in Deutschland von der BpB) Der Gütersloher Bürgerhaushalt hat hier viele neue Aspekte in der Praxistauglichkeit eines solchen Verfahrens aufgezeigt, die es generell erleichtern können, in Folge eine solche Implementierung zu ermöglichen.

Zu beachten gilt es auch, dass die Online-Plattform auch zwischen den Bürgerhaushaltsverfahren nutzbar ist: Hierauf können zur Abstimmung oder zur Diskussion stehende Anliegen wie Großprojekte oder aber Themen wie Bildungsfragen abgelichtet und mit der Bitte um ein Bürgervotum an die Allgemeinheit gerichtet werden.

Kritisch: Die Frage der Anonymität ist dabei sicher eine der zentralen Fragen, die über die Zukunft des Bürgerhaushaltes entscheiden wird. Dabei gilt es sicherzustellen, dass im Zuge dieser eigenen Diskussion die Möglichkeiten der Internetbeteiligung nicht anachronistisch betrachtet werden, derart, dass Onlineverfahren kaum in die Tradition bisheriger Politikvermittlung eingebettet werden können, sondern eigenen Regeln des Netzes unterliegen. Zudem ist darauf zu achten, dass Anonymität in der Beteiligung nicht zu einer a priori Kriminalisierung dieses Beteiligungsform diskreditiert werden darf. Die Argumentation zur Beibehaltung der Anonymität findet sich gesondert auf der Seite „Demokratie wagen Gütersloh“. Wie auch immer sich die Beteiligten aus Politik und Verwaltung dazu verhalten werden, die Beibehaltung der Anonymität ist entscheidend für die Akzeptanz sowie die Beteiligungsquote in allen weiteren Runden eines folgenden Bürgerhaushaltverfahrens. Note: gut (plus)

Kriterium 11 (von 14) Erhöhung der Demokratieeinstellung
Ob es im Rahmen des Bürgerhaushaltsverfahrens zu einer Erhöhung der Demokratieeinstellung gekommen ist, bleibt bisher ungeklärt. Diese Frage kann lediglich „gefühlt“ beantwortet werden. Zumindest ist es gelungen, die Bürgerschaft der Stadt für den komplexen Bereich des Stadthaushaltes zu sensibilisieren. Die Verschuldungsquote sowie die drohenden Einschnitte im Alltag einer Kommune, die für jeden spürbar werden, hat sicher einiges dazu beigetragen, dass dem städtischen Zahlenwerk mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde. Ferner ist ein breiter Diskurs in der Stadt angestossen worden, der alle Schichten und alle Bewohner angesprochen und fakultativ einbezogen hat. Zudem hat er auch die Interaktion innerhalb der Bürgerschaft ermöglicht, wofür es in der Regel sonst kein Format gibt. Ferner hat der Bürgerhaushalt deutlich gemacht, dass Formen der direkten Bürgerbeteiligung nicht ein Entweder-Oder verursachen, sondern auf das Konto einer Sowohl-als-auch-Politik einzahlen, also ein probates Begleitinstrument ist, um Bürgerschaft frühzeitig einzubinden und am Prozess zu beteiligen.

Problematisch war allerdings, dass zu wenig Bewerbung in den Schulen betrieben worden ist. Hier sollte bereits im Vorfeld eine Strategie entwickelt werden, wie die Schulen sich über den Bürgerhaushalt informieren können – und wie Beteiligung auch der Jugendlichen ermöglicht werden kann. Gleiches gilt auch für die Verbesserung der Bürgerkompetenz, was eigentlich Kommunalpolitik leisten muss, nimmt sie ihren Auftrag ernst, an der Willensbildung mitzuwirken. Hier muss deutlicher vermittelt werden, welche Möglichkeiten der Einflussnahme es gibt. Beklagen die Parteien den Fakt, es gebe große Inkompetenz der Bürgerschaft, hat sie hier offensichtlich zu wenig und offensichtlich ineffektiv entgegengewirkt. Parteipolitische Veranstaltungen oder spezifische Informationen zu Haushaltsfragen oder moderne Onlineinformationen gab es nur vereinzelt. Note: befriedigend

Nervig, diese Bürger!

Kriterium 12 (von 14) Nachhaltigkeit
Ob der Bürgerhaushalt Nachhaltigkeit in seinem Wirken erzeugen kann, bleibt abzuwarten. Anhand der Zahl der beschlossenen Vorschläge zeigt sich allerdings, dass ein Teil der Ideen in den politischen Alltag eingeflossen ist und Wirkung erzeugen kann - wenn denn deren Inhalte nicht im laufenden Politikgeschäft verpuffen. Manche Vorschläge werden sicher erst in der Länge ihre Wirkung erzeugen. Was das Verfahren an sich angeht, sind mit dem Bürgerhaushalt qualitativ sehr hohe Maßstäbe gesetzt. Ab jetzt steht sicher in Zukunft immer öfter die Frage im Raum, wie weit Bürger beteiligt werden – die Frage, ob sie überhaupt beteiligt werden, steht dabei außer Frage, denn einmal erreichte Beteiligungsformate kann man kaum wieder ins Nichts „abwickeln“ ohne Protest zu ernten. Am Ende könnte das Onlineverfahren dazu führen, dass Gütersloh sich generell zu einer „Bürgerkommune“ entwickelt, die sich eine eigene Demokratiebilanz gibt und Beteiligungsverfahren als festen Bestandteil in das kommunale Dasein implementiert. Die Krönung eines solchen Verfahrens wäre etwa ein flexibles Budget, über welches die Bürgerschaft z.B. stadtteilbezogen selbst bestimmt und entscheidet, in welches Projekt das Geld fließen soll. (Zukunftsmusik). Note: befriedigend

 Morgen: Effizienz und Zufriedenheit