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Sonntag, 28. November 2010

Hand aufs Herz für Transparenz

Grüne wollen Strafanzeige stellen - Kritik an der Veröffentlichung des Wirtschaftsplans

Der Wirtschaftsplan 2011 für das Theater und die Stadthalle sind vom Kulturausschuss mehrheitlich genehmigt worden. Der städtische Zuschussbedarf liegt für beide Einrichtungen bei 3,1 Millionen Euro pro anno. Diskutiert wurde allerdins unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Türen blieben den Bürgerinnen und Bürgern verschlossen. Die politische Kaste tagte allein. Im öffentlichen Teil allerdings nutze man um so genüsslicher das Feld für eine öffentliche Ohrfeige für die Presse - die Neue Westfälische hatte nämlich die Eckdaten der Finanzsituation bereits im Vorfeld veröffentlicht. Einer aus den eigenen Reihen der gewählten Volksvertreter musste also geplaudert haben. Der Betreiber der Stadthalle nun sieht einen klaren Fall von "Geschäftsschädigung". Mitanbieter hätten durch die Veröffentlichung einen unerlaubten Einblick in intimste Geschäftsdaten erhalten. So berichtet es die NW am 27.11.2010.

Am lautesten von allen regte sich einer auf: Marco Mantovanelli, Fraktionschef der Grünen im Rat der Stadt Gütersloh. Er plädierte sogar für polizeiliche Ermittlungen: Die Ordnungsbehörde soll ermitteln, wer der Informant an die Zeitung gewesen ist.  Law and order. Herrschaftswissen wird nicht geteilt!

Nun kennt man das aus der Psychologie: Wer sich lauthals verteidigt und nach Schuldigen sucht, möchte gerne von seinen eigenen Verfehlungen ablenken und den Verdacht von vornherein auf Andere lenken. Vielleicht sollte Mantovanelli mal Hand aufs Herz legen und erklären, dass er es nicht war. Oder hat er einfach nur gut geschauspielert? Ich kann mir gut vorstellen, wie es im Ratssaal ablief: Da steigt schon die Pulsfrequenz in einem Gremium, wenn ein "Verrat" vorgefallen ist. Alle schauen sich mit Argusaugen an und versichern sich gegenseitig, dass sie es nicht waren. Warum eigentlich, es sind doch gewählte Volksvertreter, Transformationsriemen zum Volk, dem Wohl des Volkes verpflichtet....Wer in dieser Situation des Verhörs blinzelt und auf den Tisch schaut ist raus. Habe ich alles schon erlebt. Es gab sogar eine Zeit, 1996, als man Politiker einer Fraktion (der CDU im Kreis Gütersloh) an den Lügendedektoren anschließen wollte, weil einer ein Abweichler war und den damaligen konservativen Landratskandidaten Kozlowski (CDU) nicht mitgewählt hatte, sondern die Kandidatin der SPD, Ursula Bolte. Die dann auch Landrätin wurde. Ein wahre Schlacht setzte ein, mit Beschuldigungen wie" Abweichler", "Verräter" und dem Ruf nach Ehrenerklärungen. Dieses Bühnenstück der Partei, die "Affäre Balke" war ein riesiger Schritt in Richtung von Politikverdrossenheit, der kaum wieder gutzumachen war.

Nun ist Marco Mantovanelli aber kein Konservativer, denen ja schnell mal nachgesagt wird, dass sie von Transparenz in der Politik nichts halten. Ein Erbstück aus der alten Vorstellung, nur die Mächtigen eines Staates dürften alles wissen. Nein, Mantovanelli ist ein Grüner. Die Grünen aber sollten es theoretisch und praktisch besser wissen - es vergeht (Gott sei Dank!) keine politische Versammlung oder auch Wahlkundgebung, wo sie nicht Transparenz und Bürgerbeteiligung auf die Fahnen geschrieben haben. Dafür wähle ich sie. Dafür habe ich selbst in ihren Reihen Politik gemacht.

Zudem sind es gerade die Grünen, die rund 800 Kilometer weiter südlich auf die Barrikaden gestiegen sind und das Volk mobilisieren, gegen das Establishment der Wissenden zu protestieren: In Stuttgart nämlich, wo der Bahnhof unter die Erde verschwinden soll. Zwar durch die "Instanzen" abgestimmt, aber mit halbwahren Informationen und mittels Zurückhaltung der wahren Fakten. Was für ein Bild: Die größte Beerdigung von Halbwahrheiten seit Gründung der Bundesrepublik.
Hier ist es allerdings einer findigen und wachen Bevölkerung doch noch gelungen, durch Transparenz und Offenlegung auch der Details Fehler und Mauscheleien aufzudecken. Für die die Bürgerschaft am Ende zahlen muss. 
Gut so. Nur Wahrheit und Transparenz können das Zusammenleben in unserer hochkomplexen Welt in die Zukunft führen. Beschiss ist noch immer ans Tageslicht gekommen. Haben nicht die demokratisch entwickelten Nationen in den letzten Jahren immer mit stolz darauf hingewiesen? War es nicht immer der bedeutende Unterschied zu Unrechtsstaaten, in denen nur eine handvoll Mächtiger das Sagen hat? 
Nun entwickelt sich Deutschland doch immer mehr zu einer solchen Kultur des "Alles-auf-den-Tisch-legens". Dank sei hier dem hohen Bildungsgrad vieler, der Zeit für solche Recherchen weil wir ja nicht mehr auf dem Acker arbeiten müssen damit zuerst Brot auf dem Tisch steht und - auch Dank Internet, sozialer Netzwerke und der Blitzgeschwindigkeit, mit der heute Informationen über die Kabel gehen. Aktuell darf man sogar in der Bild am Sonntag lesen, dass die Bundesregierung Angst hat vor den neuen Veröffentlichungen durch Wiklileaks. Was immer dabei herauskommt, es ist ein Teil unseres demokratischen Lebens. Und gehört als Information allen. Das gilt auch für die Eckdaten eines Wirtschaftsplanes. Das gilt auch für viele andere Informationen, die gerne hinter verschlossenen Türen diskutiert werden. Und die allzuoft von wenigen für den eigenen Vorteil ausgenutzt wurden.
Also, Marco Mantovanelli: Mehr Transparenz in Fragen der öffentlichen Finanzen. Gütersloh war da ja schon auf dem guten Weg mit dem Bürgerhaushalt für 2011. Und bitte Hand aufs Herz bei der Frage, welche Grundsätze die Grünen ausmachen. Sonst empfehle ich den Abschied aus der Politik.



Montag, 22. November 2010

Taxifahrer - die Außenminister der Nation?!

In der letzten Woche hatte ich zwei Termine in Hamburg. Genau am Tag der Terrorwarnung: Donnerstag, der 18.11. 2010 - am gleichen Donnerstag tagten auch die Innenminister in Hamburg. Mitten in der Stadt, mit Blick auf die Binnenalster. Die Sicherheitsvorkehrungen waren nicht zu übersehen. Schon am Bahnhof ging es
los.....bis an die Zähne bewaffnete Polizisten in Mannschaftsstärke.

Weil die Tagungsorte weit aus dem Zentrum entfernt lagen, nahm ich ein Taxi. Es dauerte keine zwei
Minuten, da war ich schon im Gespräch mit dem Fahrer. Ein iranstämmiger Ingenieur, der seit Jahren
in Hamburg Taxi fährt. Unser Thema war klar "Integration". Anlass: Natürlich die schwer bewaffnete
Polizei im Hamburger Einsatz. Dass beide Themen einen so deutlichen Zusammenhang aufweisen,
lag auf der Hand. Mein Fahrer erklärte mir, eigentlich müsse er ja auch im Fadenkreuz stehen, er
sei Moslem, Iranstämmiger, Mann, Hamburger, Mitte 40. Alles Faktoren, die ihn deutlich ins
Fahnundungsraster bringen konnten...

Integration, meinte er, sei in Deutschland schon viel weiter fortgeschritten. Noch vor 15 Jahren hätte es keine Unterhaltung in einem deutschen Mietshaus mit Fremdländischen gegeben. Mittlerweile aber feierten er und die Nachbarn zusammen Weihnachten: Christen und Muslime. Tür an Tür in einem Haus. Da gäbe es zwar immer welche, die die von ihm geschenkte Flasche Wein wieder zurückgäben, aber der Großteil sitze eben für ein paar Stunden zusammen - und rede miteinander. Es sei schon multikulti, aber nicht nur "heimelig", da kämen auch Vorurteile auf den Tisch. Manchmal auch Beschimpfungen bestimmter ethnischer Gruppen. "Mich stört das nicht", erklärt er auf meinen fragenden Blick, "denn so werden wir wenigstens wahrgenommen. Beschimpfen ist auch eine Art von Auseinandersetzung, die am Ende ein Verstehen ergibt. Wer sagt mir sonst so direkt, was in den Köpfen der Deutschen vor sich geht? Niemand außer die, die mit mir zusammenleben." Er erkennt die vielen Stereotypen, die sich da so ansammeln. Eine davon amüsiert ihn besonders: Eine seiner Nachbarinnen ist schon sehr betagt - und verwechsele stets seine Frau und seine Tochter. Nun sei seine Frau sehr schlank und zierlich, seine Tochter eher "stabil" und rund. Wer, fragt er mich, wird wohl für meine Frau gehalten? Die "Dicke" natürlich. Frauen von Ausländern müssen immer dick sein, zeichnet er ein klares Vorurteil nach.
Ich stelle mir die beiden Frauen vor - und lache, wie oft ist auch mir das passiert. Ehrlich. Und ich sage ihm das auch. Am Ende der Fahrt reicht er mir die Hand und erklärt: "Wenn das Vertrauen der Menschen untereinander nicht mehr da ist, sieht es schlecht aus für die Welt", und nickt in Richtung Bahnhof, wo die Bewaffneten immer noch am Eingang stehen.

Die zweite Fahrt mache ich mit einem türkeistämmigen Taxifahrer. Er sieht den Folder "Leadership Programm für junge Führungskräfte aus Migrantenorganisationen" in meinen Unterlagen. Das wäre ja ein sehr spannendes Thema eröffnet er den Dialog mit Blick auf das Papier. "Ja", antworte ich und warte auf das, was er offensichtlich noch sagen will. Er stellt mir direkt die Frage, was ich von dem Sarrazin-Buch halte. Ich fange an zu erläutern. Wie oft hatte ich das in den letzten Wochen schon getan. Der Fahrer lächelt. "Sie sind sehr freundlich mit ihrem Urteil über Migranten", sagte er. Das sei nicht immer so. Gerade Hamburg habe da nicht nur weiße Flecken. Erst habe man die Migranten alle in einen Stadtteil gesperrt, Wilhelmsburg etwa, und nach und nach würden dann daraus Edelviertel, aus denen die Migranten wieder verdrängt würden. "Wir haben uns bemüht, hier Fuß zu fassen und dann kommt so ein Buch - und alle Anstrengung geht kaputt", kommentiert er. Nun sei er aber erst recht stolz, ein Türke zu sein. Wenn er auf die Leistung seiner Eltern schaue, die damals aus der Türkei nach Deutschland gekommen seien, die hätten in kurzer Zeit deutsch gelernt, nicht perfekt, aber sie könnten sich gut verständigen, hätten einen eigenen Laden aufgemacht, die Kinder groß gezogen und allen eine Ausbildung ermöglicht. So viel wie sie, werde er in seinem Leben kaum auf die Beine stellen. Da könnte eigentlich nicht nur er stolz auf seine Eltern sein, sondern auch Deutschland. Aber das sehe keiner wirklich. Wir sind am Ziel. Was kann ich da noch Sinnvolles antworten, was nicht als lahme Entschuldigung daherkommt? Ich bedanke mich für die Fahrt - und bestelle liebe Grüße an seine Eltern.

Ich denke noch lange über die Gespräche nach. Wie viele Migranten fahren eigentlich Taxi frage ich mich. Und wieviel Potenzial wird da verschenkt, weil viele qualifizierte Berufsabschlüsse aufweisen, die in Deutschland bisher nicht anerkannt wurden. Allerdings freut mich der Gedanke, dass gerade Taxifahrer eine so zentrale Funktion ausüben, denn sie sind in der Regel die ersten, die Kontakt zu ausländischen Gästen haben, wenn sie in Deutschland ankommen. Sind nicht sie daher eine Art "Außenminister" Deutschlands? Und wenn ja, was heißt das dann für unser Land?

Samstag, 20. November 2010

Erstritten und nicht geschenkt: Bürgerhaushalt in GT

Sehr geehrter Herr Gödecker,

mit großem Interesse habe ich heute Ihren Kommentar zum Bürgerhaushalt gelesen. Sie lassen ja keinen Zweifel daran, dass Sie diese Form der Partizipation untauglich finden. Die Überschrift, es handele sich um eine „Späte Einsicht“, spricht Bände, wie auch Ihre einseitigen Fragen an die Kämmerin Frau Lang im Interview. Doch der Bürgerhaushalt ist nicht vom Himmel gefallen. Und  er ist auch nicht auf Wohlwollen von Politik und Verwaltung eingerichtet worden - sondern wurde hart erstritten. Das aber schreiben Sie leider nicht. Schade. Vielleicht wären Sie zu einem anderen Schluss gekommen, wenn Sie auf den echten Werdegang des Bürgerhaushaltes geschaut hätten – dafür hat nämlich die Bürgerinitiative eineinhalb Jahre hart hingearbeitet. Der Impuls wurde bereits Anfang 2009 gesetzt. Schon im Mai 2009 zog dann das geplante Bürgerbegehren immerhin fast 2.800 Unterschriften nach sich: Alles Gütersloher Bürgerinnen und Bürger, die für den Bürgerhaushalt gestimmt haben. Und es wären noch mehr geworden. Doch die Kommunalpolitik sprang kurz vor den Wahlen auf den Zug  - und machte den Bürgerhaushalt kurzerhand herzlos aber populistisch zur eigenen Sache.

Das hat der Initiative aber nicht den Wind aus den Segeln genommen. Im Gegenteil. Hinter den Kulissen haben wir stets am Enstehen des Bürgerhaushaltes mitgearbeitet. Durch unser Engagement und auch durch die zahlreichen Anfragen an den Rat ist es gelungen, eine „Schmalspurversion“ zu vermeiden, in der nur Sparvorschläge gemacht werden können. Das aktuelle Format des Bürgerhaushaltes bietet hier sehr viel mehr Raum für Konstruktives, Wertungen und Diskussion. Ein Novum in der Stadt.
(Wie viel Engagement hier hineingeflossen ist, können sie auf unserer Homepage nachlesen: http://www.demokratie-wagen.org/)

Kennt man die Tradition der Beteiligung in Gütersloh, ist es schon eine große Errungenschaft, dass nach langem Engagement endlich auch etwas Reales auf die Beine gestellt wurde. Auch die Proteste der Schülerinnen und Schüler gegen die Streichung der Schulbibliotheken hat die Sache der Beteiligung befeuert. Wann hat es das mal in Gütersloh gegeben: Tausende vor dem Rathaus mit dem Votum, die Zukunft der Jugend nicht zu verspielen? Fragen, die direkt mit dem städtischen Haushalt verbunden sind. Im Bürgerhaushalt können sich nun auch Kinder und Jugendliche beteiligen. Eine Altersbeschränkung gibt es nicht. Ein erstrittenes Gut, kein Geschenk.

Ihren Unmut über das vorliegende Ergebnis nehme ich zur Kenntnis. Allein mir fehlt Ihr Lösungsansatz - meckern allein gilt nicht. Dabei läge dieser doch gerade in Ihren Händen so nahe: Als 4. Staatsgewalt, also als Medienmann, könnten Sie vermehrt kritische Beiträge zur partizipativen Kultur in der Stadt leisten. Berichten Sie doch einfach stärker über die politischen Prozesse, über Aktive außerhalb der Parteien, aber auch über die Arbeit in den kommunalen Ausschüssen und im Rat. Diese wichtigen Informationen durch die Lokalpresse tragen sicher sehr deutlich dazu bei, dass Bürgerbeteiligung nicht „zu spät“ kommt, dass Bürgerbeteiligung fundiert und frühzeitig einsetzen kann. Wie das geht, sehen wir ja bestens etwa in der Lobbyarbeit für Hunde durch Frau Isringhausen und auch durch die Berichterstattung über stadtteilbezogene Schützenfeste. Dieses Prinzip gelingt garantiert genauso gut für die Lust an und die Wiederbelebung von Beteiligung der Bürgerschaft. Dafür bedarf es allerdings der frühen Erkenntnis einer Lokalredaktion darüber, wie wichtig konkrete Information über das poltische Geschehen einer Stadt ist. Und Sie sind ja sogar Chef der größten Lokalzeitung im Ort.

Sollten Sie nun das Thema weiter vertiefen wollen, stehe ich Ihnen gerne jederzeit zum Austausch zu Verfügung. Oder noch besser: Entdecken und fragen Sie mal die vielen anderen Aktiven in der Stadt. Es sind nicht nur 200. Die haben garantiert viele Antworten auf Ihre Fragen zur gelungenen Beteiligung.

Mit vielen Grüßen