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Donnerstag, 18. August 2011

Was ist Identität? Vom Fahren und Fliegen.

Vom Fahren
Was bedeutet eigentlich europäische Identität? Mit Identität befasse ich mich ja nicht nur berufsmäßig. Ich kam drauf, als heute Morgen ein britisches Fahrzeug vor mir fuhr. Nummernschilder, das ist auf jeden Fall Identität, dachte ich. Außerdem wurde der Mini von rechts gesteuert. Das Bild brachte mich gedanklich flugs wieder in die Highlands von Schottland, aus denen ich gerade mit Wehmut im Herzen abgereist war. Mama mia, waren die Straßen da gut beschildert. Autofahren ist in Schottland wie Lesen. Alle dreißig Meter gibt´s ein Schild, das einem genau erklärt, wie die Zukunft der Straße aussehen wird - und was die beste Fahrweise wäre: Slow down now - um nur ein Beispiel zu nennen.

 Offensichtlich halten sich da auch alle dran: So oft wurde ich kaum auf deutschen Straßen mit einem freundlichen Handheben begrüßt und bedankt, wie in den grün-blauen Bergen dort. Jeder Passing Place wurde zum Nachbarschaftsevent. Nach der vierten Begegnung nahm das Routine an und ich sprach sogar mit dem Menschen im Auto gegenüber "thank you, have a save journey" - obwohl der mich ja gar nicht hören konnte. Aber ich fand es ungemein viel freundlicher, wenn ich zur Geste auch was sagte. Very scottish, fand ich. Ich ordne ab jetzt instinktiv hinzu, scottisch = friendly. Dann aber hatte ich die Bilder der "London Riots" im Kopf. Krawalle, Plünderungen. Was also ist wahr vom Bild?


Vom Fliegen
Meine europäischen Beobachtungen änderten sich jäh auf dem Rückflug. Im Zubringerbus war schon eine komplette Handballmannschaft aus der französischen Provinz geladen. Konnte ich an den Profi-Hallenschuhen erkennen und an dem Corporate Identitiy der T-shirts. Die Jungs im Alter rund um die achtzehn Jahre jung. Ein buntes Mixtum aus allem. Die waren schon mal fünf Minuten zu spät zum Einchecken gekommen, nahmen die Schelte des Bordpersonals mit einem Achselzucken zur Kenntnis und luden gleich im Bus ihr elektronisches Spielzeug aus den Taschen: PSP, DS, einer sogar in pink mit einer kleinen Katze drauf - was dem Nutzer den derben Spott seiner Mitsportler einbrachte. Selbst ich musste lachen.Wir flogen übrigens in einer so kleinen Maschine, dass ich beim Näherfahren mit dem Bus aufs Rollfeld erst dachte, da hat einer sein Legoflugzeug auf dem Asphalt vergessen. Aber nein, die Gangway war schon ausgeklappt und lud uns zum Boarding ein. Mir war echt schlecht.

Dann wurde es ernst und die Legomaschine hob in Echtzeit vom Boden ab. Habe ich nicht wirklich gesehen, sondern nur gefühlt, denn meine Mütze hatte ich vorsorglich gleich über die Augen gezogen. Schnell waren die Wolken überflogen und ich wagte einen Blick...

Ansonsten hielt mich die zu spät gekommene Mannschaft in Atem oder besser ließ mich außer Atem kommen. Den jungen Herren war es schnurz, dass die Anzeige "Anschnallen" aufleuchtete, als die Turbulenzen ein paar Mal echt heftig wurden. Sie turnten munter durch die Gänge, von einem Sitz auf den anderen. Der Flieger war spärlich besetzt, Linienflug und wer nutzt den schon um diese Zeit, wo das Abendprogramm schon läuft? Die Betreuer der Sportler sagten nichts. Sahen nichts und blätterten gelassen in einem Sportmagazin. Mir schwoll der Hals. Auf den Lippen hatte ich schon meine französischen Schimpfworte, reichlich im Vorrat. Noch ganz leise. Wollten die hier so rumturnen und das Ding zum Absturz bringen? Ist das etwa französisches "Savoir vivre", also die Kunst, gut zu leben? Die Flugbegleiterinnen trauten sich dann auch mal, was zu sagen. Leider waren die blond (und aus Österreich) und von ernst nehmen bei den Herren keine Spur.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Damen verstanden haben, was die Testosteronis ihnen nachsagten. Vielleicht waren sie einfach nur gut geschult und cool. Dann sprach der Pilot aus dem Off und erklärte, wir befänden uns schon auf dem Landeanflug kurz vor Hannover. Hoffnung keimte auf, aus diesem lächerlichen Spielzeug heile raus zu kommen.

Vom Meckern
Die Bordstimme sagte nun an, die elektronischen Geräte und vor allem die Handys auszuschalten. Keine Reaktion bei der spielfreudigen Tastengeneration, die munter ihre Games weiterspielten. Einzelansprache der Blondinen im Doppelpack "Please swich off jour handy". Gelangweilte Gesichter. Die Maschine setzte zum Sturzflug an. Die Jungs gamten weiter. Die Stewardessen mussten jetzt schon schreien. Keine Reaktion. Vielleicht lag es am Englisch? Dann landete der Flieger. Mit neuem Mut drehte ich mich um und ließ meine gesammte französische Wortarmada auf die Handballercrew hinter mir herabregnen. Die Insassen der Reihen 15 bis 18 hoben auf der Stelle den Kopf und schauten mich völlig entsetzt an. Und machten endlich die Geräte aus. Zu spät, wir waren ja schon gelandet. In Hochform spielte ich die deutsche Gouvernante und ließ die Jungen stramm stehen und zog ihnen die Ohren lang. Fräulein Rottenmeier bei Heidi hätte sicher ihren Spaß gehabt. War das etwa typisch deutsch?

Ich kam mir ziemlich alt vor. Da war ich über halb Europa geflogen, fand gerade noch die schottische Gelassenheit und Freundlichkeit gut und jetzt führte ich mich als typisch meckrige Deutsche vor einer Gruppe französischer Jugendlicher auf. So viel also zur Frage von Identität. Oder ist vieles nur eine Frage des Alters? Und die Jugendlichen gleichen sich immer mehr an in ihrem Aufbegehren und Brechen der Konventionen, die wir und die Generation vor uns ihnen aufgebürdet haben? Clischees und Stereotypen finden sich immer und überall. Nur gut, dass man sich dabei auch selbst beobachtet und auf die Schüppe nehmen kann. Die Frage, was europäische Identität ausmacht, kann ich aber immer noch nicht beantworten. 


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