Bild

Bild

Sonntag, 12. Dezember 2010

Oh Tannenbaum – als Partizipationsprojekt der Kirche oder wie acht Meter Frieden bringen

  Es begab sich aber zu der Zeit, als die Natur noch grün war. Die Bäume auf unserer Wiese sind zu groß für ein Wohnzimmer. Acht Meter. Schon im Sommer hegen wir die Idee, einen der herrlichen Tannenbäume auf der West-Wiese der Kirche zu Weihnachten anzubieten. Eine der Prachttannen würde sich im Altarraum sicher gut machen. Alle Jahre wieder. Es sollte nicht irgendeine Kirche sein, sondern die Lukasgemeinde. Dort tauchen wir immer mal wieder gerne im sonntäglichen Gottesdienst auf, weil der junge Pastor mit den engelsgleichen Haaren so politisch ist.

Als der November seine letzten Tage fristet, rufen wir besagten Geistlichen an. Herr Pastor könne sich eine Tanne zu Weihnachten für seine Kirche aussuchen. Acht Meter, der Baum. Die Antwort des Gottesmannes am anderen Ende der Leitung ist ein klares Ja... Aber. Sein „aber“ setzt eine echte Weihnachtsbaum-geschichte in Gang. Generell nehmen wir die Tanne gerne, so der Gemeindehirte. Nun sei es so, dass ja die Kirche sparen müsse. Daher wüssten wir sicher, dass die Gemeinden zusammengelegt wären. Mit dem Ergebnis, dass es nun zwei Pastöre gäbe. Dieses Jahr sei „der Andere“ dran, mit Weihnachten und der Begrünung. Und die Gemeinde Lukas habe auch einen eigenen Tannenbaumbeauftragten. Der müsse befragt werden. Und selbstverständlich eingebunden. Der für das Jahresendgrün Auserwählte würde sich melden, versprach der Doppelspitzenpfarrer. Mit Erstaunen auf eine derart organisierte himmlische Schar gestoßen zu sein, legt mein Mann auf. Weiteres wollten wir abwarten. Der Baum stand ja noch im Saft. Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein auch im Winter, wenn es schneit.

Tage später klingelt das Telefon. Wieder nimmt mein Mann den Hörer ab und ist mit einem Herrn verbunden, der sich als Tannenbaumbeauftragter der Gemeinde Lukas vorstellt und erst in einem zweiten Atemzug seinen Namen nennt, den J. aber gleich wieder vergisst. Tannenbaum ist unser Stichwort, wie oft hat nicht zur Weihnachtszeit ein Baum von dir mich hoch erfreut. Mein Gatte sieht sich schon mit Säge und Axt in Aktion. Doch vor jeden Schweiß hat der Herrgott die Gemeindedemokratie geschaltet. Herr Tannenbaumbeauftragter-der-Gemeinde-Lukas verkündet, er müsse sich den zum Geschenk vorgeschlagenen Baum zunächst einmal anschauen. Aber nicht allein. Sie kämen zu dritt, spricht er weiter und erklärt, wen er da mitzubringen gedenke. Vom Himmel hoch, da komm ich her. Das Wort Küsterin bleibt hängen, diese kennt sicher die geschätzte Höhe des Kirchenschiffes und das Maß des Baumes. Und Kaiser Augustus befahl, dass alle Welt sich schätzen ließe. Wir schmunzeln über die Zahl drei: Drei Weise aus dem Morgenlande. Das passte doch zu Weihnachten. Wir verabreden sich für den folgenden Tag. Um drei. Auf dem Hof. Die Bäume warten, bald ist Weihnachtsabend da.

Die Uhr schlägt dreimal. Unser Sohn sieht den weißen Wagen der Weisen auf den Hof fahren. Freundlicherweise nimmt er die Kirchenleute in Empfang und zeigt ihnen schon mal den Weg auf die Wiese. Diese Minuten nutze ich, um meine Gummistiefel anzuziehen und meine Arbeitsjacke. So bin ich eine passable Vertretung für meinen Holzfäller-Gatten, der noch nicht zurück ist. Wir treffen am Holzgatter aufeinander: die drei Tannenbaum-Experten-der-Lukas-Gemeinde, zwei Damen und ein Herr – letzterer wohl  hauptamtlicher Tannenbaumbeauftragte – und ich. Wir schütteln uns die Hände. Die drei Reisenden aus dem Matthäusland sind durchdrungen von der Bedeutung ihrer Entsendung. Durch der Engel Halleluja tönt es laut von fern und nah.

Wir steigen über das Gatter, macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Meine Stiefel leisten ihren Dienst. Die drei Weisen sacken mit ihren Halbschuhen tief ins nasse Grün. Die ältere Dame im aparten Arrangement in rosa übernimmt und eröffnet die Konversation. Ich bring Euch gute, neue Mär. Was für ein schöner Fleck Erde, spricht sie und kommt gleich zur Sache. Mein Pastor betont sie das Possesivpronomen, hat mich beauftragt, nicht nur einen Baum auszusuchen. Er bittet auch um das Restgrün für die Krippe, lässt sie mich wissen. Da liegt es das Kindlein auf Heu und auf Stroh. Sie sei ja Presbyterin der Gemeinde. Freue Dich, oh Christenheit. Was die Pastöre heute alles so wollten, führt sie weiter aus. Jeder hätte so seine  eigene Vorstellung. Christ ist erschienen, uns zu versühnen. Aha, antworte ich.

Die Dame Ohne-Rosa stolpert über die jungen Setzlinge, die sich im Gras versteckt haben und erst noch wachsen müssen. Alle sechs Augen der drei Weisen sind auf die großen Prachttannen am Ende der Umzäunung gerichtet. Auf diese zeige ich mit einer Handbewegung wie ein Bergführer auf eine Gipfelkette. Stattlich stehen sie da in Reihe und Glied: Blautannen, Nordmanntannen, Waldtannen. Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum wie grün sind deine Blätter. Dicht drängen sich die Äste und  eifern mit ihrem Grün um die Wetter als diese erste echte Begegnung zwischen Kirche und Baum stattfindet. Gnadenbringende Weihnachtszeit.

Vier Meter Fünfzig ist das Maß für den Christbaum. Vier Meter fünfzig von der Spitze bis zum Fuß. Das sind drei Meter fünfzig weniger als die Tanne in echt groß ist. Man kann sie höher abschneiden, beruhige ich die Rechnerei der drei Experten. Die Aufmerksamkeit auf diese echten Tannen währt nur einen Augenblick. Frau Rosa hat die weiche Omorika-Fichte entdeckt. Die Zarte. Sie steht ein wenig abseits vor den anderen Tannengehölzen. Auch sie ist  acht Meter. Die soll es sein, verkündet der rosa Engel der Lukasgemeinde. Wir übrigen drehen uns um. Erstaunt. Für einen Augenblick bin ich unsicher, ob mein Mann auch diesen Baum zum Schlagen freigegeben hat. Oh du fröhliche. Die drei umwandern die serbische Fichte, streicheln ihre weichen Tannenwedel. Kein Zweifel. Tanne, die Entscheidung ist da, heißa, dann ist Weihnachtstag. Vier Meter fünfzig. Das müsste passen, erklärt die Dame in Nicht-Rosa. Die Frauen sind sich einig. Der mitgebrachte Tannenbaumbeauftragte kann sich dem Diktum der Damen nicht widersetzen. Vier Meter fünfzig bestätigt auch er. Partizipation in der Kirche ist weiblich.

Auf dem Weg zurück plaudert Frau-Presbyterin-neben-dem-Pastor mit mir über Weihnachten. Und zählt ihre geplanten Kirchgänge in Reihenfolge der Feiertage auf. Neben ihr wirke ich wie ein lauer Christ, mit meinem Status des Selten-Gängers. Am Ende werde ich gefragt, was denn der Baum kosten soll. Nix, lautet die Antwort. In den Herzen ist´s warm, still schweigt Kummer und Harm, Sorge des Lebens verhallt.

Den Baum in seiner ganzen Pracht abholen soll derweil ein anderes Gemeindemitglied. Dieser Mensch ist wiederum eigens für den Transport des Christbaums zuständig. Der Tannenbaumtransportbeauftragte. Und der dieses Jahr zuständige Doppelspitzenpastor auch. Wann das sein wird, solle telefonisch geklärt werden. Einmal werden wir noch wach.

Die Tage vergehen, wir versuchen Pastor Weihnachtsgrün zu erreichen. Pastor Weihnachtsgrün versucht es umgekehrt. Unsere elektronischen Anrufbeantworter lernen sich dadurch etwas besser kennen. Beide hinterlassen dem jeweils Anderen ihre Nachricht nebst der Versicherung, es später nochmals zu versuchen. Bei Anruf Nummer drei klappt es: Kirche trifft Spender. Am Samstag früh um zehn wollen sich Pastor und der zuständige Transportbeauftragte an nun schon bekannter Wiese einfinden.

An besagtem Tag liegt eine dicke Schneedecke über der gefrorenen Wiese. Leise rieselt der Schnee, still und starr ruht der See. Beim Morgengrauen stapfe ich mit meinem Mann über die Winterpracht und zeige ihm nochmals die serbische Omorika. Ein rotes Flatterband ist schon angebracht, damit nicht der falsche Baum in die Kirche gelangt. Die Säge röhrt und mit drei gekonnten Schnitten gleitet die Fichte zur Seite. Hilflos liegt sie im Schnee. Mit so viel Liebe und Frieden ist sie aufgewachsen. Möge sie gleiches in die Welt tragen, denken wir uns. Bald wird das Prachtgewächs geschmückt den Altarraum zieren. Wir warten auf die Kirchenleute. Der Transportbeauftragte trifft ein. Nein, er ist nicht mit einem Schlitten und Rentieren gekommen. Er hat einen winzig anmutenden Anhänger an seinem Auto mitgebracht. Auf diesem soll die Vierfünfziger-Fichte ins Lukasland gefahren werden. Beim Anblick der Omorika ist der gute Mann verwirrt. Die Tanne sei drei Meter lang, so hieß es, darum der kurze Hänger. Chor der Engel erwacht. Man könne den Baum kürzen. Nein, nein. Wir versuchen es mal. Flink fällt dann doch ein ganzer Meter Holz in den Schnee. Die Fichte auf ein neues Maß gebracht.  ...der Retter ist da. Nun sind es nicht vier Meter fünfzig, die gebraucht werden, sondern vier Meter fünfzig, die wegfallen. Wahre Größe steckt im Kern.

Der Anhänger mit himmlischem Auftrag ist von einer festen Plane umhüllt. Mit Stangen stabilisiert. Die Omorika-Schöne geht hier nie und nimmer rein, mein Mann - sagt nichts. Der Pastor Weihnachtsgrün fehlt. Partizipation ohne Obrigkeit. Die beiden Gegenwärtigen beginnen den Transport allein. Erste Hürde ist der Weidezaun. Drei Meter fünfzig Festholz mit Nadeln und Schnee sind eine Herausforderung für jeden Weihnachtsmann. Ächzend zieht und schiebt das Duo den Christbaum in spe bis kurz vors Ziel. Hört nur, wie lieblich es schallt. Dann erscheint der Pastor. Im Sonntagsstaat, mit passablen Gartenhandschuhen. Ein Seil fehlt, die ausladenden Ästen wären gebunden hilfreicher. Mein Mann hilft. Leider mag die grüne Serbin wahrlich nicht ganz in den Hänger passen. Die nun drei Männer schieben und pressen, dabei verschwinden die zwei Lukas-Weihnachtsbaum-Beauftragten-Gemeindemitglieder mit ihren Halbschuhen im Schnee. Wie eine Erleuchtung fällt dem Transportbeauftragten der Gemeinde ein, das Gestänge nebst Plane abzuschrauben... Erleichterung hält Einzug. Zentimeter für Zentimeter naht der Weihnachtsbaumspender dem Ziel, seine Spende den waltenden Händen der Kirche übergeben zu haben. O beugt wie die Hirten anbetend die Knie, erhebet die Händlein und danket wie sie. Schließlich ist der Lichterbaum gut verstaut. Auch an das Krippengrün ist gedacht. Macht mir auf das Stübchen.

Nun aber umkreisen tausende kleiner grüner Omorika-Äste den Hänger. Abgebrochen vom jungfräulichen Lukas-Christbaum liegen sie im dicken Winterweiß. Besorgt malt sich mein Angetrauter aus, wie zerrupft die Gute in der Gemeinde ankommen mag und hofft auf ein Wunder. Ist auch mir zur Seite still und unerkannt. Schließlich fehlt es an einer roten Fahne, die das Ende der Omorika im kirchendienstlichen Hänger signalisieren sollte. Immerhin ragt die Spitze nun doch gut einen Meter und etwas über die Reeling hinaus. Auch dieses Utensil können wir stellen. Am Ende muss der Geistliche hinter dem Christbaumtransport das Geleit geben und bei möglichen Pannen das Schlimmste mit Hilfe der himmlischen Mächte verhindern. Bleibt nur noch, den Hängeraufsatz später wieder einzuladen, der bis dahin einsam und wie eine Weihnachtskugel rot leuchtend in der Hofzufahrt verweilt und auf den Rückhol-Beauftragten der Kirche wartet. Partizipation bedeutet Hiob mit verteilten Rollen.

Wir verabschieden uns vom Trio - zwei Männer mit Baum. Wir bleiben derweil mit dem Hängergestänge und den schlimmsten Befürchtungen zurück: Nach einem Auffahrunfall mit Blechschaden bei Glatteis in der Kirche angekommen, passt der Baum nicht durch die Tür. Er wird gekürzt, weil er nicht um die Ecke geht. Nun misst die Fichte nur noch zwei Meter fünfzig. Zwei Köpfe größer als der Pastor. Nadeln und Ästchen säumen den Weg. ...wie grün sind deine Blätter. Beim Einstielen in den Weihnachtsbaumständer kippt der Baum, die Spitze kracht auf den Altar, ist unwiederruflich abgeknickt. Von den einstmals acht bleiben noch zwei Meter. Pastor und Baum nähern sich in der Höhe an. Ramponiert sieht das Bäumchen bemitleidenswert aus. Der Verlust macht ihn fast durchsichtig. Der Stamm rückt in den Blickpunkt. Da können auch die  bunten Kugeln und der Stern als Krone nichts mehr ändern. Die einst schönste Fichte passt nun in die Ecke - vor dem Engel des Erbarmens – fehlt nur, dass ein Zweig beim Entzünden der Kerzen noch Feuer fängt und schließlich kaum ein Stummel von einem halben Meter Restgehölz auf einem Hocker steht, damit die Gemeinde das Bäumchen überhaupt sehen kann ...da uns schlägt die rettende Stund.

Aber nein. So endet die Geschichte nicht. Mit Mühe zwar landet die Fichte zunächst im Eingangsbereich der Gemeinde. Es ist nicht schlimm, dass der Chor nun nicht mehr in die Kirche rüberwechseln kann, weil die schöne Grüne mitten im Weg liegt und weder links noch rechts ein Vorbeikommen möglich macht. Gerne nimmt man beim Anblick der weichen Äste einen Umweg in Kauf. Nach dem Gottesdienst wird sie geschmückt. Hierfür sind eigens Christbaumdekorationsbeauftragte ernannt: einer für die Kugeln, eine für die Kerzen; die Restgemeinde fürs Lametta. Wie weich sind die Zweige! Die vormals schlicht-grüne Fichte erstrahlt in wahrem Glanz. Stille Nacht, heilige Nacht.
Am Heiligen Abend erscheint die Gemeinde, eine Schnittmenge von Beauftragten mit Weihnachstspezialeinsätzen und dem Rest der Gläubigen, erfürchtig zum Kirchgang. Pastor Weihnachtsgrün steht im Talar am Altar – gerade rechtzeitig zurück von einem Dankbesuch bei uns auf dem Hof: Nun kann die Gemeinde getrost sich zum Baume wenden. Ihr Kinderlein kommet. Was für ein Leuchten, was für eine Freude. Weihnachten ist da. Die Spitze der ehemals Acht-Meter-Omorika lenkt den Blick der Christenschar in den hohen, leeren Raum des Kirchenschiffes. Ein Ort, sonst verlassen und unbeachtet, wo sich nur die Klänge der Orgel sammeln und die Gebete sich bündeln. Die Fichte hat ihn trotz fehlender Höhe erreicht mit ihrer Liebe und ihrem Frieden. Ehre sei Gott in der Höh´. Himmlische Heere jauchzen Gott Ehre: Freue, freue dich, o Christenheit!

Freitag, 10. Dezember 2010

Steiniger Weg zu mehr Demokratie

Der Bürgerhaushalt ist in aller Munde. Allerdings spricht er dabei unterschiedliche Geschmacksrichtungen an: für die einen sauer, für die anderen süß, einige sprechen von bitter.
Aber genau das soll es sein: Den Diskurs ins Rollen bringen. Stadtgespräch Finanzen, Projekte. Wo geht es hin, Gütersloh. Lange haben wir nicht mehr solche Wellen erlebt. 

Bewegung ist auch eine Form der Demokratie. Und dass Demokratie nur Spaß machen soll, hat keiner gesagt.

Jedenfalls nicht in den letzten 4000 Jahren seit Platon. Mehr dazu in einem aktuellen Interview in der NW:

http://www.nw-news.de/lokale_news/guetersloh/guetersloh
/4069789_Steiniger_Weg_zu_mehr_Demokratie.html

Donnerstag, 9. Dezember 2010

"Ich bin Bremer" - Integration in einer Hansestadt

Kürzlich war ich mal wieder auf Reisen. Unterwegs in Sachen Integration in Deutschland. Ich kurvte über die Autobahn und war gedanklich schon bei meinem nächsten Gespräch. Es ging um mögliche andere Begrifflichkeiten für den Terminus "Menschen mit Migrationshintergrund". Eigentlich ein politisch korrekter Begriff. Immerhin um Längen besser noch als "Gastarbeiter", "Ausländer" - "Zuwanderer" war auch schon grenzwertig. Aber die Sprache entwickelt sich mit der Lebenswirklichkeit in einem Land. Und so fragen wir uns seit einiger Zeit, ob es nicht doch noch bessere Begriffe gibt. Zur Zeit finden wir "Neudeutsche" ziemlich gut.


Allerdings ist uns im Team auch damit noch flau im Magen. Es geht eigentlich nicht um neue Begriffe, sondern darum, diese Begriffe mit positiven Bildern zu füllen. Positive Erfahrungen jedes Einzelnen mit Integration sollen zum Tragen kommen und das Bild bestimmen. Das ist ja auch schon da, wie auch eine letzte Umfrage der Bertelsmann Stiftung dazu ergeben hat: 68 Prozent der Befragten geben an, sie haben eher positive persönliche Erfahrungen mit Zuwanderen in Deutschland gemacht. Und: Deutschlands stärkster Nutzen durch Zuwanderung entstehe durch die Öffnung für verschiedene Kulturen.

Es kommt also nicht darauf an, was bei "Menschen mit Migrationshintergrund" drauf steht, sondern auf das, was "drin" steckt. Zu diesem Ergebnis kommen auch die Befragten im Netz, deren Meinung ich kürzlich dazu in facebook "Zukunft der Integration" erbeten hatte. Einheitlicher Tenor: Wir brauchen keine neuen Worte. Wir brauchen gelebte Integration.


Diese Meinung teile ich, teilt das Team Integration. Wir sind trotzdem auf der Suche. Deshalb fahre ich ja auch durchs Land. Wie gesagt, ich sitze immer noch in meinem Auto. Dann muss ich mich konzentrieren, denn ich bin in Bremen, meinem Ziel, angekommen. Nach Auskunft des Hotels soll es ganz leicht sein, dieses zu finden, es liege im Herzen der Stadt, einen Steinwurf von der Weser entfernt. Ich solle den Schildern der "Hotelroute" folgen.


Was ich auch brav tue. Nur als ich zum dritten Mal an der gleichen Stelle vorbei fahre und mir sicher bin, dass ich um den Bürgerpark herumgurke und die Weser weit weg ist, reicht es mir. Entnervt steuere ich die nächste Tankstelle an und will dort nach dem Weg fragen, oder mir einen Stadtplan kaufen. Schon ziemlich genervt betrete ich den Kassenraum und erkläre dem schwedischen (!!!) Tankwart, wo ich hinwill, es aber nicht finden kann. Er bleibt ruhig und versucht mir in einer Mischung aus deutsch und englisch - er ist noch nicht lange in Deutschland - nahezu legen, wo ich herfahren muss. Ganz schön oft links und rechts abbiegen - ich frage ihn nun doch nach einer Karte. Da spricht mich jemand an, der hinter mir steht: "Ich fahre in die gleiche Richtung. Ich bin Bremer und kenne mich aus, fahren Sie doch einfach hinter mir her..." Ich drehe mich um, völlig erfreut über diesen Vorschlag - und vor mir steht ein: Mensch aus Indien. Mit Turban.


"Ich bin Bremer..." hatte er gesagt. Und was ich sehe, ist eindeutig ein "Mensch mit Migrationshintergrund". Wir lächeln uns an, ich nehme das Angebot an und folge seinem Golf mit HB-Kennzeichen für die weltoffene Hansestadt Bremen. Nach sieben Minuten Fahrt durch die Stadt stehe ich direkt vor meinem Hotel. Mein Bremer steigt aus seinem Gefährt, ich steige auch aus und bedanke mich mit Handschlag. Wir wünschen uns einen schönen Tag und er fährt davon.


Im Hotel angelangt, begrüßt mich eine Afrikanerin am Empfang. "Willkommen bei uns in Bremen", sagt sie freundlich. Ich grinse breit. Ja, wir sind Bremer. Das ist es eigentlich - der Inhalt für "Menschen mit Migrationshintergrund". Wir sind Bremer. Wir sind Aachener. Wir sind eine Gesellschaft. Wir sind "Wir in Deutschland". Hört sich pathetisch an, funktioniert aber. Danke, Bremen.

Dienstag, 7. Dezember 2010

Bürgerhaushalt: Stadtverwaltung beste Aktivisten

Gestern fand die erste und einzige öffentliche Vorstellung zum Bürgerhaushalt 2011 statt. In der Kuppel der VHS - einem altehrwürdigen Gebäude, in dem viele Gütersloher noch als Schüler geschwitzt haben. Alte Mauern also, um eine moderene und dialogorientierte Beteiligungsform für Bürger im Zeitalter des Web 2.0 vorzustellen. Die Stadt geht mit der Zeit.

Im Raum fand sich nur wenig Publikum von "Angesicht zu Angesicht" ein; die Mehrzahl kannte sich. (Ein deutliches Indiz dafür, dass altbackene Formate wohl aus der Mode kommen?!)
Das tat aber der Sache keinen Abbruch: Im Netz, also dem realen Ort der Beteiligung, ist schon viel Bewegung: Rund 800 haben sich aktiv als "User" also Nutzer eingelockt. Über 6.100 mal wurde die Seite besucht, Seitenabrufe sogar 155.000 und ein paar gezählt. 175 Sparvorschläge liegen vor. Bemerkenswert ist die hohe Zustimmung zu den bereits von der Verwaltung eingestellten 20 Sparvorschlägen. Die geseztzte Zielsumme von rd. 2,4 Millionen ist zwar noch nicht erreicht, die votierende Bürgerschaft aber lässt erkennen, wie bewusst sie votet. Für Gütersloh ein beachtliches Ergebnis.

Das Kollektivbewusstsein der Nutzer für "Mögliches und Machbares" ist erstaunlich, böse Kommentare liegen nur zwei vor, diese sind als solche von der Moderation gekennzeichnet, der Rest ist konstruktiv und keine Abrechnung mit der Stadt oder der Politik, wie befürchtet wurde. Für solche Nebenkriegsschauplätze lassen sich die BürgerInnen nicht einspannen. Wunderbar. So soll es sein.

Das Online-Verfahren läuft noch bis zum 15. Dezember. Dann bleibt die Plattform noch eine weitere Woche bis zum 22.12.2010 geöffnet, damit die einzelnen Vorschläge mit einem Voting in eine Reihenfolge gebracht werden können. Über die soll später abgestimmt werden.

Klar gab es auch kritische Stimmen während der Veranstaltung. Die muss es auch geben, etwa: Warum überhaupt so viel Geld für den Bürgerhaushalt ausgegeben wird. (70.000 Euro). "Weil uns die hohe Beteiligung aus der Bürgerschaft und auch die Legitimation durch ein Bürgervoting wichtig sind", erklärte Bürgermeisterin Maria Unger. Das ist auch der Dreh- und Angelpunkt. Am Zenit der alten Beteiligungsverfahren ist die Stadt gut beraten, neue Formate anzubieten. Die müssen nicht gleich einschlagen wie ein Gassenhauer, sie führen aber auf lange Sicht zu mehr Transparenz, Vertrauen und Gemeinwohlorientierung in einer Kommune. Auf lange Sicht wird das zum Standortvorteil für eine Stadt. Das positive Echo dieser modernen Beteiligung zieht sich schon jetzt durch die Region, denn die Frage der leeren Kassen, Haushaltskonsolidierungen und Sparvolumina ist ein Thema in ganz Deutschland. In NRW haben nur ganze 8 Kommunen einen ausgeglichenen Haushalt. Die anderen Gebietskörperschaften laborieren am Abgrund. Da ist es Zeit für neue Wege: Einerseits für mehr Bürgerbeteiligung - und andererseits für eine Methabetrachtung der Finanzierung der Kommunen an sich. Auch hierfür bietet der Bürgerhaushalt Raum für Anregungen.

"Wir würden gerne noch mehr Beteiligung sehen, auch mehr Votings, also Abstimmungen über die jeweiligen Vorschläge mit Pro und Contra", wünschte sich die Kämmerin Christine Lang. Dem steht nichts im Wege. Jetzt ist es an den Bürgern, sich einzuklinken. Der Weg ist bereitet. Es muss nicht so bleiben, dass die besten Aktivisten in den Reihen der Stadtverwaltung zu finden sind: Maria Unger, Norbert Monscheidt und Christine Lang.

Samstag, 4. Dezember 2010

Die Tagesordnung gegen das Nichtstun! Bildungspolitik in Gütersloh

Der Bildungsausschuss tagt schon wieder nicht. Es handelt sich hier um ein Gremium, dem 19 Personen angehören, drei davon nicht stimmberechtigt. Ausreichend viele Gewählte, die eigentlich etwas in Gang bringen könnten, sollte man meinen. Sechs von der CDU, vier von der SPD, zwei von den Grünen, eine je von FDP, BfGT, UWG und Linke. Sieben Fraktionen mit ausgewiesenen Positionen zur Bildungspolitik. Stoff genug allein schon aufgrund der Parteiprogramme. Dazu kommen Vertreter der evangelischen und der katholischen Kirche sowie ein Mitglied des Integrationsrates. Nun sollten die Damen und Herren am 16.11. zusammenkommen. Was kam, war eine leise Absage im Ratsinformationssystem, gerade war der Termin noch da, einen Tag später war er weg. Kommentarlos ausgesetzt. Wie immer. Transparenz: keine. Wahrscheinlicher Grund war die populäre Standardtansage „fällt aus wegen Mangel an beratungsreifen Vorlagen“. Der nächste Termin soll nun am 21.12. stattfinden - wenn er nicht wegen „Weihnachten“ ausfällt. Im letzten Jahr war es ähnlich: Funkstille zum Jahresende.
 
Anlässlich der vielen Bildungsbaustellen aber müsste die Tagesordnung für den Bildungsausschuss doch randvoll sein. Folgendes geht uns durchs Nichtstun durch die Lappen:


Top 1: Steuerung der Grundschulen.  
Die Anmeldezahlen für die Grundschulen liegen vor. Wieder fragt hier keiner nach der Verteilung von Zügigkeiten und der Größe der Klassen, vor allem der Eingangsklassen. Dabei ist gerade deshalb die Astrid-Lindgren-Grundschule bereits geschlossen worden. Ich habe noch die Worte im Ohr: „Wir wollen die Schließung nicht, sie wird uns von Detmold als oberste Schulbehörde vorgeschrieben.“ Grund genung also jetzt, sich frühzeitig mit der weiteren Entwicklung zu befassen und nicht wieder abzuwarten, bis dann im Frühjahr nichts mehr zu steuern ist, weil andere Instanzen ihre Vorstellungen durchsetzen. Eine Strategie ist gefragt und Konzepte.

Top 2: Qualität der Ganztagsbetreuung.
Diese müsste dringend auf den Prüfstand - nicht nur proforma durch eine Elternbefragung angesprochen werden. Zahlreiche Anbieter, verschiedene Konzepte, keine Standards – ein Mischmasch an Grundlagen und Voraussetzungen, an der die Stadt selbst als Anbieterin durch die VHS beteiligt ist. Wie sieht es hier mit Chancengerechtigkeit aus? Wie etwa ist die Qualität des Essens? Welche Qualifikationen des Personals sind eigentlich notwendig? Sind wir in der Stadt da gut aufgestellt? Die einen Grundschulen haben einen aktiven Förderverein, die anderen nicht, Gründe dafür gibt es viele. Fragen, die es allemal wert sind, im Ausschuss diskutiert zu werden. Frühzeitig. Mittlerweile steht schon der Ganztag in den weiterführenden Schulen auf der politischen Agenda des Landes NRW. Bevor man da weitermacht, lohnt es sich doch, aus den Fehlern, die es schon in den Grundschulen gibt, zu lernen. Die zu benennen, wäre aber Aufgabe des Bildungsausschusses.


Top 3: Inklusion.
Die UN-Konvention zur Inklusion soll Wirklichkeit werden. Kein Menschen soll mehr ausgeschlossen werden. Schule wird sich umfassend verändern müssen, damit  auch die Stadt Gütersloh das geforderte inklusive Bildungssystem umsetzen kann. Das wäre eine Aufgabe für den Bildungsausschuss. Und da bedarf es langfristiger Konzepte, nicht nur eines Kompetenzzentrums, welches vielleicht den Bestand der "Einteilung" noch zementiert.

Top 4: Gemeinschaftsschule.
Längst ist das Schulsystem nicht mehr in der Lage, Antworten auf die Probleme der Zeit zu liefern: Das System ist undurchlässig und versperrt vielen höhere Bildungsabschlüsse durch frühes Aussortieren und durch mangelnde Durchlässigkeit der weiterführenden Schulen. Ein Antrag zur Errichtung einer Gemeinschaftsschule wurde bereits von den Grünen gestellt, er war sicher der neuen Landesregierung geschuldet und auf den neuen Wegen durch ein Mitglied des Landtages auch nach Gütersloh gekommen. Wibke Brems ist ja nun unsere Frau in Düsseldorf. Nach nur einigen Minuten der Diskussion wurde er aber zurückgezogen, mit der Begrüundung, man wolle das in Ruhe diskutieren. Gut so, denn so schnell übers Knie zu brechen, wäre der neuen Schulform nicht gerecht geworden. Aber man hat sich auch das Versprechen gegeben, darüber in Ruhe zu diskutieren. Nur wann, wenn nicht dieser Tage? Wo andere Kommunen schon Konzepte geliefert haben, Bürgerinitiativen aktiv Unterschriften sammeln, informiert wird, diskutiert wird. Im breiten Dialog mit der Bürgerschaft, die immerhin ihre Kinder dorthin schicken  kann, soll, möchte. Zudem gibt es schon Interessenten auch auf Gütersloher Schulseite. Man muss sie nur mal fragen....Das wäre eine Aufgabe für den Bildungsausschuss.

Top 5: Schulabgänger ohne Abschluss.
Die Zahl der Betroffenen ist hoch. Viele befinden sich in Endlosschleifen zwischen Schulen und Nicht-Ausbildung. Zahlen dazu kann man nachlesen, sie sind erschreckend hoch für den Kreis Gütersloh. Und die Stadt ist da sogar noch als Kreisstadt in der Pflicht, eine Bildungshochburg zu sein. Sollte also vorangehen. Nun ist ein erster Schritt mit dem Übergangsmanagement der Hauptschule besiegelt. Gut. Aber die anderen Schulen trifft es auch. - Übrigens ist das auch ein Thema für Gymnasiasten, denn nicht alle, die im Gymnasium anfangen, verlassen dies auch mit Abitur. Die Quote der „Abbrecher“ ist auch hier sehr hoch. Es wäre eine Aufgabe auch für den Bildungsausschuss, über Lösungen insgesamt nachzudenken.

Top 6: Schulentwicklungsplan.
Der muss für 2012 und Folgejahre neu entwickelt werden, ganz einfach, weil der „alte Plan“ ausläuft. Andere Städte in den Nachbarregionen machen sich schon seit langem auf den Weg, ihre Bildungsangebote weiterzuentwickeln. Sogar unter Beteiligung der Bürgerschaft. Im Dialog. So wie die Stadt Münster etwa, die in vier Zyklen verschiedene Themen zur Diskussion auch mit Experten gestellt hat. Die Weiterentwicklung wäre eine ureigene Aufgabe für den Bildungsausschuss, wer sonst sollte das leisten? Die Vorlage aus den letzten Jahren zu kopieren und mit frischen Zahlen aufzuhübschen, bringt nichts Neues und wird Gütersloh als Bildungsstandort auf lange Sicht abhängen.  


Top 7: Bildungsgipfel.
Der ist bereits von der SPD-Fraktion angekündigt worden. Gut so. Prima Idee! Wann und wie wird er aber durchgeführt. Und wer hat dabei den Hut auf? Ist das eine Gemeinschaftsaufgabe für die Stadt oder soll die SPD das alleine machen? Alles Fragen, die man vor allem im Bildungsausschuss klären kann – und muss.

Allein: Der Bildungsausschuss tagt nicht. Das ist keine Betrachtung aus diesem Jahr, sondern schon Tradition. Können wir uns das auf Dauer leisten? Wohl kaum. Es wäre schade, wenn unsere Kinder erstmal in den Brunnen fallen müssen, bis sich in Gütersloh was weiterentwickelt. Nichtstun führt zu nichts. Das lernt man in der Schule, wenn sie denn gut aufgestellt ist.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Vielfalt im Melodienreigen für unsere Vordenker

 Stöbere heute wie jeden Morgen in facebook und halte Ausschau nach Meldungen oder Äußerungen, die auch mich bewegen. Soziale Netzwerke bewegen ja auch Menschen. Fündig werde ich bei der Zeit online. Die titelt: "Was wir unseren Vordenkern schenken - Jene, die uns durch diese harten Zeiten führen, verdienen zu Weihnachten ein paar Streicheleinheiten. Wir legen Wulff, Merkel und Co. die passende Musik unter den Baum."

Das ist ein Link nach meinem Geschmack und so klicke ich in die Zeilen und frage mich schon beim Scrollen,
ob und wie das Thema "Vielfalt", Integration und "Diversity Management" hier wohl zum Klingen kommt.
Meine Erwartungshaltung ist eher niedrig, denn gerade bei Weihnachten neigen wir als "Aufnahmegesellschaft" doch eher zum Kulturmonotheismus und versinken in weihnachtlichen Kindheitserinnerungen, von denen wir glauben, andere "Kulturen" oder "Migranten" hätten davon keine Ahnung. (Wie falsch!) Solche Gedanken gehen mir also durch den Kopf, immerhin bin ich sehr sensibel, was Stereotypen angeht - und versuche sie mir bewusst vor Augen zu halten.

Schnell stoße ich vor zum Kern der Geschichte und finde immer mehr Gefallen an dem, was ich lesen darf. Da steht zum Beispiel: "Unser Autor hat sich ein paar Gedanken gemacht, mit welcher Weihnachtsmusik das Christkind, der Weihnachtsmann oder welche Jahresendfeierfigur auch immer unseren Vordenkern eine Freude machen könnte." Ganz großartiger Begriff "Jahresendfeierfigur". Das findet auf alle Fälle meine Zustimmung. Ich schmunzele und lese weiter.

Wir streifen den "afrikanischen Kinderchor" von Annie Lennox für unseren Entwicklungshilfeminister und stoßen als einen Beschenkten auch auf den Ministerpräsidenten des Saarlandes, welcher volkloristische "Minderheiten" vertont unter den Baum bekommt, walisisch ist nur eine davon. Dies, weil er ja die Kampagne "Deutsch ins Grundgesetz" ins Leben gerufen hat.
Unter dem Gesichtspunkt "Vielfalt leben" bin ich sehr zufrieden, er findet ausreichend Berücksichtigung und setzt ins rechte Licht, was schon Praxis ist in unserer globalisierten Welt mit den vielen Facetten. Der sarkastische Unterton für die politische Wertschätzung entgeht mir natürlich nicht. Aber auch das ist ein Zeichen von Vielfalt, das ist die Freiheit des Nachdenkens auch über unsere "Vordenker".
Mehr dazu hier:
http://www.zeit.de/kultur/musik/2010-11/weihnachtsplatten-po...

Sonntag, 28. November 2010

Hand aufs Herz für Transparenz

Grüne wollen Strafanzeige stellen - Kritik an der Veröffentlichung des Wirtschaftsplans

Der Wirtschaftsplan 2011 für das Theater und die Stadthalle sind vom Kulturausschuss mehrheitlich genehmigt worden. Der städtische Zuschussbedarf liegt für beide Einrichtungen bei 3,1 Millionen Euro pro anno. Diskutiert wurde allerdins unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Türen blieben den Bürgerinnen und Bürgern verschlossen. Die politische Kaste tagte allein. Im öffentlichen Teil allerdings nutze man um so genüsslicher das Feld für eine öffentliche Ohrfeige für die Presse - die Neue Westfälische hatte nämlich die Eckdaten der Finanzsituation bereits im Vorfeld veröffentlicht. Einer aus den eigenen Reihen der gewählten Volksvertreter musste also geplaudert haben. Der Betreiber der Stadthalle nun sieht einen klaren Fall von "Geschäftsschädigung". Mitanbieter hätten durch die Veröffentlichung einen unerlaubten Einblick in intimste Geschäftsdaten erhalten. So berichtet es die NW am 27.11.2010.

Am lautesten von allen regte sich einer auf: Marco Mantovanelli, Fraktionschef der Grünen im Rat der Stadt Gütersloh. Er plädierte sogar für polizeiliche Ermittlungen: Die Ordnungsbehörde soll ermitteln, wer der Informant an die Zeitung gewesen ist.  Law and order. Herrschaftswissen wird nicht geteilt!

Nun kennt man das aus der Psychologie: Wer sich lauthals verteidigt und nach Schuldigen sucht, möchte gerne von seinen eigenen Verfehlungen ablenken und den Verdacht von vornherein auf Andere lenken. Vielleicht sollte Mantovanelli mal Hand aufs Herz legen und erklären, dass er es nicht war. Oder hat er einfach nur gut geschauspielert? Ich kann mir gut vorstellen, wie es im Ratssaal ablief: Da steigt schon die Pulsfrequenz in einem Gremium, wenn ein "Verrat" vorgefallen ist. Alle schauen sich mit Argusaugen an und versichern sich gegenseitig, dass sie es nicht waren. Warum eigentlich, es sind doch gewählte Volksvertreter, Transformationsriemen zum Volk, dem Wohl des Volkes verpflichtet....Wer in dieser Situation des Verhörs blinzelt und auf den Tisch schaut ist raus. Habe ich alles schon erlebt. Es gab sogar eine Zeit, 1996, als man Politiker einer Fraktion (der CDU im Kreis Gütersloh) an den Lügendedektoren anschließen wollte, weil einer ein Abweichler war und den damaligen konservativen Landratskandidaten Kozlowski (CDU) nicht mitgewählt hatte, sondern die Kandidatin der SPD, Ursula Bolte. Die dann auch Landrätin wurde. Ein wahre Schlacht setzte ein, mit Beschuldigungen wie" Abweichler", "Verräter" und dem Ruf nach Ehrenerklärungen. Dieses Bühnenstück der Partei, die "Affäre Balke" war ein riesiger Schritt in Richtung von Politikverdrossenheit, der kaum wieder gutzumachen war.

Nun ist Marco Mantovanelli aber kein Konservativer, denen ja schnell mal nachgesagt wird, dass sie von Transparenz in der Politik nichts halten. Ein Erbstück aus der alten Vorstellung, nur die Mächtigen eines Staates dürften alles wissen. Nein, Mantovanelli ist ein Grüner. Die Grünen aber sollten es theoretisch und praktisch besser wissen - es vergeht (Gott sei Dank!) keine politische Versammlung oder auch Wahlkundgebung, wo sie nicht Transparenz und Bürgerbeteiligung auf die Fahnen geschrieben haben. Dafür wähle ich sie. Dafür habe ich selbst in ihren Reihen Politik gemacht.

Zudem sind es gerade die Grünen, die rund 800 Kilometer weiter südlich auf die Barrikaden gestiegen sind und das Volk mobilisieren, gegen das Establishment der Wissenden zu protestieren: In Stuttgart nämlich, wo der Bahnhof unter die Erde verschwinden soll. Zwar durch die "Instanzen" abgestimmt, aber mit halbwahren Informationen und mittels Zurückhaltung der wahren Fakten. Was für ein Bild: Die größte Beerdigung von Halbwahrheiten seit Gründung der Bundesrepublik.
Hier ist es allerdings einer findigen und wachen Bevölkerung doch noch gelungen, durch Transparenz und Offenlegung auch der Details Fehler und Mauscheleien aufzudecken. Für die die Bürgerschaft am Ende zahlen muss. 
Gut so. Nur Wahrheit und Transparenz können das Zusammenleben in unserer hochkomplexen Welt in die Zukunft führen. Beschiss ist noch immer ans Tageslicht gekommen. Haben nicht die demokratisch entwickelten Nationen in den letzten Jahren immer mit stolz darauf hingewiesen? War es nicht immer der bedeutende Unterschied zu Unrechtsstaaten, in denen nur eine handvoll Mächtiger das Sagen hat? 
Nun entwickelt sich Deutschland doch immer mehr zu einer solchen Kultur des "Alles-auf-den-Tisch-legens". Dank sei hier dem hohen Bildungsgrad vieler, der Zeit für solche Recherchen weil wir ja nicht mehr auf dem Acker arbeiten müssen damit zuerst Brot auf dem Tisch steht und - auch Dank Internet, sozialer Netzwerke und der Blitzgeschwindigkeit, mit der heute Informationen über die Kabel gehen. Aktuell darf man sogar in der Bild am Sonntag lesen, dass die Bundesregierung Angst hat vor den neuen Veröffentlichungen durch Wiklileaks. Was immer dabei herauskommt, es ist ein Teil unseres demokratischen Lebens. Und gehört als Information allen. Das gilt auch für die Eckdaten eines Wirtschaftsplanes. Das gilt auch für viele andere Informationen, die gerne hinter verschlossenen Türen diskutiert werden. Und die allzuoft von wenigen für den eigenen Vorteil ausgenutzt wurden.
Also, Marco Mantovanelli: Mehr Transparenz in Fragen der öffentlichen Finanzen. Gütersloh war da ja schon auf dem guten Weg mit dem Bürgerhaushalt für 2011. Und bitte Hand aufs Herz bei der Frage, welche Grundsätze die Grünen ausmachen. Sonst empfehle ich den Abschied aus der Politik.