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Samstag, 25. September 2010

Hand heben ohne politisches Gedächtnis


Der Kommunalpolitiker hebt bei einer Abstimmung die Hand: Ja, Nein oder Enthaltung. Das gilt auch für die Bürgermeister, wenn sie stimmberechtigt sind. Nach der Abstimmung folgt die Auszählung. Einige Entscheidungen fallen einstimmig - bei anderen erfolgen Kampfabstimmungen. Beides ist Demokratie. Verläuft danach alles nach Plan, schaut hier niemand mehr hin und das Stimmenverhältnis wird vergessen. Aber manche dieser Weichenstellungen zeigen erst sehr viel später Folgen: Fehlende Millionen in der Haushaltskasse, hässliche Bauruinen, vermasselte Großprojekte. Eine aufgeklärte Bürgerschaft möchte heutzutage genauer wissen, wer für welche Entscheidung verantwortlich ist. Ein Blick in die Protokolle und Niederschriften in Nordrhein-Westfalen kann das aber oft nicht klären: Die Geschäftsordnungen des Rates machen das Handheben zu einem unpolitischen Zahlenfriedhof. Ein politisches Gedächtnis existiert in der Regel nicht. Damit fehlt auch jede Verantwortlichkeit.

Abstimmen leicht gemacht
Entscheidungen zu fällen ist das Alltagsgeschäft in der Kommunalpolitik. Es vergeht keine Rats- oder Ausschusssitzung, in der nicht über etwas abgestimmt wird. Das ist schließlich auch der Sinn politischer Gremien. Kommunalpolitik wird dabei oft als Entscheidungsfeld der „Gullideckel“ verspottet, über die einstimmig beschlossen wird. Doch entstehen auch hier immer mehr Streitfragen, die schnell mal die Öffentlichkeit in Lager spalten und eine ganze Kommune in Atem halten. Die Kommunalparlamente beherrschen es also auch, das demokratische Kräftemessen mit großen parteipolitischen Gesten und Gezänk. Am Ende eines jeden Streites jedoch kommt es naturgemäß zum Schwur, zur Abstimmung der gewählten Volksvertreter in den Gremien. Die Hand wird gehoben, Ja, Nein oder Enthaltung - so wie es die Gemeindeordnung vorsieht. Politische Entscheidungen ersetzen dann schnell einmal sachpolitische Rationalität.

In Paragraph 50 GO NRW ist geregelt, wie Abstimmungen vom Gesetz her verlaufen sollen: Beschlüsse werden mit der Stimmenmehrheit gefasst, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt. Bei der Beschlussfassung wird offen abgestimmt, heißt es. Auf Antrag einer in der Geschäftsordnung des Rates zu bestimmenden Zahl von Mitgliedern des Rates ist namentlich abzustimmen. Auf Antrag eines Fünftels ist geheim abzustimmen. In der Realität umschreibt dieser Paragraph 50 also das übliche offene Handheben, „geheime Abstimmung“ kommt selten zum Zug.
Während der Beschlusstext und das Ergebnis der Abstimmungen noch auf öffentliches Interesse stoßen, herrscht danach meistens Ruhe und kaum einer fragt danach, wie eigentlich Buch geführt wird über das konkrete Abstimmungsverhalten der Fraktionen oder Gruppierungen. Solange nun Abstimmungen ohne Schaden für das Gemeinwohl verlaufen, braucht es offensichtlich kein politisches Gedächtnis.

Wenn es brennt, will man wissen, wer Feuer gelegt hat
Das ändert sich schlagartig, wenn etwas schief läuft - etwa dann: Viele Kommunen sind pleite. Sie haben lange Zeit auf großem Fuß oder auf Pump gelebt. Auch dafür haben die Politiker irgendwann einmal im Rat die Hand gehoben und „Ja“ gesagt. Beim Kassensturz aber will es dann plötzlich keiner mehr gewesen sein. Oder eine Entscheidung aus der letzten Ratsperiode zeigt erst später ihre negativen Auswirkungen, wie etwa der Bau eines Einkaufzentrums, das Konkurs anmeldet und eine hässliche Bauruine hinterlässt. Oder eine Loveparade stürzt eine Stadt in eine Tragödie. Oder ein Theater wird gebaut, obwohl die Bürgerschaft deutlich dagegen ist. Politische Entscheidungen kosten den Bürger oftmals eine Stange Geld. Und bringen manchmal auch Veränderungen, die nicht allen gefallen. Das ist Demokratie. Demokratisch ist es aber auch, nun zu wissen, wer genau dafür die politische Verantwortung trägt? Erst die Möglichkeit, politische Verantwortlichkeit mit Personen zu verbinden, ermöglicht dem Bürger im wahrsten Sinne als Souverän zu agieren.

Gut beraten sind daher die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen, die über ein funktionierendes, politisches Erinnerungsvermögen verfügen. Ein Blick in die Niederschriften des Rates könnte also Aufklärung bringen, denn Demokratie ist nichts ohne ein politisches Gedächtnis. Niederschriften sind in § 52 der Gemeindeordnung NRW verbrieft: Über die im Rat gefassten Beschlüsse muss eine Niederschrift angefertigt werden. Der wesentliche Inhalt der Beschlüsse soll dabei in öffentlicher Sitzung oder in anderer Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Im Zeitalter des Internets wären daher bestenfalls zwei Klicks ins Ratsinformationssystem der Stadt ausreichend – oder der altbewährte Gang ins Rathaus zum direkten Nachlesen der Niederschriften.

Zahlenfriedhof statt politische Verantwortung
Die Praxis allerdings sieht anders aus. Sie lässt in vielen Städten und Gemeinden des Landes NRW den Interessierten im Dunkeln stehen und Ernüchterung stellt sich ein: Werden Beschlüsse einstimmig gefasst, findet sich dieser Passus der „Einstimmigkeit“ bei Beschlussfassung auch so im Protokoll. Ist das aber nicht der Fall, steht in der Regel nur das blanke Zahlenverhältnis der Abstimmung auf dem Papier: Etwa 19-Ja-Stimmen, vier Nein-Stimmen und drei Enthaltungen, je nach Besetzung des Rates. Eine Zuordnung zu einer Fraktion oder einem konkreten Namen aber findet nicht statt. In Bielefeld ist das so, in Paderborn, in Höxter, im Kreis Gütersloh, in Detmold, in Ratingen und so weiter. Welcher der Mandatsträger da genau mit Nein gestimmt hat oder zu welcher Fraktion der Volksverterter gehört, der sich enthält, bleibt ein Geheimnis. Auch ist nichts darüber zu lesen, wie etwa ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin abgestimmt hat, wenn er oder sie stimmberechtigt waren. Gerade aber die direkt gewählte Stadtspitze und ihr Abstimmungsverhalten als Klammer zwischen Rat und Verwaltung ist von besonderem Interesse. Wieso haben die gewählten Volksvertreter offensichtlich Angst, sich dem Bürger gegenüber für ihre Entscheidung zu verantworten. Und warum gedeiht dann am Anfang eines Entscheidungsporzesses so viel Parteipolitik und Gezänk, wenn es am Ende im politischen Vergessen endet?
Anhand der Wortbeiträge im Protokoll sind - mit geübtem Blick - vielleicht noch die jeweiligen Fraktionsspitzen in ihrem Abstimmungsverhältnis wirklich zuzuordnen. Die breite Ratsmenge jedoch verschwindet im Zahlennebel. Zudem nutzen Ratsleute nur sehr selten die Möglichkeit, hier Konkretes im Protokoll zu verankern oder gar dasselbe nach Durchsicht in diesem Punkt zu beanstanden.

Intransparenz zahlt sich nicht aus
Die Folgen dieser schweigenden Tradition bleiben nicht aus. Auch demokratietheoretisch ist das ein großes Problem:
Nach dem Wegfall der 5%-Hürde bei der Kommunalwahl in NRW sind Räte mit sieben bis sogar dreizehn Fraktionen und Gruppierungen keine Seltenheit mehr. Das Prozedere der politischen Meinungsbildung ist schwerer geworden. Dieser Umstand ist ein Ausdruck zunehmender Komplexität in unserer Gesellschaft. Um so mehr ist es angebracht, gerade im Abstimmungsverhalten größtmögliche Transparenz zu sichern. Denn politische Arbeit in den Räten führt spätestens bei Wahlen zur politischen Legitimationsfrage, die dann nur noch vage beantwortet werden kann. Damit haben Behauptungen, Vermutungen und Zusammenreimen ein leichtes Spiel – Bestandteile, die die Demokratie ad absurdum führen können. Die Tage Adenauers, geprägt von „was stört mich mein Gerede von gestern?“ aber sollten gezählt sein. Auch leidet die Messbarkeit der Leistungen, der Kreativität um die besten Lösungen innerhalb einer Kommune. Wer darf sich noch zurecht welche Erfolge auf die Fahnen schreiben?
Aber auch die in der Gemeindeordnung in § 43 verankerte Haftung der Ratsmitglieder ist damit in Frage gestellt. In Absatz vier heißt es hier nämlich, erleidet eine Gemeinde infolge eines Beschlusses des Rates einen Schaden, so haften die Ratsmitglieder unter bestimmten Voraussetzungen. Eine davon ist etwa die vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten, oder auch die Mitwirkung an einer Beschlussfassung, obwohl sie vom Gesetz hiervon ausgeschlossen waren und ihnen der Ausschließungsgrund bekannt war. Wer aber kann das ohne Zuordnung zumindest zu den Fraktionen dann noch nachhalten? In § 31 GO NRW sind ferner die jeweiligen Ausschließungsgründe aufgeführt. Anhand der Anwesenheitsliste der Ratsvertreter innerhalb einer Sitzung kann zwar darauf geschlossen werden, ob ein Ratsmitglied trotz Ausschließungsgrund mitgestimmt hat, bei fehlender Zuordnung zur Fraktion oder Person aber bleibt die Frage offen, wie er abgestimmt hat. Das allein lässt Tor und Tür für Spekulationen offen. Damit wird das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Repräsentanten zusätzlich untergraben.

Der vielfach attestierte Vertrauensverlust - siehe Stuttgart 21, die Anti-Atom-Bewegung, die zunehmende Forderung nach Volksentscheiden - in die politische Klasse ist nun seit längerem ein Grund dafür, dass sich die Bürgerschaft den neuen Unmut auf die Fahnen geschrieben hat. Es wird nicht mehr einfach befolgt, was „die da oben“, eine „Elite“, entschieden hat. Entscheidungen landen auf dem Prüfstand – und man geht dann gerne auch auf die Straße und macht Politiker für ihr Handeln verantwortlich. Hinzu kommt noch, dass im Nachhinein nicht einmal mehr ein geschichtliches Aufarbeiten politischer Prozesse möglich ist. Die Archivare in den Kommunen finden als „Zeugen“ nur noch nackte Zahlen und keine Menschen mehr vor. Für die Geschichtsschreibungen ganzer Städte wäre das fatal, für ein kollektives Gedächtnis einer Stadt nicht minder.

Transparenz sind kaum Grenzen gesetzt
Aufgrund des Internets sind heute der gegenwartsbezogenen wie auch zukünftig vergangenheitsbezogenen Transparenz kaum Grenzen gesetzt. Da hilft langfristig auch kein Verbot des Twitterns mehr. Das Gesetz lässt da viel Raum. Die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in der Geschäftsordnung liegt rechtlich im Ermessen des Rates, erklärt auch Andrea Duifhuis, Referat 31 aus dem Ministerium für Inneres und Kommunales in NRW. Qua Gesetz gibt es bestimmte Pflichtinhalte, die in der Geschäftsordnung des Rates festzulegen sind. Darüber hinaus kann ein Rat in seiner Geschäftsordnung Regelungen treffen, die für das Verfahren im Rat, den Ausschüssen und den Bezirksvertretungen gelten. Hierbei steht dem Rat ein weites Ermessen zu. Nach § 47 Absatz 2 GO NRW ist er ermächtigt, innerhalb des durch Wesen und Aufgabenstellung der demokratisch gebildeten Vertretungskörperschaft begrenzten Bereichs seine inneren Angelegenheiten in eigener Verantwortung und nach seinem eigenen Sachverstand zu ordnen.

Und nicht nur das. Auch im Grundgesetz ist die kommunale Selbstverwaltungsgarantie fest verankert: Das Recht des Rates, sich eine Geschäftsordnung zu geben, summiert unter der kommunalen Organisationshoheit und fällt damit unter die Selbstverwaltungsgarantie nach Artikel 28 Abs. 2 GG. Gesetzliche Regelungen haben diese Selbstverwaltungsgarantie zu beachten und dürfen das Recht der Gemeinden, ihre inneren Angelegenheiten zu ordnen, nicht durch zu engmaschige Vorgaben aushöhlen. Den Gemeinden steht das Recht zu, im Rahmen der Gesetze alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln.

Nachfragen lohnt sich – ein Klick gibt Auskunft
Warum also tun sich die Städte und Gemeinden so schwer damit, in ihren Protokollen deutlichere Aussagen zu machen? Diese Frage könnten nicht nur Verwaltungsfachleute stellen, sondern auch die betroffenen Bürgerinnen und Bürger einer Stadt. Ein Blick in die Protokolle bringt da sehr schnell an den Tag, welche Kommune wie transparent ist – oder sein will. Ein Mehr an demokratischer Legitimation in der kommunalen Entscheidung sollte einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung des Rates wert sein. Gute Beispiele dafür gibt es schon: In Düsseldorf, Köln und Münster etwa wird die Zurordnung von Abstimmungsverhalten der Gewählten vorbildlich im Protokoll vermerkt. Hier kennt man Ross und Reiter. Da können sich am Ende nicht nur Archivare erinnern.

Sonntag, 5. September 2010

Eine Homage an das Scheitern

Kürzlich fragte Frank Plasberg seinen Gast Norbert Röttgen, Bundesumweltminister, nach seiner Vita: "Herr Röttgenm Sie gelten als sehr klug, werden scherzhaft sogar Mutters Klügster genannt - aber ein Scheitern kommt in ihrem Lebenslauf nicht vor. Wie kommt das?"

An dem Punkt bin ich wieder wach geworden. Hellhörig sogar. Was war das dann für eine Botschaft? Scheitern als positives Ereignis? Hat hier jemand Prominentes mal ein Ohr für Menschen, die in ihrem Leben nicht alles gelungen auf die Reihe bekommen? Bisher ist der Eindruck entstanden, diese Art Talkshows würden hauptsächlich von Erfolgreichen bestückt, von Menschen, die es "drauf" haben. Und damit Aushängeschilder sind, Messlatten und Vorbilder, an die der "normale Mensch" wie ich nicht heranreicht.

Was aber ist "Scheitern"? Und wann bekommt man den Beweis, dass man gescheitert ist? Scheitern bedeutet eigentlich ganz simpel, das Fehlschlagen eines Vorhabens. Nun kann man das ganze Leben ja als ein Vorhaben verstehen. Und da sind die Vorhaben leider nicht immer selbst ausgedacht, sondern folgen den allgemeinen Regeln einer Gesellschaft.
Nehmen wir da einmal das große Feld "Schule". Denn, seien wir mal ehrlich, Schule ist oftmals das Treibhaus allen Scheiterns. Jede oder jeder, den ich befragt habe, verbindet seine ersten Scheiter-Erlebnisse sekundenschnell mit der eigenen Schulzeit. Nur einigen passiert das Scheitern leider öfter als anderen. Schulversager werden sie genannt, Sitzenbleiber, "Abgestufte", wie es im Pädagogendeutsch heißt.
Solche schlechten Schüler, aus denen angeblich nichts wird, kommen selten unbeschwert in die Schule. Daniel Pennac beschreibt sie als Zwiebel. Mehrere Schichten aus Kummer, Angst, Sorgen, Grollm ungestillten Begierden, schmachvoller Vergangenheit, bedrohlicher Gegenwart und verbauter Zukunft stehen da plötzlich in der Klasse. Diese Baustellen des Lebens und der Persönlichkeit müssen erstmal bearbeitet werden, bevor die Kinder überhaupt lernen können. Die Köpfe und Herzen müssen erstmal frei werden.

Wenn aber die Schulglocke klingelt und sich das Lernvolk in den Klassenräumen wiederfindet, ist da umgehend ein gestecktes Klassenziel, welches es zu erreichen gilt. Im Rennen um Bildung waren die Anderen immer schneller als ich, sie rissen die Zielschnur immer schon ein, wenn ich noch über den Sinn der Fragestellung nachdachte. Ich habe mich immer gewundert, warum meine Klassenkameraden selten etwas hinterfragt haben, sich stets gefügig zeigten und den Anweisungen folgten. Ich dagegen fand Unterricht dann klasse, wenn ich Fragen stellen konnte - und Antworten bekam. Ich fand Schule immer dann spannend, wenn ich aus der Gemeinschaft ausscheren konnte, meinen eigenen Rhythmus fand und in Ruhe meine Aufgaben erledigen durfte. Mein Schnellschreiben habe ich mir deshalb antrainiert, weil derjenige, der am schnellsten mit dem Abschreiben von der Tafel ins Heft fertig war, nach draußen gehen durfte, um Wasser zum Tafelwischen zu holen. Klar, dass ich das ich oft am Wasserhahn stand.

Kindern ist schon früh klar, dass abweichendes Verhalten nicht gewünscht ist. Hier ist der Punkt, an dem die Gesellschaft sanktioniert. Schule sanktioniert. Sie fördert nicht. (Noch immer nicht durchgängig als Ziel.) Jedenfalls nicht die, die anders sind. Anders lernen. Damit fängt das Scheitern an. Die ersten Aufgaben werden nicht so gelöst, wie man sich das ausgedacht hat - und schon ist man draußen. Der Rechenweg ist nicht so, wie alle den gemacht haben - und schon steht eine schlechte Benotung in rot am Seitenende. Nein, eine Sonne darf auf dem Bild im Kunstunterricht nicht grün sein. Was zählt ist also das "geht nicht" - und geht nicht bekommt in der Regel schlechte Noten. Anstrengungen und Bemühungen werden selten erkannt. Andere Wege, anderes Tempo bleiben auf den Notenrängen ausreichend bis ungenügend. Querdenken endet oftmals im Klassenbuch.

Während das Gros der Schülerinnen und Schüler voranschreitet und sich im grünen Rahmen von eins bis drei der Zukunft nähern, haben die Vierer-bis Sechser-Schüler keine solche. Zukunft. Sie tragen statt dessen das unsichtbare Zeichen des "schwierig" bis "das wird nichts" auf der Stirn. Das kann man zwar nicht sehen - aber um so mehr fühlen. Es gibt viele dieser Art Schüler, die von der ersten bis zur letzten Klasse ohne das Vertrauen auf Zukunft durch die Schule gehen. Und das ist auch ein Lerneffekt: Es wird schnell zur inneren Überzeugung, zum fatalen Glaube, man sei zum Scheitern verurteilt. Am Anfang allen Scheiterns steht also die erlernte Selbsterkenntnis, falsch zu sein, es nicht zu schaffen. Dieser Glaube bleibt wie das Haus auf dem Rücken einer Schnecke bleibt.

Und dann kommt doch der Durchbruch: Ein Fünckchen, ein Gespräch, eine Aufmunterung. Ein Erkanntwerden. Eine Motivation. Wie viele Biographien handeln davon! Plötzlich wendet sich das Blatt und der Fluch ist durchbrochen. Neues tut sich auf. Kreativität entsteht. Der eigene Weg gelingt auf wundersame Weise. Wege und Möglichkeiten zeichnen sich ab. Und der Erfolg stellt sich ein. Erfolg durch fördern?!

Eines bleibt jedoch ein Leben lang: Das Wissen um den Schmerz des Scheiterns. Um die tiefe Kränkung. Um den Kampf, des dennoch zu schaffen. Um Disziplin gegen sich selbst, um das tiefe Glücksgefühl, am Ende doch durchgehalten zu haben. Das aber bleibt ein Geheimnis, welches nur Scheiterer unter sich erkennen können. Den Gewinnern ist diese Quelle auf ewig versagt. Eine Lebenserfahrung, die ich nicht missen möchte und die am Ende stärkt. Mutters Klügster wird sich wahrscheinlich kaum über dieses Lob freuen können - Klügster. Er kennt als einer ohne Scheitern wahrscheinlich nur Licht. Die Scheiterer aber, die haben den Regenbogen gesehen, der aus tiefster Nacht emporsteigt.

Scheitern in der Schule, auch Thema im WDR 5:

http://www.wdr5.de/fileadmin/user_upload/Sendungen/Dok5_das_Feature/2010/August/Manuskripte/08_29_Geheimnis_des_Misserfolges.pdf