Kennen Sie das? Morgens im Berufsverkehr an der roten Ampel zu stehen und zu warten? Neulich fiel mir dabei auf, dass sich irgend etwas geändert hatte. Aber ich kam nicht drauf, was
das war. Und dann hat es Klick gemacht: Die Autos sind "anders"! Aalglatt und nur noch Ton in Ton, also schwarz und silbern. Mit viel Chrom. Fast schon antiseptisch. Keine bunten Aufkleber mehr auf den Heckscheiben oder dem Blech, deren Lektüre mir die Zeit an der Ampel vertrieben, meinen Geist anregten und mich stolz machten auf unsere doch so gepriesene Meinungsfreiheit. Ich sah den Grundgesetz Artikel 5, Absatz 1 vor mir, der besagt: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. (...) Eine Zensur findet nicht statt."
Früher hatte ich nicht nur die Zeitung gründlich studiert, wenn ich im Büro ankam. Auch die Vielfalt der Kultur und Politik in unserem Lande war mir präsent, denn jede Fahrt mit dem Auto war auch ein kleiner Ausflug in die politische Architektur unseres Landes gewesen: An jeder damals noch bunten (!) Karre klebte mindestens ein Aufkleber, der die Philospohie oder politische Einstellung der Insassen gleich einem Herzen auf der Zunge nach außen zur Schau stellte. Das rollende spätrömische Dekadenz-Postulat "Eure Armut kotzt mich an" - fand ich besonders reizvoll; allein die Überlegung, wie oft sich der Fahrer am Tag wohl übergeben musste, amüsierte mich. Weniger oft irrte auch eine Wahlkabine auf vier Rädern durch die Straßen: SPD, CDU, Grüne, selten Die Liberalen. Damals gab es noch klare Verhältnisse, stabile Berechenbarkeit der Parteien, wahre Fangemeinden. Volatile Wähler waren uns fremd. Auch die Weltreligionen machten vor Blech nicht Halt: "Jesus is the lord" - da beeilte ich mich immer, einen Blick in die Fahrerkabine zu erhaschen, wie so jemand wohl real aussah.
Langeweile an der Ampel |
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