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Sonntag, 23. März 2014

Schlecht Zeugnis reden ist was Anderes als Nachdenken

Die Bürgermeisterin der Stadt Gütersloh, Maria Unger, will einen Arbeitskreis zur Aufgabenkritik einberufen. Im Kern geht es darum, zu sparen und den Haushalt zu entlasten. Mitglieder werden proportional die Fraktionen stellen, die Verwaltungsspitze und wahrscheinlich wird einer Protokollant sein. Was soll das bringen?

                         Wo wird Zukunft entschieden? Im Rat nicht.      Foto ak 2014
In fast jeder Rede und zu jeder Gelegenheit lässt sich die Bürgermeisterin mittlerweile dazu aus, dass es unfair und unkonstruktiv sei, die Stadt Gütersloh schlecht zu reden oder schlecht zu schreiben. Das klingt wie beleidigt sein. Ich fühle mich direkt angesprochen, mein Blog und mein Schreiben sind oftgenug kritisch. 



Selbstkritisch gebe ich zu: Ja, sie hat recht. Der Status Quo an Lebensqualität in der Stadt Gütersloh ist hoch, ja, die Stadt ist liebenswert, wenn man denn seinen Frieden mit ihr geschlossen hat. Ja, es lohnt sich, in Gütersloh zu leben, es gibt viele Menschen, die es wert sind, sie kennenzulernen, viele, die sich einbringen. Aber: Das alles beschreibt und umfasst den Status Quo. Mehr nicht. Und es gilt längst nicht für das Gros der Gütersloher. Es ist auch nicht zwingend ein Verdienst von Politik und Verwaltung, dass es noch so gut um Gütersloh bestellt ist. Schon gar nicht ist dieser komfortable Augenblick der Stadtgeschichte ein Verdienst der regierenden Plattform plus oder der Amtsführung der Bürgermeisterin. Uns ging es noch nie so gut und noch nie haben wir so viel an Substanz verbraucht wie jetzt.



# Bilanzieren 

Kurz vor einer Kommunalwahl darf man einmal politisch bilanzieren. Die letzten Jahre waren geprägt vom Stillstand, von Entscheidungen, die lediglich einen Aktionsradius rund um den Stadtkern inne hatten. Und vom Verbrauch an Substanz. Und von einem fortschreitenden Auseinanderklaffen der sozialen Zustände. Ein Vorausschauen war und ist nicht erkennbar. Das aber ist eine der Grundaufgaben von Politik und Verwaltung. Und zuallererst der Bürgermeisterin, die die Geschicke der Stadt lenken soll. 

Damit Gütersloh attraktiv und lebenswert bleiben kann, bedarf es mehr als Sandkästen in der Innenstadt und artigem Schönreden in den Gremien kurz vor der Wiederwahl.



# Ein paar Gedanken dazu

Die Konversion steht auf der Tagesordnung. Solche infrastrukturellen Umwälzungen hat die Stadt seit der Gebietsreform Anfang der 70er Jahre nicht mehr erfahren. Ungeachtet der Diskussion über den Erhalt von Grünflächen und Naturwesen findet sich in den Vorlagen in jedem dritten Satz das Stichwort "Gewerbefläche". Ob diese in Zukunft in dem Umfang überhaupt noch gebraucht werden, wird an keiner Stelle diskutiert oder hinterfragt. Auch die Schaffung von Arbeitsplätzen steht zuhauf als Ziel in den Papieren. Wer sich einmal mit der Zukunft der Arbeit beschäftigt hat, wird hier viele Fragen aufwerfen können. Wir werden in Zukunft ganz anders arbeiten als bisher. Wir werden in Zukunft sogar noch mehr Menschen haben, die gar keine Arbeit mehr haben, auch wenn dieser Tage die Wirtschaft boomt. Allein der Trend hin zum "Internet der Dinge", d.h. jedes "Ding", das wir benutzen werden, hat einen Sensor, einen Prozessor und ist digital. Und braucht uns als Arbeitnehmer nicht mehr. Zudem sei ein Blick auf den 3-D-Drucker geworfen, der es erlaubt, unsere Notwendigkeiten künftig selbst zu produzieren. 

Ganz so weit entfernt ist das nicht, wenn man nun mit dem Hinweis auf Spinnertum abwinken mag. Miele etwa arbeitet mit Hochdruck an der Erforschung von Robotern. Gleich um die Ecke entsteht ein Cluster "Industrie 4.0" in Ostwestfalen-Lippe. Hier arbeiten Firmen und Maschinen vernetzt und digital. Künftig selbständig, ohne Menschen. Auch der Medienbetrieb, bei dem ich in der Stiftung arbeite, verändert sich digital.

Diese Entwicklungen, global und schnellebig, werden vor Gütersloh nicht halt machen. Es ist allemal eine Diskussionsrunde wert, sich darüber auszutauschen. An der Stelle sei gerne nochmal auf mein (zugegeben) Lieblingsthema hingewiesen: Wo wird etwa über den Breitbandausbau gesprochen? Wo die Finanzierung dessen überlegt? Die umliegenden Kommunen sind da weiter, stellen sich den Fragen. In Gütersloh steht das nicht mal auf der Tagesordnung. Der ländliche Raum wird zukünftig im wahrsten Sinne des Wortes abgeschnitten sein, denkt man diese Zukunftsader nicht mit.

Plant man dieses Thema Konversion und Gütersloh in Zukunft zudem weiter, kann das nur in Verbindung mit dem Wissen um den Demographischen Wandel geschehen, der Entwicklung zukünftiger Mobilität. Alles Fragen, die nirgends auch nur im Ansatz zu finden sind. Außer der Feststellung: Gütersloh geht es gut und es wächst leicht. Ja, jetzt noch!


#Falsches Werkzeug zur richtigen Zeit 

Eine Arbeitsgemeinschaft zur Aufgabenkritik ist das falsche Werkzeug zur falschen Zeit. Noch dazu zur Wahlkampfzeit. Oder gerade deshalb. Wie oft ist ein solcher Kreis schon einberufen worden, immer dann, wenn es um Wahlen ging und um die Frage, was haben die Kommunalpolitiker gemacht? Sie brauchen eine Erklärung ihres letztjährigen Schaffens für den Straßenwahlkampf und ihre geplanten Türklinkenbesuche direkt an der Haustür. Fadenscheinig. Diesen Arbeitskreis gab es schon, als ich im Rat war. Jahre her. Und immer wieder ist er einberufen worden, um zu beschwichtigen, Aktivität vorzutäuschen. Mit so viel Nachhaltigkeit wie ein Eis braucht, um in der Sonne zu schmilzen.  

#Nachdenken über den Tag hinaus 

Was es bräuchte wäre eine Art Zukunftsausschuss. Den könnte der nächste Rat freiwillig einberufen und etablieren. Hier dürften (u.a.) dann auch gerne einmal die Jüngeren zu Wort kommen, die zwar jetzt schon qua Gesicht ab und zu in den lokalen Zeitungen auftauchen und in den Startlöchern der Parteien stehen, die aber nie auch nur gremienmäßig gehört werden. Von den Jüngeren im Rat hat man gleichfalls bisher nichts Weitsichtiges gehört. Der einzige wirklich fundierte und weitreichende Antrag in der letzten Wahlperiode kam von Martin Goecke, er ist Youngster in der SPD (auch nicht meine Partei) er hat über den Antrag der Erhöhung der Gewerbesteuer zur Finanzierung einer besseren Bildung in Gütersloh nachgedacht. Das wäre innovativ gewesen - weitsichtig und mutig.

Aber das hat ihm nichts als Hohn und Spott gebracht, so dass er anschließend in Deckung gegangen ist. Schade.

Und noch eines: Baudezernent und Bildungsdezernent bügelten dieser Tage den FDP-Antrag ab, doch eine Liste der künftig renovierungsbedürftigen Großprojekte zu erstellen, mit den Worten, wer könne schon so weit in die Zukunft schauen? Was die Inklusion angeht, die ja gemeint war, weil die nun geschlossenen Förderschulen angesprochen wurden, der konnte das vor fünf Jahren schon deutlich als Thema erkennen. Das Thema ist alt und gipfelte sogar schon 2009 in einer UN-Konvention zur gemeinsamen Beschulung. Wie hilfreich wäre hier ein Bildungsbericht gewesen, der die vorhandenen Daten überschaubar auflistet und vor allem mit den vorhandenen Erkenntnissen in Bezug setzt. Ich bin keine Freundin der FDP, sicher nicht, aber dieser Antrag war richtitg. Es ist schade, solche Gedanken abzuspeisen.



#Zukunft schon jetzt trüffeln

Und dabei hat die Stadt schon jetzt eine Stelle geschaffen, die sich zwar mit der Auffindung von "Fördertöpfen" beschäftigt. Aber dadurch auch mit "Zukunft" und "Zukunftsthemen". Das Gütersloher "Trüffelschwein" (als Prädikat verwendet) Jörg Möllenbrock aber ist meiner Auffassung nach viel zu selten in Erscheinung getreten. Gerade auf seinem Schreibtisch aber werden sich Impulse der Zukunft häufig tummeln. Nur: Wer fragt ihn danach? Wo fließt sein Wissen mit ein? Leider bis heute für mich weitestgehend unsichtbar, wenn überhaupt von breitem Interesse.

#Schlecht Zeugnis reden ist was Anderes als Nachdenken 

Wenn man also den Blick über den Tellerrand wagt und auch mal schaut, was für aufkommende Entwicklungen es in der Welt gibt und in Gütersloh erkennbar nichst davon ankommt, dann hat das nichts mit "Gütersloh schlecht schreiben" zu tun. 

Sondern eher etwas mit hohem Verantwortungsgefühl denen gegenüber, die künftig in unserer Stadt leben werden. Es wäre doch fatal, wenn diese nächsten Generationen einmal gebeutelt und provinziell abgehängt bei einer Stadtführung an den Gräbern der heutigen Stadtväter und -mütter vorbei gehen mit der Erkenntnis: "Meine Güte, die haben auch nur an sich und ihren hohen Lebensstandard gedacht und die Zeichen der Zeit verkannt." Vielleicht tauchen dann auch noch ein paar Namen in einem Vortrag von Matthias Borner auf, der alt und greis und als Restzeitzeuge die Vergangenheit beschreibt und feststellt: "Gütersloh hat das Weichenstellen verschlafen, weil sich die Entscheider komod in ihrer Welt des Stillstandes eingerichtet haben und das kritische Nachdenken verpönt war."

















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