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Freitag, 25. März 2011

Telefonieren - die zu lernende Kunst des Weghörens



Endlich konnte ich einparken - nachdem auch die Dame vor mir ihren silbernen BMW in einer Parkbucht auf dem Konrad-Adenauer-Platz passend zum Stehen gebracht hatte. Was für Frauen ja angeblich so schwer ist, wog bei ihr noch doppelt: Eine Hand am Lenkrad, die andere am Handy. Sie kurvte und kurvte. Nun stiegen wir gleichzeitig aus. Sie immer noch mit der Hand am tragbaren Telefon. Laut und deutlich konnte ich jetzt hören, was ich vorher nur gesehen hatte. 
Mit ihrem Stimmvolumen hätte sie auch locker ein Theater bespaßen können. Mit dem Inhalt ihres Gesprächs gleichermaßen: Sie fabulierte über ihren Traum der letzten Nacht. Wen das wohl am anderen Ende der Leitung interessierte, fragte ich mich. Konzentriert hatte ich versucht, wegzuhören. Erfolglos. Meine ungebetene Begleiterin ließ sich nicht beirren, parlierte munter lauthals weiter vor sich hin. Fliehen war unmöglich, wir hatten wohl den gleichen Weg. Für kurze Zeit das gleiche Ziel. Zum Rathaus.

Auf halber Strecke war sie am Kern ihrer Geschichte angelangt: Sie habe von Sex mit dem Freund ihres Freundes geträumt, trällerte sie. Ich immer in Hörweite, was sie weiter nicht irritierte – mir aber die Augenbrauen in die Höhe schnellen ließ. „Nee, weißte, keine Skrupel, den zu betrügen, voll krass.“ Ich sah die Leiden des Betreffenden vor mir. „War irgendwie ganz geil. Und so frei.“ Ich mittlerweile drei Schritte hinter ihr. Doch sie sprach immer noch lauter als der Lärm der Umwelt. „Du, ich stehe nicht so auf Beziehungen, die so gleichförmig sind, ohne Streit und ohne große Versöhnungsszenen, bin ja jung, und der Typ hat mich immer schon angemacht. Jetzt träume ich auch noch von dem, und dann solche Sachen. Ei das war so krass, sage ich Dir.....“ Ungebremst mit schriller Stimme der Euphorie offenbarte sie ihr Intimstes. Ich bog ab, endlich, der ungewollten Erotikshow entkommen. Die Generation Feuchtgebiete hatte den öffentlichen Raum erobert. Adé Shakespeare mit dem Wirksamen des Nichtausgesprochenen.

Jetzt war ich nachdenklich geworden. Sehr sogar.

Denn keine drei Tage vorher war ich schon einmal ungewollt Zeugin eines Beziehungsdramas geworden. Da hatte ich im Zug gesessen und den Fehler begangen, keinen weißen Ohrstöpsel im eigenen Ohr zu tragen, was mich von der Außenwelt hätte retten können. Da saß mir eine junge blonde Frau im sardinendosenvollen Abteil gegenüber. Ich musste schon höllisch aufpassen, dass sich unsere Knie nicht bei jeder Bewegung berührten. Und dann dieses Gespräch: Sie trug ein Headset und offensichtlich rief sie gerade jemanden an. „Hei,“ eröffnete sie ganz harmlos. Die Antwort blieb mir verborgen. Wenige Sekunden später, setzte mein Gegenüber fort: „Man, ich dachte, du würdest schlafen, haste gesagt und dabei guck ich in facebook, dass du mit der Schlampe gepostet hast, für die hast du Zeit oder was?“ Ich zog mein Knie nun ganz weit von ihrem weg. Instinktiv duckte ich mich ein wenig in meiner dicken Jacke.

Weiter ging es: „Was hast du mir denn mitgebracht? Gefällt mir das?“ Pause. „Wenn du schon so anfängst, dann wohl nicht. Du bist echt scheiße. Behalt den Scheiß. Findest du die gut, die Tussi?“ Verzweifelt schaute ich nach draußen auf die an uns vorbei fliegenden Lichtkegel. Mittlerweile drehten sich auch zwei junge Männer zu der wenig Freundlichen um und verfolgten ihrerseits das Gespräch mit sichtlichem Interesse. Weiter ging es, während sie ungeduldig mit ihren ultralangen weißlackierten Fingernägeln auf ihrem Handy rumtippe. „Nee, brauchst mich nicht abzuholen. Ich will kein Stress. Nee, meine Jacke zieht die aber nicht an, man. Schüss.“ Stille. Ihre Hände endlich ruhig. Die beiden Zuhörer nebenan transportierten nun das Gehörte in ihre Sitzreihe: „Ei die Alte ist aber drauf, man. Völlig abgedreht, die möcht ich nicht als Freundin haben.“ „Nee, schwör dir, ich auch nich. Aber geiles Handy hat se.“ An der nächsten Haltestelle stieg sie aus. Eine Wolke der Energie hing einen kurzen Augenblick in der Luft. Der Zug fuhr weiter. Ihre Stimme aber blieb in meinem Kopf. Der Begriff der Unschuld bekommt im Zeitalter der omnipräsenten Kommunikation einen anderen Inhalt. Ob ich diese Gespräche hören will oder nicht, ich werde nicht mehr gefragt.

Und abends schaue ich Nachrichten um Acht. Im Ersten. Fukushima. Rauf und runter. Die Betroffenheit braucht ein paar Tage, bis sie wirklich fühlbar ist. Am Ende eines Berichtes folgt unvermittelt die Szene mit dem weißen Telefon. Ein Ur-altmodell, so wie die alten Bakelit-Dinger, noch mit Telefonkabel und Hörer an der Schnur. Die standen in großer Anzahl in einer langen Reihe auf einem Tisch. Dahinter schwarz gekleidete Menschen, meist Frauen. Weinend. Mit Taschentüchern von die Münder gepresst, damit die Schreckens- und Schluchzlaute nicht so laut entweichen können. Sie versuchten nach dem schrecklichen Erdbeben und dem Tsunami ihre Angehörigen zu erreichen. Keine Antwort am anderen Ende des Kabels. Funkstille. Gespenstische Stille. Leitung tot. Hier habe ich mir Wortwechsel gewünscht, denen ich gerne zugehört hätte. Hier hätten Worte einen Sinn ergeben.

Ich erinnere mich auch noch an meine Kindertage, als die alten Telefonhäuschen noch überall herumstanden. Wo man mit der passenden Menge Münzen erst in ein solches eintreten, vielleicht noch mühsam eine Telefonnummer in den welken Büchern nachschlagen musste. Um dann die altmodische kleine Drehscheibe zu bedienen, wobei man an der Länge des Zurückdrehens erkennen konnte, ob es eine neun oder vielleicht nur eine fünf war, die man gewählt hatte. Und hatte endlich jemand abgehoben, war erstmal nichts zu verstehen, weil der Lärm der durchratternden Münzen so laut war.  Derlei Gespräche hatten etwas Geheimnisvolles, Seltenes. Sie blieben in dem kleinen umbauten Raum der Sprechkabine gefangen, den Passanten, der Welt verborgen. Von außen zu erkennen waren einzig Lippenbewegungen des Sprechers. So oft ich im Zug sitze und die Worttiraden und Sprechhülsen meiner Umwelt hören muss, wünsche ich mir dieses lautlose Zeichen der Kommunikation sehnlichst zurück.

Nichts mehr zu sagen....

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