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Mittwoch, 11. Mai 2011

Neuland zwischen repräsentativ und direkt

Auch in der Stadt Gütersloh ist das Spannungsfeld zwischen Politik und Bürgerschaft mit kritischer Energie geladen. Immer mehr Politikfelder geraten ins Grenzland zwischen der „repräsentativen Demokratie“ und „Bürgerinitiativen“. Bisher glaubten die gewählten Volksvertreter sich auf der einzig sicheren, weil legitimieren und informierten Seite. Dieses Terrain aber ist treibsandig.

Ein praktisches Beispiel aus dem Hauptausschuss am 9. Mai 2011:

Ganzesechs (6) Bürgeranträge nach § 24 Gemeindeordnung NRW standen auf der Tagesordnung, einer aus einer Partei. Fünf Anträge wurden in die „zuständigen“ Fachausschüsse weiterempfohlen. Ein Akt, den man den Bürgern auf der Tribüne öffentlich erklären musste, weil nicht allen klar ist, welchen (zähen) Verfahrensverlauf solche Anträge nehmen.
Zwei Anträge stammten aus der Feder der Bürgerinitiative „Demokratie wagen“. Inhalt: Nutzung der Online-Plattform des Bürgerhaushaltes für das Abfragen eines Meinungsbildes zum a) Bau eines neuen Hallenbades und b) Beteiligung der Bürgerschaft an der Diskussion zur Bildungslandschaft in Gütersloh sowie an der Fortschreibung des Schulentwicklungsplanes.

Beide Anträge waren unter einem Tagesordnungspunkt zusammengefasst (!). Der Vorschlag der Verwaltung legte nahe, da die für eine Bürgerumfrage notwendigen Informationen noch nicht vorlägen, sollte eine abschließende Entscheidung der Durchführung einer Online-Umfrage zurückgestellt werden. - Zeitlich verschieben: eine beliebte Form, mit Bürgeranträgen umzugehen.

Doch dann entbrannte die Diskussion in der Causa „Neues Hallenbad“ doch. Ein CDU-Ratsherr erklärte, es sei in der Frage bereits ausreichend öffentlich beteiligt worden. Er verwies auf Workshops dazu, die den Vereinen (!) offen gestanden hätten.
Zudem erklärte er, eine Aussage in eben diesen Arbeitskreisen sei es, bis zum Sommer solle der Entschluss über den Neubau im Aufsichtsrat der Stadtwerke (!) gefallen sein. Baubeginn dann im Winter 2011, man habe schließlich den Neubau auf dem Areal des Freibades „Nordbad“ geplant und das wolle man im Sommer nicht durch Baumaßnahmen beeinträchtigen. Das entwickelte Modell solle alsbald der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Diesen Standpunkt bekräftigte auch der Fraktionsvorsitzende der CDU im Rat. Zahlen wurden nicht genannt.

Dieser Aussage völlig konträr positionierte sich jedoch die Kämmerin der Stadt - und verneinte die Aussage des Ratsherren: Der von ihm dargebotene Zeitplan entspräche nicht der Faktenlage. Das Jahr 2011 habe man sich Zeit für die Vorbereitung und zur Planung genommen und zur Diskussion (mit wem?, frage ich mich immer noch). Eine Entscheidung falle erst nach der Sommerpause (auch hier wieder: wohl im Aufsichtsrat der Stadtwerke!?). Zudem müsste erstmal ein Wirtschaftsplan vorliegen, erst dann falle die Entscheidung. All das steht übrigens auch in der Verwaltungsvorlage als Begründung für die Verschiebung des Bürgerantrages. Lesen die Gremiumsmitglieder diese nicht? Dieser Aussage der Kämmerin schloss sich auch die Bürgermeisterin Unger an: Keine Entscheidung vor der Sommerpause.

Interessante Formation: Die repräsentative Politik glaubt, beteiligt zu haben. - Die Vertreter der Bürgerinitiative „Pro Freibäder“ etwa erklärten nach der Sitzung, sie hätten lange telefonieren und bitten müssen, um zur Diskussion eingeladen zu werden. Sind sie auch nicht.
Die repräsentative Politik glaubt, Entscheidungen in einem Eigenbetrieb der Stadt Gütersloh, die nicht-öffentlich in einem Aufsichtsgremium gefällt werden, um dann am Ende nur noch vom Rat „abgenickt“ zu werden, seien transparent und ausreichend öffentlich diskutiert.
Die repräsentative Politik gibt sich besser informiert als die Bürger  - und kennt die Begründungen der Verwaltungsvorlagen nicht.

Fakt ist: Öffentliche Zahlen zum Neubau eines Hallenbades sind überhaupt noch nicht auf dem Tisch. Im Wirtschaftsplan der Stadtwerke 2011 sind keine Gelder dafür eingestellt!? Entscheidet also der Aufsichtsrat der Stadtwerke und zahlen wird die Stadt? Auch der mögliche Standort wurde nur vage diskutiert; ob das alte Hallenbad abgerissen wird, ist undeutlich.

Fragen über Fragen, die bleiben. Rat-los. Viele Gründe also für eine offene Online-Diskussion.

Dieser kurze Ausschnitt aus dem politischen Gremienleben ist ein evidenter Beleg dafür, dass die WAHRNEHMUNG von Beteiligung sehr unterschiedlich ist. Demokratie aber kann nicht nur „gefühlt“ stattfinden, sondern muss auch transparent und kriteriengeleitet sein.
Das Spannungsfeld zwischen repräsentativer und direkter Demokratie und der frühzeitigen Einbindung der Bürgerschaft gilt es demnach genauer unter die Lupe zu nehmen. Es gilt, diese Frage in einer offenen Diskussion auszuloten, was man unter diesen Begriffshülsen eigentlich versteht. Im besten Falle steht dann am Ende dieser Diskussion für alle erkennbar, was genau dieses Neuland zwischen Gewählten und Bürgerschaft zwischen den Wahlen eigentlich ausmacht.

Diese Fragen regeln sich nicht von allein. Da hilft es nicht, direktdemokratische Beteiligung ins Land der Gefahren zu projezieren, wo nur „Missbrauch“ herrscht, lediglich die Menschen mit Internetzugang aktiv sein können und ein „kulturloser“ Raum entstehe. Da hilft es auch nichts, Anfragen nach neuen Beteiligungsformaten und Meinungsbildungsprozessen zu verschieben.

Die Bürger wollen sich einbringen. Und sie werden Wege finden, dies auch kundzutun: Nach einer Theaterdiskussion will sicher keiner eine Hallenbad-Diskussion führen.

P.S. Der Antrag zur Online-Diskussion im Bildungsbereich wurde mit keiner Silbe thematisiert. In der Begründung der Verwaltung steht, es bestehe die Frage, ob die Schulentwicklungsplanung als reine Fachplanung überhaupt für eine online-Diskussion geeignet sei, dies solle der Bildungsausschuss beurteilen – wenn diese Planung vorliegt.

So ein Verfahren ist dann schon die Kür der Verschiebungen. Hamburg und Bielefeld lassen grüßen.