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Samstag, 27. September 2014

Industrie 4.0 - Menschen sind Mehrwert der Unternehmen

TEIL 2: 

Die Pro Wirtschaft Gütersloh hatte geladen: zum Austausch über "Industrie 4.0". Gastgeber für das gut besuchte Forum war die Bio-Circle-Surface-Technology GmbH in Gütersloh/Verl. Das "Internet der Dinge", die "smarte Fabrik" nahmen das Publikum rund zwei Stunden in den Bann: 

proWirtschaft GT

# IT´s OWL

Nach Prof. Wilhelm Bauer sprach Dr. Roman Dumitrescu (Fraunhofer und IT´s OWL) über den Spitzencluster IT´s OWL. IT´s OWL ist einer von 15 Spitzenclustern in ganz Deutschland. In diesem Technologie-Netzwerk haben sich 174 Unternehmen, Hochschulen und weitere Partner aus der Region zusammengeschlossen. Als Spitzencluster vom Bundesministerium für BIldung und Forschung ausgezeichnet versteht es sich als Wegbereiter hin zu Industrie 4.0.



Auf dem historischen Weg von der Mechanik, über die Mechatronik hin zu intelligenten Systemen ist das Ziel heute: Systeme entwickeln, die dem Menschen dienen - unter den Aspekten "adaptiv, robust, vorausschauend, benutzerfreundlich". Ziel des Clusters IT´s OWL ist sehr ambitioniert: 80.000 Arbeitsplätze sichern, 10.000 neue Arbeistplätze schaffen, 50 neue Unternehmen ansiedeln, 5 neue Forschungsinstitute errichten, Studiengänge einführen, wissenschaftlich forschen.

Dumitrescu gab einen kurzen aber informativen Einblick in die Vielfältigkeit des Clusters, vom energieeffizienten Bohren bis hin zur intelligenten Sortierung im Bereich "Wäschevereinzelung" und Sparen von Reinigungswasser. Diese Themen muten nur auf den ersten Blick kleinteilig an. Als Leseempfehlung hier das 
Positionspapier "Auf dem Weg zu Industrie 4.0 - präsentiert OWL Ansätze und Lösungen", um zu verstehen, wie ostwestfälische Ideen gestrickt sind.

# Wissenstransfer

Interessant war hier zudem die Frage, wie sich Wissen in einem solchen Cluster verbreitet, teilen lässt. Zum einen durch einen Clustermanager wie Dumitrescu einer ist, aber es wurde auch deutlich, dies geht immer noch durch reale Treffen, durch reale Einladungen und den direkten Austausch miteinander. Hier wäre es spannend, mehr zu erfahren, wie ein solcher Transfer auch digital erleichtert, effizienter gemacht wird. Ein Einwurf eines Zuhörers wies auf die Einrichtung von FortschrittCollegs hin, in der Wissenschaftler an einem Projekt zusammenarbeiten: dies nicht nur interdisziplinär, sondern auch transdisziplinär. Auch "Betroffene" würden beteiligt: Zivilgesellschaft, Gewerkschaften wie der DGB, die IG Metall, auch die Energiewirtschaft. Eine Frage sei dabei auch die Frage nach der Technologieakzeptanz, mit der sich etwa Soziologen und Psychologen beschäftigten. Durch die Vernetzung auf dieser Ebene seien nochmal 2,6 Mio. Euro Gelder nach OWL geholt worden. 

Zudem war die Frage nach dem Geschäftsmodell ganz aufschlussreich, das Cluster ist im Grunde von der Produktion her ähnlich, aber die Märkte, die bedient werden, unterscheiden sich deutlich. Daher fällt auch eine Konkurrenzsituation untereinander im Grunde weg, was die Zusammenarbeit ermöglicht. Weiter stellte sich die Frage, ob die Nutzung von Cloudbasierten Dienstleistungen auch Geld einbringen kann, wenn Datenaustausch oder die Weitergabe nach Nutzung Grundlage des Schaffens sei.  


# Welt smartisiert sich 

Als dritter Referent war Gerd Hoppe (Beckhoff/Verl) geladen. Hoppe stellte die Firma Beckhoff vor als einen Ort der Innovation und einen Antrieb für Cyber-Physical-Systems - den Verbund informatischer, softwaretechnischer Komponenten mit mechanischen und elektronischen Teilen, die über eine Dateninfrastruktur, wie z. B. das Internet, kommunizieren -  also nichts anderes als Industrie 4.0 als Kernaufgabe hat. Offensichtlich ist das Unternehmen echter Treiber, weil eher am Markt als die Konkurrenz.

Noch interessanter an seinem Vortrag waren allerdings die philosphischen Grundbetrachtungen, die eine gewisse Essenz in die Vortragsreihe des Abends brachten.

Hier kurze Einblicke:

Hoppe erklärte, die Konvergenz der Technologie alter Tage zur Industrie 4.0 heute seien ganz klar die Konsumenten selbst: Jeder Konsument möchte heute ein Produkt kaufen, welches nur für ihn gemacht sei. Ein Beispiel: ein Tablet, auf dem bereits ein Fingerabdruck eines vorherigen Nutzers erkennbar sei, würde zurückgewiesen, weil man selbst ein "unberührtes" Produkt für sich wünsche. Gleiches sei bei Büchern und vielen anderen Konsumgütern der Fall, bis hin zu Lebensmitteln. Das führe zur Notwendigkeit, dies auch in der Produktion, Lieferung und Verpackung zu berücksichtigen, mit den Folgen des Einsatzes intelligenter Technik. "Die Welt smartisiert sich", sagte Hoppe.

Er thematisierte die Frage der Polarität der Hardware und der Software - und warf meines Erachtens damit eine zentrale Frage auf, wenn nicht die zentrale Frage: Software ist für ihn demnach der Wettbewerbsfaktor an sich, es beginne der Wettbewerb um Kreativität und der Ideen, was man alles damit anstellen kann. Das Gehäuse wird blutleer, wenn die Idee fehlt.

Zudem erklärte er, die ubiquitäre Kommunikation sei die essentielle Grundlage für Industrie 4.0. Die Information sei ohne konkreten Ort abrufbar. Die Pyramide der Kommunikation werde dadurch aufgebrochen. Systeme verschiedener Hersteller könnten daher direkt in einer Cloud liegen - das müsse nicht zwangsläufig Google sein. Damit löse sich die Produktionspyramide auf. Im Internet findet sich die Verschmelzung von Tools. Künftig gehe es um die Interoperationalität quer durch alle Industrieen und die Überwindung von Grenzen. 

Auf meine Frage, ob die Unternehemen  in der Region OWL auch ein ähnliches Schicksal wie Nokia erleben könnten, herrschte einen kurzen Moment Schweigen, dann Grinsen.

# Auf gutem Weg 

Hoppe erklärte, die Menschen seien der Mehrwert des Unternehmens. Und in OWL gäbe es sehr viele bodenständige und kreative Menschen, die Besonderes leisten könnten, manchmal etwas dickköpfig, eigen, aber viel Potenzial. Er mache sich keine Sorgen darüber, dass sich das ändern könnte. OWL und seine Unternehmen seien mit diesem Potenzial auf gutem Weg.

Einen guten Weg beschreitet proWirtschaftGütersloh mit diesem Format der Vorträge. Ich war Neuling hier - und fand viele Impulse, die an der richtigen Stelle ankommen. 










Industrie 4.0 - Evolution vor Revolution

Die Pro Wirtschaft Gütersloh hatte geladen: zum Austausch über "Industrie 4.0". Gastgeber für das gut besuchte Forum war die Bio-Circle-Surface-Technology GmbH in Gütersloh/Verl. Das "Internet der Dinge", die "smarte Fabrik" nahmen das Publikum rund zwei Stunden in den Bann: 





Prokuristin Anne-Catrin Schürer begrüßte und eröffnete direkt: "Internet der Dinge" bedeute auch in der eigenen Firma darüber nachzudenken, wie man etwa ein handelsüblichen Kanister mit biologischem Reinigungsmittel "smart" ausrüsten könnte, um etwa dessen Leerstand zu melden. 



Damit war das Auditorium (fast ausschließlich männlich, Durchschnittsalter rund 45 Jahren, Führungskräfte) mitten im Thema: "Industrie 4.0". Prof. Dr. Wilhelm Bauer (Fraunhofer IAO und IAT Uni Stuttgart) eröffnete den Reigen von drei Vorträgen zum Thema. 

(Morgen im Blog: Referent Dr. Roman Dumitrescu (Fraunhofer und IT´s OWL) und Gerd Hoppe (Beckhoff/Verl).)


# Digitale Transformation

Bauer machte keine langen Umwege und deklarierte, die digitale Transformation der Gesellschaft sei zu gestalten. 


Er nahm das Publikum mit in die Zukunft, skizzierte eine Idee aus den USA, wonach in 20 Jahren keine Ärzte mehr am Werk seien, sondern Digitalsensoren, die durch die intelligente Auswertung von körperbezogenen Big Data deren Arbeit dann ersetzt hätten. 

Er fokussierte schließlich auf Industrie 4.0. "Die Kunden haben verstanden, was "smart" und mobil alles möglich ist und erwarten dies auch im produzierenden Gewerbe." Diese sei bereits in der Entwicklung, der Produktion und besonders in der Lieferung notwendig. Der Trend zu immer kürzeren Lieferzeiten sei besonders deutlich. Bauer skizzierte die personalisierte Produktentstehung: Konfigurierbar sei ein für den Kunden passgenaues Produkt, welches in Echtzeit auch lieferbar sei. Standard sei künftig die Anpassung an die Individualisierung, der Fokus auf den Customer mit einer großen Varianz an Produkten.

Die Elektronik schaffe unendliche Möglichkeiten, das zeige etwa der "Appstore": Durch das Laden von Apps könnte jeder Nutzer sein Smartphone individuell bestücken, umd damit passgenau auf eigene Bedarfe umprogrammieren. In einer IAO-Studie u.a. zu Lieferungszeiten werde deutlich, dass die Dynamik zunimmt, es sei hyperschnell zu reagieren, die Kapazitäten seien anzupassen und diese müssten auf den Markt reagieren. Komplexität nimmt zu, bereits dort, wo zunächst konfiguriert werde, dann wo produziert werde und schließlich, wo geliefert werde. "Künftig muss man anders mit Wertschöpfung umgehen", so Bauer.

Die Zukunft werde mobil vernetzt, Big Data spiele dabei eine essentielle Rolle. Was künftig passiere, werde in Daten sichtbar, die analysiert werden und in Veränderung münden. Dabei werden nicht nur die Daten von Menschen verarbeitet und analysiert, sondern auch die von Gegenständen. Ein Vergleich machte deutlich: Gestern noch gab es 8,4 IP-Adressen pro Quadratkilometer/Erdoberfläche. Heute gibt es 667 Billiarden IP-Adressen pro Quadratmillimeter/Erdoberfläche. (Einfügung: kann diese Zahl stimmen?) Mit dem Internet der Dinge kann jeder Gegenstand eine eigene IP-Adresse haben. Ausweitbar sei das auch auf Einzelteile in den Maschinen, die jeweils miteinander kommunizieren können. Wenn Menschen miteinander kommunizieren, können das auch Maschinen zu Maschinen oder auch Menschen mit Maschinen. "Das Produkt mit intelligenter Vernetzungs- und Dialogfähigkeit wird das Geschchäftsmodell der Zukunft werden." Von Smart City zur Smarten Fabrik ist es damit nur ein kleiner Schritt, allerdings frage ich mich, wer die wirklichen Treiber dieser Veränderung seien werden, die diese Impulse aufgreifen und forcieren - die Idee, Produktionsstätten würden im Kern so bleiben, wie man sie jetzt kennt eben "nur durch intelligente Technik erweitert", ist glaube ich abwegig. Die Möglichkeiten der autonomen Community etwa im Umgang mit einem 3-D-Drucker werden im Vortrag von Prof. Bauer nicht thematisiert.


# Schlüsseltechnologien

Nach Bauer werden die Schlüsseltechnologien für 2025 das Mobile Internet sein, die Automatisierung der Wissensarbeit, das Internet der Dinge, die Cloudtechnologie sowie Advanced robotics. 

Google mache es bereits vor, sagt er. - Das stimmt, das autonome Auto ist bereits in Testung, die ersten Prototypen fahren bereits. Aber Google hat hier einen ganz anderen Ansatz gewählt, es ist eine Koproduktion der Community, es geht nicht um die Technik alleine, sondern um die neue "Haltung" dem Auto gegenüber, das Nutzerverhalten, das Teilen etwa. Diese Bestandteile sind keine Konfiguration der Ingenieursleistung. Und gerade dieser Tage lese ich, wird auch über die ethischen Fragen des autonomen Autos diskutiert: Wer programmiert mögliche Entscheidungen, etwa in der Frage der Gefahrenabwehr (wessen Leben nehme ich in Kauf, in Falle eines Unfalls, das des Fahrers oder das der Menschen außerhalb des Fahrzeugs?) - hier wird der Ruf nach dem Gesetzgeber laut, der entscheiden müsse, nicht der Hersteller, nicht der Halter des Fahrzeuges. Auch nicht gefragt wird dabei nach Ingenieursleistung, sondern nach Ethik. 

Als Leseempfehlung kann ich hier nur auf den Blogpost von Dr. Ole Wintermann verweisen, der sich die Frage stellt, ob zukünftige Autofirmen nicht bald Google, Intel oder Apple heißen - weil die traditionellen Autobauer die Weichenstellungen der Digitalisierung und der SocialMedia-Implikationen der Zukunft verschlafen haben? 

# Evolution vor Revolution 

Die 4. industrielle Revolution der Intelligenz sei bereits im Gang, sagt Bauer und bremst dabei den Begriff der "Revolution" auf "Evolution". Ganz so schnell wie befürchtet, werde es nicht gehen. "Wir wollen ja nicht, dass diese Entwicklung die Unternehmen verschüttet", sagt Bauer, "aber die Entwicklung wird schneller gehen als die vorherigen Entwicklungen."

Der Übergang zur nächsten Stufe sei: Produktion on demand, Individualisierung, mobile, online. Ob dieses Abbremsen überhaupt in der Hand der Industrie wie wir sie heute kennen, liegt, wurde nicht thematisiert. Allein die Verschiebung hin zu Customerverhalten wird die Industrie förmlich dazu zwingen, sich zu verändern. Noch vor fünf Jahren hätte etwa keiner geglaubt, dass man mit einem Handy den eigenen Hausflur per Kamera überprüfen kann - Telefonie ist dabei das geringste Können. 


                                                     Fotos ak 2014 

# Menschen mitnehmen

Bauer erklärt, nicht nur die technische Entwicklung sei wichtig, notwendig und wichtig sei auch, die Menschen in diesem Prozess mitzunehmen. Unter dem Stichwort Rationalisierung bedeute das deutlich, Kosteneinsparnisse, Arbeit falle weg. Besonders niedrigqualifizierte Arbeit könne die Technik besser ausführen. Zukünftig werde sich zudem ein Wandel des Seins abzeichnen: Privat, Wirtschaft, Technologie, Ökonomie - das Miteinander der Menschen werde sich ändern. Bis zu 45 % der Arbeitsplätze werden wegfallen. Aber, was hier abgebaut werde, könne an anderer Stelle ersetzt werden. "Intelligente Algorithmen werden sich nicht selbst entwickeln," so Bauer. Die Verschiebung gehe dahin, dass künftig mehr Beschäftige in der Entwicklung gebraucht würden, mehr Qualifikation sei nötig. Lebenslanges Lernen und smart im Umgang mit Technik waren seine Stichworte. "Wir können nicht warten, bis die Studenten aus der Uni kommen", so Bauer. 

An diesen Stellen fallen mir mindestens drei Punkte ein, die aber nie in solchen Runden thematisiert werden: wie soll eine höhere Qualifikation erreicht werden, was Digitalisierung angeht, wenn heute Smartphones und Tablets in Schulen weitestgehend tabuisiert und kriminalisiert werden? Kann man auf lange Sicht die "Haltungsfrage" so deutlich ausklammern, wenn es um neue Formen der Zusammenarbeit (Matrix) geht? Und wäre es nicht jetzt an der Zeit, das bedingungslose Grundeinkommen in einer Volkswirtschaft mal positiv zu diskutieren? 

# Deutschland im Kontext 

Natürlich brachte Prof. Bauer auch einen Blick über den Tellerrand hinaus, die Einordnung Deutschlands in den internationalen Kontext muss aufrütteln. Deutschland müsse Vollgas geben in der Technologieentwicklung, um hier die Führerschaft (halten?) und übernehmen zu können. Die Nationen der Welt verschlafen diesen Trend auch nicht. Bauer spielte ein Video der Kanzlerin Angela Merkel ein, die dieser Tage gleiches erklärt. Mein Fazit: Ingenieure treffen auf Neuland, die Schnittstelle von offline-Welt und online-Welt sind noch lange nicht ausgelotet, es fehlen deutlich die Kontakte zwischen beiden Welten, die Öffnung auch in der Entscheidungsfindung weg von Top-down und hin zu hierarchieentferntem kooperativem Handeln fehlt.

Bauer erklärte, die Fabrik der Zukunft müsse aussehen wie ein Büro, smart steuerbar. Der Mensch werde Sensor, Entscheider und Akteur. Die Veränderungen zeichneten sich ab in Lernen, eher in innovativ und qualifizierend, die Produktionsstrutkur sei eher dezentral, vernetzes Arbeiten werde kommen, notwendig seien demografiefeste Arbeitsplätze.

Meine Frage war die nach den sozialen Implikationen dieser Entwicklungen, wie sich etwa Führung verändern werde? Ja, Führung werde sich ändern hin zu mehr Coaching, zu mehr Transparenz, Führung werde Kommunikationsaufgabe. Und meine Frage nach Koproduktion beantwortete er: ja, das ist ein zentrales Thema.

Schade, dass eine Diskussion nicht möglich war, das Zeitpensum mit zwei weiteren Referenten war ambitioniert. Aber gut, dass es solche Impulsvorträge gibt - das belebt die Diskussion danach und sensibilisiert, in welchem Veränderungsprozess wir uns befinden. Ob wir das nach alten Mustern steuern können... diese Frage ist aber längst geklärt: Nein. 


Teil 2 folgt im nächsten Blog