Die Sekundarschule steht heute auf der Tagesordnung des Bildungsausschusses. Aus diesem Anlass nehme ich eine Stellungnahme von Jürgen Zimmermann auf meinen Blog: (Das Schreiben ist gleichermaßen auch an die Verwaltung, die Politiker und die örtliche Presse gegangen)
Stellungnahme zu den
Plänen einer „Modellschule Nord“-
Beantragung im Rahmen der Schulentwicklungsplanung 2012-2015
„Wer nichts will
als die Gegenwart, wäre gewiss nicht ihr Schöpfer gewesen."
Jean Paul
Jean Paul
Als Gütersloher
Bürger, als ehemaliger Ratsherr, als einer der Initiatoren der GAG
(Gütersloher Aktion für Gesamtschulen), als Gesamtschullehrer der
ersten Stunde in Bielefeld und Gütersloh und vierfacher
pensionierter Großvater kann ich zu der
Beantragung einer „Modellschule Nord“ nicht schweigen.
Da ich sowohl aktiv am Bildungsgipfel, an der Informationsveranstaltung zur „Modellschule Nord“ teilgenommen und die Papiere des kommenden Bildungs-ausschusses studiert habe, möchte ich Ihnen auf Grundlage dieser Erfahrungen und Papiere meine Gedanken heute zukommen lassen.
Dabei geht es mir nicht
um die Störung des „Schulfriedens“, sondern um eine konstruktive
Stellungnahme für eine nachhaltige, chancengerechte Schulentwicklung
und Teilhabe an kulturell gleichwertigen Schulen für alle Kinder
unsere Stadt - unabhängig von Stadtteilen,
Elternhäusern und sozialem Status.
Schulentwicklungsplanung
und Schulentwicklungspolitik 2012-2015
Schulentwicklungsplanung
sollte sich unter der oben genannten Zielsetzung auf die ganze Stadt
beziehen. Sie darf sich nicht ohne Not ausschließlich auf einen
Stadtteil konzentrieren, weil jede Änderung Auswirkungen auf die
Gesamtstruktur haben wird. So gesehen sollte die „Modellschule
Nord“ ausschließlich im Kontext einer Gesamtentwicklung betrachtet
werden.
Hier setzt
Schulentwicklungspolitik an! Welche schulpolitischen Ziele will das
Kommunalparlament zuküftig erreichen? Will es der mit den
Förderschulen 5-fach gegliederten Gütersloher
weiterführenden Schullandschaft eine 6.“Modellschule“ /
Sekundarschule hinzufügen, will es den bundesweiten Trend zur
Dreizügigkeit (Gymnasien, „Viele-Namen-Schulen“ und
Förderschulen) forcieren oder will es bei konsequenter Einführung
der Inklusion in allen Sek.I-Schulen auf ein zweigliedriges System
hinwirken und welchen Stellenwert sollen dabei die bestehenden
Grundschulen einnehmen?
Auf keinen Fall hilft
bei dieser Komplexität der durch den
Anmeldemodus zur Modellschule erzeugte Zeitdruck bis zu den
diesjährigen Herbstferien weiter.
Ferner
muss man bei der Begrenztheit auf 15 geförderte Modellschulen auch
in Betracht ziehen, dass andere Städte oder Gemeinden den Zuschlag
bekommen und Gütersloh leer ausgeht. Wird die „Modellschule Nord“
dann aus Kostengründen fallen gelassen?
Wenn auch die
„Modellschule Nord“ zugegeben ein intelligenter Entwurf ist, um
Schulschließungen, Kosten und Pfründeabbau zu
vermeiden, so überzeugt er nicht im Sinne der oben angegeben
Zielsetzung der Chancengerechtigkeit.
Schulentwicklung in
Gütersloh wurde zu lange als eine rein quantitative
Entwicklungsplanung mit Schülerbestand, Schülerströmen, Raumbedarf
u.a. gesehen. Viel entscheidender sind aber Aussagen über die
Qualität hinter den Zahlen, z.B. die soziale
Zusammensetzung, die familiäre Situation, die Wohnumgebung etc. der
Schülerschaft.
Ein qualitatives
Datenmaterial würde konsequenter dazu führen,
die Gründe für chancengerechte Bildungsteilhabe durch
Infrastrukturveränderungen, durch Familien und Bildungspolitik
mittel- und langfristig auszugleichen.
Die vor Kurzem
von den Autoren Volmer und Grundmann erschienene Dissertation
„Emanzipierte Schul- und Bildungspolitik in NRW“, Untertitel „Auf
dem Weg von einer zentralen zu einer regionalen Bildungspolitik“
kommt abschließend zu dem Schluss, dass es Land und Kommunen bisher
nicht gelingt, gleiche Zugangschancen für alle Schüler zu schaffen.
Im Gegensatz zu den
Aussagen der Verwaltung ist die „Modellschule Nord“ m.E. auf
lange Sicht auch für den Stadtteil nicht hilfreich.
Sie stabilisiert
Vielgliedrigkeit und kann deshalb keine Schule
für alle sein, sie wird eine „Ständeschule“ für eine breite
und ökonomisch im prekären Verhältnissen lebende Schicht werden
und am Ende das Schicksal der heutigen Hauptschulen teilen.
Modellschule 1-10
Die
von den Schulleitungen vorgestellten Leitbilder, wie „Eine Schule
für alle, Schule der Vielfalt (Heterogenität / Inklusion), Schule
der Gemeinschaft im Sozialraum“, „Schule des längeren
gemeinsamen Lernens, individueller Förderung und Ganztag“ und
„Schule der offenen Abschlüsse“, beinhalten zwar die Begriffe
einer „guten“ Schule und sind sicher auch „gut“ gemeint, sie
verkennen aber die Realität problematischer Stadtviertel wie auch
das Wahlverhalten emanzipatorischer Eltern-häuser in der ganzen
Stadt.
Eine Schule für alle
benötigt zur Erreichung ihrer Ziele eine gute „Durchmischung“,
diese ist aber weder im Primarbereich (Anmeldeüberschuss
bildungsferner Eltern-häuser) noch im Sekundarbereich
(Anmeldungsdefizit bildungsnaher Elternhäuser) zu erwarten.
Wenn auch versucht
werden soll, schulpflichtige Kinder, die vornehmlich die
Blücherschule besuchen würden, in die Primarstufe der Modellschule
abzuwerben, so kann man unterstellen, dass dies wiederum nur für
eine bestimmte Schülerschaft oder ein bestimmtes Wohngebiet
zutreffen wird. Ganz sicher wird aber kein Elternteil aus
Blankenhagen oder Isselhorst sein Kind in der 1. Klasse der
Modellschule anmelden.
Nach Klasse 4 wird sich
in der bis dahin zweizügigen Modellschule eine erste Fluktuation
vollziehen. Eltern, die sich Hoffnung auf die Fachhochschulreife oder
das Abitur machen, werden von der Modellschule Grundschulgutachten
verlangen und sich mehrheitlich zu den Gymnasien oder Gesamtschulen
orientieren, weil diese die größtmögliche Offenheit der Abschlüsse
vorhalten.
In die Klasse 5 kommen
nun wegen der vorgesehenen Dreizügigkeit 1-2
Klassen SeiteneinsteigerInnen hinzu, die durch ein spezielles
Übergangsprogramm integriert werden müssen. Nach den
Kooperationsabsichten sollen diese aus den Grund-schulen Blücher,
Blankenhagen und Isselhort, aber auch aus dem gesamten Stadtgebiet
rekrutiert werden. Diese werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu
den Schülern gehören, für die man Begabtenförderkurse einrichten,
geschweige denn Sek.II-Lehrer gewinnen will.
Hinzukommen
sollen nun pro Klasse 1-2 SchülerInnen mit sozialpädagogischem
Förderbedarf. Ob die betroffenen Elternhäuser ihre Kinder in die
oben skizzierte und sich mehrfach wandelnde Umgebung abgeben möchten,
bleibt abzuwarten.
Die hehren
Ziele der vorgestellten „Modellschule Nord“ lassen sich mit
dieser überwiegend homogenen Schülerschaft jedoch nicht
realisieren, das ist in vielen Abhandlungen über Stadtteilschulen
nachzulesen.
Gebäudenutzung,
Büro- und Hausmeisterstellen
Wenn die Modellschule
mit Klasse 1 und Klasse 5 in zwei verschiedenen Gebäuden und Stufen
beginnen sollte, die Grundschule ihren Betrieb jedoch von Klasse 2-4
und die noch bestehende Haupt- und Realschule ihren Betrieb von
Klasse 6 bis 10 aufrechterhalten muss, kommt es ganz sicher zu
räumlichen Engpässen und einer Reihe von Abgrenzungsproblemen.
In welcher Weise
oder durch welche Umschichtungen hierbei für Abhilfe gesorgt werden
könnte, damit die Modellschule auf ein eigenes „Start“-Gebäude
zurück-greifen kann, bliebe noch zu klären.
Ob das bisherige
nichtpädagogische Personal der 3 bisherigen
Schulen ausreicht, aufgestockt oder verringert werden muss, bliebe
ebenfalls zu klären.
Konzeptschulen
Die Gemeinschaftsschule
Rheinberg (auf diese bezieht sich die Verwaltungsvorlage) ist z.Zt.
eine 7-zügige Schule der Sek.I und Sek.II, die sich im Aufbau
befindet. Sie schafft mit dem Abitur nach Kl. 13 eine echte
Alternative zum Gymnasium. Im Jahrgang 5 haben sich aufgeteilt nach
Grundschulempfehlungen im ersten Jahr 18% Haupt-, 60% Real- und 18%
Gymnasial-Schüler angemeldet. Dazu kommen 7 SchülerInnen mit
sozialpädagogischem Förderbedarf ( = 1 Kind pro Klasse).
Die Gemeinschaftsschule
Langenberg (siehe Verwaltungsvorlage) ist z.Zt.
eine 3-zügige Schule der Sek.I, die sich ebenfalls im Aufbau
befindet. Aktuelle Daten liegen mir von dieser Schule noch nicht vor.
Elterninformationsveranstaltungen
Möchte
man Daten zur mittelfristigen Schulentwicklung durch eine
Elternbefragung bekommen, müssen auch alle Eltern und die
interessierte Öffentlichkeit an den Informationsveranstaltungen
teilnehmen können.
Elternbefragung
Ob man nur Ergebnisse
für die Modellschulnachfrage ( = verkürzter Fragebogen) oder auch
Ergebnisse für die Schulentwicklungsplanung ( =
offener Fragebogen) bekommen möchte, hängt allein von der Substanz
der Fragen / des Fragebogens ab.
Wenn die Verwaltung
alle Eltern anschreibt, deren Kinder z.Zt. in der
1.,2. und 3. Klasse beschult werden, wäre es ein Leichtes, nicht nur
die Modellschule zum Ankreuzen aufzuführen, sondern auch alle
anderen Sekundarschulen. (Als vorbildlich ist der Fragebogen der
Stadt Rheda-Wiedenbrück zur Einführung einer Gesamt-schule zu
bewerten.)
Um Mittelfristige
Informationen über das Schulwahlverhalten der Eltern zu be-kommen,
deren Kinder sich noch im Kindergartenalter befinden und in den
Schul-jahren 2013/14 und 2014/15 eingeschult werden, sollte auch hier
nicht nur nach der Eingangsstufe der Modellschule gefragt werden,
sondern nach den in Augenschein genommenen Grund- und späteren
Sek.I.-Schulen.
Hochrechnungen
von Ergebnissen aufgrund niedriger Rückmeldungen (wie von der
Verwaltung angekündigt) wirken mathematisch logisch, können
Ergebnisse aber stark verfälschen.
Alternativen
Wie voraus
dargestellt, kann die „Modellschule Nord“ nur funktionieren, wenn
sie alle Abschlüsse bis zum Abitur anbietet und wenn es ihr gelingt
auch leistungsstärkere Schüler an sich zu binden.
Dabei ist es außerhalb
der Bewerbung für die Modellschule unerheblich, ob sie als
integrierte Sekundarschule oder Gesamtschule organisiert wird.
Zur Aufrechterhaltung
einer kleinen Oberstufe, aber auch für
Differenzierung, Wahl-pflichtbereiche etc. im Sek.I-Bereich, wäre
eine 4-zügige Modellschule sinnvoller.
Ob eine derartige
Modellschule 1-13 als Gesamt- oder Sekundarschule seitens der
Landesregierung förderungswürdig wäre, müsste geklärt werden.
Die Schulen mit
Oberstufen werden jedenfalls landesweit verstärkt
nachgefragt. Während zwischen 2002 und 2011 die Anmeldezahlen für
Hauptschulen um 9,4% auf 9,9% sinken, die Realschulen nur geringfügig
verlieren, steigerten die Gesamtschulen ihre Schülerzahlen um 3% auf
19% und die Gymnasien um 6,4% auf 41%.
Dieser Trend ist trotz
der im Landesvergleich außerordentlich geringen Gymnasial-quote von
ca. 33% auch in Gütersloh sichtbar. Während z.B. das städtische
Gymnasium im Schuljahr 2012/13 statt der ausgebauten 6 bereits 7
Eingangsklassen bekommen wird, erhielten darüber hinaus noch 50
Schüler eine Absage.
Seit der Einführung
von G 8 (der in den Gymnasien um ein Jahr verkürzten Sek.I) stiegen
die Anmeldezahlen an die Gütersloher Gesamtschulen im Sek.I- und
Sek.II-Bereich an. Für das kommende Schuljahr Kl.5 mussten
von den ursprünglich 517 angemeldeten SchülerInnen 173 abgewiesen
werden und das, obwohl seitens der auswärtigen Schüler neue
Gesamtschulen in Herzebrock-Clarholz und Harsewinkel im gleichen
Jahrgang gestartet sind.
Sowohl für die Eltern-
und Schülerschaft, als auch für die abnehmende
Wirtschaft werden verstärkt höherwertige Abschlüsse als Schlüssel
für eine bessere Berufsperspektive angesehen.
Auch Eingangsstufen
oder Kooperationen mit nahe gelegenen Grundschulen sind in den sich
ähnelnden Schulformen Gesamt- und Sekundarschule gleichermaßen
möglich.
Eine echte Reform
im Primarbereich wäre es jedoch, die SchülerInnen bis Klasse 6
zusammen zu beschulen, um erst dann Entscheidungen für die weitere
Schullauf-bahn zu treffen, wie es z.B. in den Berliner
Stadtteilschulen üblich ist. Ob das in NRW im Rahmen der
Modellschule möglich wäre, kann ich nicht beantworten.
Kosten und
politische Willensbildung
Dass
die Umwandlung der bisherigen Schulen im Norden zu einer Modellschule
Nord“ seitens der Stadt nicht kostenfrei zu realisieren ist, muss
jedem einleuchten, der die Raumsituation und Ausstattung dieser
traditionellen Schulen mit einer modernen Schule, die eher in Fach-
und Differenzierungsräumen als im Klassenverband stattfindet,
vergleicht.
Außerdem muss klar
sein, dass die Stadt nach Ende der Modellphase die Mehrkosten
langfristig allein aufbringen muss.
Sollten Politik
und Verwaltung die Gütersloher Bildungslandschaft nachhaltig im
Sinne von Bildungsgerechtigkeit und Potenzialentfaltung verändern
wollen, so müssen wesentlich mehr Investitionsmittel bereitgestellt
werden.
Die PolitikerInnen
mögen (kurz zusammengefasst und pointiert
formuliert) darauf achten:
- dass die Debatte über die Modellschule zu keinem „Schnellschuss“ führt ( = kurzfristige Debatte für eine langfristige Entscheidung),
- dass die Modellschule kein „Sparmodell“ wird ( = Verschiebung notwendiger Bildungsinvestitionen auf die Landesebene)
- und dass die Modellschule keine „Mogelpackung“ wird ( = Stabilisierung des danach sechsfach gegliederten Schulsystems, wobei die Modellschule neben den Förderschulen dann den Status einer „Restschule“ erlangt, was zu Lasten der Kinder geht)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen