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Dienstag, 12. Juni 2012

Was ein Bürger zur Schulentwicklung zu sagen hat


Die Sekundarschule steht heute auf der Tagesordnung des Bildungsausschusses. Aus diesem Anlass nehme ich eine Stellungnahme von Jürgen Zimmermann auf meinen Blog: (Das Schreiben ist gleichermaßen auch an die Verwaltung, die Politiker und die örtliche Presse gegangen)

Stellungnahme zu den Plänen einer „Modellschule Nord“- Beantragung im Rahmen der Schulentwicklungsplanung 2012-2015

Wer nichts will als die Gegenwart, wäre gewiss nicht ihr Schöpfer gewesen."
Jean Paul

Als Gütersloher Bürger, als ehemaliger Ratsherr, als einer der Initiatoren der GAG (Gütersloher Aktion für Gesamtschulen), als Gesamtschullehrer der ersten Stunde in Bielefeld und Gütersloh und vierfacher pensionierter Großvater kann ich zu der Beantragung einer „Modellschule Nord“ nicht schweigen.

Da ich sowohl aktiv am Bildungsgipfel, an der Informationsveranstaltung zur „Modellschule Nord“ teilgenommen und die Papiere des kommenden Bildungs-ausschusses studiert habe, möchte ich Ihnen auf Grundlage dieser Erfahrungen und Papiere meine Gedanken heute zukommen lassen.

Dabei geht es mir nicht um die Störung des „Schulfriedens“, sondern um eine konstruktive Stellungnahme für eine nachhaltige, chancengerechte Schulentwicklung und Teilhabe an kulturell gleichwertigen Schulen für alle Kinder unsere Stadt - unabhängig von Stadtteilen, Elternhäusern und sozialem Status.

Schulentwicklungsplanung und Schulentwicklungspolitik 2012-2015

Schulentwicklungsplanung sollte sich unter der oben genannten Zielsetzung auf die ganze Stadt beziehen. Sie darf sich nicht ohne Not ausschließlich auf einen Stadtteil konzentrieren, weil jede Änderung Auswirkungen auf die Gesamtstruktur haben wird. So gesehen sollte die „Modellschule Nord“ ausschließlich im Kontext einer Gesamtentwicklung betrachtet werden.

Hier setzt Schulentwicklungspolitik an! Welche schulpolitischen Ziele will das Kommunalparlament zuküftig erreichen? Will es der mit den Förderschulen 5-fach gegliederten Gütersloher weiterführenden Schullandschaft eine 6.“Modellschule“ / Sekundarschule hinzufügen, will es den bundesweiten Trend zur Dreizügigkeit (Gymnasien, „Viele-Namen-Schulen“ und Förderschulen) forcieren oder will es bei konsequenter Einführung der Inklusion in allen Sek.I-Schulen auf ein zweigliedriges System hinwirken und welchen Stellenwert sollen dabei die bestehenden Grundschulen einnehmen?

Auf keinen Fall hilft bei dieser Komplexität der durch den Anmeldemodus zur Modellschule erzeugte Zeitdruck bis zu den diesjährigen Herbstferien weiter.
Ferner muss man bei der Begrenztheit auf 15 geförderte Modellschulen auch in Betracht ziehen, dass andere Städte oder Gemeinden den Zuschlag bekommen und Gütersloh leer ausgeht. Wird die „Modellschule Nord“ dann aus Kostengründen fallen gelassen?

Wenn auch die „Modellschule Nord“ zugegeben ein intelligenter Entwurf ist, um Schulschließungen, Kosten und Pfründeabbau zu vermeiden, so überzeugt er nicht im Sinne der oben angegeben Zielsetzung der Chancengerechtigkeit.

Schulentwicklung in Gütersloh wurde zu lange als eine rein quantitative Entwicklungsplanung mit Schülerbestand, Schülerströmen, Raumbedarf u.a. gesehen. Viel entscheidender sind aber Aussagen über die Qualität hinter den Zahlen, z.B. die soziale Zusammensetzung, die familiäre Situation, die Wohnumgebung etc. der Schülerschaft.
Ein qualitatives Datenmaterial würde konsequenter dazu führen, die Gründe für chancengerechte Bildungsteilhabe durch Infrastrukturveränderungen, durch Familien und Bildungspolitik mittel- und langfristig auszugleichen.

Die vor Kurzem von den Autoren Volmer und Grundmann erschienene Dissertation „Emanzipierte Schul- und Bildungspolitik in NRW“, Untertitel „Auf dem Weg von einer zentralen zu einer regionalen Bildungspolitik“ kommt abschließend zu dem Schluss, dass es Land und Kommunen bisher nicht gelingt, gleiche Zugangschancen für alle Schüler zu schaffen.

Im Gegensatz zu den Aussagen der Verwaltung ist die „Modellschule Nord“ m.E. auf lange Sicht auch für den Stadtteil nicht hilfreich.
Sie stabilisiert Vielgliedrigkeit und kann deshalb keine Schule für alle sein, sie wird eine „Ständeschule“ für eine breite und ökonomisch im prekären Verhältnissen lebende Schicht werden und am Ende das Schicksal der heutigen Hauptschulen teilen.

Modellschule 1-10

Die von den Schulleitungen vorgestellten Leitbilder, wie „Eine Schule für alle, Schule der Vielfalt (Heterogenität / Inklusion), Schule der Gemeinschaft im Sozialraum“, „Schule des längeren gemeinsamen Lernens, individueller Förderung und Ganztag“ und „Schule der offenen Abschlüsse“, beinhalten zwar die Begriffe einer „guten“ Schule und sind sicher auch „gut“ gemeint, sie verkennen aber die Realität problematischer Stadtviertel wie auch das Wahlverhalten emanzipatorischer Eltern-häuser in der ganzen Stadt.

Eine Schule für alle benötigt zur Erreichung ihrer Ziele eine gute „Durchmischung“, diese ist aber weder im Primarbereich (Anmeldeüberschuss bildungsferner Eltern-häuser) noch im Sekundarbereich (Anmeldungsdefizit bildungsnaher Elternhäuser) zu erwarten.

Wenn auch versucht werden soll, schulpflichtige Kinder, die vornehmlich die Blücherschule besuchen würden, in die Primarstufe der Modellschule abzuwerben, so kann man unterstellen, dass dies wiederum nur für eine bestimmte Schülerschaft oder ein bestimmtes Wohngebiet zutreffen wird. Ganz sicher wird aber kein Elternteil aus Blankenhagen oder Isselhorst sein Kind in der 1. Klasse der Modellschule anmelden.

Nach Klasse 4 wird sich in der bis dahin zweizügigen Modellschule eine erste Fluktuation vollziehen. Eltern, die sich Hoffnung auf die Fachhochschulreife oder das Abitur machen, werden von der Modellschule Grundschulgutachten verlangen und sich mehrheitlich zu den Gymnasien oder Gesamtschulen orientieren, weil diese die größtmögliche Offenheit der Abschlüsse vorhalten.

In die Klasse 5 kommen nun wegen der vorgesehenen Dreizügigkeit 1-2 Klassen SeiteneinsteigerInnen hinzu, die durch ein spezielles Übergangsprogramm integriert werden müssen. Nach den Kooperationsabsichten sollen diese aus den Grund-schulen Blücher, Blankenhagen und Isselhort, aber auch aus dem gesamten Stadtgebiet rekrutiert werden. Diese werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu den Schülern gehören, für die man Begabtenförderkurse einrichten, geschweige denn Sek.II-Lehrer gewinnen will.

Hinzukommen sollen nun pro Klasse 1-2 SchülerInnen mit sozialpädagogischem Förderbedarf. Ob die betroffenen Elternhäuser ihre Kinder in die oben skizzierte und sich mehrfach wandelnde Umgebung abgeben möchten, bleibt abzuwarten.

Die hehren Ziele der vorgestellten „Modellschule Nord“ lassen sich mit dieser überwiegend homogenen Schülerschaft jedoch nicht realisieren, das ist in vielen Abhandlungen über Stadtteilschulen nachzulesen.

Gebäudenutzung, Büro- und Hausmeisterstellen

Wenn die Modellschule mit Klasse 1 und Klasse 5 in zwei verschiedenen Gebäuden und Stufen beginnen sollte, die Grundschule ihren Betrieb jedoch von Klasse 2-4 und die noch bestehende Haupt- und Realschule ihren Betrieb von Klasse 6 bis 10 aufrechterhalten muss, kommt es ganz sicher zu räumlichen Engpässen und einer Reihe von Abgrenzungsproblemen.
In welcher Weise oder durch welche Umschichtungen hierbei für Abhilfe gesorgt werden könnte, damit die Modellschule auf ein eigenes „Start“-Gebäude zurück-greifen kann, bliebe noch zu klären.

Ob das bisherige nichtpädagogische Personal der 3 bisherigen Schulen ausreicht, aufgestockt oder verringert werden muss, bliebe ebenfalls zu klären.

Konzeptschulen

Die Gemeinschaftsschule Rheinberg (auf diese bezieht sich die Verwaltungsvorlage) ist z.Zt. eine 7-zügige Schule der Sek.I und Sek.II, die sich im Aufbau befindet. Sie schafft mit dem Abitur nach Kl. 13 eine echte Alternative zum Gymnasium. Im Jahrgang 5 haben sich aufgeteilt nach Grundschulempfehlungen im ersten Jahr 18% Haupt-, 60% Real- und 18% Gymnasial-Schüler angemeldet. Dazu kommen 7 SchülerInnen mit sozialpädagogischem Förderbedarf ( = 1 Kind pro Klasse).

Die Gemeinschaftsschule Langenberg (siehe Verwaltungsvorlage) ist z.Zt. eine 3-zügige Schule der Sek.I, die sich ebenfalls im Aufbau befindet. Aktuelle Daten liegen mir von dieser Schule noch nicht vor.

Elterninformationsveranstaltungen

Möchte man Daten zur mittelfristigen Schulentwicklung durch eine Elternbefragung bekommen, müssen auch alle Eltern und die interessierte Öffentlichkeit an den Informationsveranstaltungen teilnehmen können.

Elternbefragung

Ob man nur Ergebnisse für die Modellschulnachfrage ( = verkürzter Fragebogen) oder auch Ergebnisse für die Schulentwicklungsplanung ( = offener Fragebogen) bekommen möchte, hängt allein von der Substanz der Fragen / des Fragebogens ab.

Wenn die Verwaltung alle Eltern anschreibt, deren Kinder z.Zt. in der 1.,2. und 3. Klasse beschult werden, wäre es ein Leichtes, nicht nur die Modellschule zum Ankreuzen aufzuführen, sondern auch alle anderen Sekundarschulen. (Als vorbildlich ist der Fragebogen der Stadt Rheda-Wiedenbrück zur Einführung einer Gesamt-schule zu bewerten.)

Um Mittelfristige Informationen über das Schulwahlverhalten der Eltern zu be-kommen, deren Kinder sich noch im Kindergartenalter befinden und in den Schul-jahren 2013/14 und 2014/15 eingeschult werden, sollte auch hier nicht nur nach der Eingangsstufe der Modellschule gefragt werden, sondern nach den in Augenschein genommenen Grund- und späteren Sek.I.-Schulen.

Hochrechnungen von Ergebnissen aufgrund niedriger Rückmeldungen (wie von der Verwaltung angekündigt) wirken mathematisch logisch, können Ergebnisse aber stark verfälschen.

Alternativen

Wie voraus dargestellt, kann die „Modellschule Nord“ nur funktionieren, wenn sie alle Abschlüsse bis zum Abitur anbietet und wenn es ihr gelingt auch leistungsstärkere Schüler an sich zu binden.
Dabei ist es außerhalb der Bewerbung für die Modellschule unerheblich, ob sie als integrierte Sekundarschule oder Gesamtschule organisiert wird.

Zur Aufrechterhaltung einer kleinen Oberstufe, aber auch für Differenzierung, Wahl-pflichtbereiche etc. im Sek.I-Bereich, wäre eine 4-zügige Modellschule sinnvoller.
Ob eine derartige Modellschule 1-13 als Gesamt- oder Sekundarschule seitens der Landesregierung förderungswürdig wäre, müsste geklärt werden.

Die Schulen mit Oberstufen werden jedenfalls landesweit verstärkt nachgefragt. Während zwischen 2002 und 2011 die Anmeldezahlen für Hauptschulen um 9,4% auf 9,9% sinken, die Realschulen nur geringfügig verlieren, steigerten die Gesamtschulen ihre Schülerzahlen um 3% auf 19% und die Gymnasien um 6,4% auf 41%.
Dieser Trend ist trotz der im Landesvergleich außerordentlich geringen Gymnasial-quote von ca. 33% auch in Gütersloh sichtbar. Während z.B. das städtische Gymnasium im Schuljahr 2012/13 statt der ausgebauten 6 bereits 7 Eingangsklassen bekommen wird, erhielten darüber hinaus noch 50 Schüler eine Absage.

Seit der Einführung von G 8 (der in den Gymnasien um ein Jahr verkürzten Sek.I) stiegen die Anmeldezahlen an die Gütersloher Gesamtschulen im Sek.I- und Sek.II-Bereich an. Für das kommende Schuljahr Kl.5 mussten von den ursprünglich 517 angemeldeten SchülerInnen 173 abgewiesen werden und das, obwohl seitens der auswärtigen Schüler neue Gesamtschulen in Herzebrock-Clarholz und Harsewinkel im gleichen Jahrgang gestartet sind.

Sowohl für die Eltern- und Schülerschaft, als auch für die abnehmende Wirtschaft werden verstärkt höherwertige Abschlüsse als Schlüssel für eine bessere Berufsperspektive angesehen.

Auch Eingangsstufen oder Kooperationen mit nahe gelegenen Grundschulen sind in den sich ähnelnden Schulformen Gesamt- und Sekundarschule gleichermaßen möglich.

Eine echte Reform im Primarbereich wäre es jedoch, die SchülerInnen bis Klasse 6 zusammen zu beschulen, um erst dann Entscheidungen für die weitere Schullauf-bahn zu treffen, wie es z.B. in den Berliner Stadtteilschulen üblich ist. Ob das in NRW im Rahmen der Modellschule möglich wäre, kann ich nicht beantworten.

Kosten und politische Willensbildung

Dass die Umwandlung der bisherigen Schulen im Norden zu einer Modellschule Nord“ seitens der Stadt nicht kostenfrei zu realisieren ist, muss jedem einleuchten, der die Raumsituation und Ausstattung dieser traditionellen Schulen mit einer modernen Schule, die eher in Fach- und Differenzierungsräumen als im Klassenverband stattfindet, vergleicht.
Außerdem muss klar sein, dass die Stadt nach Ende der Modellphase die Mehrkosten langfristig allein aufbringen muss.

Sollten Politik und Verwaltung die Gütersloher Bildungslandschaft nachhaltig im Sinne von Bildungsgerechtigkeit und Potenzialentfaltung verändern wollen, so müssen wesentlich mehr Investitionsmittel bereitgestellt werden.

Die PolitikerInnen mögen (kurz zusammengefasst und pointiert formuliert) darauf achten:
  • dass die Debatte über die Modellschule zu keinem „Schnellschuss“ führt ( = kurzfristige Debatte für eine langfristige Entscheidung),
  • dass die Modellschule kein „Sparmodell“ wird ( = Verschiebung notwendiger Bildungsinvestitionen auf die Landesebene)
  • und dass die Modellschule keine „Mogelpackung“ wird ( = Stabilisierung des danach sechsfach gegliederten Schulsystems, wobei die Modellschule neben den Förderschulen dann den Status einer „Restschule“ erlangt, was zu Lasten der Kinder geht)



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