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Mittwoch, 1. Juni 2011

Mein Besuch im Sprachkurs, Teil 1

Wie viele Wörter in deutsch muss man eigentlich können, um den Alltag in Deutschland zu meistern? Und was passiert in einem Sprachkurs? Das waren meine Ausgangsfragen. Antworten darauf fand ich hier:

Da stand ich nun vor der Tür der Sprachschule im Internationalen Zentrum der AWO, ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zugelassener Anbieter für Integrationskurse. Es ist kurz vor neun Uhr, mitten in der Bielefelder Innenstadt. In der sonst so überfüllten Einkaufszone kommen mir nur Fensterputzer und Lieferwagen entgegen. Heute besuche ich zwei Sprachkurse für Deutsch, einen für Fortgeschrittene, einen für Anfänger.

Sabine Stallbaum, Leiterin der Sprachqualifizierung der AWO, holt mich ab. Ein paar Stufen und wir stehen in der 1. Etage auf dem Gang vor den Klassenräumen. Die Türen stehen auf, ich spähe hinein. Sieht aus wie Schule: Tafel und Tische. Die Lehrerin steht vorn.

Heute konjugieren wir "können"!
Der Integrationskurs ist eine Maßnahme zum Erwerb deutscher Sprachkenntnisse für Ausländer in Deutschland. Diese sind seit dem 1. Januar 2005 verpflichtend. Teilnehmer können nach § 44 des Aufenthaltsgesetzes zu diesem 645-stündigen Deutschkurs verpflichtet werden. Die Kosten werden vom BAMF übernommen, jeder Teilnehmer trägt allerdings einen Eigenanteil von 1 Euro pro Stunde.
Die ersten Schüler warten ebenfalls vor der Tür, zwei junge Männer, unterhalten sich in einer mir unverständlichen Sprache, lachen. Ihre Bücher und Hefte tragen sie unter dem Arm geklemmt. Einer transportiert sie in einer Plastiktüte. „Meine bunte Welt“ steht drauf, unter dem Logo findet sich ein Schriftzug in Arabisch, mit Kugelschreiber drauf gekritzelt, daneben ein Herz.

Der Sprachkurs ist aufgeteilt in einen Basis- und einen Aufbausprachkurs. Das Ziel: Die Teilnehmer sollen sich im Alltag auf Deutsch verständigen können. Das Sprachniveau heißt „ B1“ und entspricht dem „Europäischen Referenzrahmen“. Das Rahmencurriculum zeigt Lebensbereiche auf, in denen sich Migranten in Deutschland bewegen. Anhand einer umfassenden Liste von Lernzielen beschreibt es, wie sie sprachlich handeln können müssen, um den Herausforderungen des Alltags zu begegnen – heißt es offiziell.

In einem kurzen Vorgespräch erläutern mir die drei Lehrenden, wie sehr sich die Sprachkurse verändert haben, seit sie verpflichtend eingeführt wurden. „Die Teilnehmer müssen erscheinen – und wir achten darauf.“ Zudem gibt es einen hohen bürokratischen Aufwand, der nach den Anforderungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erforderlich ist. Da muss die Berechtigung zum Kurs geprüft werden, oder die Kostenbefreiung, hierfür müssen die entsprechenden Daten erhoben, eingegeben und abgeglichen werden. Wer über kein Einkommen verfügt oder Arbeitslosengeld II bezieht, erhält den Unterricht gratis. Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe können zur Teilnahme auch verpflichtet werden. Andernfalls drohen Kürzungen der erhaltenen Leistungen. Die Menschen werden vom BAMF hierher geschickt, oder von der Ausländerbehörde oder von der Arbeitsagentur. Einige sind auch Selbstzahler.

Ich beginne im Kurs für Fortgeschrittene. Britta Thomas gibt den Unterricht. Der Raum ist groß und hell. Elf Schülerinnen und Schüler sitzen schon im Raum und schauen mich ganz erwartungsvoll an. Sie sind alle noch sehr jung. Später kann ich auf einem Plakat ihre Geburtsdaten lesen, sie hängen an der Pinnwand unter dem Stichwort „Geburtstag in Deutschland“. Jahrgang 1986 bis 1992. Ihre Herkunftsländer finden sich auf dem persönlichen Steckbrief gleich daneben: Irak, Türkei, Sri Lanka, Pakistan. Eines verbindet sie alle: sie sind gerade mal ein knappes Jahr in Deutschland. In ihrem Lehrbuch „Berliner Platz“ sind sie bereits bei Lektion 22.

Heute ist Gruppenarbeit angesagt. Wiederholen der Lektionen in Schreibarbeit und dann später in kleinen Dialogen. „Das laute Sprechen ist sehr wichtig“, sagt Frau Thomas. Das kenne ich selbst noch aus dem eigenen Fremdsprachenunterricht. Und auch das Scheitern und die vielen Fehler. Wie wohl jeder die Mühen kennt, der eine andere Sprache gelernt hat. Die Themen im Buch sind: „Über Gefühle sprechen“, „Bei uns und bei Euch“, „Schule“, „Medien“. Die Arbeitsgruppen sind gemischt. Wenn etwas nicht klar ist, wird in der eigenen Muttersprache quer über den Tisch gefragt, wie es geht. Dann sprechen sie wieder deutsch zusammen. Einige wollen es ganz genau machen, fragen nach den korrekten Endungen der Verben. „Gibt es etwas, das Sie nicht essen?“ ist eine der „Redemittel“, die gelernt werden und die in gelb besonders hervorgehoben in den Lehrbüchern stehen. „Ich höre jeden Morgen die Nachrichten aus dem Radio“, wiederholt Tofik eine Lektion.

Ich laufe um den Tisch und schaue über die Schultern. Entdecke ein Lehrbuch, vollgeschrieben mir unzähligen Vokalen in einer Schrift, die ich nicht lesen kann. Viele der Teilnehmer haben zunächst das deutsche Alphabet und das Schreiben der Buchstaben gelernt. Wenn jemand aus China kommt oder Kyrillisch schreibt, ist das schon die erste Hürde. Ich frage Prabhjot, ob ich sein Buch fotografieren darf. Ich weiß nicht genau, ob er mich verstanden hat, aber als ich meine Kamera in der Hand halte, rückt er unruhig auf seinem Stuhl herum. Frau Thomas kommt mir zu Hilfe und sagt, das sei ihm peinlich, weil er glaubt, ich fände das Geschreibsel unordentlich. Ich bin erstaunt, denn das war es überhaupt nicht, was mich bewegt hat, sondern vielmehr die Erinnerung daran, dass meine Fremdsprachenbücher auch so ausgesehen haben. Ich erkläre Prabhjot den Grund, langsam. Jetzt hat er mich verstanden und lächelt. Interkulturelle Kompetenz ist genau das, was hier greift.

Sprache lernen bedeutet Kulturschock
 Sprache zu erlernen, ist immer auch ein Kulturschock“, so Britta Thomas. Deutsch ist eine Akzentsprache, Tamilisch aber nicht. „Wir müssen uns jeden Tag vor Augen halten, dass die Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Jeder lernt da anders“, resümiert sie. „Der Lernhintergrund eines jeden Schülers ist wichtig“, sagt sie und fährt fort: „Die russischstämmigen Schüler etwa lernen mehr über die Vermittlung der Grammatik, sie sind eher den Frontalunterricht gewohnt, Gruppenarbeit ist für viele erst völlig fremd.“
Fortsetzung am Wochenende.

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