Bild

Bild

Samstag, 28. Januar 2012

Dornröschenschlaf in Sachen Kinder und Zukunft

Betreuung und OGS. Nur Prio B?
Plötzliches Erwachen: Die Zeit beim Kita-Bau laufe davon. Bis zum 1. August 2013 müssen die Kitas und damit die Plätze für die Betreuung der unter 3-Jährigen fertig sein. Ab dann haben Eltern einen Rechtsanspruch darauf, den sie einklagen können. Jetzt werden Lösungen gesucht. Allen voran sucht Dezernent für Jugend und Soziales Joachim Martensmeier.

Dornröschenschlaf
Da reibt man sich die Augen: Wer hat hier eigentlich die Impulse zum Thema in den letzten Jahren verpennt? Der Donröschenschlaf bei der Schaffung von Betreuungsplätzen beginnt schon beim Bund. Die deutliche Kritik an der derzeitigen Familienministerin Kristina Schröder war aller Orten zu vernehmen. Da mag man noch an einen parteipolitischen Zusammenhang denken - denn sie setzt bekanntlich auf das Betreuungsgeld - die sogenannte "Herdprämie" - Frauen sollen lieber zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern. Gleichzeitig ist das Bundesland NRW Schlusslicht, was die Betreuungsquote angeht, man schafft hier nur 15,9 Prozent und hat damit die rote Lampe um den Hals hängen, was die Versorgung mit Betreuungsplätzen im Vergleich mit anderen Bundesländern angeht.

Offensichtlich ist aber der Dornröschenschlaf auch in Gütersloh geschlafen worden, wenn jetzt beim Aufwachen zwischen Suppe und Kartoffeln schnelle Entscheidungen getroffen werden sollen. 




Bedarf gewachsen - das war kein Geheimnis
Dass ein stetig wachsender Bedarf an Betreuung für Kinder da ist, dürfte nun wirklich kein Geheimnis mehr gewesen sein. Schon zu der Zeit als mein eigenes Kind im Kindergarten war, waren die Kita-Plätze rar gesät und heiß begehrt. Ich erinnere mich noch gut an eine Betreuungsquote der unter 3-Jährigen von um die 3 Prozent in Gütersloh. Das Los entschied damals über drei (!) Plätze, die für Kinder zu vergeben waren, die nach der Grundschule eine Nachmittagsbetreuung brauchten. Das ist nun rund 15 Jahre her. Und wir haben keinen solchen Platz bekommen. 
Der Trend aber nahm zu. Das konnte man auch in Gütersloh nicht übersehen. Wie kann man da auf kommunaler Ebene so wenig vorausschauend planen und organisieren?

"Wir haben keine Zahlen"
Gleiches gilt für die Aussage des Dezernenten Martensmeier, der erklärt, es gebe keine genauen Zahlen. In der Vorlage zum Jugendhilfeausschuss am 10.3.2011 steht der Tagesordnungspunkt "Ergebnisse und Auswertung der Elternumfrage 2010 über die Betreuung von Kindern unter 3 Jahren". Hier wird darauf hingewiesen: "Der Fachbereich Jugend und Bildung führt seit dem Jahr 2004 im zweijährigen Rhythmus Elternbefragungen durch mit dem Ziel, die Betreuungswünsche der Eltern von Kindern unter drei Jahren zu erfahren und hieraus Rückschlüsse für den zukünftigen U3-Betreuungsbedarf in Gütersloh ziehen zu können." Es gibt offensichtlich Daten. Hier findet sich folgender Passus: "Die Zahl der Eltern, die einen Platz in einer Kindertageseinrichtung wünschen, ist gegenüber den ca. 85 % der Vorjahre auf nunmehr 91 % gestiegen. Der Anteil der Eltern, die noch keinen Betreuungsplatz haben und zukünftig die Kindertagespflege in Anspruch nehmen möchten, liegt bei 9 %. Werden die 23 Rückmeldungen, die die Tagespflege als mögliche Alternative benannt haben, hier voll berücksichtigt, steigt der Anteil auf 14,3%. In der aktuellen Belegungssituation stehen 397 U3-Plätzen in Tageseinrichtungen rd. 125 belegten Plätzen in der Tagespflege gegenüber, was ungefähr einem Verhältnis von 76 zu 24 % entspricht. Erfahrungsgemäß ist jedoch zu erwarten, dass die Anzahl der in der Tagespflege betreuten Kinder im Frühjahr 2011 weiter ansteigen wird aufgrund derjenigen Kinder, die im Laufe des Frühjahres nicht in einer Tageseinrichtung aufgenommen werden können. Der vom Bund geplante Ausbau an Plätzen für unter Dreijährige, der eine Verteilung von 70% (Kindertagesstätte) und 30% (Kindertagespflege) vorsieht, trifft demnach für die Stadt Gütersloh nicht (mehr) zu und ist auch nach Meinung der Fachöffentlichkeit (Rauschenbach DJI, München) nicht realistisch. Die Rückmeldungen der Eltern lassen für Gütersloh vielmehr eine Einschätzung zu, die von 80% zu 20% bis 90% zu 10% reicht."

Am Schluss findet sich die Zusammenfassung: "Die Anzahl der Eltern, die einen Betreuungsplatz für ihr Kind unter drei Jahren wünschen bzw. benötigen, ist erneut angestiegen, denn obwohl im Kindergartenjahr 2010/2011 bereits über 500 Kinder unter 3 Jahren einen Betreuungsplatz haben, sind immer noch 435 Rückmeldungen (davon sind 20 Kinder zum gewünschten Betreuungszeitpunkt bereits älter als 3 Jahre) eingegangen, die darüber hinaus noch einen Betreuungsplatz wünschen."

Keine politische Lobby für Kinder und Zukunft?!
Am 10.3.2011 findet sich dann die Vorlage "Jugendhilfeplanung - Teilplan „Fachplanung Tagesbetreuung von Kindern - 2010 bis 2015“. Der Jugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung, das Betreuungsangebot für Kinder unter 3 Jahren bis zum Jahr 2013 auf 464 Plätze in Tageseinrichtungen und rd. 190 Plätze in der Tagespflege auszubauen, sofern und soweit die dafür vorgesehene Landesförderung realisiert werden kann (Ausbaustufe 1). Die weiteren Ausbaustufen 3, 4, 5 und 6 werden dem Jugendhilfeausschuss im ersten Halbjahr 2012 zur Beratung und Beschlussfassung vorgelegt. Ferner wird die Verwaltung wird beauftragt, die Ausbaustufen 3, 4, 5 und 6 bis zur Antragsreife vorzubereiten.

In der Diskussion wird deutlich, wie extrem weggeduckt hier gehandelt wird. Martensmeier
hebt in seiner Begründung die Bedeutung der zu treffenden Entscheidung in
familienpolitischer, sozialer und finanzieller Hinsicht hervor. Er begründet den abgestuften Verfahrensvorschlag mit den in der Vorlage geschilderten Risiken. Auf diese Art und Weise werde die Balance gewahrt, das jetzt Notwendige zu tun und andererseits vor dem Hintergrund der vielen Unabwägbarkeiten nichts festzuzurren, was sich später möglicherweise als Fehlentscheidung erweisen könne.
Der Vertreter der CDU "nimmt den hohen finanziellen Bedarf" zur Kenntnis und sieht die Stadt Gütersloh von einem Haushaltsausgleich weit entfernt. Die abgestufte Vorgehensweise der Verwaltung sei daher richtig. Die FDP beantragt sogar die Vertagung der Abstimmung über die Vorlage und will weitere Prüfungen ob der finanziellen Belastung. Am Ende wird das Vorgehen einstimmig beschlossen - unter Stimmenthaltung der FDP.

Eine Frage der Priorität
Nach der Lektüre der Vorgeschichte bin ich nun wenig erstaunt, dass erst für den 2.2.2012 eine Vorlage für den Jugendhilfeausschuss vorliegt, mit der über den weiteren Ausbau diskutiert wird. Betrachtet man die politische Diskussion in der Stadt Gütersloh in den letzten Monaten und Jahren in Gänze, wird deutlich, wie wenig in die eigentlichen Zukunftsthemen wie Kita, Kindergarten und Bildung investiert wird: angefangen bei der simplen Diskussion darüber, wie wir uns eigentlich die Zukunft hier vorstellen bis hin zur Frage des Geldes, die nicht mal die wichtigste Frage ist.

Denn schon wird auch deutlich, dass gleichfalls die Ausgestaltung der "Offenen Ganztagsgrundschule" deutliche Mängel aufweist. Auch hier heißt es, man sei überrascht, dass so viel Eltern das Angebot der OGS nutzen. Der hohen Nachfrage nach Qualität und Quantität wird in der Realität kaum entsprochen. 
 
Zur Erklärung der schieren Ignoranz beider Themen, Betreuung und Ganztag, mögen zwei Ursachen taugen: 1. Die in Rat und Ausschuss vertretenen Mitglieder weisen einen Altersdurchschnitt von Mitte 50 auf. Sind also weit von Kinderbetreuung und Schule entfernt - die eigenen Kinder sind aus dem Gröbsten raus und der Blick auf die Einrichtungen ist demnach ein sehr ferner. 2. Die politische Klasse (und Stadt) interessiert sich weit mehr für einfach strukturierte Inhalte, wie "besseres Shoppen in der Innenstadt von Porta bis Kolbeplatz" und Vergnügungsstätten wie Stadthalle, Theater und Hallenbad und verdingen sich mit Kleinteiligem, weil überschaubar.
 
Mich treibt dabei nur die Frage um, welche fatale Weichenstellung damit für unsere Stadt eigentlich eingeschlagen ist? Wenn schon der steigende Betreuungsbedarf erst spät bis gar nicht realisiert wird, wenn auch die Qualität der Ganztagsbetreuung schon jetzt erkennbare Mängel aufweist und kaum Reaktion erzeugt, wie lange wollen die Entscheider noch warten, bis sie sich diesen Themen mit ganzer Aufmerksamkeit widmen wollen? Bis das Kind im Brunnen liegt?
 
Wie lange dauerte der Dornröschenschlaf noch mal?



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen