Freitag, 21. Januar 2011

Willensbildung geht vom Volke aus...

Kommentar zu Anke Knopp (Vernichtende Kritik am Bürgerhaushalt.....)
von Dierk Bitter, Gütersloh

Ich kann Anke Knopp voll und ganz zustimmen. Sie trifft nach meiner Meinung mit ihrer Einschätzung den Nagel auf den Kopf. Demokratie in der Praxis ist eher ein schwieriges Geschäft.

Für das Staats- und Demokratieverständnis beschreibt der Kern des Grundgesetzes eine freiheitlich-demokratische Grundordnung, in der offene und freie Willensbildung ein unverzichtbares Element darstellt. Diese Willensbildung geht vom Volke aus und sollte von der Bildung eines staatlichen Willens durch seine verfassten Organe unterschieden werden.

In der Kommune bedeutet ein solches Demokratieverständnis, dass der Stadtrat mit seinen Beschlüssen letztendlich in der Verantwortung bleibt; die Verwaltung schlägt vor, setzt um und kontrolliert die Einhaltung der gefassten Beschlüsse zum Gemeinwohl der Bevölkerung auch in Gütersloh. So weit, so gut?

Auch in Gütersloh bringen die Bürgerinnen und Bürger ihren politischen Willen regelmäßig durch ihre Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck. Das Recht der Menschen auf Teilhabe an der politischen Willensbildungen äußert sich jedoch nicht nur in Wahlen und Abstimmungen, sondern ebenso durch Einflussnahme auf gewählte Politikerinnen und Politiker sowie auf den ständigen Prozess der öffentlichen Meinung.

Hier kommen die politischen Parteien ins Spiel; sie wirken an der politischen Willensbildung mit. Dabei muss gewahrt bleiben, dass die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen verläuft und nicht umgekehrt. Schließlich werden die Staatsorgane erst durch die politische Willensbildung des Volkes hervorgebracht.

Soweit der Idealfall in einem demokratischen Staatsgebilde. Leider kommt es zu häufig vor, dass Menschen sich in Demokratien darauf beschränken, mit ihrer Stimmabgabe bei Wahlen, wenn denn überhaupt noch gewählt wird, mitzuwirken. Hier wird die politische Verantwortung dann jeweils für 4, 5 oder 6 Jahre delegiert, und wenn die Entscheidungen im Einzelfall nicht die jeweiligen Bedürfnisse erfüllen, dann - und meistens erst dann - ist die individuelle Kritik gelegentlich groß. Als Folge ist Beschimpfung von Politik und Verwaltung dann eine bevorzugte Reaktion.

In Gegensatz - oder besser in Ergänzung - dazu hat sich die Initiative ´Demokratie wagen` anders aufgestellt. Hier haben sich engagierte Frauen und Männer aus Gütersloh gefunden, die in regelmäßigen und öffentlichen Sitzungen Belange der Einwohnerinnen und Einwohner der Kreisstadt aufnehmen, diskutieren und Folgerungen artikulieren, die den Menschen in Gütersloh helfen. - Dabei helfen, ihre eigenen Interessen wahrnehmen zu können, indem ihre Belange und vielfältige Vorschläge über den Bürgerhaushalt an Politik und Verwaltung herangetragen werden. Gemeinsam mit Politik und Verwaltung ist es dieser Initiative gelungen, in einem grundsätzlich transparenten Prozess die Menschen möglichst umfassend in die politische Willensbildung in Gütersloh einzubeziehen. Das ist eine wünschenswerte Aktivität; davon könnten wir in Gütersloh und darüber hinaus mehr gebrauchen

Allein die Informationen, das Verstehen von vielfältigen, immer komplexeren Aufgabenstellungen in der Gemeinschaft, also auch in der Kommune, und die Erarbeitung ganz unterschiedlicher Lösungsansätze zur Bewältigung der zunehmenden Zukunftsaufgaben stellt einen Wert an sich dar.

Die Treffen der Initiative ´Demokratie wagen` finden in regelmäßigen und kurzen Abständen öffentlich in der Weberei in Gütersloh statt und werden auch in den Medien jeweils angekündigt. Interessierte sind zu diesen Sitzungen und per Kontaktaufnahme über das Netz meines Wissens jeweils sehr herzlich willkommen.

Verwaltung und Politik haben zudem einen Beirat geschaffen, in dem Vereine, Institutionen und Initiativen ebenso wie die Politik und die Verwaltung vertreten sind. In der Volkshochschule hat eine von der Stadtverwaltung angebotene und gut besuchte öffentliche Informationsveranstaltung zum Bürgerhaushalt stattgefunden. Dabei ist es den Veranstaltern nach meiner Meinung trefflich gelungen, den städtischen Haushaltsentwurf für die Anwesenden darzustellen und das Verfahren zur Bürgerbeteiligung umfassend zu erläutern. Wer wollte, der konnte unmittelbar nach Ende der Veranstaltung an den bereitgestellten Computern eigene Vorschläge eingeben, vorliegende Vorschläge bewerten oder auch das Verfahren ein bisschen üben.

Alle diese Angebote finden nicht – wie viele politische Entscheidungen - hinter den Kulissen, sondern auf offener Bühne mit reichhaltigen Chancen zur Partizipation für alle Interessierten statt.

Die Stadt Gütersloh hat sich mit dem Angebot eines Bürgerhaushalts auf einen auf Anregung der Initiative ´Demokratie wagen` gefundenen Weg begeben, der sich landesweit sehen lassen kann.
Natürlich handelt es sich bei diesem Instrument zur stärkeren Beteiligung der Einwohner und Einwohnerinnen nicht um ein einmaliges Ereignis. Es bedeutet vielmehr einen Prozess, der über Jahre eingeübt und immer wieder verbessert werden muss. Es ist an den Menschen, die Möglichkeiten zu Teilnahme und demokratischer Praxis immer wieder und regelmäßig wahrzunehmen.

Leider finden die durch den Bürgerhaushalt gebotenen Chancen keinen Widerhall in Teilen der örtlichen Presse. Im Gegenteil wird hier eher so getan, als handele es sich beim Bürgerhaushalt um eine unnötige Investition und um Kraft- und Zeitverschwendung für die mit diesem Prozess befassten und beschäftigten Verwaltungsmitarbeiter. Das könnte in der Tat auch mit dem befürchteten Verlust der Lufthoheit der Printmedien über die veröffentlichte Meinung zu tun haben.

Also werden relativierende Aussagen zum Bürgerhaushalt von bestimmter nicht wirklich interessierter Politikseite teilweise durch Kommentare verstärkt; der Politik wird sogar suggeriert, den im Verfahren bekundeten Bürgerwillen eher zu ignorieren.
Diese Art der Meinungsmache hat ganz sicher damit zu tun, dass der schreibenden Zunft und ihren Chefs die Leserinnen und Leser weglaufen, auch durch die vermehrte Nutzung des Internets.

Als wesentliche Chance in diesem Wettbewerb um Auflagenhöhe und Anzeigengeschäft wird stattdessen bei den Printmedien eine verstärkte Berücksichtigung des Boulevard gesehen. Auch so kann man dem ´Volk aufs Maul schauen`.
Hier scheint ein entlaufener Hund durch entsprechende wiederholte Berichterstattung über mehrere Tage und auf verschiedenen Seiten einer Ausgabe ebenso wie andere Stories und Sensatiönchen, die die Leserinnen und Leser vermeintlich stark interessieren, der Schlüssel für eine Quotenstabilisierung im Wettbewerb um Auflagen zu liegen. Vielleicht ist es ungerecht und betriebswirtschaftlich unangemessen, dieses zu kritisieren. Natürlich muss auch diese Seite in den Informationen und Kommentaren eine Rolle spielen. Sicher muss jeder Zeitungsleser damit leben, wenn der Pluralismus der Berichterstattung in weiten Grenzen stattfindet. Das ist wohl sogar notwendig. Es bleibt jedoch die Frage, welcher Inhalt welchen Stellenwert und bei welcher Intention enthält.

Jedenfalls darf nach meiner Meinung eine solche Schwerpunktsetzung im Journalismus auch in den Lokalmedien nicht dazu führen, dass die Anliegen und die Arbeit der vielen Interessierten am Gelingen des Gemeinwohls in der Kommune durch die Berichterstattung oder durch Kommentare in den Hintergrund geraten, - als unwichtig abgetan werden. oder auch nur unbeobachtet den Bach runtergehen. Und erst recht dürfen deutlich mehr als 1500 Nutzer des Bürgerhaushalts nicht kleiner geschrieben werden, als es ihr Einsatz mit Hunderten von Vorschlägen und Tausenden an Bewertungen verdient. Jedenfalls nicht, solange nicht einmal ein Prozent dieser Art der Beteiligung am kommunalen Leben in der Regel im Rathaus, im Rat und in den Ausschüssen zu beobachten sind.

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