Plädoyer für Anonymität beim Bürgerhaushalt
Klar, das wünschen sich instinktiv doch alle: Künftig nur noch offene Beteiligung mit voller Namensnennung im Onlineportal zum Bürgerhaushalt. Früher hieß das „Streiten mit offenem Visier“. Schön wär es - aber wir sind noch längst nicht so weit in der politischen Streitkultur. Jürgen Zimmermann und ich haben uns zur notwendigen Beibehaltung der Anonymität im Gütersloher Online-Portal Gedanken gemacht.
Die Onlineplattform ist nur schriftlich zu bedienen. D.h. alle (!!), die sich beteiligen, müssen sich im Einbringungsverfahren und in der Kommentierung schriftlich äußern. An Hand der Art der Verschriftlichung wie etwa Rechtschreibung und Ausdruck lassen sich schon eine Menge erster Rückschlüsse ziehen. Da wir ja alle einmal zur Schule gegangen sind, haben wir das bundesdeutsche Notensystem deutlich verinnerlicht, kennt sich jemand dann mit der
Orthographie, also Rechtschreibung, nicht so gut aus, gibt das unterschwellig Abzüge in der Bewertung: Schnell stehen viele Fehler für angeblich schlechtere Vorschläge. Gleiches gilt für die Ausdrucksweise, einer kann es druckreif, ein anderer aber nicht, dennoch kann ein Vorschlag oder eine Anregung sehr innovativ sein und eine Menge bringen. Am Ende schreckt es ab, sich hier einer ungewollten Prüfung zu unterziehen. Wer also würde sich in einer solchen Plattform beteiligen? Jedenfalls viele NICHT, die Angst vor Fehlern haben. Ein Bürgerhaushalt ist aber nicht dazu da, Bildungsschichten auszusortieren, sondern er soll das Knowhow der Menschen einer Stadt abrufen - das liegt nicht immer nur da verborgen, wo jemand gut schreiben kann.
Auch trägt es wenig zur Vertrauensbildung bei, wenn sich die gewählten Volksvertreter schon während des Beteiligungsverfahrens dazu äußern, der „Bürger“ habe eigentlich keine Ahnung! Vieles könne er nicht wissen, vieles sei schon in den Gremien rauf und runter beraten, vieles könne in der Kommune nicht beschlossen werden, aber das wisse der Bürger ebenfalls nicht. Fachkompetenz gleich zu Beginn in Abrede zu stellen, abzuwiegeln und die Meinung der Bürgerschaft von vornherein in Frage zu stellen, ist keine Einladung für eine Beteiligung mit offener Namensnennung. Namensnennung unter diesen Vorzeichen wird dadurch für den Nutzer zum Risikofaktor - am Ende könnten die politischen Zeigefinger auf „den Blödmann“ gerichtet werden.
Zudem gibt es viele Politikfelder, in denen man nicht gleich öffentlich am Pranger stehen möchte, wenn man sich dazu bekennt. Bestes Beispiel: Hundesteuer. Wohnen etwa vier Parteien in einem Haus, einer davon hat einen Hund. Dann können sich drei für eine höhere Hundesteuer aussprechen, und möchten nicht, dass der Vierte mit Hund davon erfährt – dann wäre vielleicht der Hausfrieden verloren. Wie oft gibt es darüber Streit, wenn der Nachbar seinen Hund in den Vorgarten scheißen lässt – man hält den Mund, will man nicht mehr Ärger als üblich. Im Stillen wünscht man sich, er müsse zumindest mehr dafür bezahlen, dass der Dreck auf öffentlichen Straßen entfernt wird. Mal Hand aufs Herz: Kennen Sie das etwa nicht? Denn nicht alle Hundebesitzer tragen eine Tüte bei sich...
Auch in den Reihen der Politiker selbst ist diese Offenheit nicht immer gegeben. Wie viele der (Kommunal)politiker stimmen bei kritischen Fragen unter dem Deckmantel der Fraktion, oder gleich der Partei ab? Wie viele beugen sich gegen ihre innere Überzeugung am Ende doch dem Fraktionszwang? Politiker haben sich einmal öffentlich zur Wahl gestellt, sich als Person des öffentlichen Lebens deklariert. Sie stehen als „Ganzes“ auf der politischen Bühne, haben ihre „Parteigenossen“, ihre „Kollegen“ - müssen also so gut wie nie ihren Kopf alleine hinhalten. Das politische Stimmverhalten im Rat wird übrigens erst seit ein paar Wochen in den Protokollen festgehalten. Vorher standen dort nur „Zahlen“, die keiner Partei oder Personen zugeordnet werden konnte. Wer also seinerzeit etwa „für“ das Theater gestimmt hat, war nach fünf Jahren nicht mehr nachvollziehbar. Ein Bürger, der unpopuläre Vorschläge macht, könnte da schon schneller ins Fahrwasser des öffentlichen Aufruhrs gelangen. Beispiel: Feuerwehr – Berufsfeuerwehr oder Freiwillige. Den Inhalt mag man finden, wie man will. Eine Diskussion darüber war offenbar schon lange fällig. Wäre die auch in Gang gekommen, ohne Anonymität?
Übrigens ist in Deutschland auch das Wahlrecht u.a. „geheim“: Es findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Jeder, der sein Kreuzchen macht, darf zurecht allein (!) in einer Wahlkabine verschwinden und dann seinen Zettel gefaltet und unter höchster Geheimhaltung in eine Wahlurne stecken. Sogar die Wahlzettel sind einheitlich, so dass ein Zurückverfolgen nicht möglich ist. Ziel ist es u.a. die Einschüchterung von Wählern und den Verkauf von Stimmen zu erschweren. Und das ist auch gut so. Stellen wir uns einmal vor, was im Lande los wäre, wenn man auf dem Wahlzettel seinen Namen angeben müsste. Großartiges Szenario, Ähnliches hatten wir vor einiger Zeit noch. Die Urväter des Grundgesetzes haben diesen Passus der geheimen Wahl daher aus gutem Grund eingefügt. Die Anonymität stärkt das demokratische Gerüst, alles Andere wäre schnell totalitär. http://www.wahlrecht.de/
Und auch bei Betriebsratswahlen ist das Vorschlagswesen geheim möglich. Erst durch den Schutz der Person trauen sich Menschen in Abhängigkeiten, Tacheles zu reden. Leider ist das noch so, möchte man anfügen. Aber wir sind alle Menschen. Und wie singt doch Grönemeyer: ... weil er lacht, weil er irrt.
Und dann kommen wir zu den neuen Kommunikationsmedien an sich: Das Internet. Auch hier gibt es die Möglichkeit, sich mit Pseudonymen anzumelden. Und keiner stört sich dran. Alle lassen sich auf diese Formen in den sozialen Netzwerken (und nicht nur da, auch als Kommentierungen in den Online-Zeitungen ist das möglich) ein. Es ist legitim. Die Netze haben ihre eigenen Regeln – und krasse Verstöße werden schnell von der Gemeinschaft selbst geahndet. Das Netz korrigiert sich selbst. In direkter Diskussion.
Wer nun die Anonymität in der Onlineplattform abschaffen will, der will zukünftig eigentlich KEINE Beteiligung der Bürger mehr. Das müssen sich die CDU, die UWG, die FDP, die BfGT und teils auch die Grünen schon anhören.
Denn wer sagt mir, dass die genutzten vollen Namen die richtigen sind? Meldet sich etwa einer unter „Heinz Müller“ an, dann kann das stimmen. Muss aber nicht. Und was ist, wenn Heinz Müller gar nicht D E R Heinz Müller ist, von dem man annimmt, dass er das ist? Auch hier gibt es keine Garantie. Und was heißt das schon? Ein Name?
Nehmen wir mal das Beispiel Hans-Dieter Hucke. Wer in Gütersloh Zeitung liest, kennt ihn als einen Funktionär im Tauchsport. Man kennt ihn aber auch als CDU-Ratsmann. Man kennt ihn auch als Mitglied im Krankenhausausschuss. Wenn jetzt Herr Hucke einen Vorschlag einbringt, in welcher Funktion bringt er den denn dann ein? Als Lobbyist für den Gütersloher Tauchsport oder als CDU-Mann? Spannend wird das in der Frage darum, ob Gütersloh etwa ein neues Hallenbad braucht.
Gleiches Spiel beim Landrat Adenauer. (Ein Bürgerhaushalt wird auch auf Kreisebene diskutiert). Er ist nicht nur Landrat, sondern natürlich auch CDU-Mitglied. Er hat aber auch noch 33 weitere Nebentätigkeiten als Funktionär. Durften wir gerade in der Zeitung lesen und auf seiner Homepage. Als was (?) spricht er denn nun, wenn er einen Vorschlag machen würde? Als Bürger? Schwer zu sagen. Namen sind nichts als Schall und Rauch.
Gerne wird hier ja auch auf die Leserbriefe verwiesen, die immerhin mit dem Namen unterzeichnet werden. Aber was sagen diese Namen denn an dieser Stelle aus? Nichts. Nur dem, der die Zusammenhänge und unterschiedlichen Posten kennt. Und: Liegt es nicht oft auf der Hand – und in der menschlichen Natur – dass bestimmte Vorschläge gleich (gedanklich) in die Mottenkiste wandern, nur weil sie von einer bestimmten Person kommen? Haben wir doch in der Politik immer wieder erlebt: das ist doch von den Grünen, der Vorschlag ist gut, aber man kann doch da nicht zustimmen. Und: Werden Leserbriefe nicht auch manchmal „kanalisiert“, als Bürgerbriefe deklariert, aber hinter den Kulissen sind sie eindeutig zuzuordnen?
Namen sind auf der Onlineplattform für den Bürgerhaushalt nicht das Kriterium. Sie sind sogar unbrauchbar. Es kommt auf den Inhalt an. Das ist nirgends so deutlich, wie an dieser Stelle. Der Inhalt der Forderungen muss selbsterklärend sein, dann zieht er und gewinnt Anhänger – oder Ablehnung. Auf den Namen schaut bei Qualität doch keiner.
Die Forderung nach Abschaffung der Anonymität folgt daher lediglich dem Schema der bisherigen politischen Kultur: Kenn ich Dein Gesicht, lehne ich Dich ab. Kenn ich den Namen, steck ich dich in eine Schublade.
Es geht aber mittlerweile um mehr. Es geht um neue Pfade, um die Dekonstruktion von Gräben und Mauern. Es geht um die Sache. Es geht um ein Miteinander in einer Stadt. Um den Wettbewerb der Ideen. Es geht nicht um niedriges Niveau des personellen Abstrafens oder den Boulevard. Es geht um die Zukunftsgestaltung einer Stadt. Und wenn man da schon nach wenigen Metern neuer Wege umkehrt, dann wird Politik nichts verändern. Dann bleiben wir im Zustand wie gesehen. Politik all zu oft im "nichtöffentlichen Teil" der Ausschüsse, da sind Namen dann auch egal.
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