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Dienstag, 1. Februar 2011

Tricksen beim Bürgerhaushalt - politische Feuerwehr gefragt: Wehrhafte Demokratie

Der Bürgerhaushalt in Gütersloh hat einen schweren Stand. Das ist wohl so: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. So auch in Ostwestfalen-Lippe. Aber keiner hat gesagt, dass die Revitalisierung von demokratischen Beteiligungsformaten leicht sein würde.

Nach einer schweren Geburt, bei der die Politik erst die Patenschaft für das Onlineverfahren übernommen hatte, nachdem das Haushaltsloch gigantisch war und der Protest gegen Streichungen unüberhör wurde, gestalten sich nun die ersten Schritte als gleichermaßen schwer.

Heute titelt die Neue Westfälische, bei der Abstimmung sei getrickst worden. Vorwurf: Die Gütersloher Feuerwehrleute hätten die Bielefelder Kollegen dazu aufgerufen worden, Pläne für eine Realisierung einer Gütersloher Berufsfeuerwehr zu unterstützen. Zur Erinnerung: Es handelt sich um den Gütersloher Bürgerhaushalt, an dem Gütersloher teilnehmen sollten. Das Online-Portal zum Bürgerhaushalt gewährte die Nutzung anonym oder auch durch "Phantasienamen" wie "dagobert". So waren der Möglichkeit einer Mehrfachanmeldung unter verschiedenen Emailanschriften sowie eben die Nutzung für Nicht-Gütersloher zumindest die Türen geöffnet.

Dieses Tor haben nun angeblich Externe Lobbyisten der Berufsfeuerwehr genutzt und die Abstimmung damit manipuliert. Zur Beweislage lichtet die Zeitung heute ein Sceenshot von facebook ab, in dem ein unkenntlich gemachter Nutzer seine Bielefelder Kollegen dazu aufruft, sich am Bürgerhaushalt zu beteiligen, um eine Berufsfeuerwehr politisch durchzusetzen. Dieser Vorschlag landete dann durch 500 Pros auf Rang 1 der Vorschlagsliste. Diese liegt bekanntlich der Politik vor.

Schade.

Allerdings:
Facebook ist eines der wichtigsten Internet-Tools für social media. Millionen Menschen weltweit kommunizieren darüber. Übrigens auch unsere Ratsvertreter im Rat der Stadt Gütersloh - und das nicht nur als Kommunikationsmittel außerhalb der Ausschuss- und Ratssitzung, sondern auch während derselben.
So kann man hier schon im Laufe der Sitzungen teilnehmen, ohne selbst dabei zu sein: Erste Ergebnisse oder Beratungsverläufe werden gleich 1:1 in den Rechner getippt. - Kann sich übrigens jeder Besucher der Empore im Ratssaal ein Bild davon machen, denn auf fast jedem Ratssitzplatz steht ein mitgebrachtes Notebook.

Und: FDP-Fraktionschef Dr. Büscher hatte sogar offen zugegeben, selbst Missbrauch betrieben zu haben. Im Hauptausschuss outete er sich, er habe sich (unerlaubt) bei zahlreichen anderen Bürgerhaushalten eingeloggt und mitgemacht. Wissentlich unberechtigt, denn er ist bekanntlich Gütersloher Bürger und kein Bürger von Solingen, sonst hätte er hier kein Ratsmandat. So viel zur Ehrlichkeit und Vorbildfunktion.

Nun wird hier gemutmaßt, dass diesem Aufruf einer Klientel von Feuerwehrleuten zu externer Beteiligung auch Folge geleistet wurde. Bewiesen ist das nicht. Nochmal: Die Teilnahme war anonym und die Daten sind nicht veröffentlicht worden. Einem geübten Facebook-Nutzer nun ist es übrigens ein Leichtes, anhand der abgedruckten Notiz herauszufiltern, wer diese Notiz verschickt hat. Der Inhalt allerdings ist nur durch das Ablichten der Notiz in der Zeitung transparent. Denn: Nachrichten, die über facebook verschickt werden, sind nur für eben Empfänger oder Sender zu sehen, die Posts sind öffentlich. Das hat also jemand öffentlich gemacht, der einen eigenen Nutzen durch die Bekanntgabe erreicht. Ein Gegner der Onlinebeteiligung?Oder ist es die Presse, die das Internet mit seinen neuen direkten Möglichkeiten des Protestes und der Formulierung von Alternativen gerne als Teufelswerk dämonisiert und sich nun über diese Panne freuen kann?

Nun ist es in der "normalen" und gewählten Politik aber genau so, dass bei jeder Art von Entscheidung ebenfalls nicht selten Lobbyisten - oder nennen wir sie Interessenvertreter - mit am Tisch sitzen und Entscheidungen maßgeblich beeinflussen können. In der "alten Politik" allerdings sieht man sie nicht. Sie bleiben konspirativ und nebulös. Im Netz ist das anders. Hier hat sich klar und deutlich eine vermeintliche Interessengruppe engagiert. Die dann aber auch transparent ist, denn eine Abstimmung von 500 Votes ist ein in dieser Runde beachtliches Ergebnis - welches vielleicht auch aufhorchen lässt und besondere Fragen nach sich zieht. Wenn nun ein Betrug vorliegt, ist auch dieser öffentlich. Und die Nutzer schneiden sich ins eigene Fleisch. Ihr Handeln disqualifiziert sie. Hat der Vorwurf Bestand, gehört der Vorschlag von der Liste genommen. 

Nun muss diese Kritik aber nicht im Aus für den Bürgerhaushalt enden. Für die vielen ehrlichen Nutzer wäre das ein Schlag ins Gesicht. Sondern: Der im Kern sehr undemokratische Vorgang des nicht erlaubten Abstimmens kann in der Konsequenz nur zur Weiterentwicklung dieses Instrumentes der Demokratie führen, welches aus diesen Erfahrunge nur lernen kann.

Außerdem ist diese Kritik nicht neu: Diese Punkte (Mehrfachanmeldungen, Voten von Externen) wurden bereits im Begleitgremium diskutiert und auf die Liste der Verbesserungen gesetzt. Auch die Initiative "Demokratie wagen" hat hierzu einen Katalog aufgesetzt.

Nun ist es in der Demokratie so, dass die einen etwas wollen, die anderen dies aber nicht wollen. Das ist das Spannungsfeld, in dem sich unsere Gesellschaft befindet. Immer schon und auch in Zukunft. Wer allerdings aufhört, diese Pole miteinander auszuhandeln, begibt sich auf einen Weg, der von der Demokratie wegführt.
Demokratie ist die Herrschaft der Vielen. Der Souverän sind wir alle. Beteiligung ist in unserer Gesellschaft also "alternativlos". Das Unwort des Jahres ist an dieser Stelle recht sinnvoll eingesetzt. Denn, wenn hochkomplexe Gesellschaften wie die unsrige nicht beteiligen, werden sich diejenigen, die sich nicht beteiligt fühlen, andere Wege suchen, ihre Argumente und Alternativen zu artikulieren und in geeigneten Formaten umsetzen.

Schon allein die hohe Abrufzahl der Online-Plattform deutet auf ein höheres Interesse am kommunalen Geschehen hin, als das sonst der Fall war. Auf dem steinigen Weg nun auf halber Strecke umzukehren, wäre ein Schritt zurück. Dann hätten nämlich die 500 angeblich externen Voter viel mehr erreicht als die Diskussion über die Berufsfeuerwehr. Sie hätten auch das neue Format Bürgerhaushalt gekippt. Ein Instrument der Beteiligung weniger auf der Liste der tauglichen Formate. 

Das allerdings müsste die politische Feuerwehr auf den Plan rufen: Demokratische Beteiligung kann man nicht einfach abfackeln.

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