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Montag, 22. November 2010
In der letzten Woche hatte ich zwei Termine in Hamburg. Genau am Tag der Terrorwarnung: Donnerstag, der 18.11. 2010 - am gleichen Donnerstag tagten auch die Innenminister in Hamburg. Mitten in der Stadt, mit Blick auf die Binnenalster. Die Sicherheitsvorkehrungen waren nicht zu übersehen. Schon am Bahnhof ging es
los.....bis an die Zähne bewaffnete Polizisten in Mannschaftsstärke.
Weil die Tagungsorte weit aus dem Zentrum entfernt lagen, nahm ich ein Taxi. Es dauerte keine zwei
Minuten, da war ich schon im Gespräch mit dem Fahrer. Ein iranstämmiger Ingenieur, der seit Jahren
in Hamburg Taxi fährt. Unser Thema war klar "Integration". Anlass: Natürlich die schwer bewaffnete
Polizei im Hamburger Einsatz. Dass beide Themen einen so deutlichen Zusammenhang aufweisen,
lag auf der Hand. Mein Fahrer erklärte mir, eigentlich müsse er ja auch im Fadenkreuz stehen, er
sei Moslem, Iranstämmiger, Mann, Hamburger, Mitte 40. Alles Faktoren, die ihn deutlich ins
Fahnundungsraster bringen konnten...
Integration, meinte er, sei in Deutschland schon viel weiter fortgeschritten. Noch vor 15 Jahren hätte es keine Unterhaltung in einem deutschen Mietshaus mit Fremdländischen gegeben. Mittlerweile aber feierten er und die Nachbarn zusammen Weihnachten: Christen und Muslime. Tür an Tür in einem Haus. Da gäbe es zwar immer welche, die die von ihm geschenkte Flasche Wein wieder zurückgäben, aber der Großteil sitze eben für ein paar Stunden zusammen - und rede miteinander. Es sei schon multikulti, aber nicht nur "heimelig", da kämen auch Vorurteile auf den Tisch. Manchmal auch Beschimpfungen bestimmter ethnischer Gruppen. "Mich stört das nicht", erklärt er auf meinen fragenden Blick, "denn so werden wir wenigstens wahrgenommen. Beschimpfen ist auch eine Art von Auseinandersetzung, die am Ende ein Verstehen ergibt. Wer sagt mir sonst so direkt, was in den Köpfen der Deutschen vor sich geht? Niemand außer die, die mit mir zusammenleben." Er erkennt die vielen Stereotypen, die sich da so ansammeln. Eine davon amüsiert ihn besonders: Eine seiner Nachbarinnen ist schon sehr betagt - und verwechsele stets seine Frau und seine Tochter. Nun sei seine Frau sehr schlank und zierlich, seine Tochter eher "stabil" und rund. Wer, fragt er mich, wird wohl für meine Frau gehalten? Die "Dicke" natürlich. Frauen von Ausländern müssen immer dick sein, zeichnet er ein klares Vorurteil nach.
Ich stelle mir die beiden Frauen vor - und lache, wie oft ist auch mir das passiert. Ehrlich. Und ich sage ihm das auch. Am Ende der Fahrt reicht er mir die Hand und erklärt: "Wenn das Vertrauen der Menschen untereinander nicht mehr da ist, sieht es schlecht aus für die Welt", und nickt in Richtung Bahnhof, wo die Bewaffneten immer noch am Eingang stehen.
Die zweite Fahrt mache ich mit einem türkeistämmigen Taxifahrer. Er sieht den Folder "Leadership Programm für junge Führungskräfte aus Migrantenorganisationen" in meinen Unterlagen. Das wäre ja ein sehr spannendes Thema eröffnet er den Dialog mit Blick auf das Papier. "Ja", antworte ich und warte auf das, was er offensichtlich noch sagen will. Er stellt mir direkt die Frage, was ich von dem Sarrazin-Buch halte. Ich fange an zu erläutern. Wie oft hatte ich das in den letzten Wochen schon getan. Der Fahrer lächelt. "Sie sind sehr freundlich mit ihrem Urteil über Migranten", sagte er. Das sei nicht immer so. Gerade Hamburg habe da nicht nur weiße Flecken. Erst habe man die Migranten alle in einen Stadtteil gesperrt, Wilhelmsburg etwa, und nach und nach würden dann daraus Edelviertel, aus denen die Migranten wieder verdrängt würden. "Wir haben uns bemüht, hier Fuß zu fassen und dann kommt so ein Buch - und alle Anstrengung geht kaputt", kommentiert er. Nun sei er aber erst recht stolz, ein Türke zu sein. Wenn er auf die Leistung seiner Eltern schaue, die damals aus der Türkei nach Deutschland gekommen seien, die hätten in kurzer Zeit deutsch gelernt, nicht perfekt, aber sie könnten sich gut verständigen, hätten einen eigenen Laden aufgemacht, die Kinder groß gezogen und allen eine Ausbildung ermöglicht. So viel wie sie, werde er in seinem Leben kaum auf die Beine stellen. Da könnte eigentlich nicht nur er stolz auf seine Eltern sein, sondern auch Deutschland. Aber das sehe keiner wirklich. Wir sind am Ziel. Was kann ich da noch Sinnvolles antworten, was nicht als lahme Entschuldigung daherkommt? Ich bedanke mich für die Fahrt - und bestelle liebe Grüße an seine Eltern.
Ich denke noch lange über die Gespräche nach. Wie viele Migranten fahren eigentlich Taxi frage ich mich. Und wieviel Potenzial wird da verschenkt, weil viele qualifizierte Berufsabschlüsse aufweisen, die in Deutschland bisher nicht anerkannt wurden. Allerdings freut mich der Gedanke, dass gerade Taxifahrer eine so zentrale Funktion ausüben, denn sie sind in der Regel die ersten, die Kontakt zu ausländischen Gästen haben, wenn sie in Deutschland ankommen. Sind nicht sie daher eine Art "Außenminister" Deutschlands? Und wenn ja, was heißt das dann für unser Land?
Samstag, 20. November 2010
Erstritten und nicht geschenkt: Bürgerhaushalt in GT
mit großem Interesse habe ich heute Ihren Kommentar zum Bürgerhaushalt gelesen. Sie lassen ja keinen Zweifel daran, dass Sie diese Form der Partizipation untauglich finden. Die Überschrift, es handele sich um eine „Späte Einsicht“, spricht Bände, wie auch Ihre einseitigen Fragen an die Kämmerin Frau Lang im Interview. Doch der Bürgerhaushalt ist nicht vom Himmel gefallen. Und er ist auch nicht auf Wohlwollen von Politik und Verwaltung eingerichtet worden - sondern wurde hart erstritten. Das aber schreiben Sie leider nicht. Schade. Vielleicht wären Sie zu einem anderen Schluss gekommen, wenn Sie auf den echten Werdegang des Bürgerhaushaltes geschaut hätten – dafür hat nämlich die Bürgerinitiative eineinhalb Jahre hart hingearbeitet. Der Impuls wurde bereits Anfang 2009 gesetzt. Schon im Mai 2009 zog dann das geplante Bürgerbegehren immerhin fast 2.800 Unterschriften nach sich: Alles Gütersloher Bürgerinnen und Bürger, die für den Bürgerhaushalt gestimmt haben. Und es wären noch mehr geworden. Doch die Kommunalpolitik sprang kurz vor den Wahlen auf den Zug - und machte den Bürgerhaushalt kurzerhand herzlos aber populistisch zur eigenen Sache.
Das hat der Initiative aber nicht den Wind aus den Segeln genommen. Im Gegenteil. Hinter den Kulissen haben wir stets am Enstehen des Bürgerhaushaltes mitgearbeitet. Durch unser Engagement und auch durch die zahlreichen Anfragen an den Rat ist es gelungen, eine „Schmalspurversion“ zu vermeiden, in der nur Sparvorschläge gemacht werden können. Das aktuelle Format des Bürgerhaushaltes bietet hier sehr viel mehr Raum für Konstruktives, Wertungen und Diskussion. Ein Novum in der Stadt.
(Wie viel Engagement hier hineingeflossen ist, können sie auf unserer Homepage nachlesen: http://www.demokratie-wagen.org/)
Kennt man die Tradition der Beteiligung in Gütersloh, ist es schon eine große Errungenschaft, dass nach langem Engagement endlich auch etwas Reales auf die Beine gestellt wurde. Auch die Proteste der Schülerinnen und Schüler gegen die Streichung der Schulbibliotheken hat die Sache der Beteiligung befeuert. Wann hat es das mal in Gütersloh gegeben: Tausende vor dem Rathaus mit dem Votum, die Zukunft der Jugend nicht zu verspielen? Fragen, die direkt mit dem städtischen Haushalt verbunden sind. Im Bürgerhaushalt können sich nun auch Kinder und Jugendliche beteiligen. Eine Altersbeschränkung gibt es nicht. Ein erstrittenes Gut, kein Geschenk.
Ihren Unmut über das vorliegende Ergebnis nehme ich zur Kenntnis. Allein mir fehlt Ihr Lösungsansatz - meckern allein gilt nicht. Dabei läge dieser doch gerade in Ihren Händen so nahe: Als 4. Staatsgewalt, also als Medienmann, könnten Sie vermehrt kritische Beiträge zur partizipativen Kultur in der Stadt leisten. Berichten Sie doch einfach stärker über die politischen Prozesse, über Aktive außerhalb der Parteien, aber auch über die Arbeit in den kommunalen Ausschüssen und im Rat. Diese wichtigen Informationen durch die Lokalpresse tragen sicher sehr deutlich dazu bei, dass Bürgerbeteiligung nicht „zu spät“ kommt, dass Bürgerbeteiligung fundiert und frühzeitig einsetzen kann. Wie das geht, sehen wir ja bestens etwa in der Lobbyarbeit für Hunde durch Frau Isringhausen und auch durch die Berichterstattung über stadtteilbezogene Schützenfeste. Dieses Prinzip gelingt garantiert genauso gut für die Lust an und die Wiederbelebung von Beteiligung der Bürgerschaft. Dafür bedarf es allerdings der frühen Erkenntnis einer Lokalredaktion darüber, wie wichtig konkrete Information über das poltische Geschehen einer Stadt ist. Und Sie sind ja sogar Chef der größten Lokalzeitung im Ort.
Sollten Sie nun das Thema weiter vertiefen wollen, stehe ich Ihnen gerne jederzeit zum Austausch zu Verfügung. Oder noch besser: Entdecken und fragen Sie mal die vielen anderen Aktiven in der Stadt. Es sind nicht nur 200. Die haben garantiert viele Antworten auf Ihre Fragen zur gelungenen Beteiligung.
Mit vielen Grüßen
Freitag, 15. Oktober 2010
Legenden-Bildung
Schließung einer Grundschule
Der Gütersloher Bildungsausschuss tagte in einer Sondersitzung. Auf der Tagesordnung ganz oben stand (leider) die Entscheidung über die Schließung der Grundschule Astrid-Lindgren. Vorsitzende Tidetke-Strand (SPD) eröffente die Sitzung mit den Worten „wir hätten uns diesen Termin gerne erspart, nun ist er notwendig geworden“. Die Mitglieder des Ausschusses waren offiziell dazu aufgerufen, die Schließung zu „beschließen“: Zu wenig Eltern hatten ihre Kinder für den Schulstart 2010/11 in der Astrid-Lindgren-Grundschule angemeldet. Es lagen lediglich 13 solcher Anmeldungen vor. Zu wenig, um eine neue Eingangsklasse zu bilden, urteilte jetzt die zuständige Bezirksregierung in Detmold. Fazit: Keine Eingangsklasse für den kommenden Jahrgang. Und damit nicht genug. Im Schulgesetz heißt es, wenn keine Eingangsklasse gebildet werden könne und absehbar sei, dass auch im Folgejahr nicht ausreichend Schüler dafür angemeldet werden, sei die Schule zu schließen. Nun galt es, die Hand zu heben: Tod oder Leben.
Rückblick: Politik hat gepennt
Dieses Menetekel der Schließung geisterte nun schon seit Frühjahr 2010 durch die Presse. Bis dahin lagen die offiziellen Zahlen seitens der Stadtverwaltung immer noch nicht vor – obwohl die Anmeldungen bereits im November 2009 erfolgt waren. Hier hat die Politik gepennt – das scheint Tradition zu sein, wenn es um die Anmeldezahlen der Grundschulen geht. Genau diese aber sind Steuerungsinstrumente. Besonders, wenn die Schuleinzugsgebiete aufgehoben sind. Das gehört zum „Einmaleins“ der Bildungspolitik.
Das Hin- und Her muss also stillschweigend im Schulverwaltungsamt und im Dezernat für Schule seinen Ausgang genommen haben. Am Ende standen Eltern und die Schulleitung schnell vor vollendeten Tatsachen. Ein Kampf entbrannte trotzdem - mit ungleichen Waffen, ein Kampf zwischen dem Schulverwaltungsamt, den betroffenen Eltern und der Schulleitung – ausgetragen auf dem Rücken der Kinder. Kurze Beine, kurze Wege, hieß es bis dahin noch. Heute muss es heißen, kleine Köpfe, keine Chance. Auf Druck der Eltern setzte sich die Öffentlichkeit in Bewegung. Nun endlich lag das Malheur unaufschiebbar auch auf dem Tisch der Politik.
Ein offizieller Sitzungstermin fand noch statt, in dem „alle Möglichkeiten zum Erhalt der Schule“ geprüft werden sollten. Allerdings waren die Würfel der Schließung da offensichtlich schon längst gefallen, Handheben im Gremium nur noch Formsache. Der Todesstoß aus Detmold (Bezirksregierung) lag längst vor.
Am Ende entsteht Legende Nr. 1
Was passierte nun im Ausschuss? Legenden-Bildung, statt Bildungspolitik. Legende Nr. 1, der Dezernent: Herr Martensmeier bekundete sein Bedauern über die Schließung. Er gab zu bedenken, die Verwaltung habe immer und rechtzeitig davor gewarnt, dass im Zuge des demographischen Wandels eine Schulschließung bevorstehen könnte. In seiner Heimatstadt Essen sähe es noch schlimmer aus, dort ständen ganze zehn Grundschulen vor der Schließung. Ausrufe der Betroffenheit im Gremium, na immerhin jetzt. Hinweise auf noch kränkere Patienten ist schon immer ein gutes Mittel gewesen, um vom eigenen Gebrechen für einen Augenblick abzulenken. Auch hier gelingt die Methode: Der kurze Aufreger über dieses Schreckensszenario hilft, Legende Nr. 1 ungestraft ins Leben zu setzen: Die Verwaltung habe rechtzeitig darauf hingewiesen, dass Grundschulen geschlossen werden könnten. Wann soll das gewesen sein? In den letzten Niederschriften ist mit keinem Wort nachzulesen, dass ein solches Problem überhaupt andiskutiert wurde. Kein Widerspruch aus den Reihen der Politik, minimale Mitleidsbekundungen, fast identisch im Wortlaut der politischen Parteien.
Am Ende heben (fast) alle Mitglieder die Hand und beschließen – ja mit Bedauern und schweren Herzens, aber sie tun es – die Schließung der Astrid-Lindgren-Schule. Der Schulleitung, sie sitzt hinter mir auf der Zuschauertribüne, wird öffentlich und warm versichert, man setze nun alles dran, dass die noch beschulten Kinder ihren Abschluss an der Schule mit allem Notwendigen vollbringen können. Bis die Schule dann abgewickelt wird. Der letzte macht das Licht aus. Die Nachbarschule übernimmt zwar das Gebäude, dass kann den Astrid-Kindern aber wenig helfen. Auf ihrem Zeugnis, Übergangszeugnis !!, wird nicht stehen, dass ihre Schule aufgrund der „Kinderinsolvenz“ verramscht wurde.
Nachsatz: Der Vertreter der Linken hebt tapfer die Hand gegen die Schließung. Sein Argument, man solle als Ausschuss geschlossen gegen die Schließung stimmen und die unliebsame Entscheidung doch gleich Detmold überlassen, ist ein lieber Versuch, zeigt aber auch hier das Fehlen von vorausschauender und nachhaltiger Bildungspolitik.
Tja, hätte der Ausschuss wahrlich häufiger getagt und hätte die Politik, genauer die Mitglieder im Bildungsausschuss, ihre Hausaufgaben gemacht, wäre die Schließung vielleicht verhindert worden. Kluge Politik bedarf weiser Voraussicht. Nun ist im wahrsten Sinne das Kind in den Brunnen gefallen.
Hätte das aber sein müssen? Nein.
Legenden Nr. 2: Schullandschaft ist prima so
Damit aber nicht genug. Antrag zwei findet sich auf der Tagesordnung: Gütersloh soll eine Gemeinschaftsschule einrichten. Ein Antrag, der eigentlich in die Zukunft weisen sollte, leider erkennbar fadenscheinig daher kommt, damit die Grünen das Thema für sich besetzen. Seit die rot-grüne Regierung in NRW das Zepter auch für die Schulpolitik übernommen hat, werden Gemeinschaftsschulen als eine Lösung auf drängende Fragen der Bildungsgerechtigkeit diskutiert. Gut so. Auch der Ansatz, diese Entscheidung auf die Kommunen zu verschieben ist klug, denn hier vor Ort wirkt Schule. Es ist also folgerichtig, auch in Gütersloh über diese Alternativen nachzudenken. Der Antrag steht nun schon auf wackeligen Beinen, weil er bis Ende des Jahres umzusetzen sein soll, heißt es im Papier. Damit ist das Anliegen leicht zu entkräften: allein das behördliche Hürdenrennen zur Beantragung einer solchen Entscheidung sprengt den Rahmen. Doch in diesem kurzen Handgemenge der Diskussion – die CDU erklärt, eine Gemeinschaftsschule sei lediglich ein Angriff auf die zwei Gymnasien (! Klientelpolitik ?) – schon eine tolle Situation in einer schwarz-grünen Plattform auf kommunaler Ebene und einer rot-grünen Landespolitik – entsteht die Legende Nr. 2. Auch hier ist Urheber der Dezernent. Herr Martensmeier erklärt, Gütersloh habe eine lebendige und nachgefragte Schullandschaft – und brauche keine Gemeinschaftsschule!
So so, will man da zwischenrufen, weil auch das Volk auf der Tribüne gerne mal was dazu sagen würde. Nun sind es kreisweit rd. 24 Prozent der Schüler (nichtdeutsch), die lediglich einen Förderschulabschluss aufweisen. Satte 26,4 Prozent der gleichen Kohorte verlassen die Hauptschule ohne Abschluss.
Zahlen, die sich in der Stadt Gütersloh ähnlich gestalten. Alles Probleme, die das bisherige Schulsystem nicht zu lösen vermag. Eine Diskussion um Alternativen im Schulsystem stände da berechtigt an. Ein System, in dem ein Drittel ins Gymnasium geht, der Rest verteilt wird und viele vergessen werden. Nun aber hat der Dezernent gesprochen: Gütersloh braucht das nicht. Gerne verweise ich an dieser Stelle auf Legende 1. Hier hat auch keiner nachgefragt, geschweige denn frühzeitig diskutiert.
Legende Nr. 3 – innovativer Schulträger
Das führt schnell zu Legende Nr. 3, als Krönung sozusagen: Gütersloh sei ein innovativer Schulträger, so ebenfalls der Dezenent. Ist Schweigen und Verweigern einer Diskussion Innovation? Wohl eher nicht. Innovation bedeutet übersetzt „Neuerung / Erneuerung“. Davon allerdings ist das legendäre Gütersloh weit entfernt.
Am Ende der Sitzung reibe ich mir die Augen. Das war ein legendäres Lehrstück an Ausschussarbeit: Handheben leicht gemacht. Verantwortung übernehmen Fehlanzeige. Weitermachen wie bisher. Ein Volk bekommt die Politik, die es verdient. Da bin ich aber sehr froh, dass die SPD-Fraktion den Antrag angekündigt hat, einen eigenen Gütersloher Bildungsgipfel einzuberufen, der den Schulentwicklungsplan ab 2012 in einem breiten öffentlichen Diskurs fortschreiben soll. Da freue ich mich drauf. Denn nach der Legendenstunde folgt das Aufwachen in der Realität. Auch für Gütersloh.
Freitag, 1. Oktober 2010
Unterschiede – die machen frei
Heute habe ich etwas gekauft, was ich sonst nie kaufe: Den Stern. Die Zeitschrift „Stern“. Die Titelseite war es – da steht in dicken Lettern: Karriere? Das tue ich mir noch nicht an! Warum gut ausgebildete Frauen das Spiel der Männer um Macht und Status nicht mitmachen. Auf dem Foto zu sehen ist eine junge Frau mit weißem Hemd. Ausgabe Nr. 40.
Karriere nein danke
Der Leitartikel war schnell gefunden. Seite 54. Große Bilderserie von den „Fallbeispielen“. Alle vorgestellten Frauen waren schon in leitender Position in größeren Unternehmen oder hätten „Ja“ zu einem solchen Angebot sagen können. Allen gemein ist, die betitelte Absage an die Karriere. Die Gründe sind schnell aufgezählt: Kinder, unflexible Arbeitszeiten, Männerdomaine und Machtspielchen. Nach einer kurzen Zeit des Erduldens folgte das Abnicken und eben der Ausstieg. Nun sind die Damen keine „Nullnummern“ geworden, sondern haben andere Wege gesucht, sich und ihre Talente einzubringen. Der Artikel endet mit der Mutmaßung, das auch die nächste Generation junger Frauen mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird, wie ihre Mütter. Resignation?! Auf der letzten Seite gibt es dann auch gleich Botschaften von „Frauen an Frauen“, wie sie sich im Job durchsetzen können. Aber ist das nicht die falsche Antwort auf die offensichtlicheFrage? Nämlich, wie können Frauen auch Frauen bleiben und wie gelingt es, dass sie nicht einfach die „besseren“ Männer sein müssen?
Frauen und Männer unterscheiden sich
Und dabei ist die eigentlich gute Botschaft versteckt: Männer und Frauen unterscheiden sich. Gut so und unbestritten. Darin liegt doch schon die Antwort, dass sich Frauen nicht in den gleichen Parametern vermessen lassen müssen, wie die männlichen Kollegen. Es sind nicht immer die naturwissenschaftlich-mathematischen Kenntnisse ausschlaggebend, die man gerne den „Jungs“ als Vorteil auf die Fahnen geheftet hat. Frauen dürfen gerne auch auf ihre eigenen Kompetenzen setzen: Die liegen etwa im Netzwerken, in der Fähigkeit der Kommunikation, des Zuhörens und der Empathie. Leider Faktoren, die bisher auf keiner Bank der Welt wirklich Zinsen gebracht hätten. Erfolgsmodelle waren eher die Derivate der Männer, schneller, weiter, mehr - ungeachtet vieler Faktoren der Nachhaltigkeit oder der Zufriedenheit oder gar des Glücks.
Neuer Wohlfahrtsindex
Doch es sind genau diese Inhalte, die neuerdings einen Aufwind erleben. Das selbst in der möglichen Neuberechnung des Bruttoinlandproduktes, welches in Testverfahren, dem sogenannten Nationalen Wohlfahrtsindex (NWI) als Gegenrechnung zum Bruttoinlandsprodukt berechnet wird. Hierin enthalten sind immerhin 21 Variablen, die Themenfelder abdecken wie soziale Gerechtigkeit, unbezahlte Arbeit, Umweltschonung und dabei die Wohlfahrtsentwicklung in der Bundesrepublik im Auge haben. Damit werden andere Quellen des Wohlstandes und der Wohlfahrt in unserer Gesellschaft ins rechte Licht gerückt, nämlich die Leistungen sozialer Netzwerke, Leistungen des bürgerschaftlichen Engagements, gerechtere Einkommensverteilungen und so fort. Mit einem Wort, Lebensqualität und Wohlbefinden rücken zunehmend in den Fokus einer immer bewusster werdenden Gesellschaft. Da fallen mir die vielen ehrenamtlichen Damen, Mütter ein, die unser Leben mit unzähligem Kuchenbacken, Zuhören und Anpacken bereichert haben. Gerade in diese Kuschelecke sind ja nun jahrzehntelang die Frauen abgeschoben worden. Wenn diese Kernkompetenzen nun endlich eine eigene Konjunktur erleben und messbar in unserem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Sein verortet werden, kann das für Frauen nur gut sein. Selbst die Schweiz als Paradeland des Geldverdienens hat diese neuen Parameter des Glücks in ihre Berechnungen aufgenommen. Die britische New Economics Foundation hat ähnliche Vorschläge für England unterbreitet.
Sie sind frei!
Nimmt man diese Aspekte zur Grundlagen, dann sind die Roll-Modells aus dem Stern schon einen ganzen Schritt weiter als der Artikel uns eigentlich sagen will. Immerhin haben sie den Mut aufgebracht, nein zu sagen - und was noch besser ist, sie haben Wege gefunden, den eigenen Neigungen zu folgen und diese einzusetzen. Sie müssen sich nicht mehr den Regeln anderer anpassen. Sie sind eigentlich das, was alle gerne sein wollen: Sie sind frei!
Samstag, 25. September 2010
Der Kommunalpolitiker hebt bei einer Abstimmung die Hand: Ja, Nein oder Enthaltung. Das gilt auch für die Bürgermeister, wenn sie stimmberechtigt sind. Nach der Abstimmung folgt die Auszählung. Einige Entscheidungen fallen einstimmig - bei anderen erfolgen Kampfabstimmungen. Beides ist Demokratie. Verläuft danach alles nach Plan, schaut hier niemand mehr hin und das Stimmenverhältnis wird vergessen. Aber manche dieser Weichenstellungen zeigen erst sehr viel später Folgen: Fehlende Millionen in der Haushaltskasse, hässliche Bauruinen, vermasselte Großprojekte. Eine aufgeklärte Bürgerschaft möchte heutzutage genauer wissen, wer für welche Entscheidung verantwortlich ist. Ein Blick in die Protokolle und Niederschriften in Nordrhein-Westfalen kann das aber oft nicht klären: Die Geschäftsordnungen des Rates machen das Handheben zu einem unpolitischen Zahlenfriedhof. Ein politisches Gedächtnis existiert in der Regel nicht. Damit fehlt auch jede Verantwortlichkeit.
Abstimmen leicht gemacht
Entscheidungen zu fällen ist das Alltagsgeschäft in der Kommunalpolitik. Es vergeht keine Rats- oder Ausschusssitzung, in der nicht über etwas abgestimmt wird. Das ist schließlich auch der Sinn politischer Gremien. Kommunalpolitik wird dabei oft als Entscheidungsfeld der „Gullideckel“ verspottet, über die einstimmig beschlossen wird. Doch entstehen auch hier immer mehr Streitfragen, die schnell mal die Öffentlichkeit in Lager spalten und eine ganze Kommune in Atem halten. Die Kommunalparlamente beherrschen es also auch, das demokratische Kräftemessen mit großen parteipolitischen Gesten und Gezänk. Am Ende eines jeden Streites jedoch kommt es naturgemäß zum Schwur, zur Abstimmung der gewählten Volksvertreter in den Gremien. Die Hand wird gehoben, Ja, Nein oder Enthaltung - so wie es die Gemeindeordnung vorsieht. Politische Entscheidungen ersetzen dann schnell einmal sachpolitische Rationalität.
In Paragraph 50 GO NRW ist geregelt, wie Abstimmungen vom Gesetz her verlaufen sollen: Beschlüsse werden mit der Stimmenmehrheit gefasst, soweit das Gesetz nichts anderes vorschreibt. Bei der Beschlussfassung wird offen abgestimmt, heißt es. Auf Antrag einer in der Geschäftsordnung des Rates zu bestimmenden Zahl von Mitgliedern des Rates ist namentlich abzustimmen. Auf Antrag eines Fünftels ist geheim abzustimmen. In der Realität umschreibt dieser Paragraph 50 also das übliche offene Handheben, „geheime Abstimmung“ kommt selten zum Zug.
Während der Beschlusstext und das Ergebnis der Abstimmungen noch auf öffentliches Interesse stoßen, herrscht danach meistens Ruhe und kaum einer fragt danach, wie eigentlich Buch geführt wird über das konkrete Abstimmungsverhalten der Fraktionen oder Gruppierungen. Solange nun Abstimmungen ohne Schaden für das Gemeinwohl verlaufen, braucht es offensichtlich kein politisches Gedächtnis.
Wenn es brennt, will man wissen, wer Feuer gelegt hat
Das ändert sich schlagartig, wenn etwas schief läuft - etwa dann: Viele Kommunen sind pleite. Sie haben lange Zeit auf großem Fuß oder auf Pump gelebt. Auch dafür haben die Politiker irgendwann einmal im Rat die Hand gehoben und „Ja“ gesagt. Beim Kassensturz aber will es dann plötzlich keiner mehr gewesen sein. Oder eine Entscheidung aus der letzten Ratsperiode zeigt erst später ihre negativen Auswirkungen, wie etwa der Bau eines Einkaufzentrums, das Konkurs anmeldet und eine hässliche Bauruine hinterlässt. Oder eine Loveparade stürzt eine Stadt in eine Tragödie. Oder ein Theater wird gebaut, obwohl die Bürgerschaft deutlich dagegen ist. Politische Entscheidungen kosten den Bürger oftmals eine Stange Geld. Und bringen manchmal auch Veränderungen, die nicht allen gefallen. Das ist Demokratie. Demokratisch ist es aber auch, nun zu wissen, wer genau dafür die politische Verantwortung trägt? Erst die Möglichkeit, politische Verantwortlichkeit mit Personen zu verbinden, ermöglicht dem Bürger im wahrsten Sinne als Souverän zu agieren.
Gut beraten sind daher die Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen, die über ein funktionierendes, politisches Erinnerungsvermögen verfügen. Ein Blick in die Niederschriften des Rates könnte also Aufklärung bringen, denn Demokratie ist nichts ohne ein politisches Gedächtnis. Niederschriften sind in § 52 der Gemeindeordnung NRW verbrieft: Über die im Rat gefassten Beschlüsse muss eine Niederschrift angefertigt werden. Der wesentliche Inhalt der Beschlüsse soll dabei in öffentlicher Sitzung oder in anderer Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Im Zeitalter des Internets wären daher bestenfalls zwei Klicks ins Ratsinformationssystem der Stadt ausreichend – oder der altbewährte Gang ins Rathaus zum direkten Nachlesen der Niederschriften.
Zahlenfriedhof statt politische Verantwortung
Die Praxis allerdings sieht anders aus. Sie lässt in vielen Städten und Gemeinden des Landes NRW den Interessierten im Dunkeln stehen und Ernüchterung stellt sich ein: Werden Beschlüsse einstimmig gefasst, findet sich dieser Passus der „Einstimmigkeit“ bei Beschlussfassung auch so im Protokoll. Ist das aber nicht der Fall, steht in der Regel nur das blanke Zahlenverhältnis der Abstimmung auf dem Papier: Etwa 19-Ja-Stimmen, vier Nein-Stimmen und drei Enthaltungen, je nach Besetzung des Rates. Eine Zuordnung zu einer Fraktion oder einem konkreten Namen aber findet nicht statt. In Bielefeld ist das so, in Paderborn, in Höxter, im Kreis Gütersloh, in Detmold, in Ratingen und so weiter. Welcher der Mandatsträger da genau mit Nein gestimmt hat oder zu welcher Fraktion der Volksverterter gehört, der sich enthält, bleibt ein Geheimnis. Auch ist nichts darüber zu lesen, wie etwa ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin abgestimmt hat, wenn er oder sie stimmberechtigt waren. Gerade aber die direkt gewählte Stadtspitze und ihr Abstimmungsverhalten als Klammer zwischen Rat und Verwaltung ist von besonderem Interesse. Wieso haben die gewählten Volksvertreter offensichtlich Angst, sich dem Bürger gegenüber für ihre Entscheidung zu verantworten. Und warum gedeiht dann am Anfang eines Entscheidungsporzesses so viel Parteipolitik und Gezänk, wenn es am Ende im politischen Vergessen endet?
Anhand der Wortbeiträge im Protokoll sind - mit geübtem Blick - vielleicht noch die jeweiligen Fraktionsspitzen in ihrem Abstimmungsverhältnis wirklich zuzuordnen. Die breite Ratsmenge jedoch verschwindet im Zahlennebel. Zudem nutzen Ratsleute nur sehr selten die Möglichkeit, hier Konkretes im Protokoll zu verankern oder gar dasselbe nach Durchsicht in diesem Punkt zu beanstanden.
Intransparenz zahlt sich nicht aus
Die Folgen dieser schweigenden Tradition bleiben nicht aus. Auch demokratietheoretisch ist das ein großes Problem:
Nach dem Wegfall der 5%-Hürde bei der Kommunalwahl in NRW sind Räte mit sieben bis sogar dreizehn Fraktionen und Gruppierungen keine Seltenheit mehr. Das Prozedere der politischen Meinungsbildung ist schwerer geworden. Dieser Umstand ist ein Ausdruck zunehmender Komplexität in unserer Gesellschaft. Um so mehr ist es angebracht, gerade im Abstimmungsverhalten größtmögliche Transparenz zu sichern. Denn politische Arbeit in den Räten führt spätestens bei Wahlen zur politischen Legitimationsfrage, die dann nur noch vage beantwortet werden kann. Damit haben Behauptungen, Vermutungen und Zusammenreimen ein leichtes Spiel – Bestandteile, die die Demokratie ad absurdum führen können. Die Tage Adenauers, geprägt von „was stört mich mein Gerede von gestern?“ aber sollten gezählt sein. Auch leidet die Messbarkeit der Leistungen, der Kreativität um die besten Lösungen innerhalb einer Kommune. Wer darf sich noch zurecht welche Erfolge auf die Fahnen schreiben?
Aber auch die in der Gemeindeordnung in § 43 verankerte Haftung der Ratsmitglieder ist damit in Frage gestellt. In Absatz vier heißt es hier nämlich, erleidet eine Gemeinde infolge eines Beschlusses des Rates einen Schaden, so haften die Ratsmitglieder unter bestimmten Voraussetzungen. Eine davon ist etwa die vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten, oder auch die Mitwirkung an einer Beschlussfassung, obwohl sie vom Gesetz hiervon ausgeschlossen waren und ihnen der Ausschließungsgrund bekannt war. Wer aber kann das ohne Zuordnung zumindest zu den Fraktionen dann noch nachhalten? In § 31 GO NRW sind ferner die jeweiligen Ausschließungsgründe aufgeführt. Anhand der Anwesenheitsliste der Ratsvertreter innerhalb einer Sitzung kann zwar darauf geschlossen werden, ob ein Ratsmitglied trotz Ausschließungsgrund mitgestimmt hat, bei fehlender Zuordnung zur Fraktion oder Person aber bleibt die Frage offen, wie er abgestimmt hat. Das allein lässt Tor und Tür für Spekulationen offen. Damit wird das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Repräsentanten zusätzlich untergraben.
Der vielfach attestierte Vertrauensverlust - siehe Stuttgart 21, die Anti-Atom-Bewegung, die zunehmende Forderung nach Volksentscheiden - in die politische Klasse ist nun seit längerem ein Grund dafür, dass sich die Bürgerschaft den neuen Unmut auf die Fahnen geschrieben hat. Es wird nicht mehr einfach befolgt, was „die da oben“, eine „Elite“, entschieden hat. Entscheidungen landen auf dem Prüfstand – und man geht dann gerne auch auf die Straße und macht Politiker für ihr Handeln verantwortlich. Hinzu kommt noch, dass im Nachhinein nicht einmal mehr ein geschichtliches Aufarbeiten politischer Prozesse möglich ist. Die Archivare in den Kommunen finden als „Zeugen“ nur noch nackte Zahlen und keine Menschen mehr vor. Für die Geschichtsschreibungen ganzer Städte wäre das fatal, für ein kollektives Gedächtnis einer Stadt nicht minder.
Transparenz sind kaum Grenzen gesetzt
Aufgrund des Internets sind heute der gegenwartsbezogenen wie auch zukünftig vergangenheitsbezogenen Transparenz kaum Grenzen gesetzt. Da hilft langfristig auch kein Verbot des Twitterns mehr. Das Gesetz lässt da viel Raum. Die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in der Geschäftsordnung liegt rechtlich im Ermessen des Rates, erklärt auch Andrea Duifhuis, Referat 31 aus dem Ministerium für Inneres und Kommunales in NRW. Qua Gesetz gibt es bestimmte Pflichtinhalte, die in der Geschäftsordnung des Rates festzulegen sind. Darüber hinaus kann ein Rat in seiner Geschäftsordnung Regelungen treffen, die für das Verfahren im Rat, den Ausschüssen und den Bezirksvertretungen gelten. Hierbei steht dem Rat ein weites Ermessen zu. Nach § 47 Absatz 2 GO NRW ist er ermächtigt, innerhalb des durch Wesen und Aufgabenstellung der demokratisch gebildeten Vertretungskörperschaft begrenzten Bereichs seine inneren Angelegenheiten in eigener Verantwortung und nach seinem eigenen Sachverstand zu ordnen.
Und nicht nur das. Auch im Grundgesetz ist die kommunale Selbstverwaltungsgarantie fest verankert: Das Recht des Rates, sich eine Geschäftsordnung zu geben, summiert unter der kommunalen Organisationshoheit und fällt damit unter die Selbstverwaltungsgarantie nach Artikel 28 Abs. 2 GG. Gesetzliche Regelungen haben diese Selbstverwaltungsgarantie zu beachten und dürfen das Recht der Gemeinden, ihre inneren Angelegenheiten zu ordnen, nicht durch zu engmaschige Vorgaben aushöhlen. Den Gemeinden steht das Recht zu, im Rahmen der Gesetze alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln.
Nachfragen lohnt sich – ein Klick gibt Auskunft
Warum also tun sich die Städte und Gemeinden so schwer damit, in ihren Protokollen deutlichere Aussagen zu machen? Diese Frage könnten nicht nur Verwaltungsfachleute stellen, sondern auch die betroffenen Bürgerinnen und Bürger einer Stadt. Ein Blick in die Protokolle bringt da sehr schnell an den Tag, welche Kommune wie transparent ist – oder sein will. Ein Mehr an demokratischer Legitimation in der kommunalen Entscheidung sollte einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung des Rates wert sein. Gute Beispiele dafür gibt es schon: In Düsseldorf, Köln und Münster etwa wird die Zurordnung von Abstimmungsverhalten der Gewählten vorbildlich im Protokoll vermerkt. Hier kennt man Ross und Reiter. Da können sich am Ende nicht nur Archivare erinnern.
Sonntag, 5. September 2010
Kürzlich fragte Frank Plasberg seinen Gast Norbert Röttgen, Bundesumweltminister, nach seiner Vita: "Herr Röttgenm Sie gelten als sehr klug, werden scherzhaft sogar Mutters Klügster genannt - aber ein Scheitern kommt in ihrem Lebenslauf nicht vor. Wie kommt das?"
An dem Punkt bin ich wieder wach geworden. Hellhörig sogar. Was war das dann für eine Botschaft? Scheitern als positives Ereignis? Hat hier jemand Prominentes mal ein Ohr für Menschen, die in ihrem Leben nicht alles gelungen auf die Reihe bekommen? Bisher ist der Eindruck entstanden, diese Art Talkshows würden hauptsächlich von Erfolgreichen bestückt, von Menschen, die es "drauf" haben. Und damit Aushängeschilder sind, Messlatten und Vorbilder, an die der "normale Mensch" wie ich nicht heranreicht.
Was aber ist "Scheitern"? Und wann bekommt man den Beweis, dass man gescheitert ist? Scheitern bedeutet eigentlich ganz simpel, das Fehlschlagen eines Vorhabens. Nun kann man das ganze Leben ja als ein Vorhaben verstehen. Und da sind die Vorhaben leider nicht immer selbst ausgedacht, sondern folgen den allgemeinen Regeln einer Gesellschaft.
Nehmen wir da einmal das große Feld "Schule". Denn, seien wir mal ehrlich, Schule ist oftmals das Treibhaus allen Scheiterns. Jede oder jeder, den ich befragt habe, verbindet seine ersten Scheiter-Erlebnisse sekundenschnell mit der eigenen Schulzeit. Nur einigen passiert das Scheitern leider öfter als anderen. Schulversager werden sie genannt, Sitzenbleiber, "Abgestufte", wie es im Pädagogendeutsch heißt.
Solche schlechten Schüler, aus denen angeblich nichts wird, kommen selten unbeschwert in die Schule. Daniel Pennac beschreibt sie als Zwiebel. Mehrere Schichten aus Kummer, Angst, Sorgen, Grollm ungestillten Begierden, schmachvoller Vergangenheit, bedrohlicher Gegenwart und verbauter Zukunft stehen da plötzlich in der Klasse. Diese Baustellen des Lebens und der Persönlichkeit müssen erstmal bearbeitet werden, bevor die Kinder überhaupt lernen können. Die Köpfe und Herzen müssen erstmal frei werden.
Wenn aber die Schulglocke klingelt und sich das Lernvolk in den Klassenräumen wiederfindet, ist da umgehend ein gestecktes Klassenziel, welches es zu erreichen gilt. Im Rennen um Bildung waren die Anderen immer schneller als ich, sie rissen die Zielschnur immer schon ein, wenn ich noch über den Sinn der Fragestellung nachdachte. Ich habe mich immer gewundert, warum meine Klassenkameraden selten etwas hinterfragt haben, sich stets gefügig zeigten und den Anweisungen folgten. Ich dagegen fand Unterricht dann klasse, wenn ich Fragen stellen konnte - und Antworten bekam. Ich fand Schule immer dann spannend, wenn ich aus der Gemeinschaft ausscheren konnte, meinen eigenen Rhythmus fand und in Ruhe meine Aufgaben erledigen durfte. Mein Schnellschreiben habe ich mir deshalb antrainiert, weil derjenige, der am schnellsten mit dem Abschreiben von der Tafel ins Heft fertig war, nach draußen gehen durfte, um Wasser zum Tafelwischen zu holen. Klar, dass ich das ich oft am Wasserhahn stand.
Kindern ist schon früh klar, dass abweichendes Verhalten nicht gewünscht ist. Hier ist der Punkt, an dem die Gesellschaft sanktioniert. Schule sanktioniert. Sie fördert nicht. (Noch immer nicht durchgängig als Ziel.) Jedenfalls nicht die, die anders sind. Anders lernen. Damit fängt das Scheitern an. Die ersten Aufgaben werden nicht so gelöst, wie man sich das ausgedacht hat - und schon ist man draußen. Der Rechenweg ist nicht so, wie alle den gemacht haben - und schon steht eine schlechte Benotung in rot am Seitenende. Nein, eine Sonne darf auf dem Bild im Kunstunterricht nicht grün sein. Was zählt ist also das "geht nicht" - und geht nicht bekommt in der Regel schlechte Noten. Anstrengungen und Bemühungen werden selten erkannt. Andere Wege, anderes Tempo bleiben auf den Notenrängen ausreichend bis ungenügend. Querdenken endet oftmals im Klassenbuch.
Während das Gros der Schülerinnen und Schüler voranschreitet und sich im grünen Rahmen von eins bis drei der Zukunft nähern, haben die Vierer-bis Sechser-Schüler keine solche. Zukunft. Sie tragen statt dessen das unsichtbare Zeichen des "schwierig" bis "das wird nichts" auf der Stirn. Das kann man zwar nicht sehen - aber um so mehr fühlen. Es gibt viele dieser Art Schüler, die von der ersten bis zur letzten Klasse ohne das Vertrauen auf Zukunft durch die Schule gehen. Und das ist auch ein Lerneffekt: Es wird schnell zur inneren Überzeugung, zum fatalen Glaube, man sei zum Scheitern verurteilt. Am Anfang allen Scheiterns steht also die erlernte Selbsterkenntnis, falsch zu sein, es nicht zu schaffen. Dieser Glaube bleibt wie das Haus auf dem Rücken einer Schnecke bleibt.
Und dann kommt doch der Durchbruch: Ein Fünckchen, ein Gespräch, eine Aufmunterung. Ein Erkanntwerden. Eine Motivation. Wie viele Biographien handeln davon! Plötzlich wendet sich das Blatt und der Fluch ist durchbrochen. Neues tut sich auf. Kreativität entsteht. Der eigene Weg gelingt auf wundersame Weise. Wege und Möglichkeiten zeichnen sich ab. Und der Erfolg stellt sich ein. Erfolg durch fördern?!
Eines bleibt jedoch ein Leben lang: Das Wissen um den Schmerz des Scheiterns. Um die tiefe Kränkung. Um den Kampf, des dennoch zu schaffen. Um Disziplin gegen sich selbst, um das tiefe Glücksgefühl, am Ende doch durchgehalten zu haben. Das aber bleibt ein Geheimnis, welches nur Scheiterer unter sich erkennen können. Den Gewinnern ist diese Quelle auf ewig versagt. Eine Lebenserfahrung, die ich nicht missen möchte und die am Ende stärkt. Mutters Klügster wird sich wahrscheinlich kaum über dieses Lob freuen können - Klügster. Er kennt als einer ohne Scheitern wahrscheinlich nur Licht. Die Scheiterer aber, die haben den Regenbogen gesehen, der aus tiefster Nacht emporsteigt.
Scheitern in der Schule, auch Thema im WDR 5:
http://www.wdr5.de/fileadmin/user_upload/Sendungen/Dok5_das_Feature/2010/August/Manuskripte/08_29_Geheimnis_des_Misserfolges.pdf
Montag, 30. August 2010
Morgen ist es soweit: die I-Dötze Jahrgang 2010 kommen in die Schule.
Es werden dieses Jahr weniger sein als in den vorherigen Jahren. Der demographische Wandel
schlägt zu. Lange schon ist dieses "Phänomen" landauf und landab diskutiert worden.
Lange war es auch den Kommunen bekannt. Mit den geringeren Einschulungszahlen wird
in Zukunft die eine oder andere Schule geschlossen werden (müssen). Bisher gilt das Motto
"kurze Beine, kurze Wege" und damit ausreichend Schulangebote. Wie lange aber können sich die Kommunen diese Ausstattung leisten und wo sind die Konzepte für zukünftige Schullandschaften, die dieses Problem in Angriff nehmen? In Gütersloh gibt es noch 18 Grundschulen. Dieser Tage wurde die mögliche Schließung einer Grundschule mangels Anmeldezahlen bereits diskutiert. Anstatt sich aber über eine neue Verteilung der Zügigkeit
auszutauschen oder aber über neue Formen von Schulmodellen bleibt es bei der lediglichen
mündlichen Bekanntgabe des Zahlenmaterials. Weitsicht fängt aber dann an, wenn man überhaupt ein Problem betrachtet. Das Grundproblem ist wieder einmal vertagt. Jetzt darf man auf den nächsten Ausschuss gespannt sein.
Und nicht nur an den Eingangszahlen ändert sich einiges. Lange schon ist bekannt, dass das
bestehende Schulsystem wie es sich heute darstellt keine ausreichenden Antworten auf
die bestehenden Probleme gibt.
Die Grundschulen legen den GRUNDstein für den weiteren Bildungsverlauf. Daher ist hier
alles aufzubieten, was ein Staat und seine Gesellschaft nur aufbieten können, um einen
guten Start zu ermöglichen. Das heißt auch, es ist für Chancengerechtigkeit zu sorgen. Schule
zu gestalten ist dabei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Alle sind hier angesprochen. Nun wäre es an der Zeit, die neuen Optionen zu nutzen, die die Landesregierung in NRW ermöglichen möchte: Schulmodelle sind erlaubt, Ideen können umgesetzt werden, Schule kann neu aufgestellt werden. Die Grenzen zwischen der inneren und äußeren Schulangelegenheit waren noch nie so fließend wie heute. Eine öffentliche Diskussion zum Thema Schule wäre also längst
angesagt und überfällig. Eine Schullandschaft, die den späten 60er Jahren anhaftet, also dreigliedrig und Gesamtschule, die Guten ins Gymnasium, der Rest verteilt, viele vergessen
und mit der Gefahr gebranntmarkt, überhaupt keinen Abschluss zu bekommen, sollte endlich vorbei sein.
Sollten diese Chancen jetzt nicht genutzt werden, ist es gut, den jetzigen I-Dötzen schon heute Trillerpfeifen mit in die Schultüte zu geben, damit sie in ein paar Jahren gegen ihren schlechen Bildungsstart und ihre ungleichen Bildungschancen lautstark selbst protestieren können.