Bild

Bild

Sonntag, 26. August 2012

Bürgermeisterkette beflügelt Demokratie

Glosse

Die Stadt hat nun etwas, was sie seit ihrem Bestehen 1825 nicht vermisst hat: eine Bürgermeisterkette. Im kleinen Rahmen der Spender, der Ratsleute und der Verwaltung wurde sie dieser Tage feierlich verliehen. 

Der Definition nach ist eine Bürgermeisterkette eine Halskette aus unterschiedlichen Edelmetallen, verziert mit Medaillen, Wappen oder Emblemen. Sie ist Teil der Amtstracht von Oberbürgermeistern und zum Teil von anderen hohen Staatsbeamten. Ihre Beschaffenheit hängt – je nach Verordnung – u. a. von der Stadtgröße und deren Bedeutung ab. Eine solche Kette wird zu feierlichen Anlässen getragen. Der Ursprung von Bürgermeisterketten geht auf das 19. Jahrhundert zurück, eine Zeit geprägt durch Industrialisierung und Kapitalismusgeburt.


Zwei Bemerkungen: Die Gütersloher Kette ist aus Silber, traditionell das Edelmetall der Zweiten und - in Nordrhein-Westfalen gibt es nur in kreisfreien Städten Oberbürgermeister. Darf man das schon als politische Konnotierung werten?

Nun haben Rat, Verwaltung und Spender die Kette zu Gesichte bekommen. Das Volk aber noch nicht. Ist eine Bürgermeisterin als Meisterin der Bürger zu verstehen, fehlen also jetzt zwei Schritte -  ein formaljuristischer und ein populistischer:


In Schritt eins gilt es, die Hauptsatzung zu ändern, denn hier ist noch keine Rede von der Existenz und der Tragegewohnheiten einer Amtskette. Zumindest in der Einladung zum Hauptausschuss am 3.9.2012 findet sich unter Top 6 schon mal die Ankündigung, dass sie geändert werden muss, Konkretes wird der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt. 

In der Hauptsatzung vom 30.10.2009 findet sich in § 1 Name und Hoheitszeichen daher noch Folgendes:
"(1) Die Gemeinde Gütersloh führt die Bezeichnung "Stadt" auf Grund der Kabinettsorder
König Friedrich Wilhelm III. von Preußen vom 24. November 1825.
(2) Das Wappen der Stadt Gütersloh ist in der beigefügten Zeichnung dargestellt,
die einen Bestandteil dieser Satzung bildet. Das Wappen der Stadt Gütersloh entspricht einem deutschen Wappenschild mit einer die preußischen Nationalfarben andeutenden silbern und schwarz acht Mal wechselnden schmalen Einfassung, belegt mit einem grünen Feld, über welches schräg rechts drei silberneStröme fließen. Auf dem mittelsten dieser Ströme liegt ein rotes Spinnrad mit sechs Speichen.
(3) Das Siegel der Stadt Gütersloh enthält das Stadtwappen mit der Umschrift "Stadt Gütersloh".
(4) Die Farben der Stadt Gütersloh sind Grün und Weiß. Die Stadtflagge besteht aus zwei
gleichbreiten Farbstreifen und enthält außerdem das Stadtwappen."

Von einer Amtskette ist noch nicht die Rede. Punkt (5) könnte demnach lauten "Die Stadt Gütersloh hat eine gespendete Bürgermeisterkette als Amtskette. Die Kette ist vom Amtsinhaber zu wichtigen Anlässen wie zur Michaeliswoche und zum Schinkenmarkt ganztägig zu tragen. (6) Die Amtskette erinnert den Träger daran, dass sie weitergegeben werden will, damit der Träger nicht bis zum Ableben im Amt bleibe."

Damit hat es die Hochzeit eines Bürgers als Anlass für die Kettenspende vermocht, zumindest die Hauptsatzung zu verändern.  

Fehlt nur noch Schritt zwei, der auch etwas mit Bürgern zu tun hat: Das Volk möchte die Kette sehen. In Ermangelung eines Balkons am Rathaus oder der Ablichtung im Internet wird vorgeschlagen, das neue Amtsemblem auf dem Willy-Brandt-Platz oder aber auf der Freilichtbühne im Mohns Park öffentlich vorzustellen. 

Hier könnte die gewählte Stadtspitze die neue Kette und die Gesellschaft in einen politischen Zusammenhang bringen. Denn schon der in Genf geborene und französischsprachige Philosoph  Jean-Jacques Rousseau erklärte in seinem Werk "Gesellschaftsvertrag": „Der Mensch wird frei geboren, und überall liegt er in Ketten.“ Rousseau inspirierte mit seinen Ideen die Französische Revolution und fragte danach: Wie man eine Gesellschaftsform finden könne, die jedes Glied (kleine Anlehnung an die Amtskette, die ja hier vorgestellt wird) verteidigt und schützt und in der jeder Einzelne, obgleich er sich mit allen vereint, dennoch nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie bisher? 

Hier hat er das Grundproblem der Demokratie formuliert - "der Gemeinwille könne nicht delegiert werden, sondern müsse von möglichst vielen, tendenziell allen Bürgern getragen werden, um allgemeingültig sein zu können. Der rechtmäßige Staat könne nur auf dem Gesamtbeschluss aller Bürger beruhen. Da dieser real so gut wie nie erreichbar sei, führte Rousseau das Mehrheitsprinzip als Annäherung an das Staatsideal ein. Nach Vertragsschluss verbleibe die Souveränität beim Volk. Sie könne nicht auf Repräsentanten oder Institutionen  übertragen werden. Die Bürger sollen ihren Willen nicht an die Allgemeinheit abtreten, sondern ihn möglichst weitgehend einbringen."


Gelänge es der Bürgermeisterkettenträgerin eine solche Brücke zwischen der neuen Amtskette und dem Volk zu schlagen, wäre das ein weiterer unerwarteter Sieg eines Bürgers. Dass sich eine politische Verpuppung hin zur Radikaldemokratin abzeichnen könnte, zeigt das Ablegen des traditionell roten Kostümes der Amtsträgerin zu Gunsten einer passgenau zur neuen Amtskette grün-goldenen Amtsrobe.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen