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Montag, 28. Februar 2011

Versteckspiel in der Rechenschaftsphase beim Bürgerhaushalt

Es ist sehr still geworden um den Bürgerhaushalt in Gütersloh. Warum nur?

Mit der Einbringung von Vorschlägen des Bürgerhaushalts in die Fachausschüsse hat jetzt die Phase der Rechenschaft begonnen, die mit dem Ratsbeschluss über den Haushalt - voraussichtlich am 25. März – endet - so steht es auf der Homepage der Stadt zum Bürgerhaushalt Gütersloh.

Die Phase der "Rechenschaft" bedeutet nichts Anderes als das, was bisher in den politischen Gremien zu dieser Zeit diskutiert wird: die Vorschläge zur Haushaltsgestaltung 2011. Nur dass diesmal eben nicht allein die Vorschläge der Verwaltung und der Politik eingebracht werden - sondern auch die der Bürgerschaft. Die 30 Favoriten aus der Summe der Vorschläge des Bürgerhaushaltes stehen zur Disposition. Hier findet sich zur Erinnerung die Liste der Top 30 zum Nachschlagen.

Genau jetzt, wo eigentlich "Butter bei die Fische" kommen müsste, ist eher das "Versteckspiel" Programm.
Zwei Punkte möchte ich herausgreifen:

Punkt 1: Die Verwaltung
Die Verwaltungsvorlagen als Stellungnahmen zu den Vorschlägen stehen zwar im Netz, sehr transparent, zum download und mit den verwaltungsrelevanten Stellungnahmen zu den jeweiligen Positionen. Aber: Oftmals lässt sich ablesen, dass die Vorschläge aus der Bürgerschaft schon Dinge berühren, die bereits in den Ausschüssen diskutiert und durch bindende Beschlüsse zum Abschluss gebracht worden sind. Oder aber es wird auf die Beschlüsse der Haushaltskonsolidierungsvorschläge der Beratungsfirma Rödl & Partner hingewiesen, die über 2011 hinausreichen und damit unverrückbar Bestand haben. Das war ein Punkt, den auch wir als Initiative angesprochen haben, in wieweit der Handlungsspielraum überhaupt gegeben war. Bewegt sich nun also nichts, steht am Ende das gefürchtete Frustrationserlebnis für die Bürgerschaft, die schließlich das Gefühl haben: "Es hat nichts gebracht - ändert sich eh nichts." Der Eindruck verhärtet sich, wenn am Ende der Verwaltungsvorlage zum Teilhaushalt Bildung etwa steht:
"Aufgrund der vorausstehenden Ausführungen ergibt sich für die Verwaltung akutell keinen Handlungsbedarf."
Das ist ein Killersatz für jede Art von bürgerschaftlicher Einmischung.

Nun mögen die Einwände der Verwaltung gegen die Vorschläge berechtigt sein, wie etwa die Frage nach den Hausmeisterstellen (jede Schule einen Hausmeister) oder aber die nach den geregelten Mahlzeiten in der Schule, die die Stadt mehr als 8 Mio. Euro kosten würde. Allerdings zeigt sich, dass hier verstärkt Erklärungsbedarf besteht und den Bürgern offensichtlich Probleme auf den Nägeln brennen, die nicht ausreichend diskutiert und nachvollziehbar zum Abschluss gebracht worden sind. Man darf sich schon fragen, wieviel Euros uns die gute Ernährung von Kindern im Ganztagsbetrieb der Schulen wert ist. Eine solche Diskussion um Grundsätzliches muss am Ende auch nachvollziehbar ankommen, dann kann das Ergebnis akzeptiert werden - oder eben nicht.

Punkt 2: Die Politik der im Rat vertretenen Fraktionen
Während die Verwaltung ihre Stellungnahme im Netz ablichtet, werden die Diskussionsstränge in der 
Politik nicht transparent. Streng genommen müssten die Protokolle aus den Gremiensitzungen ebenfalls umgehend veröffentlicht werden. Schon aus dem Eigeninteresse der Politik heraus. Auf der Bürgerhaushalts-plattform findet sich dazu aber überhaupt nichts.
Um den politischen Diskurs über die Vorschläge also nachvollziehbar zu machen, müssten sich die Bürger nun selbst in die Ausschüsse begeben, oder aber auf die Homepages der politischen Parteien und Fraktionen klicken, um hier Informationen über die politische Position zu den Vorschlägen zu bekommen. Auffallend ist hier allerdings wiederum, dass selbst auf den eigenen Informationskanälen der Parteien so gut wie nichts zur politischen Diskussion der Bürgervorschläge zu finden ist (geschweige denn zu möglichen eigenen Vorschlägen). Allenfalls die eine oder andere sehr magere Pressemitteilung lässt erkennen, wie sich die Fraktionen positionieren. Da ist die SPD-Fraktion neben der BfGT noch herausragend- sie stehen auch im Wort, denn der weitestgehende Antrag zum Bürgerhaushalt stammt aus ihrer Feder. Die übrigen Beiträge der Ratsbeteiligten allerdings reichen für die Akzeptanz in der Entscheidungsfindung für die Longlist von 30 Vorschlägen aber nicht aus.

Das erstaunt: Am Anfang des Prozesses zum Bürgerhaushalt waren sich schließlich alle Fraktionen einig, hier größtmögliche Transparenz herstellen zu wollen - sonst hätte man das Format auch lassen können. Und allen Fraktionen war klar, dass Beteiligung von Information und Interaktion lebt. Die fehlt nun bisher leider. Also doch ein politisches Versteckspiel?

Die Phase der Rechenschaft ist nun noch nicht ganz vorbei. Man darf ja noch einen Showdown in den letzten Tagen vor der Verabschiedung des Haushaltes erhoffen. Dann ist die Arbeit in den Gremien zwar schon gelaufen, aber am Ende findet sich die Longlist der Top 30 auch im Rat wieder. Da erhoffe ich mir zumindest ein paar zusätzliche Worte der Erklärung, warum und wieso wie entschieden wurde.

Oder war der Bürgerhaushalt etwa gleich mit dem Faktor "death dating" gestrickt: Will heißen, am Ende war das Sterben des Formates Bürgerhaushalt schon vordatiert und geplant?
 

Politikmüde Jugendliche? Eher nicht.




Spannendes Interview zur Frage "Sind Jugendliche politikverdrossen?"

Dr. Marc Calmbach, Sinus Institut Berlin erklärt, Jugendliche hätten heute keine Biografie mehr vor sich, die am Reißbrett entworfen werden kann. Zu viele Brüche, zu viel Unkalkulierbares. Die Identitätsarbeit liegt vermehrt in den Händen der Jugendlichen selbst, sagt er. Ein Faktor für den Politikverdruss ist seiner Auffassung nach die Entfremdung der Parteipolitik vom Volk. Zudem seien jugendliche Themen heute anders gelagert, es fehle daher eine moderen Form der Angebote. Interesse an gesellschaftspolitischen Fragestellungen sei auf jeden Fall vorhanden, nur nicht mehr in der Vermittlungsstrategie, wie sie in den letzten Jahren der Politikvermittlung ausreichten. Heute sind flexiblere Strukturen und Prozesse gefragt, die ein kurzfristigeres und auch spontaneres Mitwirken ermöglichen.

Mehr dazu im Interview.

In seinem Vortrag erklärte Calmbach übrigens auch, dass etwa die Frage nach "Kennst Du den Ministerpräsidenten von soundso oder kennst du den Fraktionsvorsitzenden von YX?", für Jugendliche nicht so wichtig sei, sondern eher die Inhalte und die konkreten Lösungsstrategien. Legt man also diese alten Strukturen und Herangehensweisen des Politikverständnisses als Grundlage zur Erhebung, ob Jugendliche politikmüde sind, kann die Antwort darauf nur eine Schieflage sein. Allein der Fragenkatalog spiegele ja schon die alte Denke wieder.

Da muss sich die Erwachsenenwelt in der Politik auch nicht die Nase rümpfen, sondern vielleicht einfach mehr hinhören - und Möglichkeiten schaffen. Oder aber die Jugendlichen suchen sich ihre eigenen Kanäle zur politischen Meinungsbildung. Wie heißt noch der Spruch des Bundespräsidenten Wulff auf seiner Reise in die arabische Welt? "Wer sich nicht verändert, wird verändert." Hier sind es auch die Jungen, die den Aufbruch ermöglicht haben. Und Politik fängt vor der Haustür an.