Drei Kubikmeter Raum
Der
Vorhang der Kabine ist einen Spalt breit offen geblieben. Deutlich kann ich
einen Frauenkörper erkennen. Mal zeigt sich ein Arm, mal die Hälfte
eines ziemlich prallen Hinterns in und um einen in bleu gehaltenen
Slip. Die Dame beugt sich nach vorne, der Rest des Körpers
verschwindet in einer Kippbewegung aus dem Sichtfeld. Was dem
Betrachter bleibt, ist ein welker Vollmond in blau. Taktvoll schaue
ich zur Seite, um direkt am breiten Grinsen einer anderen Wartenden
hängen zu bleiben. Sie hatte dem Schauspiel vor uns auch zugeschaut,
war aber nicht so rücksichtsvoll wie ich. Laut und provokant
kommentiert sie das Gesehene, „die hätte sich lieber hinter einer
Holztür verstecken sollen“. Die Lacher der übrigen meist mit
Kleiderstapeln vollbeladenen Mädchen sind ihr sicher. Die Situation
ist eindeutig und lässt keinen Raum für wohlwollende
Interpretationen: Die Zielscheibe des Spotts hinter dem Vorhang ist
eindeutig zu fett. Ob der verunglimpfte Popo das auch gehört hatte,
konnte ich nicht beurteilen, jedenfalls blieb die Gardine im Zustand
wie gesehen und bewegte sich nicht. Ich stehe ganz ungewohnt für
mich in einer langen Schlange der Wartenden vor einer Reihe von
Umkleidekabinen und beobachte eher nebenbei das Phänomen „Frauen“
und deren Verhalten in eben diesen Kabinetten des Grauens.
Ein Ort der Überraschungen |
Steht
man schließlich vor einer solchen Kabine, liegt meistens schon ein
längerer Weg eigenartiger Gefühlswallungen hinter einem Jeden, der
sie nutzt. Es sind meist euphorische Gefühle von Lust und Gier für
deren Heftigkeit man sich manchmal sogar schämen muss. Objekte
dieser Gier sind in der Regel Textilien, von Unterwäsche bis
Damenmäntel, welche die Jägerinnen eilig in dieses willkommene
Versteckt hineintragen
Die
gemeine Umkleidekabine ist im besten Fall nicht größer als
einskommazwei Quadratmeter, das heißt ein Meter zehn mal ein Meter
zehn. Aber streng genommen ist nicht die Bodenfläche entscheidend,
sondern doch eher die Kubikmeterzahl, denn das ist die eigentliche
Projektionsfläche für das darin stattfindende Körperschauspiel.
Sagen wir mal, es handelt sich hier um ganze 3 Kubikmeter Raum. Das
ist großzügig gerechnet, denn in weit allen Fällen sind die
Kabinen wie die Erdbeben-Richterskala nach oben hin offen und
verlieren sich nicht selten in spärlich abgehängten
Deckenkonstruktionen oder geschwärzten Deckenbemalungen, damit man
das Kabelwirrwar nicht direkt sehen kann. Aber kaum jemand schaut
hier einmal bewusst nach oben. Außer mir
natürlich. Ich bin ein politisch aufgeklärter Mensch, verfolge
immer brav die Nachrichten und weiß daher seit der Geschichte mit
dem Lidl und sonstigen börsennotierten Unternehmungen, wie schnell
Kunden oder die Bürger an sich unrechtmäßig überwacht werden.
Will heißen, ich suche immer, und ich meine auch immer, nach
versteckten Kameras und bin erst zufrieden, wenn ich wirklich alle
Indizien für deren Anwesenheit ausgeschlossen habe.
Zu
einer solch gesetzeswidrigen Installation bieten sich nämlich gerade
die undurchsichtigen Deckenverkleidungen direkt an. Sie sind
sozusagen Mutterboden für derart perfide Ideen. Die Vorstellung, ich
bin nicht alleine in einer solchen Kabine, sondern der schmierige
unterbezahlte Hausdedektiv in seinem verwaschenen Trenchcoat ist mit
seinen Augen gleichzeitig Gast in diesem engen Karton, erzürnt mich
regelrecht. Nicht, dass ich etwa keine reinen Absichten hätte, also
das Klauen von Textilien kommt mir dabei nicht in den Sinn. Es ist
schlicht eine simple Frage der Würde, einen Menschen ungefragt zu
beobachten. Dafür oder dagegen gibt es in unserem Staat noch
Gesetze, auf Verstoß steht Knast. Außerdem möchte ich immer noch
alleine bestimmen, wer meine Unterwäsche sieht und wer nicht. Es ist
schon ausreichend persönliche Preisgabe dabei, meine Socken und
einen Hauch weißen Beines unter der Gardine sichtbar zu machen.
Umkleiden
sind übrigens ein Einrichtungsgegenstand, der niemals wirklich aus
dem Ambiente verschwindet. Platziert sind diese immergrünen
Verstecke dezent im hinteren Bereich eines Geschäftes, dort wo
Intimspähre und Sicherheit für die Nutzer gewährleistet scheinen –
wenn sie eben nicht videoüberwacht sind.
Ansonsten
ist es eine Errungenschaft, die ihren Charme durch alle Krisen,
Währungsreformen, Moden und wirtschaftlichen Trends behalten hat.
Sie ist ein Dinosaurier der menschlichen Sehnsucht nach
Wandlungsfähigkeit. Kurz gesagt, die Umkleidekabine ist ein
humanistischer Kubus, ein Zauberwürfel, aus dem man anders
herauskommt als man hineingegangen ist. Sie ist ein Kulturgut erster
Klasse, immerhin sind in ihr schon ganze Generationen verschwunden
und mit der Moderne der nächsten Saison wieder auf der Bildfläche
erschienen.
Im
Allgemeinen fristet die gemeine Kabine ein beschauliches Dasein. In
ganz besonderen Zeiten von reduzierten Preisen und roten
Rabattschildchen aber verwandelt sich schon der Raum vor ihr zuweilen
in ein wahres Schlachtfeld. Die Front der Kabine ist gleichzeitig
Kriegsschauplatz für den Kampf der Geschlechtsgenossinnen,
öffentliche Hinrichtungsfläche für alle, die nicht dem gängigen
Maß entsprechen. Front, nämlich dann, wenn sich besonders das
weibliche Geschlecht in zentnerschwere vor dem Bauch geraffte
Textilien zu Billigpreisen krallt und sich und die Beute rachsüchtig
nach allen Seiten hin verteidigt. Dann wird mit Argusaugen gespäht,
dass sich keiner vordrängelt. Alle wissen, wer als nächster
drankommt aus der langen Schlange der Wartenden. Immer auf dem
Sprung, verbal zuzuschlagen und auf keine Fall auf Beute zu
verzichten.
Neulich
durfte ich diesem Raubtiergebaren wieder einmal aus nächster Nähe
beiwohnen. Bei uns um die Ecke gibt es ein sogenanntes Factory-Outlet
eines namhaften und teuren Modeherstellers. Hersteller ist in dem
Fall fast nicht zutreffend, jeder weiß, dass die Produktion
mittlerweile ins Billiglohnland Asien verlagert wird, wo flinke zarte
(Kinder?-) Hände die Nähte setzen. Aber das stört keinen im
Kaufrausch. Wie anatomisch vorgesehen sitzen die Kabinette ganz
hinten im Verkaufstorso aufgereiht. Ganze zwölf an der Zahl. Das ist
viel und auch wieder wenig gemessen an den tausenden Quadratmetern
Garderobenstangenfläche prall gefüllt mit Textilien aller Größen,
Farben und Formen. Die Zauberwürfel sind hier in weiß gehalten,
Trennwände wie zu erwarten aus hellhörigem Material. Ein winziges
Stück Stoff in beige trennt ihr Innenleben vom Rest der Welt. In
Kampfzeiten der Preisrabatte wünscht man sich schon mal einen
festeren Stoff der Trennung, der eher einer Festung gleichen möge,
damit keiner ungefragt hineingrätschen kann.
Mehr nur auf besonderen Wunsch....
Hioer geht's weiter mit "Enthüllungen" bei Abgeordnetenwatch - die transparente Enthüllungkabine für Lobbyismus
AntwortenLöschen60.000 Euro von Bertelsmann und andere Beispiele: Das verdienen Europaabgeordnete nebenher
http://tinyurl.com/czaaew6
Auch der Europaabgeordnete Elmar Brok aus Nordrhein-Westfalen gehört zu den Volksvertretern mit einem gut bezahlten Nebenjob. Unbekannt war bislang die Höhe seines Beratergehalts bei der Bertelsmann AG, Europas größtem Medienkonzern. Jetzt kommt heraus: Als “Senior Vice President Media Development” kassierte Brok zuletzt ein Gehalt der Stufe 3, also 60.000 bis 120.000 Euro jährlich.